DONNERSTAG, 25.04.2024 / 20.00 Uhr
Baum Tour 2024 (Support: Mauli)

Pressetext:
 
Metamorphose, die: bezeichnet die Veränderung oder Umwandlung von Form oder Zustand. Bei einem Baum verändern sich Wurzeln, Sprossen, Blätter, passen sich an die Umgebung an, verwandeln sich, nehmen neue Aufgaben wahr. Eine Metamorphose, so beschreibt Mine auch ihre künstlerische Entwicklung: vom Struggle der Ich-Findung auf „Klebstoff“, über das Hadern mit einer kaputten Welt auf „Hinüber“. Und was folgt nach dem Nullpunkt? Ein Aufblühen, ein Wachsen, ein Neuanfang. Oder kurz gesagt: „Baum“, das neue Album von Mine.
 
„Ich hatte das Gefühl, das Verrottete fällt ab, und es entsteht etwas Neues“, sagt sie dazu, „ich habe im Nachhinein gemerkt, dass es thematisch auch viel um Retrospektive geht, um den Blick zurück. Was ist passiert? Was ist daraus geworden?“ Oder wie es im Titeltrack heißt: „All diese Bilder in meinem Gesicht, ich lass sie gehen, sie haben kein Gewicht,“ während sie dazu musikalisch aus der Melancholie heraus die Sonne aufgehen lässt. Es ist klar: Mine ist wieder da und verleiht dem deutschen Pop ihre ganz eigene lässige Mischung aus Tiefgang und Leichtigkeit, die wir so vermisst haben.
 
„Baum“ ist Mines fünftes Soloalbum in zehn Jahren, neben weiteren Projekten wie „Alle Liebe nachträglich“ mit Fatoni von 2017 und dem monumentalen Orchesterprojekt „Mine und Orchester“ 2018. Und es ist auch der Beginn eines neuen Kapitels für Mine, irgendwie: Arbeitsweisen verändern sich, Songstrukturen verändern sich, die Tracks werden kürzer, flexibler, freier. Mine, die sowieso schon immer alles selbst schreibt, arrangiert und mitproduziert, hat diesmal viel alleine am Computer vorproduziert, bevor sie in ihrem Stammstudio in Sandhausen mit ihrem Team weiter an den Songs drehte, bis sie genau so saßen, wie sie es sich vorgestellt hat. „Ich war viel aufgeregter als sonst“, erzählt sie und lacht, „ich habe nicht einmal meiner Band vorher die Songs gezeigt. Ich wollte, dass es perfekt ist!“
 
Und gleichzeitig ändert sich auch nichts: es ist immer noch die gleiche Mine mit der wunderbar wandelbaren Stimme, dem Hunger auf unerwartete Sounds, der Lust an der Sprache, an Texten, die an Poesie und Deutschrap geschult sind und der Freude, diese Soundräume zu teilen mit anderen Künstler*innen, die sie schätzt. Das wären diesmal etwa der Männerchor ffortissibros und der Kieler Knabenchor, Battlerapper und Podcaster Mauli, die französische Singer-Songwriterin Léonie Pernet – die Mine einfach auf Instagram kontaktiert hat, nachdem sie einen Song von ihr gehört hat – und die Berliner Sängerin und Produzentin Madanii.
 
„Baum“ ist ein kompromissloses Album: „ich bin ein großer Fan von Veränderungen“, erzählt Mine. Was sie dagegen nicht interessiert: wie ein herkömmliches Album auszusehen hat. Songs erhalten epische Intros (beispielsweise mit besagten Männer- und Knabenchören), werden mit neuen Elementen noch einmal als Reprise aufgegriffen, schlagen Haken wie Hasen auf einem offenen Feld. Mine lässt Horn-Arrangements in elektronische Kompositionen münden, die dann nach übermorgen klingen, setzt unbekannte, unerwartete Instrumente ein, die sie etwa schon auf ihrer Social-Media-Reihe „Sweet Instrumente“ vorstellte. Große Popmomente, wie etwa „Danke Gut“ mit Mauli, wechseln sich ab mit reduzierten, ja, fast minimalistischen Songs wie „Stein“ mit Madanii oder Dancefloor-Knallern wie die Hyperpop-Hymne „Nichts ist umsonst“ oder dem erfrischend direkten „Copycat“ in dem Mine mit Ideenklau in der Musikszene abrechnet. Und auch klassische Singer-Songwriter-Balladen wie „Ich weiß es nicht“ haben ihren Platz. Deren Lyrics hat Mine übrigens beim Joggen runtergeschrieben – talk about multitasking! „Es geht darum, dass man gar nichts weiß, weil alles Wissen dynamisch ist“, sagt sie, und nutzt damit die Form der Ballade für ein Thema, das uns alle angeht. Wem die Streicher irgendwie bekannt vorkommen: Mine setzt nicht nur selbst gern auf Streicher, sondern hat auch die Streicherarrangements für Danger Dans Album „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ geschrieben. „Ich höre viel unterschiedliche Musik und mag es, alles zu verbinden“, erklärt die mehrfach beim Musikautorenpreis der Gema und dem Preis für Popkultur ausgezeichnete Sängerin und Produzentin und setzt ihr breites Grinsen auf. Alles außer langweilig muss es sein. Zusammengehalten wird das Spiel mit musikalischen Genres und verschiedensten Soundelementen von Mines unverwechselbarer Stimme und ihren verspielten, präzisen und emotionalen, aber nie kitschigen, Texten.
 
Nicht nur der Blick zurück prägt „Baum“, auch der Blick nach innen. Und dabei ist Mine nirgendwo offener und verletzlicher als auf „Staub“, einem Stück, in dem sie sich an ihre verstorbene Mutter wendet. „Ich habe schon einige Songs über meine Mutter gemacht“, verrät sie, „aber es noch nie so ausgesprochen.“ Es thematisiert Mutterschaft, Trauer und Glauben, oder vielmehr, die Abwesenheit davon – und fängt mit wenigen Worten die Realität von Hinterbliebenen so gut ein, wie es bislang selten im deutschsprachigen Pop gelungen ist.
 
„Baum“ ist das selbstbewusste, selbstsichere Album einer Künstlerin, die ihre vielfältigen Einflüsse immer wieder neu und klug miteinander verbindet – und die uns klug, erfrischend ehrlich und voller Wahrhaftigkeit von ihrer Perspektive auf die Welt erzählt. „Baum“ ist kein radikaler Schnitt, sondern ein Schritt weiter in Mines Entwicklung, ein Schritt weiter, näher zu sich selbst. Und eine Einladung, diesen Schritt gemeinsam zu gehen.

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