Labor der Gegenwart / Teil 5: Interview mit Direktorin Simone Schimpf

MONTAG, 31. OKTOBER 2022

#Interview, #Kunst, #Moderne Kunst, #Neues Museum Nürnberg

curt und die Kunst – das gehört längst zusammen. Redaktionell auf jeden Fall, emotional sowieso. 
Diese Strecke im Magazin und Online macht unsere sowieso schon immer feine Partnerschaft mit Nürnbergs erster Adresse für zeitgenössische Kunst ganz offiziell.

Text: Marian Wild. Fotos: Instagramer*innen der @igers_nürnberg

Der Staffelstab wurde längst weitergegeben: Seit letztem Sommer leitet Dr. Simone Schimpf als vierte*r Direktor*in Nürnbergs größtes Museum für zeitgenössische Kunst und modernes Design. Dass diese Zeit langweilig gewesen wäre kann man beileibe nicht sagen, zur Corona-Pandemie und der allgemeinen Krise des Kulturbetriebs gesellt sich seit Februar Ukrainekrieg und Inflation, die Energieknappheit des Winters winkt drohend vom Horizont. All diese Fragen gehen an einem zeitgenössischen Kulturort nicht vorbei, darum war es für uns vom curt höchste Zeit für ein ausführliches Interview über Nachhaltigkeit, Zukunftspläne und den feinen Zauber des Konkreten.

Marian Wild: Liebe Frau Schimpf, die letzten Monate haben viele liebgewonnene Gewissheiten ins Wanken gebracht. Die zeitgenössische Kunst als Seismograph der Gesellschaft müsste eigentlich im roten Bereich ausschlagen. Was sind gerade die akutesten Herausforderungen für das Haus und wie bildet das NMN die Situation inhaltlich ab?
Simone Schimpf: Die Herausforderungen dürften gerade für alle Institutionen, Unternehmen und Privatleute sehr ähnlich sein: 
Wie gehen wir mit den zu erwartenden Preissteigerungen bei Energie und Strom, aber auch generell bei allen Leistungen, um? Wo können wir sparen? Alles wird überprüft und manch liebgewonnenen Gewohnheit wird hinterfragt. Wir sitzen in enger Taktung zusammen und besprechen die Möglichkeiten der Energieeinsparungen und prüfen die bisherigen Maßnahmen. Doch als Museum haben wir Auflagen für ein stabiles Klima; Leihverträge und Versicherungen geben da den Rahmen vor. Es ist uns jedoch gelungen, neue Werte zu verhandeln, was gerade an den heißen Tagen wichtig war. Wir bereiten darüber hinaus eine CO²-Klimabilanz für das Haus vor. Wir möchten genau wissen, wo wir nicht nur Energie verbrauchen, sondern all unsere Abläufe auf den CO²-Verbrauch hinterfragen. Das betrifft beispielsweise auch die Transporte von Kunstwerken, Dienstreisen oder die Abfallentsorgung. Tatsächlich gibt es kaum mehr einen Vorgang, den wir uns in nicht anschauen. Das ist manchmal anstrengend, aber bringt auch vieles in Bewegung und ich erlebe ein Team, das gemeinsam mit viel Elan diese Herausforderungen angeht.
Ich möchte außerdem erwähnen, dass uns die Frage des Kriegs in Europa umtreibt. Auch da sind wir im stetigen Gespräch, wie wir so ein Thema mit den Mitteln der Kunst aufgreifen. Aktuell zeigen wir beispielsweise den Kriegszyklus von Miriam Cahn, der über alle Zeiten hinweg das Grauen, die Angst und die Gewalterfahrung in bewegende Bilder fasst. 

Sie leiten das Neue Museum seit dem 1. Juli 2021. Seitdem wurde viel in der Sammlung umgebaut und auch Positionen konkreter Kunst sichtbar gemacht. Welchen Eindruck haben Sie nach etwas mehr als einem Jahr von den Räumen des Museums?
In diesem ersten Jahr wurde mir zunehmend bewusst, dass wir ganz klassisch zwischen Sammlungs- und Ausstellungsräumen unterscheiden, aber letztlich auch in den sogenannten Sammlungsräumen in etwas größeren Intervallen ständig kleinere Ausstellungen eröffnen. Seitdem ich da bin, haben wir das ganze Erdgeschoss umgeräumt, dort eine neue Design- und Kunstausstellung eingerichtet und im Obergeschoss ebenfalls fünf Räume neu gehängt. Daran zeigt sich, dass diese Begrifflichkeiten – Sammlung hier, Ausstellung dort – nicht mehr richtig stimmen. 
Wir entwickeln stattdessen Neupräsentationen aus unseren Beständen heraus und leihen uns weitere Arbeiten hinzu. Wir schaffen Bezüge zu unseren Werken und laden Künstler*innen aktiv ein, Räume zu gestalten. Dieses Konzept des lebendigen und bewegten Museums, das nicht nur in seinen Kubusausstellungen mit Überraschungen aufwartet, möchte ich gerne hervorheben.
Sie haben vorher acht Jahre lang das Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt geleitet, auch die verfügbare Sammlung des Neuen Museums bietet viele konkrete Ansätze. Eine Vorliebe für diese Ästhetik scheint Ihnen also im Blut zu liegen. Wie ist Ihr persönlicher Zugang?
Ob mir die Konkrete Kunst im Blut liegt, weiß ich nicht (lacht). Aber ich schätze sie auf jeden Fall sehr. Ich habe sie nie als eine abgeschlossene historische Position begriffen, wie das von Manchen vertreten wird. Für mich liegt der Reiz darin, dass sie unserer modernen Welt entspricht. Konkrete Kunst beschäftigt sich mit Strukturen und Systemen. Deshalb führt diese Kunstrichtung auch zur digitalen Kunst, da sie sich immer auch binärer Codes bedient hat. Wir haben in Ingolstadt eine Ausstellung zu Logos und eine zu Diagrammen gemacht. Beides sind visuelle Systeme der Moderne, die es darauf anlegen, Informationen kurz und prägnant darzustellen. Diese Aspekte faszinieren mich an der Konkreten Kunst. Wenn sie sich allein um rechte Winkel und bunte Formen drehen würde, wäre sie nur eine banale Kästchenmalerei – manchmal ist das auch die Gefahr, aber tatsächlich stecken dahinter viel größere inhaltliche Fragestellungen, und jede*r Künstler*in stellt wieder neue Fragen und findet ästhetische Antworten.

Der Startzeitpunkt zur Übernahme eines Museums war im Sommer 2021 denkbar schwierig, mitten in einer Pandemie, mit Kontaktbeschränkungen und Einlassobergrenzen, ohne die Möglichkeit größerer analoger Veranstaltungen. Welche Strategie entwickelt man?
Ja, tatsächlich fehlten die Möglichkeiten der realen Begegnungen am Anfang schon sehr. Doch haben wir alle gelernt, auch digital zu kommunizieren, sich auf diesem Wege kennenzulernen und Netzwerke zu aktivieren. Ich hatte durch diese spezielle Situation womöglich etwas mehr Zeit, mich mit dem Haus und dem Team vertraut zu machen, nicht gleich auf Hochtouren laufen zu müssen, sondern mich konzentrieren zu können. Letztlich ist es so, dass ich mich im Museum, in der Stadt, in dem Team sehr wohl fühle und in Nürnberg mit meiner Familie angekommen bin.
Mit einer neuen Leitung richtet sich auch ein ganzes Haus ein Stück weit neu aus. Unter Gründungsdirektor Lucius Griesebach wurden die wundervollen Räume von Volker Staab noch erprobt und beispielhafte Setzungen vorgenommen, mit einer damals noch klaren Trennung von Design (EG) und Kunst (OG). 

Unter Frau Nollert kamen optisch gewaltige, experimentelle Einzelausstellungen ans Haus wie von Katharina Grosse oder Daniel Buren, durch die Sammlung Böckmann kam mit den Gerhard-Richter-Werken ein heutiges Herzstück der Sammlung ans Haus, dazu wurde die Designsammlung präzisiert. Unter Eva Kraus zogen erste Fragen der Nachhaltigkeit ins Haus ein, daneben stark internationale Positionen und zuletzt mit der „Mixed Zone“ eine genuine Vermischung von Design und bildender Kunst im direkten Gegenüber. Haben Sie bereits eine thematische Vision für Ihre Zeit?
Ein Thema drängt sich durch unsere aktuelle Situation wirklich in den Vordergrund: Nachhaltigkeit. Wie können wir besser mit unseren begrenzten Ressourcen umgehen? Was bedeutet das für die Programmgestaltung? Auch die Frage, wie sich das Museum als Institution verändert, treibt mich um. Ein wichtiger Schritt war deshalb für mich, eine Besucherbefragung an den Anfang zu stellen und mehr über unser Publikum und seine Erwartungen zu erfahren. In diesem Auswertungsprozess befinden wir uns gerade und dabei überprüfen wir unsere Formate und unsere Kommunikation. Auch die Digitalisierung möchte ich voranbringen und so werden wir nun dank eines Drittmittelprojekts unseren besonderen Schatz – den Gerhard-Richter-Bestand – mit einem digitalen Vermittlungsangebot vor Ort und auf der Homepage aufbereiten.

In anderen Interviews haben Sie bereits erzählt, dass Sie das Haus stark öffnen möchten, auch für die regionale Kunstszene, gleichzeitig hat das NMN einen internationalen Anspruch. Ist das aus Ihrer Sicht ein Konflikt? Wie stellen Sie sich die – auch qualitative – Verbindung dieser beiden Welten vor?
Nein, das ist für mich kein Konflikt. Ich möchte das NMN von seinem Be-Stand und seinem Stand-Ort her denken. Die Verortung ist für mich ein wichtiger Punkt. Nur ein Haus, das seine Wurzeln kennt und pflegt, kann zu einer kraftvollen Institution werden. Ich finde es wichtig, dass wir immer wieder besondere Positionen aus der Region aufgreifen. Das können Künstler*innen sein, die von hier kommen und schon länger wo anders leben, wie z.B. Raphaela Vogel. Oder es kann jemand sein wie Sebastian Tröger, der vor Ort sehr aktiv ist und ab Oktober unsere Fassadenräume komplett gestalten wird. Qualität ist immer der oberste Maßstab unserer Entscheidungen und die lässt sich bekanntlich überall finden. Für das Publikum ist es spannend, nicht überall die gleichen zehn angesagten Künstler:innen zu sehen, sondern Neues zu entdecken. Den Standort zu bedenken, bedeutet für mich auch, dass wir spezifische Themen der Region aufgreifen und vor allem mit den vielen interessanten Partnerinstitutionen zusammenarbeiten. So planen wir beispielsweise zwei große, thematische Ausstellungen gemeinsam mit dem Institut für moderne Kunst und suchen uns aus zahlreichen anderen Gebieten weitere Partner hinzu.

Ein französischer Philosoph hat mal geschrieben, Kunst sei das, was sich weiter von einem entfernt, je genauer man es beschreibt. Das wäre in der Konsequenz das Ende jeder Museumspädagogik, frech gesagt. Was ist Ihre Meinung, wie lässt sich dieses grundsätzliche Problem lösen, dass man viele Eigenschaften von Kunst mit Sprache und Vermittlung eigentlich nicht greifen kann?
Ich glaube, dass die Museumspädagogik heutzutage schon viele Methoden genau zu diesem Aspekt der Nicht-Übersetzbarkeit entwickelt hat und dabei deutlich die Message transportiert, dass es nicht die eine letztgültige Erklärung geben kann. Ich verstehe tatsächlich Kunstvermittlung nicht nur als Einbahnstraße, also „einer steht vorne und erklärt, was die Inhalte des Bildes sind“. Das kann und soll es zwar auch geben, aber genauso muss es auch andersherum funktionieren. Das Publikum stellt seine Fragen und wird durch Fragen zum Nachdenken angeregt. Damit arbeiten wir beispielsweise, wenn wir in Double up! direkt um die Meinung zu unserer Stühlepräsentation bitten. Oder in unseren Dialogführungen versuchen wir, das Gespräch gemeinsam vor den Werken zu führen. In den letzten Jahren hat sich da zum Glück viel getan und genau das möchte ich verstärken: Kunstvermittlung ist nicht mehr nur kunsthistorische Erläuterung. Kunst darf heute auch wieder Anlass für eine Unterhaltung sein. Im 18. Jahrhundert gab es speziell in der englischen Malerei die Gattung des „Conversation Piece“. So etwas kann man auch sehr gut vor Gerhard Richter oder Claus Feldmann erleben. Ich möchte unser Publikum dazu einladen, selbst kreativ zu denken, sich womöglich gemeinsam Geschichten zu einem Bild zu überlegen und auch in Workshops selbst handwerklich aktiv zu werden. All das ist für mich eine lebendige Kunstvermittlung, die viele Zugänge erlaubt und auch zu einer gestalterischen und fantasievollen Herangehensweise ermutigt.

Wenn Sie sich völlig frei von anderen Zwängen eine*n Kunst-schaffende*n für eine monumentale Einzelausstellung wünschen könnten, lebendig oder verstorben, wer wäre es?
Puh! Das ist wirklich schwierig. Ich habe das Gefühl, dass man in den letzten Jahren wirklich die tollsten Einzelausstellungen sehen konnte. Gerade jüngst habe ich mir Marcel Duchamp in Frankfurt angeschaut. Dort gab es quasi alles von ihm. Tatsächlich dachte ich aber, dass es toll wäre, das gesamte malerische Oeuvre von Richard Lindner zusammenzutragen. In der Ausstellung zu Evelyn Hofer hatten wir einige Highlights von ihm, aber natürlich nicht „The Meeting“ aus dem MOMA oder andere US-amerikanische Leihgaben.

---

Neues Museum Nürnberg 
Klarissenplatz, Nbg. 

FOTO-Kooperation
Die Fotografien hier stammen von den igers Nürnberg
Die Gruppe aus Fotograf*innen besucht regelmäßig Ausstellungen und Kulturveranstaltungen auf ihren Instawalks und zeigt die oft spektakulären Ergebnisse auf ihrem offiziellen Instagram-Account. Danke für die Kooperation!




Twitter Facebook Google

#Interview, #Kunst, #Moderne Kunst, #Neues Museum Nürnberg

Vielleicht auch interessant...

KULTURWERKSTATT AUF AEG. Seit das Lineup des diesjährigen It Isn’t Happening Festivals öffentlicht ist, sind wir ganz unruhig. Das Team das Livemusik-Clubmusik-bildende Kunst-Experimental-Mashup-Festivals holt Künstler*innen nach Nürnberg, die faszinieren und begeistern und Sachen anders machen. Tolles Ding. Wir haben mit Antares Igel aus der Festivalorga über das diesjährige Konzept, die Kirterien von IIH und das Sitz-Tanz-Feeling gesprochen.   >>
LUISE. Angesichts der alarmierenden Pressemeldung aus dem Erlanger E-Werk (hier zu finden), und aber auch sonst, hält der curt es für angesagt, immer wieder hinzuschauen, unter welchen Bedingungen die Kultur produziert wird, die wir alle so gerne konsumieren. Denn auch wenn der Stadtrat dankenswerter Weise beschlossen hat, die Kulturföredrung mit dem nächsten Haushalt nicht zu kürzen, sondern stagnieren zu lassen und punktuell zu erhöhen, bleibt Lohnarbeit in dieser Branche für viele Menschen prekäre Selbstausbeutung aus idealistischen Motiven, die stets in Gefahr schwebt, der nächsten Sparrunde zum Opfer zu fallen. Wir haken deshalb nach, bei den wichtigen Institutionen der Stadt: Wie ist die Lage? Los geht es mit Vera Lenhard vom Jugendkulturort Luise.  >>
20241201_Staatstheater
20241201_pfuetze
20240801_mfk_PotzBlitz
20241201_AFAG_Whiskey
20230703_lighttone
20241201_Umweltreferat
20241001_Retterspitz
20241118_Ruetter
20241201_Literaturpreis
20241104_curt_XMAS
20241220_Cine_Silvester
20240601_ebl
20241201_Kaweco
20241201_Theater_Erlangen