Symphoniker-Intendant Hemmer: Das Konzerthaus bleibt wichtig

MONTAG, 7. JUNI 2021, NüRNBERG

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Auf einen Ingwertee bei Lucius A. Hemmer, Intendant der Nürnberger Symphoniker. Vor ziemlich genau einem Jahr waren wir schon einmal hier und trafen einen ziemlich entspannten Mann, der soeben das komplette Programm eines Orchesters umplanen musste. Ob er damals wohl gedacht hätte, dass wir uns in einem Jahr noch immer über dasselbe unterhalten? Aber nicht nur. Wir müssen auch über Lokalpolitik reden. Hemmer ist ausnehmend gut drauf. Es ist der erste Tag, an dem Nürnberg den Inzidenzwert 100 unterschreitet.

CURT: Herr Hemmer, wie geht‘s?
LUCIUS A. HEMMER: Ich bin ein notorischer Gute-Laune-Mensch. Für uns ist es natürlich ein Segen, dass wir finanziell gut abgepuffert sind. Zweitens sind wir privilegiert, weil wir uns mit Themen beschäftigen dürfen, die in der Zukunft stattfinden. Wenn man sich die gesamte Coronazeit anschaut, war der Blick in die Zukunft immer ein bisschen optimistisch. Da ich mich beruflich damit auseinandersetzte, was in einem Jahr passiert oder zwei, kann ich immer gut gelaunt sein. Der dritte Punkt ist: Ich bin auch jemand, der Mut hat und ganz gerne einfach mal was macht. Ich glaube, wer zu sehr zaudert, kommt nicht voran. Daran leiden wir in Deutschland in manchen Bereichen auch.

Vor einem Jahr gab es zum ersten mal wieder eine Möglichkeit im Serenadenhof, aber in reduzierter Form. Wie erinnern Sie sich an diese Konzerte, war das Musiksommer-Stimmung oder doch eher gedrückt?
Es war eigentlich eine sehr positive Stimmung, weil plötzlich doch etwas ging. Wir hatten ja bereits alles abgesagt. Das Programm für das kurze Zeitfenster haben wir mehr oder weniger aus der Hüfte geschossen. Am Anfang waren es wie jetzt 250 Leute, später 330 und damit war der Hof von vorne bis hinten voll. Die Leute waren unendlich dankbar und das wird jetzt wieder so sein. Wir haben am 05. April die Ankündigung rausgegeben und haben seitdem sechseinhalbtausend Buchungen bekommen. Ich erwarte, dass wir auch dieses Jahr wieder aufstocken dürfen.

Man kann nun wirklich optimistisch sein, dass sich die Inzidenzen in eine gute Richtung entwickeln. Das war in Nürnberg ja nicht immer so. Wie fühlt sich das an, etwas zu planen, wenn man Angst haben muss, dass am Ende kann davon gar nichts stattfinden?
Im letzten Jahr fand ich das scheußlich. Dieses Jahr habe ich es mit großer Gelassenheit zur Kenntnis genommen. Es betrifft ja alle Bereiche und wir haben alle eine gewisse Gelassenheit entwickelt. Man ist gut beraten, sich nicht jedes Mal zu ärgern, wenn man etwas verschieben muss. Wir wollten vorbereitet sein und das geht nicht, wenn man sagt, ich schmeiße die Flinte ins Korn und warte, bis einer sagt, jetzt geht es aber garantiert … Das ist unser Job: Wir bereiten etwas vor und wenn es stattfinden kann, ist es eine helle Freude. Wir haben viel für die Tonne gearbeitet, aber so ist das eben.

Wie konnte das Orchester denn in den vergangenen Monaten überhaupt arbeiten?
Im November dachten wir noch, wir könnten im Dezember etwas nachholen. Da haben wir zwei, drei Mal neu angesetzt. Im Januar haben wir dann gesagt, jetzt machen wir mal richtig schöne Projekte, die einen anderen Ansatz verfolgen und Mehrwert bringen. Dann haben wir das Projekt #nürnbergbeleben gestartet: Mini-Besetzungen, aber sehr aufwändig produziert. Wir haben hier Musikerinnen und Musiker, die nicht nur ihr Instrument spielen, sondern neuerdings auch noch Bildregie und Kameraführung und Schnitt und Ton und alles auf top Niveau machen. Mit diesem Thema sind wir in Spielorte gegangen sind, die sonst auch Begegnungs- und Ausgehorte sind, wo sich sonst viele Leute treffen und wo jetzt niemand ist. Also: Germanisches Nationalmuseum, Neues Museum, Dürerhaus, Planetarium, Saal 600, ... Dann haben wir gesagt, vielleicht können wir im April immer noch nicht spielen, wir starten jetzt aber in jedem Fall eine Konzertreihe, in der sich das Orchester wieder präsentieren kann. Bevor das Orchester vergisst, wie man Symphoniker schreibt und wie man Ensemble spielt. Und schließlich haben wir vier TV- & Streamingkonzerte durchgeführt und sind quasi im Wohnzimmer unseres Publikums gelandet. Das war ein riesiger Erfolg. Wir hatten da durchgehend pro Veranstaltung 35.000 Zuschauer und in der Spitze 68.000. Das sind ganz krasse Zahlen und ich muss ganz ehrlich sagen, das war eine gewaltige Motivationsspritze.

#Nürnbergbeleben: Ist das eine Aktion, bei der etwas für die Zeit „nach Corona“ hängen bleibt. Dass man sagt: Dieser Ort eignet sich ja total gut …?
Ja, unbedingt. Wir haben einige Einrichtungen besucht. Und es ist unser Plan zu sagen, wir machen eine Museumskonzertreihe oder eine Konzertreihe eben mit solchen Orten. Aber nicht nur nach dem Motto: Da kommt ein Ensemble, wir setzten uns da hin. Ein solches Konzert müsste in meinen Augen anders gestaltet sein als früher. Es müsste eine Mischung stattfinden aus dem Besuch des Ortes, Begegnung und Konzert. Das Museum und seine Ausstellungsfläche sollen auch gelten und wirken. Um sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen, braucht man etwas Ruhe und dafür haben wir die Zeit jetzt auch genutzt.

Wie ist es denn für Musiker*innen, für die Kamera zu spielen und nicht für ein applaudierendes Publikum?
Ich glaube, bei der Aufführung selber ist es schon schwer, weil man mit Publikum diese Spannung merkt, das Knistern, auch das Hüsteln. Und wenn etwas besonders toll ist, gibt es eine Reaktion vom Publikum, und wenn es nur angespannte Stille ist. Ohne Publikum hat es immer etwas vom Charakter einer Probe. Richtig problematisch wird es natürlich am Ende. Wir hatten auch überlegt, ob wir Applaus einspielen und zwar nicht fürs Publikum, sondern für uns. Aber das hätte vielleicht zu sehr wie der Chinesische Volkskongress gewirkt.

Glauben Sie, dass es nach der Pandemie ein anderes Arbeiten, Musikmachen, Intendantsein sein wird?
Das ist eine sehr interessante Frage, mit der ich mich lange schon beschäftige. Die Antwort ist: Ja, natürlich wird es anders sein. Natürlich wird man es im Hinterkopf haben, natürlich wird man Rücksicht nehmen. Auch das Publikum wird anders sein. Das viele In-der-Pause-husten-wir-uns-zu-Tode im Herbst wird vielleicht nicht mehr sein, vielleicht bleiben die Leute dann eher mal zu Hause oder bringen den Mundschutz mit. Ich finde das ein tolles Plus, wenn man mehr Rücksichtnahme erfährt. Was bei uns aber definitiv aufs Tapet kommt, ist das Thema Nachhaltigkeit. Wir haben uns vorgenommen, mit dem Orchester mehr Bahn zu fahren, nicht mehr so viele Künstler*innen international anreisen zu lassen. Das Regionale, das immer schon unser Markenzeichen war – die Nürnberger Symphoniker sind das Orchester für die Metropolregion – sehe ich als großes Plus. Und: Muss es denn sein, dass jeder immer international durch die Gegend düst? Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass wir ein Gastspiel in Wien oder Hamburg machen. Aber zu solchen Sachen würden wir, wenn es die Reiselogistik zulässt, in Zukunft mit der Bahn anreisen. Ist teurer und aufwändiger, aber auch sinnvoller.

Neu war ja auch das Umplanen von Konzerten auf reduzierte Orchesterstärke. Hat sich da auch in kreativer Hinsicht etwas getan, dass genau dadurch Türen aufgegangen sind, über die man jetzt froh ist?
Ich denke ja. #nürnbergbeleben ist genau daraus entstanden, das wird uns weiter begleiten. Im Oktober 2020, als wir noch gespielt haben, haben wir zum Beispiel Gershwins Rhapsody in Blue im Original gespielt, die ist nämlich eigentlich gar nicht für Klavier und Orchester, sondern für Klavier und Jazzband. Unglaublich interessant, das zu spielen, hätten wir sonst wahrscheinlich auch nicht gemacht. Unser drittes TV-Streaming-Konzert war ja strenggenommen unser Festkonzert 75 Jahre Nürnberger Symphoniker. Da hatten wir uns vorgenommen, richtig auf den Putz zu hauen, Gustav Mahlers Symphonie der Tausend war vorgesehen. Dieser Beiname trifft nicht ganz zu, aber 600 Mitwirkende wären es schon gewesen. Das haben wir natürlich vor langer, langer Zeit schon abgesagt. Wir wollten aber dennoch bei einer Mahler-Symphonie bleiben und haben stattdessen die Erste gespielt in einer Kammerensemble-Version mit 33 Musikern auf der Bühne. Und auch diese erste Symphonie hat im Original schon Muckis, es ist aber unheimlich interessant, sich dem zu stellen und das auf diese Art zu machen. Wir hätten diese Version sonst nie gespielt, weil ein Symphonieorchester immer gern das Original spielt. Es gibt ja auch gute Gründe, warum der Komponist das so geschrieben hat. Für den Serenadenhof jetzt in diesem Sommer haben wir normales Programm vorbereitet. Die Stücke spielt man in der Regel aber auch mit 60 Leuten, 60 Leute wird aber erstmal nicht gehen. Mit Abstand können wir wahrscheinlich 40 setzen. Dann müssen wir halt etwas weglassen. Die Alternative wäre zu sagen: Das geht gar nicht, im Original ist das anders. Wir meinen: lieber so, als gar nicht.

Der Nürnberger Stadtrat hat im November beschlossen, dass es erstmal kein neues Konzerthaus geben wird. Nun, einige Monate später: Glauben Sie, dass das Projekt beerdigt ist oder glauben Sie an 2026?
Ich bin notorischer Optimist, deswegen glaube ich dran. Dieses Thema Konzerthaus ist für Nürnberg unendlich wichtig. Ein Konzerthaus ist, wie alle Begegnungsorte, ein unglaublich wertvoller Ort für die Stadtgesellschaft. Warum? Weil es, anders als ein Opernhaus, eine große Bandbreite des Publikums anspricht. Alles, was live stattfindet ohne Verstärkung, also Jazz, Ensemble, Klavier, Nachwuchsarbeit, Chor, Orchester, Festival – das alles findet Platz im Konzerthaus. Die große Bandbreite dessen, was da zuhause sein wird, oder würde, oder wäre – das macht es aus! Wenn man ein Festival zu einem Thema macht und in diesem Festival freie Szene, Orchester, internationale Gäste teilnehmen, hat man einen phänomenalen Hub für die Begegnung. Das kann nur ein Konzerthaus bieten, weil es die Logistik, die Leute, die Technik hat. Da hätte man unendlich tolle, moderne Dinge machen können. Klar kann ich coronamäßig verstehen, dass gerade kein Geld da ist. Trotzdem glaube ich, dass es wichtig bleibt, dass man das noch realisiert.

Sie sagen, man kann es verstehen, dass das Geld nicht da ist. Hätten Sie sich trotzdem vielleicht eine andere Priorisierung oder Verteilung gewünscht?
Natürlich muss die Antwort für mich Ja heißen, weil ich für die Nürnberger Symphoniker spreche und für diejenigen, die Livemusik lieben. Das soll aber nicht heißen, dass das Geld woanders grundsätzlich falsch aufgehoben ist. Ich verstehe, dass man das Geld nur einmal ausgeben kann. Für die Livemusikszene ist es aber ein herber Verlust und deshalb sollte man es auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Die Meistersingerhalle hatte ihre hervorragende Zeit, ist aber doch schmaler als das, was das zukünftige Publikum brauchen wird.

Macht Ihnen ein Spielort, der nicht auf diesem top Level ist, die Arbeit schwerer, z.B., wenn es darum geht, Musiker*innen nach Nürnberg zu locken?
So würde ich es nicht sagen, das wäre nicht richtig. Natürlich arrangiert man sich mit dem, was man hat. Da machen wir das Allerbeste draus und die Nürnberger Symphoniker haben trotz ihres relativ kleinen Budgets top internationale Leute da. Mir geht es auch gar nicht um die Frage der Künstler*innen auf der Bühne, mir geht es um das Publikum. Wir wollen dem Publikum von morgen einen attraktiven Begegnungsort anbieten. Es geht nicht um die, die im Elfenbeinturm sitzen und noch bessere Bedingungen haben wollen. Es geht um die, die in die Konzerte gehen sollen und sagen, das ist auch mein Ausgehort, um die, die jetzt 20 sind und in zehn Jahren vielleicht mal andere Veranstaltungsformen anschauen wollen. Und das wäre ja das Geniale an einem solchen Konzerthaus: Durch die Vielfalt könnte es ein ganz anderer Magnet sein als die Meistersingerhalle. Darüber, über das Publikum von morgen, muss man sich Gedanken machen. Nicht nur über die, die schon drinsitzen, sondern über die, die in Zukunft kommen sollen.

Wie weit ist die Programmplanung nun für die kommende Saison und wie sieht sie aus? Normal, volles Corona-Programm, nur ein bisschen Corona?  
Die Programmplanung selber sieht inhaltlich eigentlich nicht nach Corona aus: Die Struktur, die Differenzierung im Programm haben wir wieder aufleben lassen. Aber: Abonnements und Buchbarkeit sind im Moment noch mit einem großen Fragezeichen versehen.
Wir versuchen wie immer sehr ungewöhnliche Inhalte aufs Programm zu setzen. Wir haben am 16. Oktober den Beatboxer Tom Thum da, der mit Loop mehrere Soundschichten übereinander legt,  und das Orchester spielt dazu. Außerdem am 6. November ein Schlagzeugkonzert für Altmetall und Orchester: Machine Worlds. Ich nenne es mal ein Recycling-Konzert. Kein Quatsch! Ich glaube, das zeigt diese Vielfalt, die unser Publikum besonders schätzt. Das Festkonzert Neujahrskonzert 75 Jahre Symphoniker, das wir Anfang des Jahres geben wollten, heißt jetzt einfach 76 Jahre Symphoniker. Man nimmt es, wie es kommt.
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Nürnberger Symphoniker.
Musiksommer im Serenadenhof, vom 08. Juni bis 01. August



 




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