OBDACHLOSENUNTERKUNFT DIANASTRASSE
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Wir haben wirklich schon seit vielen Jahren ein freundschaftliches Verhältnis zum Sozialmagazin Straßenkreuzer. Wenn man monatlich Magazine herausbringt, die man gegenseitig gut findet, dann verbindet das eben. Und auch inhaltlich gibt es doch immer wieder mal Überschneidungen, soziale Themen sind nun mal auch curt-relevant. Da Gut gut tut, gibt es ab sofort eine eigene Kolumne in curt, in der wir ein Einblick geben werden in die vielfältigen Aktivitäten, die die Straßenkreuzer-Welt so ausmachen.
Seit 22. März dürfen Obdachlose in einer großen Unterkunft an der Dianastraße wohnen. Damit Corona draußen bleibt. Das tut den meisten gut. Äußerlich wie innerlich. Ein Hausbesuch.
Das Haus wirkt aufgeräumt, fast leer an diesem Nachmittag. Ein paar Meter hinter einer Eingangstür sitzt ein Security-Mann, das Funkgerät vor sich auf einem Tisch, der Flur dahinter wirkt verwaist, so wie die anderen Flure im Erdgeschoss und in den beiden Etagen darüber. Nur wenige Bewohner lassen sich blicken. Es ist still, selten dringen Geräusche durch eine Tür. Kaum zu glauben, dass hier zeitweise bis zu hundert Männer wohnen. Männer, die oft jahrelang auf der Straße oder in engen Notunterkünften gelebt haben, meist aus osteuropäischen Ländern auf dem Nürnberger Asphalt gestrandet sind. Die Obdachlosigkeit statt der ersehnten Arbeit und dem Geld für die Familien zu Hause erleben. Jetzt haben sie allein oder zu zweit ein Zimmer, können duschen, kochen und auch tagsüber bleiben.
Johanna Braun ist auf dem Weg zu ihrem Büro in der Unterkunft. Naja, Büro klingt ein wenig hochtrabend für den Raum, in dem neben Großpackungen Toilettenpapier, ein paar Kartons mit wasserdichten Matratzenauflagen und aufgehäuften Security-Westen ein Schreibtisch mit selbst gebautem Plexiglas-Sichtschutz steht. Den teilt sich die 32-jährige Sozialpädagogin mit einem Kollegen, der mittwochs hier arbeitet. Johanna Braun gehört seit rund drei Jahren zum Team der Wärmestube Nürnberg. Seit Mai kommt sie immer dienstags für etwa zwei Stunden ins Haus und berät die Bewohner. Manche kennt sie noch von Vor-Corona-Zeiten. Da sah deren Leben anders aus. „Etliche waren am Bahnhof oder am Plärrer anzutreffen, oft in einem desolaten Zustand, verzweifelt und obdachlos.“ Als EU-Ausländer hatten und haben sie keinen automatischen Leistungsanspruch. Abgesehen von den Winter-
monaten, in denen die Stadt zum Schutz vorm Erfrieren eine Notschlafstelle organisierte, mussten die Männer meist draußen schlafen. Corona hat alles verändert. Unter der Überschrift „Das Beste, was mir je passiert ist“, berichtete der Straßenkreuzer bereits im Juni über das Glück von rund 150 obdachlosen Männern (und wenigen betroffenen Frauen), denen die Stadt Nürnberg als Maßnahme gegen die Gefahr einer Ansteckung mit Corona eine würdige Unterkunft bescherte. (Nachzulesen unter strassenkreuzer.info; auch ein Interview mit dem Koordinator für Wohnungsfragen und Obdachlosigkeit Thorsten Bach).
Bereits am 22. März hatte die Stadt Nürnberg zwei ehemalige Gemeinschaftsunterkünfte für Obdachlose geöffnet, später kam eine Adresse für Frauen dazu. Security, Verpflegung, ein Reinigungsdienst und Hygieneartikel wurden organisiert, niemand wurde dem Risiko ausgesetzt, sich auf der Straße zu infizieren. Inzwischen zeigt sich: Die Unterkunft Dianastraße wird weiterhin gebraucht, andere Optionen können geschlossen werden.
„Ich bin vor Ort und ich bin zu Gast“, fasst Streetworkerin Johanna Braun zusammen, was für sie die besondere Qualität der Beratung hier ausmacht. „Jetzt kommen die Männer, die ich vom Plärrer kenne, manchmal in Hausschuhen zu mir ins Büro. Viele seien „zur Ruhe gekommen, haben sich stabilisiert“. Klar sei die Suchtproblematik nicht einfach weg, nur weil jemand ein Dach über dem Kopf hat. Aber die Menschen würden zugänglicher, offener. Schon im Frühjahr, als der Straßenkreuzer in der Dianastraße recherchierte, hatte auch Hausmeister Hans-Peter Eichin festgestellt, dass nach und nach mehr Männer wieder auf ihre Körperpflege achteten, auch ihre Zimmer sauber hielten. Der erfahrene Hausmeister mit klarer Haltung – „auf andere Menschen spucken, das macht man nicht“ – lädt an diesem Dienstag Spinde und Sofas aus einem LKW. Damit die Bewohner künftig ihre Wertsachen wegsperren können und die geplanten Aufenthaltsräume gemütlicher werden. Ein Romantiker ist der 52-Jährige aber keinesfalls. Dazu hat er schon zu oft erlebt, dass Bewohner auch wieder gehen müssen, etwa wenn sie gegen andere im Haus gewalttätig werden oder stehlen. Und erst vor wenigen Tagen hat er mit viel Mühe Kakerlaken aus einer der Gemeinschaftsküchen entfernt. Die hatten sich durch verschimmelte Essensreste magisch angezogen gefühlt. Künftig werde nur noch in der Küche gekocht und gegessen, pocht er auf die Hausordnung, die eben erst überarbeitet wurde und gut sichtbar im Erdgeschoss an einem Brett hängt. Nun wird sie noch in die Sprachen der Bewohner übersetzt, damit sie alle verstehen. „Das bisschen Rücksicht kann man doch von jedem Menschen erwarten“, sagt Hans-Peter Eichin energisch. Und er schiebt gleich hinterher, dass die meisten Bewohner umgänglich und gewillt seien, ihr Zuhause zu pflegen.
Maximal zwei Männer bewohnen ein Zimmer, das jeweils bis zu 30 Quadratmeter groß ist. Genug Platz, um sich privatfühlen zu können. So wie Miko, der von Anfang an in der Dianastraße lebt, aus Polen kommt, inzwischen in der Wärmestube ehrenamtlich arbeitet und für die Sozialarbeiter übersetzt, wenn Bedarf ist. „Es wäre schon sehr gut, wenn ich noch bleiben dürfte“, sagt er vorsichtig. Bis nach Corona, „dann kann ich weitersehen“. Ein Wunsch, den viele im Haus haben.
Der Sozialausschuss hat einstimmig beschlossen, die Unterkunft bis April kommenden Jahres weiterzuführen. Was danach kommt wird im Oktober erneut im Stadtrat debattiert. Das Sozialamt unter der Leitung von Volker Wolfrum arbeitet aktuell an einem Konzept, das auf den Ganzjahresbetrieb abzielt. Die Belegung, so steht es im vorläufigen Papier „würde in variablen Zimmergrößen stattfinden“. Auch eine Notschlafstelle für die kalten Wintermonate soll einbezogen werden. Aber anders als bisher üblich, soll niemand früh um sieben auf die Straße geschickt werden. Deshalb „wäre es aus Sicht der Verwaltung sinnvoll, im selben Gebäude einen einfachen Tagestreff anzubieten, der neben dem Aufenthalt auch ein Beratungsangebot sowie Verpflegungsmöglichkeiten beinhaltet“. Dazu gehört dann auch eine „Klärung der Perspektive der Person“, etwa eine Rückkehrberatung, in wenigen Fällen vielleicht sogar ein Job.
Einige Männer haben sich allein oder mit Hilfe der Sozialarbeiter genau so entwickeln können, weil sie sicher bleiben durften. Sie haben Arbeit gefunden, eine Bleibe, sind weg. Manche gehen morgens zur Arbeit, weil sie zu jeder Tageszeit in ihr Zimmer zurückkommen können. „Und einige arbeiten Nachtschicht, auch sie stehen eben nicht vor versperrter Tür“, berichtet Johanna Braun.
Es ist später Nachmittag. Und als wäre es abgesprochen geht ein Mann an ihr vorbei ins Haus. Er trägt einen weißen Maleranzug, hat Farbe an den Armen, kommt offensichtlich von einer Baustelle. Er wird wohl einer der nächsten sein, der geht. Sobald er eine Bleibe gefunden hat auf einem Wohnungsmarkt, der kaum Raum lässt für Menschen mit geringerem Einkommen.
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Autorin: Ilse Weiß, Straßenkreuzer-Redaktion
Fotos: Giorgos Agelakis, giorgosagelakis.com
Noch mehr zu diesem Thema in Straßenkreuzer 11/2020
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Spannende Inhalte, demnächst sogar mit curt. Wir freuen uns!
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