Bill Gates braut Impfstoffe im curt-Terrarium. Stimmts, Prof. Dr. Reimar Zeh (FAU)?

DIENSTAG, 9. JUNI 2020, NüRNBERG

#Corona, #FAU, #Interview, #Reimar Zeh, #Verschwörung

Es war eine Frage der Zeit, bis die Corona-Situation zum Nährboden von Verschwörungstheorien wird. Impfgegner, Reichsbürger, Echsenmenschenphobiker und Hohlerdebewohner tun sich zu Tausenden zusammen, um uns vor der Gates-Diktatur zu bewahren. Die Frage muss erlaubt sein: WTF?!?! Dr. Reimar Zeh, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der FAU Nürnberg-Erlangen, weiß mehr dazu.

curt: Nachdem die Bevölkerung am Anfang eher hinter den Corona-Maßnahmen stand, mehren sich jetzt die Leugner, organisieren sich, demonstrieren und posten wirr auf Facebook. Welches Ökosystem begünstigt denn das Entstehen von Verschwörungstheorien?
Reimar Zeh: Ungewissheit ist immer ein guter Nährboden und macht die Menschen sehr anfällig für alternative Erklärungsmodelle. Wir haben ein Faible für einfache Erklärungen und es hilft, wenn man dann auch Schuldige benennen kann, vor allem solche, die außerhalb unserer eigenen Lebenswelt stehen. Es hilft, Sündenböcke zu finden.

Überrascht Sie die Auswahl der Böcke oder ist die naheliegend?
Es überrascht mich schon etwas, wenn ich an Bill Gates denke. Klar, er tut sich im Kontext der Impfforschung hervor, andererseits ist es in dem Fall nahezu absurd, Verschwörungsfähigkeiten zu unterstellen. Jeder, der mit Microsoft-Produkten arbeitet, weiß, wie “gut” Microsoft in der Lage ist, Komplexität zu handhaben ... Und Bill Gates hat selbst noch vor Jahrzehnten gesagt, das Internet würde sich nicht durchsetzen. So viel zu seiner Fähigkeit, eine komplexe Verschwörung anzuleiten.

Was hätte die Politik vielleicht besser machen können, um einer solchen Entwicklung vorzubeugen?
Das ist schwierig. Sie müsste mehr in Bildung investieren, glaube ich. Wenn man die derzeitige Gemengelage betrachtet und auf die Demos blickt, fällt es schwer, der Politik einen Vorwurf zu machen. Klar ist einiges nicht normal gelaufen, rückwirkend betrachtet. Aber die Politik musste Entscheidungen treffen und war demokratisch legitimiert, das zu tun. Vielleicht hätte man einzelne Dinge anders oder besser regeln können, aber da würde ich in dieser Situation niemandem einen Vorwurf machen.

Wenn man Diskussionen in Social Media verfolgt, erscheinen die oft eher sinnlos. Gibt es argumentative Möglichkeiten, um Menschen vom Verschwörungstrip runterzuholen?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil die Anhänger von Verschwörungstheorien generell schlechte Forschungsobjekte sind. Es gibt wenig Forschung zu dem Thema, weil diese Zielgruppe sich verschließt, da sie der Wissenschaft skeptisch gegenübersteht. Es gibt ein paar Forschungsarbeiten, die darauf hindeuten, dass es schwierig ist, Anhänger von Verschwörungstheorien argumentativ umzustimmen. Es kann sogar sein, dass es zu einer Verfestigung der Einstellung führt. Wenn Medien sich dann inhaltlich damit auseinandersetzen und zum Beispiel Faktenchecks anstellen, werden sie als Teil der Systemmedien betrachtet, was sie in den Augen dieser Menschen ebenfalls unglaubwürdig macht. Hinzu kommt, dass viele Menschen Artikel nicht ganz lesen oder Beiträge nicht ganz hören. Wenn also irgendwo steht „Mythos: Impfen fördert Autismus“, bleibt nur Impfen fördert Autismus im Gehirn hängen und der Mythos wird weiterverbreitet.
Was Ihre Frage angeht, ist es wohl wichtig, nicht emotional zu reagieren. Gelassenheit hilft, Reaktanz zu verhindern. Am effektivsten ist es vermutlich, wenn die Betroffenen selber merken, dass die Theorien an der Realität scheitern. Man kann auf dem Weg dahin helfen, indem man vorsichtig auf Widersprüche hinweist. Auch der Hinweis, dass man selbst anderer Meinung ist, schadet nicht. Bewertung der anderen Position führt aber meist zum Rückzug.

Was empfehlen Sie Menschen, die sich möglichst seriös und verlässlich über ein so komplexes Thema informieren wollen? curt lesen?
Im Prinzip hilft es immer, sich daran zu orientieren, wo Leute zu Wort kommen, die sich auskennen. Das Problem momentan ist, dass wir in einer Zeit leben, in der ganz neue Risiken auftauchen und wir den wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr verstehen. Wir haben mit den Qualitätsmedien aber ein System, das sich bewährt hat und geübt darin ist, Informationen verständlich aufzubereiten. Ich glaube, es zeigt sich auch, dass klassische Medien wieder mehr Zuspruch erhalten und stärker genutzt werden, weil es offensichtlich ist, dass man hier valide Informationen finden kann. Wenn ich google, muss ich am Ende immer selbst entscheiden, ob das, was ich finde, stichhaltig ist. Google führt eben keine Faktenchecks durch.

Im Extremfall sind die kursierenden Theorien schlicht absurd (Bill Gates will die Menschheit mit Chips kontrollieren …). Wenn man sich die Quellen anschaut – kommt das tendenziell von Menschen, die selbst glauben, was sie verbreiten. Oder spielen die eher ein manipulatives Spiel?
Ich weiß es nicht, würde aber sagen, sowohl als auch: Es gibt Menschen, die spielen damit und es gibt Menschen, die sind tatsächlich so wirr im Kopf, dass sie das glauben. Für die Verbreitung ist das im Endeffekt zweitrangig, wichtig ist, wie sie auftreten. Wenn wir bei wirren Menschen sind, kann man direkt auch mal auf Xavier Naidoo eingehen. Da haben wir es durchaus auch mit einer Strategie zu tun, um sich wieder ins Gespräch zu bringen und für mediale Aufmerksamkeit zu sorgen. Die Promotion eines neuen Albums kann also auch ein Aspekt sein.
 
Halten Sie persönlich Fake News und Verschwörungstheorien für ein gefährliches Phänomen unserer Zeit, das man bekämpfen muss, oder gehört das zu einem gewissen Prozentsatz bei einer offenen Gesellschaft immer dazu?
Die Literatur sagt, es gab spätestens seit der französischen Revolution Verschwörungstheorien, die sich Verbreitung erfreuten. Der Punkt ist nur, dass die Digitalisierung im Allgemeinen und soziale Medien im Besonderen wie ein Brandbeschleuniger wirken. In vordigitaler Zeit hätten wir größte Mühen gehabt, an diese Informationen heranzukommen, unsere kognitive Faulheit bremst uns da auch. Jetzt muss man nur noch googlen und uns werden sämtliche Erklärungen auf den Bildschirm gezaubert. Die Verbreitung des Internets liegt bei uns bei 95 Prozent, die es täglich nutzen. Jeder kommt also an Suchmaschinen ran und kann sich Verschwörungstheorien auf den Tisch servieren lassen. Früher war die Informationsbeschaffung deutlich aufwändiger, außer zum Beispiel in der Nazizeit, wo Verschwörungstheorien Teil der Staatsdoktrin waren. 

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Dr. Reimar Zeh hat seit Oktober 2019 die Vetretung des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaften an der FAU inne. Er forscht schwerpunktmäßig in Politische Kommunikation, Technik- und Wissenschaftskommunikation, Computervermittelte Kommunikation, quantitative Methoden und Verfahren der Inhaltsanalyse.
 




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