EBMD: Der Text der Woche by Matt S. Bakausky

FREITAG, 22. MAI 2020, NüRNBERG

#Eisenbart und Meisendraht, #Literatur, #Matt S. Bakausky, #Scooter

Eisenbart & Meisendraht ist das feiste, feine Literatrmagazin auf Radio Z. Zum Monatsmotto Mai, Hype, hat auch Matt S. Bakausky einen Text geschrieben, der eine feste Instanz im Programm ist. Matt schreibt, um den Lahmen dabei zu helfen, wieder zu sehen. Die Ärzte sagen, religiöser Wahn, aber wir sind uns da nicht so sicher. Uns hats geholfen. Mehr von Matt. Bakausky: https://bakaus.ky/

Sie haben Geschichte geschrieben

Manchmal gibt es einen Musik-Act, der einfach den Nerv der Zeit trifft. Leute wie Elvis Presley,  die Beatles, Falco oder Madonna. Doch in den frühen neunziger Jahren gab es nur eine Band, die überhaupt etwas zu sagen hatte: Scooter.
Mit dem äußerst genialen Frontmann H.P. Baxxter.
Im Jahre 1994 gab es nur ein Lied, dass man hörte, wenn man auf sich etwas hielt: „Hyper Hyper“ wurde international, weltweit auf allen Sendefrequenzen und in jedem angesagten Club auf und ab gespielt.
Natürlich hatte auch ich die Single auf CD gekauft. Ich war damals acht Jahre alt und konnte den Refrain auswendig. Ganz zum Missfallen meiner Eltern. Während andere Kinder noch Flöte spielten, bettelte ich um Synthesizer-Unterricht. Doch den gab es in meiner Stadt zu der Zeit einfach nicht. Ich schrieb einen Brief an den Hans Peter Baxxter.
„Sie sind mein Idol. Ich bin so aufgeregt. Ich kann es gar nicht glauben, dass Sie diesen Text lesen werden. Scooter ist die beste Band. Hyper Hyper ist ein Meilenstein. Ich könnte platzen vor Freude. Also ich würde gerne Synthesizer-Unterricht nehmen. Können Sie mir einen Tipp geben? Hochachtungsvoll, …“
Jeden Tag nach der Schule ging ich in das Büro meines Vaters und fragte, ob ich Post bekommen hätte. Ich ließ mich auch nach Tagen nicht entmutigen, baute mich wieder auf, indem ich „Hyper Hyper“ in meinem Zimmer herauf und herunterspielen ließ. Meine Mutter war langsam genervt davon. Stellte einmal sogar den Strom am Sicherungskasten ab. Sie schien meine Liebe zur elektronischen Tanzmusik nicht zu teilen.
Nach drei Wochen war es so weit. Ich kam von der Schule, ging in Vaters Büro und fragte nach der Post. Er sagte erst, ich muss dich leider enttäuschen, wieder nichts! Kurz bevor ich das Zimmer verlassen hatte, sagte er dann noch: „Warte, doch da ist etwas!“ und übergab mir den Umschlag.
Ich rannte in mein Zimmer und öffnete behutsam den Briefumschlag. Ich fingerte eine Autogrammkarte und einen gedruckten Brief heraus. „Hallo … vielen Dank für deinen Brief. – wir sind per du, dachte ich. Er hat mich sehr inspiriert. Als kleines Dankeschön schicke ich dir anbei eine Autogrammkarte. Beste Grüße H.P. Baxxter“
Ich war außer Rand und Band. Ich platzte fast vor Freude. Bis ich merkte, dass Hans Peter gar nicht meine Frage nach dem Synthesizer-Unterricht beantwortet hatte. Es stand als Absenderadresse ein Postfach in Hamburg. Da war mir klar – ich muss nach Hamburg! Hier in Nürnberg geht nichts. Doch meine Eltern waren nicht erfreut über meine Umzugspläne. Ich hatte es mit Quengelei probiert, mit Argumenten und mit Dauerspielen von „Hyper Hyper“. Bis mein Vater in mein Zimmer kam, mich anschrie was ich eigentlich mir dabei denken würde, dass er Ruhe brauche um zu Arbeiten, dass er mit dem Kopf arbeitet. Er nahm die Stereoanlage und die CD mit. Er kam zurück mit leeren Händen und nahm die Autogrammkarte von der Wand. Ich schrie: Nein, nicht die! Und wollte sie ihm aus der Hand reißen, doch er hielt sie stärker, sodass er und ich jeweils eine Hälfte in der Hand hatten.
Meine Mutter kam kurz darauf und tröstete mich. Zeigte mir eine Broschüre vom Klavierunterricht. Sagte, dass wenn ich erst einmal Klavier spielen könnte, klassische Musik, würde es mir besser gehen. Von nun an musste ich täglich vier Stunden Klavier spielen. Meine Eltern waren auch sonst strenger geworden. Ich durfte nicht mehr meine Freunde sehen. Nach der Schule hieß es Hausaufgaben machen. Dann Klavier spielen. Zweimal die Woche kam ein Klavierlehrer zu mir.
Die Jahre schritten voran. Ich vergaß Scooter völlig.Kurz nach meinem 18. Geburtstag packte ich meine Siebensachen ein und zog aus. Ich hatte schon länger kein Wort mehr mit meinem Vater gewechselt. Jetzt nahm er mich kurz zur Seite und reichte mir einen braunen Umschlag. „Das hier gehört dir“, sagte er. Ich steckte den Umschlag mit zu den anderen Sachen in einen Karton. Als ich ihn ein paar Tage später öffnete, kamen zum Vorschein:
Die Single „Hyper Hyper“ und eine fein säuberlich geklebte Autogrammkarte.
Ich war sofort wieder angefixt.
Tage, Nächte, lang hieß es bei mir nur noch „Hyper Hyper“.
Doch es war nicht mehr dasselbe, es wurde einfach nicht mehr wie 1994.
Vielleicht passte Scooter einfach gut in die Neunziger Jahre, vielleicht waren die jetzt vorbei.
Als ich das begriff, stellte ich den CD-Spieler aus, legte ich mich aufs Bett und weinte, weinte und weinte.


 




Twitter Facebook Google

#Eisenbart und Meisendraht, #Literatur, #Matt S. Bakausky, #Scooter

Vielleicht auch interessant...

NüRNBERG. Eisenbart & Meisendraht ist das einzigwahre Literaturmagazin auf Radio Z. Und als solches logischerweise fester Bestandteil des guten Daseins auf curt.de. Zum aktuellen Monatsthema, Langeweile, präsentieren wir den Text Blick aus dem Fenster von Autor Elmar Tannert. Tannert scheibt Romane und Erzählungen und übersetzt Texte aus dem Tschechischen und Französischen, er ist Literaturförderpreisträger des Freistaats Bayern und Kulturpreisträger der Stadt Nürnberg.   >>
NüRNBERG. Eisenbart & Meisendraht ist das feiste, feine Literaturmagazin auf Radio Z. Und als solche logischerweise fester Bestandteil des guten Daseins auf curt.de. Wir freuen uns über einen Text von Zülküf Kurt, geboren in Diyarbakir (Türkei), politischer Berater, Journalist und Schriftsteller. 2018 musste Kurt die Türkei aufgrund politischer Probleme verlassen und lebt seither als anerkannter Flüchtling in Deutschland. Sein Text liegt in Übersetzung von Aslı Uǧurlu und Tobias Schneider vor.  >>
MAGAZIN  28.08.2024
NüRNBERG. STEPHANIE MEHNERT: DAS FLIMMERN KLEINER LICHTER
In Nürnbergs Leseszene schon lange keine Unbekannte mehr, dürfen sich Stephanie Mehnerts feinfühlige Gedankenströme nun endlich auch in heimischen Bücherregalen einnisten. Mit ihrem Debütroman „Das Flimmern kleiner Lichter“ entführt die Wahlnürnbergerin in eine Welt, die das Dunkel des Lebens weder romantisiert noch ausklammert – und dabei kraftvoll stets das Licht hochhält: Ronja, Pflegehilfskraft in St. Pauli, wohnt in einer Datsche am Elbstrand. Traumatische Erfahrungen holen Ronja immer wieder ein und ihr Leben gerät letztlich aus den Fugen, als sie ihre zwangseingewiesene Lieblingspatientin aus der Klinik entführt, um deren Suizid zu verhindern. Alte Wunden brechen auf. Doch unerwarteten Rückhalt findet Ronja in einer Familie, von deren Existenz sie noch gar nichts ahnte. Ein Gesellschaftsroman über Identitätssuche, Hoffnung und Zwischenmenschlichkeit. Dabei so melancholisch schön, dass es auf jeden Fall entsteht: das zuversichtliche, gute Gefühl. 
---
Ulrike Helmer Verlag, 144 Seiten, 20 Euro  // www.ulrike-helmer-verlag.de

INGRID ARTUS & NADJA BENNEWITZ: WIR KOMMEN AUS DEM KAMPF HERAUS
Das politische Leben und Wirken der Nürnberger Antifaschistin Berta Backof erzählen und beleuchten die Erlanger Professorin für Soziologie Prof. Dr. Ingrid Artus und die Historikerin Nadja Bennewitz in ihrem neuen gemeinsamen Buch „Wir kommen aus dem Kampf heraus“. Mit 17 lässt sich Berta Backof gegen den Willen ihrer Mutter einen Bubikopf schneiden. Ihre Mitgliedschaft in der Sozialistischen Arbeiterjugend verstärkt den Gegenwind, doch es bestärkt auch ihre Politisierung in der Weimarer Republik. Sie protestiert gegen die Aufrüstung der deutschen Marine und tritt der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) bei. Nach der Machtergreifung der Nazis geht sie in den Untergrund und wird als KPD-Mitglied schließlich Teil des Widerstands. Ein literarisches Porträt über eine fränkische Frau, deren Leben ein Schlaglicht auf die hiesige antifaschistische Arbeiter:innengeschichte von den 1920er-Jahren bis in die Nachkriegszeit wirft. 
---
PapyRossa Verlag, 180 Seiten, 18 Euro  // www.papyrossa.de

MAGDALENA KRATZER: AM PLUTO VORBEI, DANN LINKS
Um eine innerliche wie äußerliche Reise dreht sich Magdalena Kratzers erster Selfpublishing-Roman, der die Lesenden mit nach Südfrankreich nimmt und dabei die Zufallsbegegnung zwischen den beiden Hauptprotagonist:innen Saniel und Anka erzählt. Beide kämpfen mit kürzlich erlebten schwierigen Ereignissen, beide suchen Halt im jeweils anderen. Sie beschließen, gemeinsam in die Provence zu reisen, um dort ausgesetzte Hunde zu retten. Doch ihre verdrängten Sorgen und Herausforderungen schleichen sich natürlich direkt mit ins Gepäck. Eine Geschichte über gegenseitige Inspiration und Wachstum. 
---
BoD – Books on Demand, 244 Seiten, 11,99 Euro  // www.buchshop.bod.de

FITZGERALD KUSZ: DER BESTE KUSZ
Seine schönsten Gedichte der letzten 50 Jahre versammelt das Nürnberger Urgestein Fitzgerald Kusz nun eigens kuratiert in seinem neusten Werk Der beste Kusz. Bereits seit vielen Jahrzehnten zählt der Sprachkünstler zu den wohl bedeutendsten fränkischen Mundart-Lyrikern im gesamtdeutschen Raum und bereichert uns dank seines satirischen Blickes regelmäßig mit unterhaltsamsten Zeilen über Absurditäten des Lebens sowie politische Machenschaften im Weltgeschehen. 
---
ars vivendi verlag, 256 Seiten, 20 Euro // www.arsvivendi.com  >>
ALTSTADT. Das Quartiersbüro Altstadt hat, diesmal mit ein wenig Support von curt, zum zweiten Mal die Fühler in die lokale Literaturszene ausgestreckt, um ein fabelhaftes Programm für die Lesereise durch die Altstadt auf die Beine zu stellen. Im Juni und Juli werden an sieben Tagen an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum Lesungen von sieben Autor:innen stattfinden. Und ihr könnt dabei sein – und zwar nicht „nur“ als Zuhörende.  >>
NüRNBERG. Ihr seht es an den vielen Lesungen, manche von ihnen sind mit regionaler Beteiligung, von fern winken doch schon wieder die texttage, die Stadtbibliothek ist eine der ältesten überhaupt ... usw. Nürnberg ist eine Bücherstadt! Damit man das im Stadtraum Nürnbergs noch besser erfahren und erleben kann, haben sich die klugen Leute von der Stadtbibliothek etwas Schlaues ausgedacht: Die LiteratourenApp verbindet lokale Literaturgeschichte mit historischen Schauplätzen zu spannenden Spaziergängen.  >>
20241201_pfuetze
20241201_Staatstheater
20240801_mfk_PotzBlitz
20241201_AFAG_Whiskey
20241001_Retterspitz
20241104_curt_XMAS
20241201_Umweltreferat
20241228_Stefan_Grasse
20241118_Ruetter
20240601_ebl
20241220_Cine_Silvester
20230703_lighttone
20241201_Literaturpreis
20241201_Kaweco
20241201_Theater_Erlangen