Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Izabella Effenberg

MONTAG, 5. NOVEMBER 2018

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Sie ist Vize-Europameisterin in Karate und sieht auch ihre Musik sportlich: Spannung und Entspannung sind wesentliche Merkmale für Izabella Effenberg. Ihre Leidenschaft für unhandliche Instrumente (erst Klavier, dann Schlagzeug, schließlich Vibraphon) mündete schließlich in ihrem eigenen Festival: „Viphraphonissimo“ findet im Januar 2019 zum sechsten Mal zwischen Erlangen und Neumarkt statt. Vorher wird die aus Posen stammende Musikern ausgezeichnet: Am 19. November erhält sie – neben Maler Diet Sayler und Opernsänger Jochen Kupfer zum Beispiel – in der Tafelhalle bei einer öffentlichen Feier einen der Nürnberger Kulturpreise.

ANDREAS RADLMAIER: Zu Beginn gleich die wichtigste Frage überhaupt, die sich die Fußball-Fans unter den Jazzern stellen: Welches Verhältnis haben Sie zu Stefan Effenberg?

IZABELLA EFFENBERG: Bei den Konzerten sage ich es auch schon immer: Ich kenne ihn. Wir sind aber nicht verwandt.

Radlmaier: Er wollte Sie auch nie trainieren?

Nee. Aber ich bin trainiert, wenngleich in einem anderen Bereich.

Radlmaier: Apropos Training: Mit 22 Jahren waren Sie Silbermedaillengewinner in Karate. Sie besitzen den zweiten Dan. Das lässt auf verschiedenartige Interessen schließen oder auf eine Suche nach der passenden Leidenschaft.

Ich wurde so erzogen: Interesse für verschiedene Dinge zu haben. Bei mir zuhause gab es zum Beispiel auch die Hoffnung, dass ich Architekt werde wie mein Onkel.

Radlmaier: Warum?

Weil man damit mehr verdient. Aber da war ich nicht hundertprozentig überzeugt. Dann hatte ich diese Karate-Erfolge gehabt, gleichzeitig vom Vibraphon geträumt und überlegt, mit meinem damaligen Freund einen Karate-Club zu gründen. Als das nicht klappte, habe ich mich dazu entschieden, alles total zu ändern. In Polen herrschte damals eine Übergangszeit, wo es ganz schwierig war, zu überleben.

Radlmaier: Bei Karate denke ich an Aggressionsabbau …

… In manchen Clubs wurde das in der Tat ein wenig gehypt. Aber da bin ich dagegen. Karate war für mich am Anfang Körperbeherrschung. Mir gefallen Figuren, ähnlich wie im Ballett. In Polen war das Training während meines Studiums eng verbunden mit Freundschaften und sozialen Kontakten. Wir sind gemeinsam zu Wettkämpfen gefahren. Das hatte einfach seine Zeit und eine andere Dimension.

Radlmaier: Es ging Ihnen bei Karate nie um Selbstverteidigung?

Nein. Man muss ja auch sagen: Ich habe 53 Kilo, da kann man nicht viel ausrichten gegen schwere Männer.

Radlmaier: Trotz Karate?

Ich habe mal eine solche Erfahrung nach einem Jazz-Workshop in Polen gemacht. Ich musste durch einen Wald laufen, und ein Typ hat mich von hinten angegriffen und wollte mich vergewaltigen. Da gab es keine Möglichkeit, Karate anzuwenden. Er war wohl nur verblüfft, dass ich mich heftig wehrte und um Hilfe schrie.

Was ist dann passiert?

Er ist geflüchtet. Eine blöde Situation. Ich habe heute noch Respekt davor, nachts unterwegs zu sein.

Radlmaier: Sind Sie noch fit?

Jaja, wenn ich Zeit habe, treibe ich Sport. Wir haben ja ein Häuschen in der Nähe von Barcelona gekauft, wo wir dann schon mal acht Wochen sind. Da trainiere ich am Strand. Oder mache Stehpaddeln. Den Tipp hat mir die Bildhauerin Meide Büdel gegeben. Mein Mann und ich haben es probiert und uns in diesen Sport total verliebt. Momentan sind zwar nur kleine Wellen unser Niveau, aber immerhin. Da arbeitet der ganze Körper. Gesundes Leben ist einfach wichtig für mich. Diese Art von Disziplin versuche ich auch an meinen Sohn weiterzugeben. Er hat seinen ersten Karate-Anzug mit vier Monaten bekommen (lacht).

Radlmaier: Hat körperliche Fitness positive Effekte auf die Musik?

Auf jeden Fall. Es geht ja auch da um Endorphine, Glückshormone. Auch beim Musikmachen ist man vor Muskelschmerzen nicht gefeit. Dagegen hilft Fitness.

Radlmaier: Sie hatten in Polen kurzfristig überlegt, mit Ihrem damaligen Freund einen Karate-Club aufzumachen. Sind dann aber wieder in der Musikerlaufbahn gelandet. Warum?

Um so etwas zu stemmen und zu etablieren, braucht man Geld. Aber es war schwierig. Vielleicht war es auch ein schlechter Zeitpunkt für Karate. 20 oder 40 Jahre früher wäre es vielleicht einfacher gewesen, als es diese Karate-Filme mit Jackie Chan und Claude van Damme gab. Zu meiner Zeit wollten dann die Menschen mehr Latin oder Standard tanzen.

Radlmaier: Ihr Papa ist Big-Band-Musiker, die Mutter Archäologin. War da der Weg zur Kunst letztendlich vorgezeichnet?

Nee, weil mein Vater lange dagegen war. In Polen ist der Musikunterricht ja ein wenig anders organisiert. Man wird neben der normalen Grundschule oder dem Lyzeum gemeinsam unterrichtet, ganz früh schon in Gehörbildung und Musikgeschichte. Diese osteuropäischen Musikschulen waren ziemlich hart. Mit vielen Prüfungen. Wenn man durchhält, ist ein Musikerdasein programmiert. 80 Prozent meiner Mitschüler wurden Berufsmusiker.

Radlmaier: Sie haben ja offenbar eine Liebe zu unhandlichen Instrumenten: Mit Klavier angefangen, zum Schlagzeug gewechselt, beim Vibraphon gelandet.

Klavier war mir zu stressig wegen der dauernden Prüfungen, zwei Mal pro Jahr. Deshalb habe ich mit Flöte begonnen, dafür aber zu oft Schnupfen gehabt. Ein Kollege meines Vaters schwärmte mir vom Schlagzeug als bestes Instrument überhaupt vor. Ich bekam dann schon in der Grundschule Unterricht. Keiner von uns hatte ein Schlagzeug zuhause, deshalb waren wir den ganzen Tag in der Schule und haben die Älteren spielen gehört. Das war super inspirierend. Kinder haben selten die Gelegenheit, in solcher Umgebung gefördert zu werden und dadurch selber Ehrgeiz zu entwickeln.

Radlmaier: Was kann das Vibraphon, was Schlagzeug und Klavier nicht können?

Einfach dieser Sound, in den ich mich verliebt habe. In der Musikschule standen die Instrumente auch auf dem Flur, weil es zu wenig Klassenräume gab. Wir haben immer auf diesem Vibraphon rumgeklopft. Dieser Klang hat mir so gut gefallen. Ich wusste sofort: Das wird mein Instrument!

Radlmaier: Vor zwei Jahren haben Sie sich erneut verliebt: in den Sound der Mbira. Wie kommt eine deutsch-polnische Vibraphonistin zu einem afrikanischen Daumenklavier, das man hauptsächlich aus der Weltmusik kennt?

Das war Schicksal. Auf meiner letzten CD wollte ich eigentlich einen Kalimba-Sound integrieren. Da stieß ich auf ein Video mit dieser Mbira und habe diese sofort bestellt. Bei zwei verrückten Typen in den USA. Neun Monate hat es dann gedauert, bis mein Instrument gebaut war. Da wartet man darauf wie auf ein Baby. Als die Mbira dann da war, war ich völlig fasziniert. Schon deshalb, weil die Töne in einer anderen Reihenfolge angeordnet sind. Deshalb musste ich alles nochmals lernen: eine neue Klangwelt und eine neue Herausforderung.

Radlmaier: Die Mbira klingt ja sehr sphärisch. Mögen Sie das?

Oh, ich liebe das. Dieses Instrument hat ganz seltene Möglichkeiten, auch für den Jazz. Man muss eben nur schauen, wie man das chromatisch spielt. Gerade übe ich auch ein paar Bach-Stücke, Geigen-Suiten, die ich vorher auch auf dem Vibraphon gespielt habe und bei denen ich mir jetzt dachte: Wow, klingt das super!

Radlmaier: Sie waren die erste Jazz-Vibraphonistin Polens. Ist das ein Hinweis auf das Desinteresse der Frauen an diesem Instrument oder deutet das auf eine männerdominierte Branche?

Ich glaube Letzteres.

Radlmaier: Wie sieht’s also aus mit der viel beschworenen Chancengleichheit?

Der amerikanische Vibraphonist David Friedman hat sich vor zwei Monaten in einem offenen Brief darüber beklagt, dass so wenig Musikerinnen an Hochschulen in verantwortlicher Position sind. In dieser Beziehung ist auch Deutschland arm. Ich denke, es liegt daran, dass Männer starke Netzwerke haben. Da reinzukommen als Frau ist schwer.

Radlmaier: Ist das Projekt „Sisters in Jazz“ also eine Antwort auf diese Situation?

Nein, das war Zufall. Eine Freundin von mir, Nicole Johänntgen, bot einen Workshop über Business für Musikerinnen an. Da ging’s um Bühnenpräsenz, Gig-Akquise. Sachen, die man an der Hochschule nicht lernt. Dann gab es die Anfrage eines Festivals, ob Nicole eine Band mit Musikerinnen aus verschiedenen Ländern zusammenstellen könne. Seitdem spielen wir mit „Sisters in Jazz“ Konzerte in Deutschland, der Schweiz, Ukraine und Polen. Und uns geht’s dabei um Netzwerk und Austausch.

Radlmaier: Also doch eine Antwort auf die gängige Praxis. Tun sich Musikerinnen, die obendrein Mutter sind, Ihrer Meinung nach schwerer?

Ein wenig schon. Als Mutter musst du dich einstellen auf die Entwicklung deines Kindes und die Zeit anders organisieren. Anfangs konnte ich noch tagsüber üben, jetzt versuche ich es abends, aber das klappt auch nicht immer, weil Jan, unser Sohn, nicht schlafen kann oder aufwacht. Dann muss ich mit meinem Mann genau überlegen, wie wir alles organisieren. Früher habe ich viel unterrichtet. Das sicherte uns einen Teil des Lebensunterhaltes. Diese Zeit möchte ich aber jetzt lieber mit meinem Sohn verbringen. Also fehlt mir das Geld.

Radlmaier: Eine familienfeindliche Situation?
Ein bisschen schon. In der Elternzeit bekommt man als Künstlerin sehr wenig Geld, gleichzeitig will und muss man andererseits nicht den Anschluss an die Szene verlieren.

Radlmaier: Sie sind 2007 zum Studium nach Nürnberg gekommen. Fühlen Sie sich angekommen?

Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht. Ich konnte immer arbeiten, habe positiv gestimmte Menschen getroffen.

Radlmaier: Sie haben im vergangenen Jahr auch die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Ist das ein persönliches Signal gegen die politischen Verhältnisse in der alten Heimat? Immerhin sind Sie im Geiste der Solidarnosc-Bewegung aufgewachsen.

Ich mag natürlich nicht, was gerade in Polen passiert. Aber das hatte einfach praktische Gründe bei der Heirat meines Mannes.

Radlmaier: Ist Ihre Musik unpolitisch?

Auf jeden Fall. Ich beschäftige mich überhaupt nicht mit Politik.

Radlmaier: Was wollen Sie den Menschen dann mit Ihrer Musik mitgeben?

Mit meiner neuen Mbira-CD zum Beispiel möchte ich sie einladen zu entspannen, runterzukommen.

Radlmaier: Macht Sie solche Musik auch persönlich an?

Ja. Wenn ich Vibraphon spiele, geht’s mir um Energie. Beim Üben mit der Mbira merkte ich sofort, wie jeglicher Druck verschwand. Auch unser Sohn mochte diesen Sound sehr gerne. Das klingt ja auch ein wenig wie diese Spieluhren. Und damit möchte ich ja auch andere Leuten ansprechen.

Radlmaier: Definieren Sie mal Jazz bitte.

Für mich ist das in erster Linie Improvisation, etwas, was im Moment entsteht – wie reagiere ich, wie reagieren meine Bühnenpartner, strahlt das Publikum eine besondere Energie ab?

Radlmaier: Sie haben in Nürnberg gleich ein ganzes Festival fürs Vibraphon ins Leben gerufen. Ist „Vibraphonissimo“ ein Plädoyer für ein unterschätztes Instrument?

Ich habe mit meinem Kollegen Volker Heuken in einer WG zusammengewohnt, und wir dachten uns, dass das Vibraphon wenig präsent ist in der Welt der Konzerte und der Percussion. Wir haben uns Kooperationspartner gesucht und waren überrascht, wie offen wir aufgenommen wurden, im Jazzstudio, im Neuen Museum, im Kulturforum Fürth. Und natürlich ergibt sich für mich jetzt die Möglichkeit, Kollegen einzuladen, sie live zu erleben und sich danach auszutauschen.

Radlmaier: Im Januar gibt es Ausgabe Nr. 6. Können Sie schon etwas übers Programm sagen?
Weil ich mich ja auch weiterentwickeln will, lade ich mir ab und zu Kollegen ein, an denen ich musikalisch saugen kann, die mich inspirieren. Ich werde also mit dem schwedischen Pianisten Jan Lundgren spielen. Es geht mir bei den Gästen auch immer um eine persönliche Verbindung. Tizian Jost wird dabei sein und Radek Szarek, der Nürnberger Professor, der mir sehr hilft beim Organisieren.

Radlmaier: Einen Karate-Club gründen oder ein Musikfestival – was war in der Rückschau die bessere Idee?

Das Musikfestival, obwohl ich merke, dass Organisation sehr viel Arbeit ist. Andererseits: Ich profitiere auch davon, lerne Dinge auch von der Veranstalterseite her kennen. Und man kann neues Publikum gewinnen.

Radlmaier: Jetzt bekommen Sie zunächst mal einen Nürnberger Kulturpreis. Freuen Sie sich darüber?

Total. Weil er im passenden Moment kam. Meine Elternzeit war vorbei, ich war auf Jobsuche, wusste nicht genau, wie es weiter geht und dann kam am Abend diese Nachricht. Das hat mir Aufwind gegeben, neue Hoffnung.

Radlmaier: Also letzte Frage, die natürlich entscheidend ist wie die erste: Was machen Sie mit dem Preisgeld?

Ich investiere das Geld in meine neue CD. Es wäre doch schade, das einfach für den Lebensunterhalt auszugeben, oder? Die CD habe ich in Polen bei einem Freund aufgenommen und sie wird „Crystal Silence“ heißen. Eine Reminiszenz an Chick Corea und Gary Burton, passend zu meiner Musik, aber eben der Mbira gewidmet.

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IZABELLA EFFENBERG
wurde 1977 in Posen als Tochter einer Archäologin und eines Big-Band-Musikers geboren. Ab der Grundschule lernte sie zunächst Klavier und wechselte dann auf Schlagzeug, das sie in Polen auch studierte. 2007 begann sie bei Bill Molenhof an der Musikhochschule Nürnberg ein Studium der „Jazz Mallets“ (also Vibraphon & Co). Da hatte die Jazzmusikerin ihre erfolgreiche Zeit als Karate-kämpferin bereits hinter sich: Mit 22 Jahren wurde Effenberg bei den Europameisterschaften Silbermedaillengewinnerin und wurde acht Mal polnische Meisterin. Auch als Musikerin wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Am 19. November folgt in der Tafelhalle ein mit 5.000 Euro verbundener städtischer Kulturpreis, der ihr (und Künstlern wie Diet Sayler, Jochen Kupfer, Dagmar Buhr und Wilfried Krüger) öffentlich überreicht wird.
2014 hob Effenberg das Festival „Vibraphonissimo“ aus der Taufe, das im Januar 2019 im ganzen Großraum zu erleben ist. Die Musikerin und Komponistin lebt mit ihrem Mann, dem Saxophonisten Norbert Emminger, und ihrem kleinen Sohn Jan in Nürnberg. 6. Vibraphonissimo Festival 2019: 11.1. - 2.2.2019

FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
ist als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat verantwortlich für das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale – Formate, die curt journalistisch begleitet. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig.
Studium der Altphilologie, Englisch, Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.

 




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