Theobald O.J. Fuchs: Riesenstreit
#Comedy, #Kolumne, #Lesung, #Theobald O.J. Fuchs
Nach dem großen Welterfolg meines Romans habe ich nun alle erdenklichen Ziele erreicht, die sich ein Sterblicher nur stecken kann. Ich esse Kartoffeln aus meinen eigenen sieben hängenden Gärten, verträume meine Nachmittage in der eigenen Handbibliothek, günstig im nahen Südflügel meines Schlosses gelegen, und mein VW Golf 4 (Aszendent 3) ist nicht nur mit goldenen Bremsscheiben sondern auch mit frischen Scheibenwischerblättern gerüstet – ich bin wunschlos glücklich.
Demzufolge ist mir fast ein wenig langweilig. Also spaziere ich in den Reichswald, denn eine Kleinigkeit reizt mich dann doch noch: ich würde gerne einmal endemische Schratzeln in ihrer natürlichen Umgebung beobachten. Und das nicht nur, weil mir das Wort „endemisch“ so gut gefällt.
Flugs erreiche ich einen heiligen Ort, den mir eine alte Dame genannt hat. Sie ist im Ohrwaschelweg zu Hause und eine ausgewiesene Kennerin der Lebensweise wildlebender Schratzeln. Und fürwahr tut sich ein mysteriöser Ort auf vor meiner Ausgucksnase: die Bäume irgendwie seltsam gerade, der Boden merkwürdig weich, als ob jemand mit Absicht einen Nadelteppich verlegt hätte, ein verdächtig blauer Himmel und kleine Vögelchen, die zwitschernd von Ast zu Ast flatterten, als gäbe es KEINE SCHWERKRAFT – ich spüre sofort, dass hier ein ungelüftetes Geheimnis brütet. Ich überlege: Habe ich eine jener Gravitationsanomalien entdeckt, die entstehen, wenn DIE MÄCHTIGEN unterirdische Elektrobomben zünden? Um die Zutaten für die Chemtrails zu bereiten. Das ganze Zeug, das in dem Schpronzium und Alluminimum steckt, womit wir dann geimpft werden, weil die Imperialisten-Reichswehr-USA uns immerzu neue Handtelefone verkaufen will, obwohl wir uns sowieso nur noch anschweigen. Kurz: Ich bin auf Chemtrails allerneuester Machart gestoßen. Man sieht das Zeug einfach nicht – braucht es da noch mehr Beweise?
Dann erspähe ich etwas auf einer nahebeien Lichtung, was mich von dieser HÖCHSTSUSPEKTEN Normalität ablenkt: Zwei Giganten, die sich einander gegenüberstehen, die Stirn des einen grob geschnitzten Schädels an die Stirn des anderen grob geschnitzten Schädels gepresst. Geschwollene, pulsierende Adern, die felsbrockengroßen Fäuste zum Schlag bereit in die Luft gereckt, die Zähne gefletscht von einem Ohrläppchen zum anderen. Um die Beine der erstarrten Giganten ranken sich Efeu sowie dornige Schlinggewächse.
„Wer sind diese putzigen Monstren?“ frage ich zwei Fußballtrainer, die rein zufällig Hand in Hand unweit vorüber schlendern.
„Sie kämpfen“, lautet die zweistimmig geflötete Antwort. „Siehst du das denn nicht, Depp?“
Und schon sind sie um die nächste Ecke gebogen. Doch ich muss nicht lange warten, da kommt aus nördlicher Richtung der nordkoreanische Botschafter, aus südlicher der südkoreanische. Als sie auf gleicher Höhe sind und sich eben anschicken, lässig aneinander vorbei zu sehen, spreche ich sie an: „Werte Herren! Wenn sie wohl einen Augenblick verweilen möchten und mir freundlichst erklären wollten, was es mit den beiden erstarrten Golemen dort drüben auf sich hat? (wie auch immer der Plural lautet)“.
Sie sehen sich kurz um, blicken sich noch kürzer in die Augen und sagen: „Das ist normal“ – „Das muss so sein.“ – „Falls Sie Lust haben, telefonieren Sie mit China“ – „Oder Russland, den USA und so.“ – „Jeder wird Ihnen das gleiche mitteilen.“ – „Alles okay, kein Grund zur Beunruhigung.“
Noch sitzt mir die Skepsis im Nacken und ich schüttele den Kopf. Den Ausschlag gibt jedoch die Erdkruste, auf der ich stehe. Sie richtet nämlich das Wort an mich: „Verwirrter Wanderer! Zerbreche Dir nicht den Kopf, es ist vergeblich. Denn siehe: sogar meine Kontinente stehen sich unversöhnlich gegenüber, starr und hasserfüllt drücken sie aufeinander ein und warten mit unermesslicher Geduld, wer in dem gewaltigen Ringen die Oberhand behalten wird. Bis es halt knallt.“
Nun bin ich überzeugt: Alles normal! Zum Kampf bereit mit aller Kraft steht jedes Ding jedem anderen gegenüber, von den Marienkäferchen bis zu den Reichswaldriesen, sie alle sind verstrickt in Streit und Hader und zucken doch nicht mit dem kleinsten Fühlerchen noch dem dicksten Daumen. Da entknotet sich mein Geist und ich setze meinen Weg fort, der mich noch an vielerlei Erstaunlichem vorbeien führt. An Delphinen, die gläserne Zauberkerzen kacken, vorüber an neonblau glänzenden Brombeeren, bis hin zu Erdkröten, die lateinische Studentenlieder singen. Überhaupt, der ganze Wald geriert sich heute wie die außer Kontrolle geratene Frisur eines Punker-Häuptlings ...
Nur auf Schra
tzeln, auf Schratzeln stoße ich nicht mehr, aber das macht nichts. Dann gibt es eben frisch gefangene Schlümpfe. Mit Vanillesoße.
Im Bilde: Theo O.J. Fuchs / Fotos : Katharina Winter
UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Handverlesene, weise Worte zum Thema „Die Zukunft der Vergangenheit“ gibt es vom Fuchs unter den Vorträgern zu hören am Donnerstag, 13.10., im Josephs (Ecke Karl-Grillenberger-Str. 3/Hintere Ledergasse 44), Beginn ist um 17:30 Uhr.
Auszüge aus seinem Wurlitzer-nominierten Kriminalepos „Niemand ruht ewig“ wird er auch wieder zum Besten geben:
Am Samstag, 15.10., bei „Geselliger Verein Erlabronn und Umgebung e.V.“ (91443 Erlabronn), Beginn: 19 Uhr, am Sonntag, 16.10., um 20 Uhr in der Tante Betty Bar (Schweppermannstr. 1, Nürnberg), und am Dienstag, 01.11., im E-Werk (Fuchsenwiese 1, Erlangen), Beginn ist auch hier um 20 Uhr.
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