Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Joshua Groß
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Ein Messer hat Joshua Groß leider nicht dabei, als er zum Interview kommt. Dabei bräuchte er das dringend,
um die Seiten seines neuen Romans „Faunenschnitt“ aufzuschneiden und damit die durch die Schmetterlingsbindung verborgenen Fotos von Hannah Gebauer überhaupt sichtbar machen zu können. Genuss durch Verletzungsgefahr, Phantasieschub durch Psychedelic. Der 27-jährige Nürnberger Autor gilt als Großbegabung der Literaturszene, als „genialisch flackerndes Irrlicht“ und „Konventionsverweigerer“ (Deutschlandfunk). Preise belegen das, wie auch jüngst die Einladung zum renommierten Erlanger Poetenfest.
AR: Tut Ihnen das weh, ein Buch aufzuschneiden?
JOSHUA GROSS: Nein.
AR: Anders gefragt: Sie schätzen eine gewisse Brutalität gegenüber Büchern?
JOSHUA GROSS: Ich habe sie mir angewöhnt.
AR: Wieso das denn?
JOSHUA GROSS: Als ich angefangen habe, dickere Romane zu lesen, merkte ich irgendwann, wie doof es ist, Literatur distanziert zu huldigen.
AR: Sie eignen sich Bücher durch handschriftliche Anmerkungen an?
JOSHUA GROSS: Ja, ich will sie wieder begehbar machen. Ich weiß dann, wo meine Lieblingsstellen sind.
AR: Ihre Bücher sind liebevoll gemacht. Das findet auch Beachtung. „Magische Rosinen“ wurde ausgezeichnet als eines der „25 schönsten deutschen Bücher“. Das heißt, Sie mögen auch schöne Bücher?
JOSHUA GROSS: Mittlerweile schon. Das wurde mir auch von meinem Verleger Manfred Rothenberger ein wenig anerzogen. Wenn ich mir jetzt ein Buch kaufe, achte ich schon darauf, dass die Ausgabe gut gestaltet und gut lesbar ist.
AR: Auffällig ist bei Ihren Büchern auch die Kombination aus Wort und Bild. Woher kommt das?
JOSHUA GROSS: Einerseits darf ich auch da auf Manfred Rothenberger verweisen: Das gibt sein Verlagskonzept vor. Auf der anderen Seite hatte ich immer mehr mit bildenden Künstlern zu tun als mit Schriftstellern. Mein bester Freund ist Zeichner und Maler. Ich finde, wenn sich verschiedene Ausdrucksformen aneinander reiben, ergeben sich schöne Synergieeffekte.
AR: Schreiben Sie in Bildern?
JOSHUA GROSS: Ich bevorzuge schon eine bildliche Sprache, aber nicht ausgehend von Bildern. Im besten Fall wächst die Sprache so weit über sich hinaus, dass sie zu einem Bild wird. Dass man – wenn man es liest – in Bildern denkt und nicht mehr in Sprache.
AR: Was hat ein Buch, was ein Kindle nicht hat?
JOSHUA GROSS: Geruch. Haptik. Es ist ein Medium, auf das man sich besser konzentrieren kann.
AR: Das gute alte Buch wird dennoch mittlerweile oftmals als Auslaufmodell eingestuft. Ist Ihre Haltung zum Geschriebenen altmodisch?
JOSHUA GROSS: Ich hoffe es nicht! Das Buch lenkt mich weniger ab, hat weniger Fernflimmern außen rum. Ich möchte mich mit Dingen umgeben, die mich nicht zerstreuen, sondern bündeln.
AR: Sie sind 27 Jahre alt und werden als literarisches „Wunderkind“ gepriesen und dafür auch mit Preisen bedacht. Wie fühlt sich das an für Sie?
JOSHUA GROSS: Das sind Zuschreibungen und damit bestimmte Arten von Klischees, mit denen ich relativ wenig anfangen kann. Wenn ich 15 wäre und Romane schreiben würde, wäre der Begriff „Wunderkind“ angebracht – aber mit 27!?! In dem Alter ist man durchaus in der Lage, etwas zu machen, was Hand und Fuß hat. In meinem Alltag bin ich einfach ich. Da mache ich mir keine Gedanken über Preise und wer was über mich schreibt. Da wird man ja verrückt.
AR: Jeder Autor, der etwas auf sich hält, verlässt irgendwann Nürnberg. Warum sind Sie noch hier?
JOSHUA GROSS: Weil es mir hier gut geht und weil ich wenig mit Schriftstellern zu tun habe. Die Anzahl von Schriftstellern vor Ort ist für mich kein entscheidender Fakt. Mein Wohnort und das Schreiben haben wenig miteinander zu tun. Natürlich taucht Nürnberg gehäuft in meinen Büchern auf, würde ich woanders wohnen, wäre es dann halt diese Stadt.
AR: Wann hat Sie die Schreiblust überhaupt gepackt?
JOSHUA GROSS: So mit 17, 18. Ich habe davor ganz wenig gelesen.
AR: Erst war das Lesen, dann die Lust des Probierens?
JOSHUA GROSS: Genau. Erst gar nichts machen und rumhängen. Dann Musik hören und darüber den Spaß an Texten finden.
AR: Über Rap und HipHop?
JOSHUA GROSS: Ja, genau. Und über diese Texte bin ich zum Schreiben gekommen.
AR: Hatten Sie auch Nähe zum Poetry Slam?
JOSHUA GROSS: Nee. Mich macht das überhaupt nicht an. Durch die Nähe zum Kabarett muss da immer die Live-Performance passen. Ich finde aber, dass Bücher gute Bücher erst dadurch werden, dass man sie ein drittes, viertes, fünftes Mal liest. Und die meisten Poetry-Slams schmieren leider ab, wenn sie gedruckt sind. Und beim zweiten Mal lesen sowieso.
AR: Sind folglich Lesungen auch nicht das Spiegelbild guter Literatur?
JOSHUA GROSS: Schon, auch wenn Charisma einen guten Autor ausmacht. Aber das ist eine Frage, die den Text nicht tangiert. Das verzerrt auch das Bild. Mir geht’s eher um Wahrnehmung und eine Auseinandersetzung, die tiefer geht. Die ganzen Schichten, die einen guten Text ausmachen, kann man meiner Meinung nach bei einmaligem Hören nicht mitbekommen.
AR: Sie haben Politikwissenschaften und Ökonomie studiert. Stand das Studium in irgendeinem Zusammenhang zur Schreiblust?
JOSHUA GROSS: Überhaupt nicht. Als ich mein Studium aufgenommen habe, dachte ich auch nicht, dass ich bald einen Roman veröffentlichen kann. Die Autoren-Biographien, die ich damals mitbekam – ob Kerouac oder Fauser – waren da eher abschreckend, was die rasche Entfaltungsmöglichkeit anging. Dieses Schriftstellermodell hatte ich für mich auch verinnerlicht: Wenn ich keinen Mainstream mache, wird es lange dauern, bis ich mich hochkämpfen kann.
Aber noch eines: Wenn man Germanistik studiert, qualifiziert das einen zunächst überhaupt nicht zum Literaten. Ich hatte mal Kreatives Schreiben als Fach in Erwägung gezogen, bin aber froh, es nicht getan zu haben.
AR: Weil …
JOSHUA GROSS: Weil ich es gut finde, Inhalt gelernt zu haben und keine Schreibtechniken.
AR: Und wie lernt man Inhalt?
JOSHUA GROSS: Indem man Politikwissenschaften oder Ökonomie studiert. Das sind Studiengänge, in denen ich mir ein breiteres Grundwissen aneignen durfte. Ich bezweifle, ob es mir mehr gebracht hätte, wenn mir ein mittelmäßiger Autor geraten hätte, ich solle diese oder jene Metapher nicht verwenden.
AR: Was lernt man in einem Masterstudium-Fach wie Ethik der Textkulturen?
JOSHUA GROSS: Der kryptische Titel verheimlicht eigentlich nur ein fächerübergreifendes Studium. Man konnte Angebote aus Literaturwissenschaft, Linguistik, Theologie und Philosophie wählen.
AR: Erklären Sie uns doch mal den Titel ihres Roman „Faunenschnitt“ .
JOSHUA GROSS: Ich bin auf diesen Begriff aus der Evolutionsbiologie gestoßen, weil meine kleine Schwester Abitur in Biologie gemacht hat, und ich ihr aus der Stadtbibliothek ein Biologie-Lehrbuch ausleihen musste. Beim Durchblättern stieß ich auf den Begriff „Faunenschnitt“. Er irritierte mich, weil er poetisch ist und man ihn nicht in einem Lehrbuch vermutet. Er hat eine harsche Bedeutung. Er umschreibt das Phänomen, wenn in der Evolution in relativ kurzer Zeit viele Arten aussterben. Das Aussterben der Dinosaurier etwa war ein Faunenschnitt. Ich habe diesen Begriff im Roman auf die Ideengeschichte angewandt. Weit hinten im Buch findet sich eine Stelle, wo gefragt wird, was passieren müsste, damit es zu einer Veränderung kommen kann. Und dann wird geantwortet, dass die ganzen Denkkonstanten, die wir als unüberwindbar annehmen, wegfallen müssten und dadurch Neues entstehen könnte. Der Begriff passt auch zum Buch mit seinen zwei Ebenen: Es hat Dunkles im Untergrund und auch etwas Helles, Frisches.
AR: Auch dieses Buch peilt einen magischen Realismus an, hat etwas Psychedelisches, Sprachrauschhaftes. Weist das auf Beatnik-Vorbilder wie Jack Kerouac und William Burroughs?
JOSHUA GROSS: Die stecken sicher noch irgendwo in mir drin, weil ich die ausgiebig gelesen habe. Inzwischen interessieren mich aber andere Dinge. Es sind aber immer diese Kippmomente, in denen sich Wahrnehmung weitet. Kerouac und Burroughs praktizierten das ja radikal, nahmen Drogen und fuhren nackt und nachts auf dem Motorrad durch die Stadt. Das ist es bei mir ja nicht, sondern eher etwas Subtileres.
AR: Im Buch taucht auch versteckt in einer Fußnote eine Anklage gegen mittelmäßigen Realismus in der Gegenwartsliteratur auf. Verachten Sie die deutschen Autoren dafür?
JOSHUA GROSS: Ich verachte überhaupt keinen Autor. Aber es ärgert mich schon, dass es so viele belanglose und austauschbare Literatur gibt. Man spürt da keine Ambition, die Literatur oder das Denken weiter zu bringen. Es wird auf Muster zurück gegriffen, von denen man vermutet, dass sie funktionieren. In der Realismus-Anklage versteckt sich die Erkenntnis, dass von den Schreibschulen ein einfacher Stil kommt. Bei großen Schreibern drückt sich jedoch das eigene Denken in der Sprache aus.
AR: Denken Sie denn, dass Irritation und Wirtschaftlichkeit zusammen funktionieren können?
JOSHUA GROSS: Wirtschaftlichkeit – das weiß ich nicht. Aber dass Verwunderung und Vergnügen zusammen gepackt werden können – das geht!
AR: Sie finden gerne Sprachbilder, Metaphern, Vergleiche. Bleiben wir doch kurz bei dem „Wie“. Sprache fühlt sich für Sie an wie …?
JOSHUA GROSS: Ich muss voranschicken, dass ich oft tagelang an solchen Bildern arbeite. Also: Sprache fühlt sich für mich an wie ein sich selbst verschluckender Virus.
AR: Hirnflimmern ist für mich wie …
JOSHUA GROSS: … das Äquivalent zu einer dystonalen Übersteuerung.
AR: Joshua Groß ist ein Typ wie …
JOSHUA GROSS: … wie Woody Woodpecker, das ist ein Comic-Specht aus den 50er Jahren.
AR: Aha. Sind Sie ein Sprachspieler?
JOSHUA GROSS: Spielerischer Umgang mit Sprache – ja, aber nie zum Selbstzweck. Es geht schon um Bezüge oder das Aufmachen unerwarteter Räume.
AR: Bewusstseinserweiterung ist das Eine. Geht’s auch um Bewusstseinserheiterung?
JOSHUA GROSS: Um Humor, auf jeden Fall.
AR: Deshalb taucht in „Faunenschnitt“ auch Thomas Middelhoff als Patient auf, der überzeugt ist, ein ehrlicher Kerl zu sein. Oder Louis Armstrong, der im Nürnberger Grand Hotel in der Unterhose ein nächtliches Interview gibt. Bereitet es Ihnen Vergnügen, den Leser vor die Entscheidung zu stellen: wahr oder falsch?
JOSHUA GROSS: Ja, klar. In den von mir verwendeten Fußnoten steht ja so zur Hälfte Erfundenes, zur Hälfte Wahres drin. Und ich finde es schon witzig, wie schnell die Leser einem auf den Leim gehen, wie wenig hinterfragt wird. Sobald da Fußnote steht, ist es wissenschaftlich.
AR: Louis Amstrong in der Unterhose in Nürnberg – da grübelt man.
JOSHUA GROSS: Die Geschichte hat mir mein Opa erzählt.
AR: In den Büchern laufen auch immer imaginäre Soundtracks mit. Sie verstärken das durch Hinweise quer durch die Popgeschichte von Drake bis zu Jay-Z und den Byrds. Steckt auch ein Musiker in Ihnen? Oder nur der Hörer?
JOSHUA GROSS: Musikalisch bin ich weniger begabt. Aber eine gewisse Musikalität im Schreiben, das wünsche ich mir schon. Der Vibe. Dass sich das Geschriebene nicht als etwas Kaltes darstellt, sondern als etwas Erlebbares. Musik hat den Vorteil, unmittelbar zu funktionieren. Und diese Unmittelbarkeit möchte ich ins Schreiben übertragen.
AR: Wie würde ein Roman tönen, der wie ein Byrds-Album klingt?
JOSHUA GROSS: Dunkelgrün, enorm ausladend und an den Rändern wegfransend. Relativ lang und total unabhängig. Befreit von mentalen Mustern.
AR: Und wie klingt „Faunenschnitt“?
JOSHUA GROSS: Wie ein Interlude auf einem Byrds-Album. „Faunenschnitt“ klingt eher gelb.
AR: Vielleicht sonnenblau.
JOSHUA GROSS: Genau, blaugelb.
AR: Vermutlich steht das nächste Buch vor der Fertigstellung, oder?
JOSHUA GROSS: Ich habe schon zwei fertige Romane, von 2012 und 2014, die will ich allerdings nicht mehr veröffentlichen. Einen Band mit Erzählungen könnte ich machen. Aber ich glaube, dass ich jetzt einfach wieder ein paar Monate schreiben werde. Dazu habe ich Lust. Ich habe gerade einen Roman angefangen.
FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. www.cris-c.de
FÜR NÜRNBERG: JOSHUA GROß
Joshua Groß (27) stammt aus Grünsberg bei Altdorf und lebt in Nürnberg. Er studierte Politikwissenschaften und Okönomie und arbeitet im Verlag für moderne Kunst. Mit 24 Jahren erschien sein erster Roman „Der Trost von Telefonzellen“.
Es folgten die Erzählung „Bewusstseinspfannkuchen“, der Roman „Magische Rosinen“, der von der Stiftung Buchkunst als eines der „Schönsten deutschen Bücher“ ausgezeichnet wurde, der Gedichtband „Ich will Dich nicht ins Unendliche weiterdenken“ (2015), die Erzählung „Paradox zwischen zwei Hügeln“ und der dritte Roman „Faunenschnitt“.
Joshua Groß erhielt den Bayerischen Kunstförderpreis, den Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis und IHK-Kulturpreis Literatur (2014) sowie den Förderpreis der Kulturstiftung Erlangen.
FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Andreas Radlmaier und curt stehen seit Jahren beruflich im Kontakt, denn als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist er verantwortlich für oben genannte Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale. Einen Großteil dieser Formate begleitet curt journalistisch. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch und Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für seine kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
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