Theobald O.J. Fuchs: Sauberzauber
#Comedy, #Kolumne, #Lesung, #Theobald O.J. Fuchs
Der Weltruhm hat auch seine Nachteile. Die 15 Minuten, die mir Mr. Warhol zubilligte, zogen sich in die Länge, der Trubel über „Niemand ruht ewig“ wollte überhaupt nicht mehr nachlassen. Zahllose Partys, Publikum, das länger applaudierte, als ich gebraucht hatte, das Buch zu schreiben, drei Tourneen pro Stunde, Interviewanfragen von praktisch dem ganzen Universum in der Welt, und jeden Donnerstag der Prominentenstammtisch. Da blieb natürlich einiges liegen, was aufgeräumt gehörte: angebissenes Geschirr im Gästebett, Weltraumstaub in der Küche, das mechanische Gehirn einer alten Waschmaschine, eine gelähmte Gartenbank, so gut wie nie gebrauchte Munition, winzige grüne Geldscheine, exotisches Leergut, die Idee für eine Investigativ-Oper über Pete Townshend. Da beschloss ich, in Warhols Viertelstunde eine kleine Pause einzulegen, um sauber zu machen.
Laut Kalender besiedeln wir dieser Tage noch den Sommer. Weil man im Sommer draußen aufräumen soll und im Winter drinnen, machte ich mich auf den Weg hinaus ins gleißende Gleißen unseres Zentralgestirns. Dort sah ich mir, von keinem Schlagschatten behindert, die Chose an. Mühelos bemerkte ich die Unordnung, die landauf, landab den Ton vorgab, sofort stachen mir eine Millionen Hygienedesaster ins Auge. Und der eingefleischte Intellektuelle, der ich nun mal bin, stellte sich wie stets die Grundsatzfrage, ehe er zur womöglich übereilten Tat schritt.
„Was bedeutet sauber?“, fragte ich mich. Kann zum Beispiel ein Auto überhaupt je als sauber gelten, das doch zwingend systemrelevante Mengen an Mineralöl enthält, ja enthalten muss, um nicht zu Metallstaub zu zerkrümeln? Meine Mutter freilich hat keinerlei Zweifel, dass mein Auto das dreckigste ist, das sie je gesehen hat. Aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen allerdings: Weil man in der Ritze des Beifahrersitzes erfolgreich Kartoffeln anbauen könne, die Fenster deutlich durchsichtiger wären, wenn man stattdessen eine Rauhfasertapete aufspannte, und weil die glitzernden Schleimspuren, die sich auf dem Polster der Rückbank kreuzen, eindeutige Indizien für wirbellose Passagiere seien. Zur Verteidigung meines Autos entgegne ich: Ist denn etwa ein Garten unsauber, nur weil darin Kartoffeln wachsen, Schnecken kriechen und der Zaun undurchsichtig ist? Als ökologischer Fundamentalist ist für mich ein Flecken Natur sowieso genau dann und nur dann sauber, wenn sich kein Verbrennungsmotor darin aufhält. Ergo ist mein Auto schmutzig, der Garten sauber. Ein brauchbarer Trugschluss, wie ich finde. Daher ein Grund, mich ohne weiteren Aufenthalt der Landwirtschaftsolympiade zu widmen, die gerade in Großreuth bei Schweinau ausgetragen wurde. Dort riss ich einen Baum aus und grub ein Loch. Darin fand ich eine Badewanne und schleuderte sie in eine Umlaufbahn, ich rang mit dem steinernen Dornbusch, der sich mir in den Weg stellte, ich geriet in einen Furor, zwickte verwunschene Ranken, klaubte wurmstichige Äpfel und Erbsen, rupfte bissige Nesseln und Löwenzahn, schmiss alles zusammen auf den Komposthaufen, pinkelte ordentlich obenauf und krönte das Werk mit einer Fuhre Lilienmeerrettich, ein Unkraut, das sich bis in den letzten Winkel ausgebreitet hatte.
Triumphierend stampfte ich mit dem Fuß auf diesen Berg, mit aller Wucht, derer ich habhaft werden konnte. Doch ganz unten hatte sich ein Weißdornast versteckt, den ich schon im vorvorherigen Jahr gekappt hatte, und dieser hatte seitdem geduldig auf seinen – diesen Moment gewartet: ein fingerlanger Stachel nahm Rache an mir, seinem Mörder, und bohrte sich mit spielerischer Leichtigkeit durch die Sohle meiner stählernen Sandalen, die ich gekauft hatte, weil sie angeblich kugelsicher, säurefest und selbst vom Einschlag einer Atombombe unbeeindruckt wären. Doch den Stachel interessierte das nicht die Bohne. Der Stich durchfuhr mich wie ein Blitz und reinigte mein Gehirn rückstandsfrei von jeder anderen Empfindung außer einer einzigen: Schmerz.
Ich rief meine bewährte Feldscherin. Eilig kam sie herbeigehoppelt, in ihrem Köfferchen aus Birkenleder klapperten Säge, Meißel und Wurmwinde. Sie verpasste mir einen Seifenwickel, der sich gewaschen hatte und nach wenigen Stunden in kleine Flöckchen auflöste. Daraufhin, dem Behandlungsplan folgend, einen Erdölumschlag, gegen die Entzündung und damit mich der Teergeruch auf schönere Gedanken brachte.
Schmerz, das begriff ich, ist ein Gift, das wohldosiert sein will. Verteilt über 30 oder 40 Jahre, als kaum wahrnehmbare Begleiterscheinung des Alters wäre die Menge, die ich empfangen hatte, gerade angemessen gewesen. Nur: Innerhalb einer Sekunde das ganze Maß auszukosten, das warf mich zu Boden. Buchstäblich – nur gut, dass da eine von John B. Bett‘s patentierten Schlafplattformen im Weg stand, auf welcher ich mich schnell erholte.
Im Bilde: Theo O.J. Fuchs / Fotos : Katharina Winter
UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Während seine Kollegen noch in der Sommerpause auf dem Sofa herumliegen und sich die Eier wiegen, blätterrauscht Herr Fuchs mit Vollgas in den Herbst: Am 16.09. eine Lesung „Niemand ruht ewig“ im Kuntforum K5 in Hersbruck, zusammen mit Anna und Martin Schwarm. Beginn: 20 Uhr. Und am 25.09. eine weitere Lesung „Niemand ruht ewig“ in Würzburg in der Kellerperle. Beginn: 20 Uhr.
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