Linke Läufer. Der Schiller unter den Fußballern - Requiem auf einen Club-Trainer
#Dieter Stoll, #Kolumne, #Staatstheater Nürnberg, #Theater
„Wir beten nicht um den Sieg, wir beten um das Spiel“, sagt der Trainer jenes 1. FC Nürnberg, der sich in zurückliegenden Zeiten mal „Rekordmeister“ nennen durfte und von seinen heutigen Fans deshalb selbst in der 2. Liga noch sanft ironisch „der Ruhmreiche“ genannt wird, beim Abschiedsbesuch in der Kabine.
Es ist 1932. Der Amtsinhaber von 2016 würde diese Formulierung, so kurz nach der verpassten Aufstiegschance, vermeiden. Jenö Konrád, vor 84 Jahren zuständig für die Mannschaft mit dem Kult-Kick, wagt auch Sätze wie „Der Ball kennt keine Hautfarbe, keine Religion“.
Der gebürtige Ungar mit jüdischem Glauben, ein Hoffnungsträger für den von ihm empathisch verehrten fränkischen Verein (der Hochdrucksatz „Der Club ist das Blut, das in unserem Körper wie ein Schalker Kreisel kreist“ wird ihm zumindest auf der Bühne zugetraut), muss seine Familie in Sicherheit bringen. Nach zwei Niederlagen steht im Nazi-Hetzblatt, der Club gehe „am Juden zugrunde“. Zwar hatten sich die Propagandisten um Julius Streicher zuvor nicht stärker für Fußball interessiert als Alexander Gauland heute, aber als Material zum Aufwiegeln war das Thema auch damals willkommen. Konrád sah frühzeitig, dass man ihn „als Nachbar nicht haben“ möchte.
Autor Albert Ostermaier, Torwart der Poeten-Nationalmannschaft, also nah am Ball, hat für sein Stück „Linke Läufer (Erster sein)“ die Spur des fast Vergessenen aufgenommen. Der Nürnberger Sozialwissenschaftler Bernd Siegler sicherte sie bei der Recherche über die Club-Historie, die begeisterungsfähige Fangruppe der „Ultras“ holte 2012 im Stadion mit einer Massenchoreographie zu Konráds Ehren die Erinnerung aus der Aktenlage auf den Rasen zurück. Vier Jahre hat es gedauert, ehe daraus jetzt die Uraufführung des Auftragswerkes wurde. Es ist eine Hommage, bei der sich der Dichter in die Gedanken des Trainers einschleicht. Regisseur Oliver D. Endreß tut gut daran, dem „Requiem“ im Untertitel nicht zu trauen. Er hat von Birgit Leitzinger den Spielerkabinengrundriss bauen lassen, einen eigenen Miniplaneten mit dem anmaßenden Anspruch, fürs Gute geschaffen zu sein. Umgeben von Zuschauertribünen, auf denen das Publikum das Scheitern dieser Utopie beobachtet. Die Inszenierung stemmt sich diskret gegen die Heldenstory im Trauerrand, sie will kein Standbild schmücken.
In drei Teilen beschwört Ostermaier den Geist des 1978 im USA-Exil verstorbenen Sportsmannes: Auf den lyrischen Wildwuchs des fiktiven Monologs entlang an Trikots und Anekdoten der Mannschaftsmitglieder, wo Liebeserklärungen an den unzerstörbaren Club („Wie das Gras, das sich wieder aufrichtet“) auf die Einspielung von Hitlers Machtergreifungsrede prallen, folgt das Duell mit einem jungen Mann, der doppeldeutig „Stürmer“ ist. Er repräsentiert die infamste Seite der Ideologie, war aber auch gescheiterter Spieler, der beim Eignungstest am Clubgelände die Bälle in Serie über Heiner Stuhlfauths Kasten knallte. In den Wortgefechten dieser Gegner verlagert der Text seinen Schwerpunkt metaphorisch auf Kopfbälle und der vom Autor mit Bildungsguthaben arg eingemummelte Trainer, der seinen FCN als „den Schiller des deutschen Fußballs“ bezeichnet (ob der FC Bayern schon Shakespeare oder noch Anzengruber war, wird nicht erörtert), lockt den foulenden Angreifer mit Brecht-Zitaten in die Abseitsfalle. Da weiß er längst, dass dieses Spiel mit Vernunft nicht zu gewinnen ist.
Gerd Beyer wird von einer Textlawine durch das Stück gejagt, lässt sich aber nicht begraben. Als eleganter Herr im Anzug tänzelt er nicht ohne Eitelkeit entlang an Erinnerungen, hält den (abwesenden) Spielern ihre Schwächen vor und betreibt verbalen Widerstandskampf als private Trainingseinheit. Ob das, vor allem wie es in Ostermaiers aufploppender Variante des Jelinek-Wortspieltriebs gesagt ist, jenseits der Fiktion je unterzubringen war? Es ist kein Dokumentarspiel, es muss nicht erklärt werden. Als „Stürmer“ im SA-Mantel tritt Martin Bruchmann mit funkelnden Augen und Hakenkreuz-Tätowierung an, gibt den todessüchtigen Psychopathen, der zwischen Liegestütz und Russisch Roulette den Wegweiser zum Untergang sucht. Beiden Schauspielern sieht man gebannt zu. „Jetzt gehört der Club uns“, hatte der junge Mann triumphiert – und „Fußball macht frei“ gerufen. Gut 20 Jahre später, 1955 in New Jersey bei einem USA-Gastspiel des FCN, begegnet der Ex-Trainer seiner unvergesslichen Liebe noch einmal – und lässt sich kein böses Wort über ihren Lebenswandel entlocken. Auch nicht über „Führer“-Qualitäten des nachgerückten Max Morlock, der nach verlorenem Freundschaftsspiel den Gastgebern ausrichtet, in Nürnberg würde man sie „wegputzen“. Konrád bleibt bei dem, was er vom Club immer erwartete: „Er muss der Erste werden“. Da braucht auch der Zuschauer einen starken Glauben.
Albert Ostermaier hat einem anderen Ex-Trainer des Club sein Stück, das eher zu den Vizemeisterlichen gehört, gewidmet: Hans Meyer, der 2007 „den Ruhmreichen“ mit dem deutschen Pokalsieg zum bislang letzten Triumph führte, kam zur gefeierten Premiere. Kann aber sein, dass dem Autor eine andere Ehrung noch wichtiger war. Im Netz hatte ein Mitglied der „Ultras“ über ihn zur Premiere gepostet, er sei „zwar Bayern-Fan, aber trotzdem ein kluger Kopf“.
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Schauspielkritik von Dieter Stoll
für das Berliner Kritiken-Portal nachtkritik.de
www.nachtkritik.de
Linke Läufer (Erster sein)
Ein Requiem für Jenö Konrád von Albert Ostermaier (Uraufführung)
Regie: Oliver D. Endreß
Termine
12.06.2016, 20.00 Uhr
14.06.2016, 20.15 Uhr
16.06.2016, 20.15 Uhr
18.06.2016, 20.15 Uhr
28.06.2016, 20.15 Uhr
29.06.2016, 20.15 Uhr
03.07.2016, 20.00 Uhr
14.07.2016, 20.15 Uhr
23.07.2016, 20.15 Uhr
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