Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Elmar Tannert
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Vermutlich hat es noch niemand, wirklich niemand mitbekommen: Das Deutsche Reinheitsgebot wird 500.
Also „Happy Biersday“ nachträglich unsererseits, verbunden mit dem historischen Hinweis, dass der eigentliche Jubiläumstag, der 23. April, zusammenfällt mit dem Welttag des Buches. So kommt auch beim Nürnberger Autor Elmar Tannert eins zum anderen, also das Bier zum Buch.
Zum Start in die Biergartensaison erschienen zwei Bücher von und mit ihm, die sich ausgiebig mit Sorten und Orten beschäftigen. „Biergartenlandschaften“ und „33 Biere – Eine Reise durch Franken“ heißen sie und sind reißfeste Leitfäden für ein Lebensgefühl, für Exkursionen durch eine Gegend mit einer weltweit unschlagbaren Brauereidichte. Ein Gespräch mit einem.
A.R.: Gefühlt erscheinen gerade etwa 6.900 Bücher zum Thema Bier. Was bieten Ihre beiden Bücher, die die anderen nicht haben?
ELMAR TANNERT: Die anderen Bücher sind, so mein oberflächlicher Eindruck, überwiegend Bier-Kompendien, wo Fakten zusammengetragen werden. Wir gingen das anders an, indem wir von vornherein ganz stark auf Subjektivität setzten.
A.R.: Ist Bier bei Ihnen Leidenschaft oder Lustobjekt?
TANNERT: Ja, wo liegt da nun die Trennlinie? Bei mir begann das eigentlich mit dem Buch „Bierland Pilsen“, wo ich zunächst als Landes- und Sprachkundiger bei den Tschechien-Touren dabei war. Da habe ich erst das genauere Hinschmecken gelernt und Feuer gefangen.
A.R.: Sie sprechen bzw. schreiben also aus eigener Erfahrung?
TANNERT: Schon, aber der Bierfachmann – etwa in „33 Biere“ – ist immer noch Anders Möhl, der Co-Autor, der auch für alle Bier-Degustationen verantwortlich zeichnet. Aber ich schmeck‘ schon mit!
A.R.: Verfährt man da getreu dem Motto: Ich trinke, also bin ich?!
TANNERT: Ob wir die Einstellung gleich so weit treiben wollen …? Es gibt nach den Brauereibesuchen durchaus Tage, wo man nur Tee trinkt. Da müsste man das Motto abwandeln: Ich trinke Tee, also werde ich wieder!
A.R.: Sind Sie vom Wein zum Bier konvertiert?
TANNERT: Ich war tendenziell eher Wein- als Biertrinker. Und wie schon gesagt: mich haben die Tschechen endgültig rumgekriegt.
A.R.: Was sagen Ihr Hausarzt bzw. Ihre Leberwerte heute nach den harten Monaten der Geschmackserkundung zur intensiven Beschäftigung mit diesem Thema?
TANNERT: Ich gehe ja nie zum Arzt.
A.R.: Auch eine Möglichkeit …
TANNERT: Naja, mal im Ernst: Man sucht ja nicht ein halbes Jahr eine Brauerei nach der anderen auf. Man erkennt auch rasch seine persönlichen Grenzen. Wir haben uns schon bei unseren Ausflügen ins Bierland Pilsen niemals mehr als zwei Brauereien pro Tag vorgenommen. Im Buch „33 Biere“ ist eine Tour dokumentiert, wo wir tatsächlich an einem Tag fünf Brauereien visitiert haben. Und wo sich die Notizen allmählich zerfasern. Wir haben dann beschlossen, das auch so ins Buch aufzunehmen: damit der Leser mitbekommt, wie man sich mit dem Besuch von fünf Brauereien herrichtet. Abgesehen davon: Wir sind ja keine Schwerstalkoholiker, sondern sind in der Lage zur Abstinenz.
A.R.: Bier scheint zur Geselligkeit zu animieren. Jedenfalls haben Sie sich hier wie da mit Geschmacksverbündeten auf die Suche gemacht. Einerseits mit dem Zeichner Fredder Wanoth, andererseits mit dem umgeschulten bildenden Künstler Anders Möhl. Essenstester kommen ja angeblich immer allein und incognito …
TANNERT: Vielleicht macht das den Gourmet-Vorkostern nicht so viel Spaß, wer weiß? Es geht schon um die Geselligkeit. Einschränkend muss man aber sagen, dass ein Mensch wie Fredder Wanoth auch alleine aufs Land fährt, sich mit Zeichenstiften und Papier hinsetzt und einen Biergarten abzeichnet.
A.R.: Und wenn er in Gesellschaft zeichnet, ist er dann stumm? Oder wird philosophiert?
TANNERT: Fredder kann sich sehr gut einem Gespräch widmen, während er mit unheimlicher Schnelligkeit und Präzision das Blatt mit Bleistiftlinien füllt. Wir sind aber auch deshalb immer mindestens zu zweit unterwegs gewesen, damit man mehr Eindrücke und Informationen einsammeln kann und nichts verloren geht fürs Buch.
A.R.: Bleiben wir bei den „Biergartenlandschaften“. Dafür hat Fredder Wanoth Dutzende von Zeichnungen beigesteuert. Waren sie Auslöser für das Buch?
TANNERT: Wir wollten ursprünglich nur Fredders Zeichnungen veröffentlichen, aber da winkten einige Verleger ab: ein Bildband sei zu wenig Kaufanreiz. Dann entstand beim ars vivendi Verlag die Idee, die Zeichnungen mit Literatur und Zeichnung zu koppeln.
A.R.: Waren das Auftragsgeschichten?
TANNERT: Teils teils.
A.R.: In Ihrem eigenen Beitrag taucht ein Zeichner namens Alfred Wahnschaffe auf, der paralysiert in seinem Umzugschaos sitzt. Das müssen Sie erklären!
TANNERT: Gewisse Eigenheiten eines Freundes dürfen in einem Porträt meiner Meinung nach rüberkommen. Ich habe auch darauf gesetzt, dass Fredder eine Portion Humor mitbringt. Wenn sein Oeuvre genügend gewürdigt wird, darf man auch die Seite zur Sprache bringen, wo er weniger praktisch veranlagt ist.
A.R.: Es gibt ja ein breites Spektrum – von Franz Kafka bis Ludwig Fels und Helmut Haberkamm. Gab es bestimmte Auswahlkriterien?
TANNERT: Wir haben auf die richtige Balance aus Schriftstellern aus der Region und überregionaler Strahlkraft gesetzt. Und die Zeichnungen von Fredder liefern einen ganz neuen Blick auf den Biergarten. Den setzt man normalerweise mit Geselligkeit und Gaudi gleich, wenn’s blöd läuft, auch noch mit Musik dazu. Ich finde es sehr schön, dass diese Biergärten menschenleer sind und den Eindruck der Meditation und Stille erzeugen.
A.R.: Sind Biergärten für Sie ähnlich wie für den Nürnberger Dialekt-Dichter Fitzgerald Kusz Symbole bajuwarischer Imperialisten-Ideologie, vergleichbar mit Dirndl-Terror und Weißwurst-Zwang?
TANNERT: Bis zu diesem Text von Kusz habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht. Ich gehe einfach gerne in den Biergarten, egal ob fränkisch oder bayerisch.
A.R.: Friedrich Ani schwärmt in seiner Geschichte, dass er im Biergarten auf dem Münchner Viktualienmarkt „das wahre Leuchten meiner Stadt“ entdeckt. Können Sie die Begeisterung nachvollziehen?
TANNERT: Ich kann die Aussage von Friedrich Ani nicht auf uns übertragen, bei uns waren es immer Ausflüge aufs Land.
A.R.: In „33 Biere“ singen Sie und Ihre Co-Autoren der fränkischen Kargheit durchaus ein Loblied.
TANNERT: Naja, es war nicht überall eine reduzierte Kulisse. Wenn man in die katholische Gegend fährt, etwa nach Bamberg, das reichlich gesegnet ist mit Brauereigasthöfen, bekommt man den Eindruck, das ist genau das, was einer Stadt wie Nürnberg fehlt. Es gibt ein nettes Bonmot einer Bekannten, die sagte, in Bamberg ist es am Karfreitag lustiger als in Nürnberg am Faschingsdienstag. Es gibt in Franken nicht nur Kargheit, sondern durchaus Opulenz oder die Reduzierung auf das Wesentliche.
A.R.: Welche Neuigkeiten liefert das fränkische Bier-Reisebuch?
TANNERT: Dass es schwierig ist und bleibt, aus gefühlten 10.000 Brauereien 33 herauszufiltern. Aber im Gegensatz zum Kompendium kann das helfen, 33 Lieblinge zu präsentieren. Und dann macht man ja nebenbei so manche überraschende Entdeckung. In manchen Gasthäusern auf dem Lande, so stellten wir fest, gibt es Nürnberger Trinkerstammtische, die Mobicard-Trinker, die jeden Tag mit dem öffentlichen Nahverkehr rausfahren, mit dem Hintergedanken, dass das viel billiger ist, als wenn sie in Nürnberg trinken würden.
A.R.: Ist die aktuelle Begeisterung fürs handgemachte Bier erklärbar?
TANNERT: Mir stößt der importierte Begriff „Craft-Beer“ schon ein wenig auf. Wir haben hier in Franken ja keine Industriebiere. Das muss aus Gegenden kommen, die mit Kleinbrauereien nicht gesegnet sind. Ein Brauer in Merkendorf sagte auch mal zu uns: „Spezialbiere gibt’s bei uns nicht. Bei uns ist jedes Bier ein Spezialbier.“
A.R.: Craft-Beer in Franken bedeutet dann Eulen nach Athen tragen?
TANNERT: Teilweise. Es werden Bierfreunde schon auch mit exotischeren Sorten bekannt gemacht, die keine Tradition in Franken haben. India Pale Ale zum Beispiel, auf das die Trendsetter momentan alle ganz wild sind. Was mir nicht schmeckt, ist die Entkoppelung von Brauen und Gastronomie, die zu beobachten ist.
A.R.: Es geht Ihnen um die Einheit von Kessel und Konsum, von Rezeptur und Verzehr?
TANNERT: Ich hätte es nicht besser sagen können. Mir ist einfach zu billig, dass jeder Hanswurst heutzutage in seinem Keller eine Anlage aufstellen und Bier abfüllen kann, das er dann in einer Bierothek verkauft. Bier dort zu trinken, wo es gebraut wurde, halte ich für ganz wesentlich.
A.R.: Mussten Sie von Co-Autor, Künstler und Teilzeitkoch Anders Möhl zu dieser Quellensuche animiert werden?
TANNERT: Ja – aber nicht lang.
A.R.: In den Bierbeschreibungen ist von Zitrusaromen und feuchtem Waldboden am Gaumen die Sprache. Manchmal meint man, Sie nehmen das geschmäcklerische Gourmet-Deutsch auf den Arm. Ist die Schwärmerei ernst gemeint oder Satire?
TANNERT: Oh, entsteht da wirklich der Eindruck von Satire?! Das hatten wir nie im Sinn. Für uns ist es eher Bierpoesie …. Zugegeben, manchmal sehr schwelgerisch, aber ganz im Einklang mit dem Genussmenschen Möhl. Und durchaus als Anregung gemeint, selber genauer oder bewusster zu schmecken.
A.R.: Sie und Ihre Co-Autoren liefern auch einen kleinen Ratgeber der fränkischen Wirtshauskultur. Was ist ein Schnitt, wird da erklärt, oder: was ist eine Brotzeitplatte? Warum das denn?
TANNERT: Weil wir bei unseren Ausflügen feststellen durften, dass nicht nur heimisches Publikum in den Oasen zu Gast ist. Beim Mithören der Bestellungen haben wir gemerkt, ein gewisser Aufklärungsbedarf für den Nicht-Franken ist durchaus vorhanden. Manchmal machen sich auch einfach schlechte Sitten breit. Wenn sich einer einen „Schnitt“ nach dem anderen bestellt, um immer ein kleineres, frischeres Bier zu haben.
A.R.: Sie betonen, dass Ihre Auswahl keine Besten- und keine Bestsellerliste ist. Steckt dahinter die fränkische Attitüde, solche Geheimnisse nicht preisgeben zu wollen?
TANNERT: Nein, das soll eher betonen, dass wir dieses Buch subjektiv angelegt haben und unsere persönlichen Besten auflisten. Und: Wir haben uns zwar durch sehr viele Brauereien getrunken, aber es ist wirklich unmöglich, im Laufe eines Sommers und Herbstes alle zu schaffen. Wir mussten manche schweren Herzens einfach links liegen lassen.
A.R.: Dann raus mit der Sprache: Welche Biersorten sollten wir unbedingt mal probieren?
TANNERT: Welche haben mich am meisten beeindruckt? Elch-Bräu aus Thuisbrunn – an diesem Bier sollte man nicht vorbeitrinken. Ebenso ganz großartig ist das Griess-Kellerbier und Keesmann, da haben uns alle Sorten begeistert.
A.R.: Fühlen Sie sich inzwischen als Bier-Sommelier?
TANNERT: Ganz und gar nicht. Ich weiß inzwischen, was und warum mir etwas schmeckt. Aber zu einem Bier-Sommelier gehört schon ein bisschen mehr. Den Gourmetteil hat ja fast durchwegs Anders Möhl verfasst. Mir ist nur ein einziger Satz Bierpoesie in dem Buch gelungen. Das war bei Keesmann in Bamberg. Da habe ich geschrieben: „Hier wurde aus Bitterkeit und Malzigkeit ein vollkommen zueinander passendes Liebespaar geschaffen, das sich auf der Zunge wie auf dem Hochzeitslager vereinigt.“
A.R.: Ein Prosit der Poesie! Haben Sie jetzt eigentlich grundsätzlich Bier geleckt und werden sich anderen Bierregionen zuwenden?
TANNERT: Nein. Erstens darf man den reisetechnischen Aufwand nicht unterschätzen. Zweitens sollte man auch vorrangig über die Gegend berichten, in der man lebt. Außerdem darf die Prosa und Belletristik auch nicht zu kurz kommen. Ich arbeite schon eine Weile an einem Roman, wo ich merke, dass mir an allen Ecken und Enden die Zeit fehlt. Der muss auch fertig werden.
A.R.: Die „Biergartenlandschaften“ tragen den Untertitel „In Erwartung der Unendlichkeit“. Hat der Biergarten etwas mit der Vorstufe zum Paradies zu tun?
TANNERT: Das war Fredders Arbeitstitel. Den finde ich aber sehr passend. Fredder Wanoth stellt sich den Biergarten nicht als Paradies vor im Seehoferschen Sinne, sondern eher als Nirwana. Diese Teilkolorierung der Zeichnungen unterstreicht meiner Ansicht auch seine Intension: Die Wirklichkeit löst sich mit steigendem Alkoholpegel auf. Man mag diesen Zustand dann als paradiesisch empfinden. Es geht Fredder aber, glaube ich, in seinen Bildern mehr um die Auflösung der Realwelt als um die Schaffung eines Paradieses.
FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. www.cris-c.de
FÜR NÜRNBERG: ELMAR TANNERT
Tannert, Jahrgang 1964, ist geborener Münchner. Er studierte Musikwissenschaft und Romanistik, arbeitete als Datentypist, Zeitungsverkäufer, Lagerist, Tankwart und Paketzusteller, machte sich aber als Schriftsteller einen Namen. Schon sein Romandebüt „Der Stadtvermesser“ (1998) wurde mehrfach ausgezeichnet (u.a. Kulturpreis der Stadt Nürnberg und des Freistaats Bayern). Mit Petra Nacke verfasste er Kriminalromane und fand über Martin Droschke zum Territorium Bier. Das Buch „Bierland Pilsen“ war der erste Streich (2015), pünktlich zum Jubiläum des Reinheitsgebotes 2016 folgen jetzt die im Cadolzburger ars vivendi Verlag erschienenen „33 Biere – eine Reise durch Franken“ (mit Co-Autor Anders Möhl) und „Biergartenlandschaften“ mit Texten von Friedrich Ani bis Matthias Egersdörfer und Zeichnungen von Fredder Wanoth. Mit ihm und Anders Möhl ist Tannert befreundet. Alle drei machten gemeinsam Musik und sind weiterhin in der Galerie Bernsteinzimmer aktiv. Bücher und Galerie präsentieren sich beim KulturPalast-Festival in Anwanden auf dem Gut Wolfgangshof (16. bis 19. Juni) bei Zirndorf mit Lesungen, Konzerten und Bierverkostungen.
FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Andreas Radlmaier und curt stehen seit Jahren beruflich im Kontakt, denn als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist er verantwortlich für oben genannte Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale. Einen Großteil dieser Formate begleitet curt journalistisch.
Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch und Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für seine kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
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