Im Gespräch mit: Adirjam
#CURT präsentiert, #Diwan Lounge, #Konzert, #Musik, #Werkstatt 141 - Auf AEG
Cosmopolitan Kurdesque nennen sie ihre Musik: eine bisher einzigartige Komposition aus Oriental-Traditional, Pop, Rock, Indie und Psychedelic. Wir haben in Kooperation mit dem schwul-lesbischen Zentrum von Fliederlich e.V. mit Adir Jan Tekîn – Songwriter und gebürtiger Kreuzberger – über die Themen ihrer Musik wie Krieg, Trans- und Homophobie sowie Liebe zwischen Männern unterhalten.
Interviewt wird ADIRJAM von Fliederlich e.V., dem schwul-lesbischen Zentrum in Nürnberg. Der ehrenamtliche Verein hat es geschafft eine Zuflucht für homosexuelle Flüchtlinge auf die Beine zu stellen, deutschlandweit die bisher einzige in dieser Form.
Wie hat Eure Band zusammengefunden?
Im Prinzip folgte eins auf das andere. Nachdem ich beschlossen hatte, professionell Musik zu machen, fanden wir uns zusammen und begannen gemeinsam wie verrückt zu arbeiten und die Stücke zu arrangieren. Ich danke dem Universum, meinen Weggefährt*innen begegnet zu sein. Mittlerweile gab es auch einige Veränderungen innerhalb der Band – ich sehe das Ganze als einen nie endenden Prozess, der immer wieder neue Erkenntnisse und Inspirationen mit sich bringt. Mir ist wichtig, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen und uns gegenseitig befruchten. Gleichzeitig fahre ich fort, neue Lieder zu schreiben.
Wie haben Familie und Freunde auf das Band-Projekt reagiert?
Viele Musiker*innen, Freund*innen und auch meine Mutter hatten mir davon abgeraten, gleich zu Anfang mit Themen wie Homophobie oder Liebe zwischen Männern auf die Bühne zu treten. Doch war und ist das doch letztlich ein bedeutender Teil der Inhalte meiner Songs. Ein Teil von ihnen begründete seine Meinung damit, ich würde dadurch weniger Erfolg haben und solle mehr über anderes schreiben, der andere Teil machte sich Sorgen, ich böte eine zu große Angriffsfläche. Letztendlich jedoch bin ich meinem Herzen gefolgt und lag damit richtig. Heute ist es unser musikalisches Gesamtkonzept, das überzeugt sowie Liebe schenkt und empfängt. Selbst meine Mutter ist nun stolz auf meine Musik.
Du bist ja in Berlin geboren und aufgewachsen, wie siehst Du die Lebenssituation von schwulen Männern innerhalb der kurdisch-, arabisch-, persischsprachigen Communitys in Berlin und in Deutschland allgemein?
Ich denke, dass die Lebenssituation jeder queeren, also nicht der Heteronorm entsprechenden Person, abgesehen von individuellen Ressourcen v.a. stark von sozio-ökonomischen Faktoren abhängt – gleich ob ich kurdisch oder bayrisch sozialisiert bin. Nehmen wir an, meine Familie ist homophob. Kann ich es mir in einem solchen Fall leisten, ggf. auch wirtschaftlich und sozial unabhängig zu leben? Muss ich mich überhaupt definieren und loslösen bzw. könnte ich mir das leisten, wenn ich das denn wollte? Sich oder andere als “schwul” oder sonst was zu definieren, ist ein recht junges, aus dem sogenannten weißen Westen importiertes Phänomen.
In Berlin haben wir eine recht starke Queer-Community von People of Colour, in der auch ich selbst sozialisiert wurde und von der ich lerne und zehre. Insbesondere in einem rassistischen Umfeld ist es wichtig, dieses Empowerment zu haben, u.a. eben um gegen Homophobie und Rassismus anzugehen. Dabei sind natürlich auch Räume zum Feiern wichtig! Die international bekannte Partyreihe „Gayhane“ war ein solcher Schutzraum für mich – heute veranstalte ich selbst gemeinsam mit Tülin Duman die monatliche Reihe Zembîl, wo wir mit ADIRJAM performen.
Als Betreiber der Unterkunft für geflüchtete LGBTI machen wir die Erfahrung, dass Schwulsein in Irak, Iran, Syrien und Kurdistan lebensgefährlich sein kann – wenn es bekannt wird. Denkst Du, es besteht eine Chance auf Änderung oder bleibt nur die Flucht?
Ich glaube an das universell Gute und dessen Kraft. Generell und überhaupt. Gleichzeitig rate ich stark davon ab, schwarz-weiß zu denken. Für manche Menschen kann ihr Schwulsein tatsächlich lebensgefährlich sein, für andere nicht. Keskesor (Rainbow) beispielsweise ist ein Lied, das nach dem Mord an Roşîn Çiҫeken stand. In Aşq û Evîn (Love) spreche ich auch von Mord an LGBTI*Q. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass es in den von dir genannten Gebieten auch zahlreiche Selbstorganisationen gibt – selbst wenn sie nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen wie anderswo, oder teils im Untergrund agieren müssen: es gibt sie. Solange jedoch Gefahr für das Leben auch nur eines einzigen Menschen besteht, muss Schutz – eben auch in Europa - geboten werden. Schließlich stammen auch das Phänomen des Definitionszwangs sowie Homophobie kolonial- und imperialhistorisch betrachtet von hier.
Unsere Unterkunftsbewohner haben auch in Deutschland Ängste vor ihren Landsleuten. Sie fürchten von der „Religionspolizei“ entdeckt zu werden. Schätzt Du diese Gefahr hoch ein?
Der Begriff „Religionspolizei“ ist mir persönlich hier fremd. Ich sag mal so: Wenn ich in Berlin-Marzahn oder ähnlichen hauptsächlich von Weiß-Deutschen – die ja übrigens auch meine „Landsleute“ sind - bewohnten Gebieten Hand in Hand mit einem Mann liefe, würde ich mich auch nicht unbedingt und nicht ohne Grund ‚sicher‘ fühlen: neben homophobem Hass käme nämlich auch noch rassistischer hinzu. Was ich sagen will, ist, dass es einfach unterschiedliche Faktoren gibt, die Homo- und Trans*phobie sowie damit verbundene potenzielle oder reale Gewalt begünstigen – gleich, wo und von wem aus. Die Frage, die sich mir im Gegensatz dazu nur stellte, wäre: Bin ich zumindest rechtlich real geschützt?
Eure Songtexte sind mehrsprachig. Kommt es zu Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Band und Publikum?
Nein. Eine unserer Qualitäten ist, dass wir vor jedem Song etwas zu dessen Inhalt sagen und unser Publikum somit in diese Welten mitnehmen. Dafür ernten wir von unseren Fans auch gutes Feedback. Zudem haben wir auch mit Unterstützung des Südblocks und Musicboard ein kleines Heftchen mit Übersetzungen unserer Originale gedruckt und auch das Booklet unseres Albums sowie unsere Website werden damit bereichert. Zudem bediene ich mich einer weiteren nicht zu unterschätzenden Universalsprache: Liebe und Musik.
Unsere Geflüchteten berichten, dass es fast nur abwertende Bezeichnungen in ihren Sprachen für „Schwulsein“ gibt. Wie machst du das, wenn Du in Kurdisch über schwule Liebe singst?
In Keskesor nutze ich die Entsprechung für “homosexuell”, in Aşq û Evîn umschreibe ich das mit Bildern von zwei Mädchen oder Jungs, die Händchen halten, in Sana Ne nutze ich u.a. das Wort “Schwuchtel” als Selbstbezeichnung. Das Wort “schwul” im Deutschen hat ja auch seinen eigenen Werdegang …
Welche Reaktionen zeigte bisher das Publikum und welche Reaktionen hattet Ihr erwartet?
Wir haben es einfach auf uns zukommen lassen. Im Gegensatz zu den Befürchtungen mancher, machen wir die Erfahrung, dass unsere Botschaften ankommen. Es gab Konzerte, bei denen einzelne Personen aus Protest gegangen waren. Das waren aber tatsächlich Einzelfälle, die mir zeigen, dass die Menschen zuhören und ernst nehmen, was wir mit unserer Musik vermitteln. Ich habe auch mehrfach gehört, dass einige sich nach unseren Konzerten bei ihren Freund*innen und Familien geoutet haben, dass sonst homophobe Menschen begannen umzudenken, dass der Schmerz in den Herzen einiger vermindert wurde. Was sollt ich mir noch wünschen?
Was soll Euer Publikum von Eurer Musik mitnehmen?
Ganz viel Liebe, Freude und Heilung. Vielleicht sogar noch eine Anregung zum Weiterdenken.
Welche Hoffnungen hat Euer Bandprojekt für die Zukunft?
Wir wollen vor allem unser Album rausbringen und viel reisen, neue Orte und Menschen kennenlernen.
In welcher Stadt soll Euer Traumkonzert stattfinden?
In den Herzen der Menschen. Hier wie dort. Denn hier ist dort und dort ist hier.
Wann dürfen Eure Fans mit einem Album rechnen?
Hoffentlich zum Ende des Jahres. Es gilt noch einige Hindernisse zu überwinden, doch die Songs stehen, selbst für ein zweites und drittes Album. Doch auch wir sind Teil der hiesigen Verhältnisse, sodass es hauptsächlich mit der Endfinanzierung steht und fällt. Doch es sieht gut aus. ;)
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DIWAN LOUNGE präs. ADIRJAM / präsentiert von curt.
Samstag, 28.05.2016 um 19 Uhr
Werkstatt auf AEG
Muggenhoferstraße 141, Nürnberg
Danke an Fliederlich e.V. für das Führen des Interviews!
adirjam.com
www.fliederlich.de
DIWAN LOUNGE PRäS. ADIRJAM
Samstag, 28.05.2016 // 20:00h
KULTURBüRO MUGGENHOF / WERKSTATT 141
Muggenhoferstraße 141
90429 Nürnberg
Tel.: 0911 6509493
Fax: 0911 1326097
https://kuf-kultur.nuernberg.de/kulturlaeden/kulturbuero-muggenhof/
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