Theobald O.J. Fuchs: Laborgeständnis

DIENSTAG, 2. FEBRUAR 2016

#Galerie Bernsteinzimmer, #Kolumne, #Theobald O.J. Fuchs

Ich stieg früh ein ins Geschäft, im zarten Alter von zwei Jahren schon, da machte ich meine erste Erfindung. Ich erfand mich selbst und unmittelbar darauf die Zeit. Nun, da es die Zeit und darin treibend mich selbst gab, konnte ich auch meine erste Entdeckung machen. Nämlich, dass auch der Nachbarsjunge sich selbst erfunden hatte und in seiner Zeit existierte. Zwar dauerte es noch mehrere Jahre, bis wir uns überzeugt hatten, dass unsere Eigenzeiten dieselben waren – was die Zusammenarbeit stark vereinfachte. Doch schon lange zuvor gaben wir uns, ohne uns groß mit Kennenlernen aufzuhalten, restlos der Forschung hin. Er erfand das eine, ich das andere. Jeden Tag führten wir uns gegenseitig unsere neuesten Errungenschaften vor.

LABORGESTÄNDNISSE

Beispielsweise konstruierte ich einen Sattel für die Badewanne, so dass man nicht mehr nass wurde – er konstruierte ein Radio für Hörgeschädigte, indem er einen mechanischen Mund baute, der die Worte, die erklangen, mitsprach. Ich konterte mit einem Pressluftlöffel für festgebackenen Zucker. Wir erfanden in allen Fällen zeitgleich, doch stets unabhängig voneinander den Kellersatelliten, den Drachenstich, die Marterglocke und die Explosionsbestattung. Für Experimente in den Bereichen Medizin und Pharmazie stand uns glücklicherweise mein kleiner Bruder zur Verfügung. Aber keine Bange – es ging immer gut aus. Wir erreichten vielmehr Erstaunliches, und unsere Kooperation ihren Höhepunkt.

Doch leider - ach! - folgte unmittelbar auf den Zenit der Zwist, der uns zu erbitterten Feinden machte, bis zum heutigen Tage. Ich kann nicht mehr sagen, welcher Dämon uns damals im Nacken saß, dem anderen und mir, dass wir nach einem Vorbild suchten, welchem wir fürderhin folgen würden. Ein Idol, eine Lichtgestalt, einen Übervater wollten wir uns auserküren, ihm ewigliche Treue zu schwören bis über den Labortod hinaus.

Der andere, bis dahin mein Bruder im erfinderischen Geiste, nannte sein Wunschvorbild. Ich war so geschockt, dass meine Worte erstickten und meine Spucke verdampfte wie Ethanol über der Flamme des Bunsenbrenners. Wie konnte er nur …?! Meine Welt zerbrach innert eines Augenblicks und zähes Dunkel umgab mich bis zum Horizont.
 
Denn der beste Erfinder, den es je gegeben hatte, war selbstverständlich Professor Knox und nicht dieser Windbeutel und schmierige Knecht des Kapitalismus Daniel Düsentrieb. Dieser geschnabelte Nazi, der Macht unterwürfigst hingegeben, mit dem Kopf stets bis zu den Schultern im Hinterteil des Kapitals steckend, zudem ausgesprochen kackemäßig angezogen. Und, was mich beinahe am meisten empörte, eine Type, der ständig eine klugscheißende Glühbirne auf der Schulter saß.
 
Professor Knox hingegen strahlte mit jedem Quadratzentimeter seiner kolossalen gelben Nase Würde und Genialität aus – er baute herrschaftliche Raumschiffe, die von Schmelzkäse angetrieben neue phantastische Welten erreichten, und erkundete das hohle Innere unseres Planeten. Letztlich entscheidend war jedoch: Knox ähnelte hochgradig dem besten Erfinder, den es, ehe ich selbst auf der Weltbühne erschien, je gegeben hatte: Meinem Opa. Der hatte eine Methode entwickelt, wie sich aus einer beliebigen Mülltonne ein Aquarium bauen ließ, ohne dass jemand Hand anlegen muss! Sein Verfahren kam mit lediglich einem Bündel Altpapier und einer glimmenden Zigarre aus. Eine billige Plexiglasscheibe ins Brandloch, erklärte er mir, seinem Enkel, dann nur noch Wasser und Fische hinein – fertig! Meine Mutter war nie in der Lage die Genialität dieses Mannes zu begreifen und sprach verbissen von „Gemeingefährlichkeit“ und „Stumpen, die einem gewissen Jemand ständig aus der Gosche“ rutschten.

Ich ignorierte jedwede kleingeistige Kritik und schritt voran. Machte mich ganz alleine auf mich gestellt an Das Ding, welches mein Meisterstück sein wird. Noch arbeite ich daran, noch sind tausend Schwierigkeiten zu überwinden. Aber das Ziel ist klar: Es wird die Welt verändern. Es wird überall drin sein, innen wie außen. Es wird durchsichtig und blickdicht zugleich, wird elastisch wie Plastik sein und robust wie Waffenstahl. Es wird schwerelos daher kommen, aber jeder Sache Gewicht verleihen, und das alles ganz ohne Zubehör. Und ich werde es nennen: „Das Ganz Große Ding.“

Nun sitze ich hier, zwischen funkender Elektrik, rauchenden Röhren und gluckernden Gläsern. Und will nichts weiter, als den Menschen ein Fenster öffnen. Hinausschauen muss jeder selbst, die Welt zu erkennen, auch der Chefredakteur dieses Heftchens. Man munkelt ja seit Jahren, er arbeite fieberhaft daran, sich aus einer schlichten Lampe in einen ausgewachsenen Atomglühstrumpf zu verwandeln – bislang vergeblich. Doch sollte er Hilfe benötigen: mein Labor steht ihm immer offen.


Auf den Bildern: Theo Fuchs, Fotos: Katharina Winter


UND WAS MACHT THEO WIRKLICH?
Wenn der promovierte Physiker sich nicht gerade mit Korrekturen bei Strahlaufhärtung aufhält oder seiner Leidenschaft für obskur-bedenkliche Geschichten nebst skurrilen Fotowerk frönt, kann man ihn hin und öfters in der Galerie Bernsteinzimmer bewundern. Als Bonvivant, Mitinitiator, lebender Kunstversuch. Etwa am Donnerstag, 4. Februar, wenn drei TITANIC-Chefredakteure lesen.

 




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