Alles in Bewegung in der Kulturfabrik
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Wie das Staatstheater Nürnberg für 2018 neu geordnet wird. Ein Kulturkommentar von Dieter Stoll. – Das Nürnberger Staatstheater ist in Bewegung geraten. Ohne böse Absicht, versteht sich, aber doch sehr viel heftiger als vorhersehbar. Vor einem Jahr gab es bloß die allgemeine Diskussion, ob ab 2018 oder wann denn nun genau das technisch marode und deshalb längst aus Sicherheitsgründen von Schließung bedrohte Opernhaus für zwei bis drei Spielzeiten zur Baustelle wird. Die Frage, inwieweit die Intendanz für diese bedrohlich näher rückende unbehauste Zeit in der Abseitsfalle von Behelfsräumen sparsam improvisieren muss, oder langfristig mit Ensemble samt Philharmonikern in einem millionenschweren Konzerthaus-Neubau neben der Meistersingerhalle vergleichsweise luxuriös notplanen kann, geriet jetzt durch den unvorhersehbaren Wechsel an der Spitze unter Druck. Der kombinierte Staatsintendant & Operndirektor Peter Theiler, auf der Karriereleiter von Biel Solothurn (Schweiz) über Gelsenkirchen (Ruhrgebiet) 2008 nach Nürnberg (Franken) geklettert, ergriff die Chance zur nächsthöheren Sprosse und macht 2018, somit auf alle Fälle noch vor Beginn der örtlichen Sanierungsturbulenzen, den logischen Schritt zur Dresdner Semperoper (Sachsen). Er hatte es erst im Herbst 2015 mitgeteilt, nach der Unterschrift fürs derzeit intendanzfreie Tourismusobjekt an der Elbe. Den Nachfolger der zu je 50 Prozent von Stadt Nürnberg und Freistaat Bayern finanzierten und politisch entsprechend ausbalanciert gelenkten „Stiftung Staatstheater“ zaubert der zuständige Stiftungsrat, um die Demonstration seiner Handlungsfähigkeit bemüht, blitzschnell aus dem Hut. Die internen Vertragsverhandlungen mit einem Favoriten laufen bereits, bis Ende Februar soll der Name bekannt gegeben werden. Wohl auch, ob er gleich mit Bauhelm anreisen muss.
ES KNIRSCHT AUF ALLEN EBENEN
Problem oder Chance, Wende oder Weiter so? Jedenfalls mehr Änderung als erwartet. Mit dem Wechsel wird es in allen Häusern am Richard-Wagner-Platz zum nicht mehr nur technischen, sondern zwangsläufig inhaltlichen Neubeginn kommen. Ja, Bewegung knirscht plötzlich auf allen Ebenen. Am Schauspielhaus läuft ebenfalls 2018 nach 18 Spielzeiten der Vertrag des dann 65-jährigen Klaus Kusenberg aus (er ist damit noch vor Hesso Huber und Hansjörg Utzerath der langlebigste Chef, den das Sprechtheater auf diesem Schleudersitz je hatte), und wenn das Gerücht auch besagt, dass er sich gern zu zwei weiteren Jahren überreden ließe, sieht es nun bei begonnener Umwälzung eher nach einem geordneten Rückzug aus. Sogar das Ballett steht womöglich vor dem großen Neustart, denn Theiler möchte seinen in Nürnberg gehegten, auf mittleres Starformat herangewachsenen Spartenchef Goyo Montero gerne mit nach Dresden nehmen und kann beim Abwerbungsflirt mit höherem Scheck argumentieren. Bleibt (außer dem bis 2021 verpflichteten Geschäftsführer Christian Ruppert, der weniger Künstler als Kaufmann ist) vor allem der Generalmusikdirektor Marcus Bosch in der Kategorie „feste Größe“. Wenn er das denn bleiben will, denn der mit vielen Projekten in- und außerhalb von Nürnberg ambitioniert auftretende Dirigent, der zuvor in Aachen wie ein Karajan-Wiedergänger gefeiert wurde, wundert sich im fünften Jahr als Philharmoniker-Chef immer noch über die spröden Franken, die zwar am Ende von Vorstellungen durchaus jubeln können, es damit dann aber auch gerne bewenden lassen. Ihm ist diese Art von Begeisterung mit Bremsspur offensichtlich nicht ganz geheuer.
ALLMACHTSPHANTASIE ALS BERUFSBILD
Zunächst jedoch irritiert der geräuschlose Wechsel an der obersten Spitze: Wie kann solch weitreichende Entscheidung über eine mit Allmachtsphantasien als festem Bestandteil des Berufsbildes aufgeladene Position (die breite Öffentlichkeit kennt den Prinzipal ja kaum, traut ihm aber alles zu) derart geräuschlos gemanagt, gegen jegliche Diskussion abgeschirmt und hinter verschlossener Tür festgeklopft werden? Zugegeben, eine etwas naive Frage, denn abgesehen von den Bühnen kleinerer Kommunen, die ihre Kunst-Chefposten per Stellenanzeige in Inseratennachbarschaft von anderen Pflegeberufen anbieten und dann per Handarbeit aus hundert Bewerbern wählen (Bamberg, Erlangen und Ansbach wurden so oder ähnlich fündig), steuern in den großen Städten mit ihren verlockend hoch subventionierten Theatern geheimnisvolle Mächte das Personalkarussell. Manchmal sind es anonym bleibende Gremien von Fachleuten (namhafte Intendanten begutachten, fördern oder verhindern noch nicht so prominente Kollegen), oft sammeln die entscheidungsbefugten Politiker Tipps von diskreten Hobbykennern & -liebhabern aus dem eigenen Dunstkreis. Dazu gibt es speziell in Bayern den inoffiziellen Status des Intendantenflüsterers, dessen unabweisbare Dienste durch Hintergrundgespräche diverser Münchner Ministerien geistern. Im konkreten Fall haben sich außerdem etliche Interessenten der gehobenen Kategorie auf der Suche nach neuen Spielwiesen sogar unaufgefordert beworben – was im Rathaus eine Art Stolz-Schub auslöste. Nürnberg ist gefragt – na sowas! Wie es um die Theaterkompetenz der letztlich abstimmenden Stiftungskoalition aus je drei Stadt- und Staatspolitikern (derzeit viermal CSU, zweimal SPD) tatsächlich bestellt ist, bleibt dennoch auch unter Insidern sehr umstritten.
Ob die Prozedur nun clever oder pragmatisch zu nennen ist: Fragwürdig ist sie auf alle Fälle. Ein öffentliches Nachdenken darüber, was eigentlich als Perspektive erwartet wird von einer Kunstfabrik mit 500 Mitarbeitern, nebenbei Bayerns größtes Dreispartentheater, die so dominierend im Kulturalltag der Stadt wirkt, wäre ja – wann sonst? – bei anstehendem Intendanzwechsel vernünftig. Schon deshalb, weil aus gutem Grund die künstlerische Freiheit, also die allenfalls durch finanzielle Probleme einzuschränkende Gestaltungsmacht des Intendanten als höchstes Gut dann für die ganze Amtszeit gilt. Die unüberprüfte Fortschreibung abgehangener Erwartungen an ein derart herausragendes Institut bei gleichzeitig rasanter Veränderung des öffentlichen Lebens drumherum geht wohl nicht als der Weisheit letzter Schluss durch. Es wird trotzdem darauf hinauslaufen …
KONZEPTE? MAN MUSS NICHT ALLES GLAUBEN!
Wahr ist allerdings, dass die Präsentation von Konzepten durch Kandidaten auch keine Garantie ist. Der noch bis 2018 amtierende Peter Theiler etwa, dem von der öffentlichen Meinung bescheinigt wird, das Nürnberger Theater innerhalb der Stadtgesellschaft und ein wenig auch überregional wieder ins Gespräch gebracht und dabei sogar Abonnentennachschub rekrutiert zu haben, hatte nach seiner Berufung starke Kernpunktkorrekturen der bis dahin üblichen Opernhausplanung angekündigt. Zugunsten von Belcanto & Broadway samt Entdeckungen verdrängter, bzw. neu beauftragter Komponisten, wollte er den alles erdrückenden Richard Wagner erst mal ruhen lassen. Wagnerianer, sagte er damals öffentlich mit gewisser Lust am Aufschrei, sollten am besten nach München oder Bayreuth fahren. Es war nur ein Provokatiönchen. Wie wir inzwischen rein dokumentarisch feststellen können, hat er dann (neben der zweifellos mutigen Schatzgräberserie von Grand opéra und Italo-Dramatik nebst den weniger kühnen Versuchen bei Novitäten und Musicals) mit „Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und dem vierteiligen „Ring des Nibelungen“ die allergrößten Wagnereien produzieren und damit als Schwerpunkt seiner Arbeit manifestieren lassen. Daraus folgt? Man muss nicht alles glauben, was Intendanten plaudern – sie tun es selber nicht.
GESCHEITERTE TRÄUME UND IHRE FOLGEN
Ein Blick zurück auf frühere Nürnberger Findungsprozesse zeigt ohnehin, dass es keinen Königsweg zum Durchblick gibt. Hermann Glaser, wahrhaft der kämpferischste Demokrat unter den Kulturpolitikern, wollte den ewigen Mauschelverdacht einst durchbrechen und machte damals wie keiner vor oder nach ihm die Kandidatenkür für die Schauspielhausdirektion öffentlich. Konzepte wurden erwogen, debattiert, verworfen, Namen umworben oder abgehakt. Am Ende kam die allseits begrüßte Berufung des aufstrebenden Schöngeistes Hans Dieter Schwarze (Poet, Filmschauspieler, Regisseur, Intendant), der vor aller Augen einen sorgfältig gebastelten Fünfjahresplan für seinen „Volkstheater“-Traum ausbreitete und schon im ersten Probenmonat damit scheiterte. Da kehrte auch Glaser zu alten Sitten zurück, holte Hansjörg Utzerath aus Berlin ohne Debattenumweg ans Schauspielhaus, übergab später dem vertrauten Burkhard Mauer ebenso diskussionsfrei die Generalintendanz. Glaser-Nachfolgerin Karla Fohrbeck ließ aus ihrem erweiterten Bekanntenkreis Lew Bogdan und Eberhard Kloke aus Bochum anreisen, der nächste Amtsinhaber Georg Leipold fand mit Wulf Konold aus Hamburg wiederum einen Ex-Nürnberger vor, Nachfolgerin Julia Lehner gab ihr Ja-Wort für Peter Theiler aus dem Revier bereits im Kreis der neuen Staatstheater-Stiftung.
Die Besetzung des wichtigsten, übrigens bei weitem am besten dotierten Postens in der Nürnberger Kulturszene, bevollmächtigt und beauftragt für die organisatorisch reibungslose, inhaltlich gleichzeitig (in dieser Reihenfolge) breitenwirksame und tiefgründelnde Kunstfertigung im Fließbandmodus, bleibt auch 2016 ein Mirakel.
Alles ist in Bewegung, aber darauf können wir wetten!
Text: Dieter Stoll
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