So war: Egersdörfer und Artverwandte #21

FREITAG, 15. APRIL 2016

#Egersdörfer, #Kritik, #Theobald O.J. Fuchs

Das Programm musikalisch überbordend und angenehm aufdringlich: Meister Egersdörfer fuhr zur Frühjahrsoffensive alles auf, was zur Show-Aristokratie zählt. Unser Korresondent vor Ort, Theobald O.J. Fuchs, berichtet ...

Egersdörfer und Artverwandte am 12.04.16

Übererwartungstreue Wertschätzung

Erwartungen liegen wie ein roter Teppich auf den Treppen im altehrwürdigen Komm am  12. April, einem hoffnungsfrohen Frühlingsdienstag. Allesamt erwarten wir etwas voneinander: mit offenen Mündern Zuhörende, Singende und Sprechende. Gleich vorneweg: Das Glück der Erfüllung kannte weder Maß noch Zahl, auch nach Zigtrilliarden Shows ist die Artverwandten-Kiste immer für einen Höhepunkt gut. Grund: der Egers halt.

Zum Auftakt beim Spaziergang durchs zahlreich hingefläzte Volk hält er ein Frisurgericht, das sich „Sie“ schreibt. Das Programm dann musikalisch überbordend und angenehm aufdringlich: zur Frühjahrsoffensive fährt E. alles auf, was zur Show-Aristokratie zählt.

Bird Berlin verspottet sowohl Schwer- als auch Fliehkräfte, indem er, ein aus Glitzer geborener Hypertrophissimus, hummelrundig hüpft, gehüllt in elfenartigen Singsummsang. Zur höchsten Wonne auch diesmal lesend: das neueste Gedicht aus seinem Spezi-Zyklus.

Alle Seelen erquickend schüttet Großpoet und Überdichter Philipp Balthasar Moll ein Füllhörnchen aus, struppig am Kopfe wie ein Räuberlehrling und seine gesundheitlichen Nicklichkeiten lyrisch in den Boden stampfend. Traumhafte Buchstabenschupfen, so liebevoll zusammengewurstelt, als habe er seit dem Schöpfungstag rund um die – damals gar nicht existierende - Uhr daran gefeilt und zusammengepicht. Einzelne Laute wie Meisterwerke, Wörter wie komplette Köchelverzeichnisse, Sätze, die das Bayreuther Festspielhaus aussehen lassen wie den demolierten Mülleimer an einer Bushaltestelle. PBM macht leichtzüngig den nächsten Schritt auf sprachliche terra incognita und errichtet neue Verbalkolonien jenseits der Welt, so wie wir heute über sie sprechen können. Beispiel gefällig? „In asoziale Idiotie hineinvernachtet“ - zum Abschlecken schön!

Gankino Circus sind sowieso woanders her. Kein Mensch weiß, wessen Gesandte sie sind, uns Menschen auf diesem Planeten zu erfreuen, nur so viel ist klar: es handelt sich um eine der unseren absolut überlegene Zivilisation, kulturell fünf Lichtstockwerke höher angesiedelt, praktisch total irre. Der Geilheitsgrad der Musik lässt sich mit Vokabeln kaum beschreiben, die Ansagen sind kongenial und mindestens ebenwütig, wenn nicht außerirdisch. Tadellos gegart, wie ein Dietenhofener Katerfrühstücksei, die Pointen sauber gebastelt und ohne unnützes Beiwerk abgefeuert. Ein Kleinod im Großod. Blumenherzen rieseln vom Festsaalhimmel. Birdi kann nicht anders, er muss sich darin wälzen.

M. Klaus Friedrich Egersdörfer lehnt sich heute weit heraus, aus seinem Spießerfenster, und trägt total süße Supermann-Socken zum ewig selben grauen Langweiler-Anzug. Richtig frech sieht das aus, wie da unter einer trägen Schale ein spontaner Kern herausspitzt. Seine Bühnenpartnerin Carmen a.k.a. Claudia Schulz hingegen in der immer gleichen ödemvioletten Kotzbluse. Unverschämt wie stets, man wundert sich, wo der Meister E. diese unendlichen Mengen Geduld hernimmt, dass er ihr nicht augenblicklich auf der Bühne eine über die Rübe planierraupt. Sodom und Gomorrha, Promi-Sterben – und schon steckt das Ehepaar mittendrin in einem Experiment zum arg nahen Tode. Carmen hat noch nichts erreicht und will nicht sterben, Egersdörfer schifft ins Cabriolet, Dr. Söders heißer Samen wird verhandelt wie die Existenz an sich oder braune Streifen in einer niemals gewechselten Unterhose. Eine sagenhafte Nummer: Komedy rulez!

Stark kontrastierend erscheint eine finnische Dame zwischen all dem blinkenden Brimborium und Verhau der Gerätschaft. Nightbird alias Anna-Stina Jungerstam ist schnell aus Finnland herüber gejettet, um für uns zu singen. Das Raunen der skandinavischen Wälder weht herein: bezaubernder Nordlicht-Blues auf Moosteppich mit Schmerzen.

Meister Matthias Egersd. berichtet aus seiner Kindheit, über die Prinzen, die einst um seine Schwestern buhlten, und fährt üppige Wortbildmalerei auf: metallische Blumen und bebrillte Fische, ein Wüsten-Jeep und vielfarbige Prinzen, Haare so weich wie von einem Dackel – ein phantasmagorischer Starkorgasmus, dabei ist's nur die erste von sieben neuen Folgen vom Betthupferl für den bayrischen Rundfunk.

Ahmed: was soll man da sagen? Weinen möchte man vor Glück - wir erwarten alles und bekommen mehr. Preisträger in Berlin, Sultan von Gostenhof, dickster Schwiegertürke, der wo denkbar. Ein Wonnepickel zum Ausdrücken! Zu hoffen, dass er bald sein eigenes Lied schreibt: „Der Nahtod und meine Mutter“ verhunzt nach Herbert von Schubert.

Wir bleiben auf der Kirchweih und trollen uns ins Bierzelt, wo gerade der Binser die Bühne entert. Der ist blanke Oberpfalz, die so ist wie Finnland, nur noch ein wenig brutaler. Binser ideal mit Bier und Schnupftabak angefüllt, bezaubernd radebrechend in seinem vordertschechischen Sprachimitat, die Liedlein fachgerecht aus Reimen und Lustigkeit gestanzelt, nur einen winzigen Hauch vorhersehbar, dafür umso inbrünstiger geschrammelt. Und obwohl wir sie überhaupt nicht kennen, lieben und bedauern wir seine Mama aus ganzem Herzen. Ein so ein schlauer und fröhlicher und hübscher Bub!

Der gespielte Witz? Meine Herren! Fünfzehn Sekunden, die in einem Abgang sowie auch in eisig-mückenstummer Erstarrung des Publikums enden – und es wert gewesen wären, nicht nur drei, sondern dreihundert Stunden auf diesen Höhepunkt der Show hinzufiebern.


[Theobald O.J. Fuchs]




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TAFELHALLE. Es ist ja nicht so, als ob der feine Herr Matthias "Egi" Egersdörfer in der Vergangenheit von den Preisjurys ignoriert und übergangen worden wäre. Das nicht selten unflätige Gebaren dieses grob wirkenden Mannes wird seit 2007 mit verblüffender Regelmäßigkeit ausgezeichnet: Hamburger Comedy Preis, Kabarett Kaktus, Passauer Scharfrichterbeil, Stuttgarter Besen, Böblinger Fingerhut, Hassfurter Warentrenner, Göppinger Beutel, ... Einer fehlte! Und nunmehr endlich hat unser Achill den Olymp erklommen und darf sich den, noch dazu von seiner Geburtsstadt gestifteten und vom dort ansässigen Burgtheater vergebenen, Deutschen Kabarettpreis in seine stets penibel polierte Preisvitrine stellen. Er ist mit 6.000 Euro dotiert, was für einen A-Prominenten aber zweitrangig sein dürfte und wahrscheinlich mittlerweile automatisch an ein Witwen- und Waisenhaus überwiesen wird.
Aber im Ernst! Der curt ist mehr als stolz über ein Wort, das nur aus fünf Buchstaben besteht, weil wir das sagen dürfen: UNSER Egi gewinnt den Deutschen Kabarettpreis 2024. Er ist nicht nur, auch das dürfen wir hoffentlich sagen, ein Freund des Hauses, er ist auch, denn einige Gesichter hat der curt bereits kommen und gehen sehen, er ist, das dürfte korrekt so sein, unser langjährigster Schreiber, der seit hunderten und hunderten von Ausgaben unser schönes Heft einleitet. Der Herr Egersdörfer ist einer, der nicht nur, wie es die Jury beschreibt, mit Mut, Vielseitigkeit und Beharrlichkeit seinen Platz in deutschen Kabarettszene erobert hat und mit seinem Bühnenego auf manchmal verstörende Weise Schmerzgrenzen auslotet, nein, er ist auch einer, der sich trotz hallenfüllender Tourneetätigkeit landauf, landab und einem Millionenpublikum im Öffentlich Rechtlichen Fernsehen, nicht zu schade ist, mit absoluter Verlässlichkeit sein Textchen für die kleine Kulturpostillenklitsche in der Heimat abzuliefern. Damit unsere Leser:innen sich in jedem Heft wenigstens für die zwei bis vier Seiten auch mit Literatur mit Anspruch auseinandersetzen dürfen. "Im deutschsprachigen Kabarett gehört Matthias Egersdörfer zu den ganz großen Geschichtenerzählern" – und im Nürnberger Kulturmagazinjournalismus erst recht!
Vielen Dank, Matthias, und herzlichen Glückwunsch! Er trifft bestimmt nicht den Falschen, dieser Preis.
www.egers.de

Förderpreis LARA ERMER
Der Förderpreis des Deutschen Kabarett-Preises für das Jahr 2024, dotiert mit 2000 Euro, vergeben vom nürnberger burgtheater, geht an LARA ERMER, geboren in Fürth, mittlerweile leider abgewandert, aber immer noch auf den hiesigen Bühnen zu sehen. Lara Ermer besitzt die Gabe aktuelle Zeitgeistthemen so zu beleuchten, dass daraus absurd-komische Miniaturen entstehen. Thematisch führt sie dabei souverän die satirische Pionierarbeit ihrer Vorgängerinnen fort. Den jungen Frauen im Kabarett gibt Lara Ermer eine starke Stimme. Bitte mehr davon!
www.laraermer.com

Sonderpreis SEBASTIAN 23
Sebastian Rabsahl, auf der Bühne bekannt als Sebastian 23, ist ein Pionier der Poetryslam-Szene. Er verbindet gekonnt und zeitgemäß Wortspiel, Musik, literarische Kurzformen und Politik. Mit seinem kabarettistischen Schaffen bespielt er alle aktuellen Formate der öffentlichen Präsenz gleichermaßen. So überwindet er virtuos die Genregrenzen und erweitert den Spielraum für seine Themen.
www.sebastian23.org

Der Verleihung, moderiert von Luise Kinseher, findet am 11.01. in der Tafelhalle statt.
www.burgtheater.de

Am 24.01. präsentiert der Herr Egi dann sein neues Programm im Gutmann am Dutzendteich:
www.gutmann-nuernberg.de  >>
Kultur  19.10.-15.11.2024
NÜ/FÜ/ER.
Text: Tommy Wurm
Oktober und November sind die perfekten Kabarett- und Comedy-Monate. Draußen ist es dunkel und die Seele braucht Wärme, Freude und Humor. 
Hier eine subjektive Auswahl, die euch den Herbst versüßen soll. Witzig, oder?

Fee Bremberck  –  Erklär’s mir, als wäre ich eine Frau 
19.10., Burgtheater Nürnberg
Die 30-Jährige Münchnerin Felicia “Fee“ Brembeck ist eine vielseitige Künstlerin. Sie schreibt Bücher, gewinnt Preise beim Poetry-Slam und hat einen Masteranschuss in Operngesang. Ihr aktuelles Programm “Erklär’s mir, als wäre ich eine Frau“ dreht sich um das leidige Thema Mansplaining. Gutgebildete Männer in den besten Jahren erklären jüngeren Frauen die Welt. Klar, sie meinen es doch nur gut, oder? Viele wahrscheinlich schon, aber das ändert ja nichts an der Tatsache, dass diese verbale Übergriffigkeiten schon immer ein No-Go sind. Fee erörtert dieses Thema mit viel Witz und Charme, nicht ohne die Torstens dieser Welt (die meisten Mansplainer dieser Welt heißen ihrer Meinung nach Torsten) klar zu benennen und in die Schranken zu weisen. Macht Spaß.   >>
AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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BERLIN. #3 Fortsetzung der Kolumne aus Ausgabe August/September. Teil zwei HIER

Es kann sein, dass sich in meiner Erinnerung diverse Aufenthalte in dieser Stadt vermischen, aber ich bin mir sicher, dass es immer Berlin war. In den 1980er Jahren hatten uns die The-Who-Filme »Tommy« und »Quadrophenia« ganz krass mit der Rockmusik der späten 1960er infiziert. Als 1979 Pink Floyd »The Wall« herausbrachten, mussten wir nicht lange überlegen, ob uns das gefiel. Obwohl wir uns für Dorfpunks hielten, ließ sich die Pink-Floyd-Mucke hervorragend zum Rauch aus gewissen Spaßzigaretten in die Gehörgänge dübeln. Aus heutiger Sicht natürlich kompletter Mainstream und Totalkommerz, aber tscha! War geil.  >>
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