Reportage: Hier bin ich Mensch, #4
#Flüchtlinge, #Mensch, #Reportage
Thomas und Johannes haben das Foto-Interview-Projekt „Hier bin ich Mensch“ gestartet: Sie treffen Flüchlinge in den Aufnahmestellen, interviewen sie und laden sie zum Shooting ein. Die Bild- und Wortstrecke wird exklusiv in curt veröffentlicht. Im vierten und letzten Teil der Serie führte wir Interviews mit drei rent4office Basketballprofis, um deren persönliche Meinungen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte einzufangen – und die Parallelen zwischen Teamsport und Gesellschaft in Wort und Bild aufzubereiten.
Ihr lieben Pegida-Hingeher, Rechtsrucker und sonstigen Wirrköpfe – es ist doch so einfach: Wenn sich Flüchtlings-kinder, Ausländer und Deutsche gegenseitig den Ball zuspielen, dann sind sie erfolgreicher als alleine. So wie im Basketball-Team der Profis von rent4office Nürnberg. ¿Comprende?
Ende Oktober luden die Verantwortlichen des Basketball-Zweit-ligisten rent4office Nürnberg 40 Flüchtlinge zum Heimspiel gegen MLP Academics Heidelberg. Es war eine Geste, die dafür stehen sollte, dass Flüchtlinge in Franken willkommen sind. Und eine Aktion, die zeigte, dass der Sport immer wieder die einfachste Lösung ist, um auf unkomplizierte Weise zur zwischenmenschlichen Verständigung beizutragen.
Die Flüchtlinge genossen den Nachmittag sichtlich. Sie feuerten „ihren“ Club ab der ersten Spielminute an und ließen sich nicht davon abbringen, nach dem Match auch noch selbst einige Körbe auf dem Feld zu werfen. Kinder von Fans und Flüchtlingen spielten zusammen Fußball unter der Tribüne, überall sah man T-Shirts mit der Aufschrift „refugees welcome“ – und einer der Eingeladenen war derart angetan vom Spiel, dass er direkt seine zukünftige Unterstützung für das Team ankündigte: „Ich bin jetzt Fan! Und wenn ich endlich mein eigenes Geld in Deutschland verdiene, dann hole ich mir eine Jahreskarte …“
Am Ende entschied das Team von rent4office Nürnberg die Partie mit 72:64 für sich. Es war ein Nachmittag voller Gewinner und strahlender Gesichter.
Die Aktion war vom Nürnberger Fotografen Thomas Bönig im Rahmen des Projektes „Hier bin ich Mensch“ initiiert worden. Zusammen mit den Journalisten Martin Peichert und Axel Rabenstein führte Bönig Interviews mit drei rent4office Basketballprofis, um deren persönliche Meinungen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte einzufangen – und die Parallelen zwischen Teamsport und Gesellschaft in Wort und Bild aufzubereiten.
Haris Hujic (18) – das Flüchtlingskind im Team
„Mein Vater ist in den 90er Jahren vor dem Krieg aus Bosnien geflohen – so wie die Menschen in diesen Tagen in vielen Teilen der Welt vor dem Krieg fliehen. Bis heute redet mein Vater ungern über die Erfahrungen seiner Flucht, aber er hat mir ein Gefühl dafür gegeben, was es bedeutet, seine Freunde, sein Haus und seine Heimat zurückzulassen, um mit einem Koffer in der Hand loszuziehen, mit wenig mehr als der Hoffnung auf ein sicheres Leben. In der Fremde bist du hilflos, angewiesen auf die Gastfreundschaft anderer Menschen. Mein Vater hat als Basketballer in Deutschland Fuß gefasst, er spielte in der zweiten Bundesliga, gründete später einen eigenen Club für Menschen mit Migrationshintergrund, um ihnen die Integration zu erleichtern. Dabei spielt Sport immer wieder eine ganz besondere Rolle. Auf dem Fußballplatz oder im Basketballkäfig ist die Herkunft egal … was zählt, ist dein Verhalten und deine Persönlichkeit. Ich selbst fühle mich manchmal deutsch, am nächsten Tag wieder bosnisch. Ich bin in zwei unterschiedlichen Gesellschaften zuhause, und ich denke, dass ich deshalb vielleicht noch offener und toleranter sein kann. Ich bin, was ich bin. Und das definiere ich nicht über meinen Pass.“
Dylan Talley (25) – einer der Ausländer im Team
„Ich bin seit gut zwei Monaten hier in Deutschland, zuletzt habe ich in Tschechien gespielt. Hier in Deutschland fühle ich mich willkommen, die Menschen in Nürnberg, die Fans und die Verantwortlichen des Clubs haben mich sehr gut aufgenommen. Die Fremde bin ich gewöhnt. Schon seitdem ich 15 Jahre alt bin wohne ich nicht mehr zuhause, weil ich Stipendien auf verschiedenen Colleges wahrgenommen habe. Es ist schön, dass viele Menschen die Möglichkeit haben, hierher nach Deutschland zu kommen. Viele Flüchtlinge haben ihre Heimat verlassen müssen, weil sie dort nicht mehr sicher waren. Deutschland schenkt diesen Menschen neue Hoffnung – auch wenn es natürlich immer wieder Leute gibt, die gegen die Aufnahme von Ausländern sind. Du kannst die Meinung dieser Menschen aber nicht gegen ihren Willen ändern. Du musst ihnen zeigen, dass Ausländer und Flüchtlinge ebenso gute Menschen sind. Dass sie tolle Talente haben! Und dass es nichts Schlimmes ist, wenn Ausländer ins Land kommen. Der Sport spielt dabei eine wichtige Rolle: Fans feuern ihr Team an, ohne darüber nachzudenken, welcher Nationalität oder Religion die Spieler angehören. Und beim Basketball ist es ganz einfach: Alles, was zählt – ist dein Können auf dem Feld.“
Mario Blessing (23) – einer der Deutschen im Team
„Ich finde es schön, wieviele Menschen in Deutschland dann doch bereit sind, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Eine Situation wie diese ist auch eine Chance, sich mal wieder bewusst zu werden, wie gut wir es haben, wie selbstverständlich es für uns ist, in Sicherheit zu leben – ohne die Sorge, am nächsten Tag nichts mehr zu Essen zu haben. Menschen, die gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen, kann ich persönlich nicht verstehen. Vielleicht haben sie Angst vor dem, was sie nicht kennen, fühlen sich bedroht vom Fremden, weil sie selbst sehr unsicher sind? Im Basketball ist es ganz normal, dass man eine Gruppe von Menschen in einem Team vereint, die erst einmal nicht besonders viel miteinander zu tun hat … ob Studenten und Schulabbrecher oder Ausländer und Deutsche. Auf dem Feld arbeitet man auf ein gemeinsames Ziel hin. Jeder hat seine Aufgabe und wird nach seinen individuellen Stärken eingesetzt. Dabei wird eine vielseitige Truppe mit verschiedenen Qualitäten immer besser und erfolgreicher sein. Daran kann sich die Gesellschaft ein Beispiel nehmen. Was zählt, ist das Team – und der gegenseitige Respekt!“
RÜCKBLICK.
Fast zwölf Monate sind vergangen, seit Johannes Modi, Martin Peichert und ich dieses Projekt gestartet haben. Etwas später stieß dann noch Axel Rabenstein zu uns. Zwölf Monate, in denen sich die Gesellschaft in Deutschland dem Thema Krieg und Vertreibung neu annähern musste – auf eine Art und Weise und in einer Direktheit, die niemandem ermöglicht hat, nicht Stellung zu beziehen. Jeder hat eine Meinung zu diesem Thema – und viele machen sie publik, als ob Radikalisierung und Fremdenfeindlichkeit auf einmal salonfähig wären. Ich erspare Euch hier Statistiken über den daraus resultierenden Anstieg von Anzeigen wegen Volksverhetzung, Anstiftung zu Straftaten und Körperverletzung ... denn nicht alles, was in dieser Zeit passierte, war schlecht.
Ganz im Gegenteil. Deutschland wird zu einem Land, dessen Gastfreundschaft international bewundert wird – wer hätte das vor 50 Jahren, 25 Jahren, oder sogar noch vor fünf Jahren gedacht? Viele Menschen solidarisieren sich, haben Verständnis, pfeifen auf Stimmungsmache in den Medien und Parteiprogrammen. Es geht nicht mehr um landesweite (oder europaweite) Reformierung des Asylrechts – es geht um den Einzelnen. Während die politischen und geistigen Führer unserer Republik oder unseres Bundeslandes zum Teil offen gegen diese Willkommenskultur wetterten, präsentierte der Großteil unserer Bevölkerung den Mittelfinger der Selbstbestimmung und des freien Denkens und tat, was sie für richtig hielt: helfen. Großartig!
Für uns bei HBIM war es wichtig, das Projekt mit einer positiven Aktion zum Abschluss zu bringen, zu zeigen, dass Integration funktioniert. Und Sport gehört neben Kunst und Musik zu den größten integrativen Institutionen. Wir haben daher eine Kooperation mit den Basketballern von rent4office Nürnberg gestartet. Deren Einladung zu einem Ligaspiel sind wir mit fast 40 Flüchtlingen unterschiedlichster Nationalitäten gefolgt und hatten einen fantastischen Abend. Einige Spieler haben wir hier selbst zu Wort kommen lassen, um zu zeigen, wie gut und wichtig Integration ist – letztendlich funktioniert ein Sportteam wie eine Gesellschaft: jeder hat seinen Platz, seine individuellen Stärken und seine Position. Nur mit Diversität und individuellen Talenten kann ein Team konkurrenzfähig sein.
Wir hoffen sehr, dass unser Projekt einen kleinen Beitrag leisten konnte, um Mauern einzureißen, Vorurteile aufzuweichen und einen unabhängigen Blick auf die Einzelschicksale zu ermöglichen. Uns ganz persönlich haben die Menschen sehr bewegt. Ihre Offenheit, ihr Wunsch, sich mitzuteilen, sich zu erklären und das ein oder andere Trauma los zu werden. Diese Geschichten und Traumata, die zum Teil zu grausam waren, sie zu veröffentlichen, werden uns für den Rest unseres Lebens begleiten und haben auch uns ganz klare Positionen in dieser Diskussion ermöglicht: einem Menschen Hilfe zuteilwerden lassen, ist IMMER das Richtige.
Danke an alle, die dieses Projekt ermöglicht haben: den Jungs und Mädels von FYFF, Tjeerd, Alessandro und Bonette von MAGIC Group Media in Amsterdam, Christian vom Poolhouse Nürnberg, Markus, Mario, Haris und Dylan von rent4office Nürnberg, Christian Mätzi Märxler vom Amt für Integration und Existenzsicherung, Alex von Keepers and Cooks, Oliver Pohlmann für die Hilfe bei den Shootings und allen freiwilligen Helfern und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Und natürlich den Herrschaften von CURT, die uns nicht nur eine Plattform gaben und uns unterstützten, sondern als Medium auch Flagge zeigen!
Wir hoffen, Euch das Projekt in naher Zukunft nochmals gesammelt als Ausstellung präsentieren zu können – die Planungen dafür laufen bereits.
Thomas Bönig
WEBSITE: Hier bin ich Mensch
THOMAS BÖNIG
Fotograf
Ob mit der Leica in Bosnien, in einem New Yorker Hinterhof oder im grellen Licht des Studios – Thomas Bönig fotografiert immer mit einem klaren Motiv: Er zeichnet eine Stimmung und komponiert daraus ein Bild.
thomasboenig.com
JOHANNES MODI
Autor
Blogger Johannes Modi beschäftigt sich mit dem Zwischenmenschlichen. Beziehungen, Konflikte und Emotionen mit einer Prise Ironie und Selbstkritik sind die Zutaten für seine literarische Speisekarte.
herrschaftsseiten.com
MARTIN PEICHERT
Kameramann
Martin, als langjähriger Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk, folgt dem Projekt mit seinen bewegten Bildern. Seine Erfahrung und technische Präzision garantieren eine hervorragende Dokumentation.
#Flüchtlinge, #Mensch, #Reportage