Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Thilo Westermann
#Andreas Radlmaier, #Interview, #Kunst
... Künstler und neuer Träger des Nürnberger Kulturpreises. Seine Bilderwelt ist schwarzweiß und nicht bunt, seine Arbeitsweise verweist eher in eine Klosterschreibstube als auf den Catwalk. Fotos zeigen Thilo Westermann gerne hoch konzentriert und in sich versunken, wenn er seine floralen Stillleben in wochenlangen Prozessen auf eine kleine Glasscheibe tupft. Punkt für Punkt – Pointilismus im 21. Jahrhundert. Dennoch hat Thilo Westermann 2015 für internationales Aufsehen gesorgt, weil das Münchner Edel-Label Escada aus seinen Blüten seine Damen-Kollektion schneiderte und den Nürnberger Maler damit in die Modewelt zwischen New York und Tokio katapultierte. Am 23. November erhält Westermann in der Tafelhalle einen der Nürnberger Kulturpreise.
A.R.: Herr Westermann, kommt dieses Kultur-Stipendium für Sie zur rechten Zeit? Oder zu spät?
THILO WESTERMANN: Genau richtig.
A.R.: Sind Sie überhaupt interessiert an solchen Ehrungen?
THILO WESTERMANN: Na, das schmeichelt doch jedem! Wenn man den ganzen Tag vor sich hin arbeitet, ist es wunderbar von Zeit zu Zeit zu sehen, dass die Menschen meine Bildsprache überhaupt verstehen.
A.R.: Genügt es Ihnen nicht, wenn jemand sagt: Wow, ist das ein tolles Bild!
THILO WESTERMANN: Genau das will ich brechen, diese Vorstellung von Schönheit. Mit meinen Bildern, die ich unter der Genrebezeichnung „Vanitas“ fasse, will ich diesen Schönheitsbegriff befragen. Ich male die Blumen in voller Blüte, wie Models für Hochglanz-Magazine von ihrer besten Seite fotografiert werden. Aber nach dieser Blüte kommt der Verfall. Ich versuche in den Kleinformaten die Annäherung ans perfekte Bild. Wenn man jedoch reinzoomt – und deshalb lasse ich meine Gemälde scannen und in vergrößertem Maßstab drucken - , zerfällt diese vermeintliche Perfektion. Die Vergrößerung zeigt die Unzulänglichkeiten, die „Fehler“, wenn man so will.
A.R.: Kapiert man das System des Großdrucks nur, wenn man die kleine Malerei kennt?
THILO WESTERMANN: Glaube ich nicht. Die Hinterglasmalerei ist ein Unikat – und der Druck auch. Denn ich lasse bewusst nur einen Abzug pro Malerei produzieren. Natürlich kann man das Konzept als Paket sehen. Aber es funktioniert auch alleine. Die Malerei lässt sich mit der Lupe betrachten, bis man die einzelnen Punkte sieht. Wenn man umgekehrt beim Druck weiter weg geht, schrumpft das Motiv auf eine ähnliche Ausgangsgröße. Jedes Bild hat also seine eigene Berechtigung, aber es ist nicht dasselbe. Malerei ist ein anderes Medium als Fotografie, insofern gibt der Druck nochmals wesentlich mehr Informationen an den Betrachter weiter. Das System ist nicht austauschbar. Und das reizt mich.
A.R.: Finden Sie es eigentlich merkwürdig, mit der tragbaren Variante der eigenen Kunst, also den Escada-Klamotten, viel mehr Aufmerksamkeit zu erringen als vorher mit ihren Bildern?
THILO WESTERMANN: Überhaupt nicht. Dadurch, dass die Kollektion in hoher Auflage produziert und weltweit vertrieben wurde, ist es nur logisch, dass die Kleidung für viel mehr Menschen zugänglich war als meine Bilder.
A.R.: Haben Sie selber eine Sehnsucht nach Style und Mode?
THILO WESTERMANN: Ich finde das interessant. Nicht, dass ich Schnitte und Materialien toll fände, eher fasziniert mich dieser Präsentationsmodus der Modebranche, also die Metaebene, diese glamouröse Aufmachung, die Sehgewohnheiten der Magazine, das Generieren von Werten und Sehnsüchten.
A.R.: Könnte es Westermann-Motive auch für Männer geben?
THILO WESTERMANN: Warum nicht? Wenn’s zu meinem Konzept passt.
A.R.: Ihr persönliches Resümee nach Ihrer Erstbegegnung mit dieser narzisstischen Schaufenster-Welt?
THILO WESTERMANN: Kunst ist doch auch irgendwie narzisstisch, beschäftigt sich mit ihrer Wirkung aufs Umfeld. Escada bedeutete für mich eine wunderbare Gelegenheit, direkt in die Produzentenwelt der Luxusmode einzutauchen. Das war aufwändig und zeitraubend, weil es nicht um Übertragung des Copyrights ging, sondern um eine wirkliche Zusammenarbeit. Ich bin folglich froh, wieder in meinem Kämmerchen zu sitzen und mich mit meiner Malerei, mit meinen Motiven zu beschäftigen.
A.R.: Das heißt, Sie haben nicht Blut geleckt und machen nur noch in Mode?
THILO WESTERMANN: „Nur noch“ auf keinen Fall, aber ich würde es sofort wieder tun.
A.R.: Und: Hat schon jemand angefragt, Prada, Lagerfeld, Armani?
THILO WESTERMANN: Es gab eine Anfrage. Es ist ja aber auch schick seit ein paar Jahren, dass Mode und Kunst näher aufeinander eingehen.
A.R.: Wird man da von den Maler-Kollegen eigentlich als Modefuzzi belächelt?
THILO WESTERMANN: Wer Blumen malt und Hinterglasmalerei druckt, ist …
A.R: … unten durch, ich verstehe.
THILO WESTERMANN: Sagen wir’s mal so: Wer mich als „Blumenmaler“ sieht, dem entgeht, was ich tue. Aber das ist eben das alte Problem, genau hinschauen und überlegen zu müssen.
A.R.: Die Bilder könnten ja auch grobkörnige Schwarzweiß-Fotografien sein.
THILO WESTERMANN: Wären meine Bilder abstrakt, käme vermutlich keiner auf die Idee, sie mit Fotografien zu vergleichen. Interessanterweise wurde anfangs, in den Klassenbesprechungen bei meinem Professor Michael Munding 2002, auch gesagt, diese Bilder könnte man mit Photoshop kreieren. Es gibt aber tatsächlich kein Tool dafür, mit dem man meine per Hand gesteuerte Rasterung ersetzen könnte.
A.R.: Hinterglasmalerei und Blumenstillleben gelten jedenfalls als wenig sexy…
THILO WESTERMANN: Jetzt schon (lacht)…
A.R.: Gut, aber in der Zeit davor: Verweigern Sie sich dem Zeitgeist?
THILO WESTERMANN: Obgleich meine Arbeitsweise oft als altmeisterlich bezeichnet wird, bin ich doch Künstler im Hier und Jetzt.
A.R.: Geht es Ihnen um Sinnestäuschung?
THILO WESTERMANN: Nee, mir geht es darum, dass die Leute genau hinschauen und nachdenken.
A.R.: Wann ist ein Bild perfekt?
THILO WESTERMANN: Beeindruckende Formulierung – in diesem Zusammenhang. Es schließt sich vieles an, wenn man sich in den Künstler versetzt: Schönheitsideale, Körperlichkeit und Materialität.
A.R.: Von außen betrachtet hat Ihre Arbeitsweise so gar nichts zu tun mit der Schnelllebigkeit.
THILO WESTERMANN: Ich lebe auch in dieser Zeit, die angeblich so schnell ist.
A.R.: Sie tüpfeln oder kratzen wochenlang Blüten aus oder in eine präparierte Glasscheibe. Bei mir steigt sofort das Bild einer mittelalterlichen Buchwerkstatt auf.
THILO WESTERMANN: Da gibt es tolle Sachen (lacht).
A.R.: Kann ich bestätigen. Sie wissen, worauf ich hinaus will: Hat Ihr Tun etwas Meditatives, Kontemplatives?
THILO WESTERMANN: Ja klar. Manchmal nervt’s mich schon auch, aber das ist halt meine Herangehensweise, fast jeden Tag über Stunden hinweg die immer selbe Handbewegung des Punktesetzens zu vollziehen. Aber bitte verstehen Sie das nicht im Sinne einer transzendenten Kontemplation oder mönchischen Abwendung von der Welt.
A.R.: Wie muss man sich den Werktag des Thilo Westermann vorstellen? Zehn Stunden über die kleine Scheibe gebeugt?
THILO WESTERMANN: So ungefähr – mal mehr, mal weniger (lacht).
A.R.: Haben Sie einen guten Orthopäden?
THILO WESTERMANN: Noch nicht. Aber ich arbeite an einem höhenverstellbaren Schreibtisch, ich mache Yoga und jogge. Das muss man, wenn man keine harten Drogen zur Schmerzbekämpfung einsetzen will. Ich will nochmals darauf zurückkommen: Besinnung und Sinnlichkeit sind für mich kein Gegensätze.
A.R.: Welche Rolle spielt Zeit?
THILO WESTERMANN: Eine sehr große. Das sieht man den Bildern ja an.
A.R.: Finden Sie?
THILO WESTERMANN: Bei den Buntstift-Zeichnungen auf jeden Fall. Immer derselbe Punkt, der sich manchmal verändert.
A.R.: Aber den Bildern sieht man den langen Entstehungsprozess nicht an. Sie haben auch etwas Leichtes.
THILO WESTERMANN: Ich bestrafe mich ja nicht mit meiner Arbeit. Wenn ich etwas machen muss, was mir zutiefst zuwider ist, spielt der Zeitfaktor natürlich eine ganz wesentliche Rolle. Aber das, was Sie als leicht empfinden, ist genau das, was ich vorhin meinte: Ich möchte mich einer möglichst perfekten gegenständlichen Darstellung annähern. Auch wenn die Gefäße und Blumen meiner Bilder reine Phantasiegebilde sind.
A.R.: Es hat also nichts mit Askese zu tun?
THILO WESTERMANN: Gar nicht. Das Stillleben, die barocke Sinnlichkeit, hat ja auch nichts mit Askese zu tun. Bei mir ist es vielleicht eine gewisse Disziplinierung.
A.R.: Parallel zur Nürnberger Kunstakademie haben Sie Kunstgeschichte und Medienphilosophie studiert. War Ihnen die Malerei nicht genug?
THILO WESTERMANN: Mich hat immer auch die Theorie interessiert. Ich wollte die Kunst einer bestimmten Zeit greifen können. Auch war die Theorie für mich insofern essentiell, um meine eigene Bildsprache zu schleifen.
A.R.: Gibt es Vorbilder?
THILO WESTERMANN: Es gibt Leute, die mich inspirierten. Jeff Koons etwa mit seiner Hochglanz-Ästhetik. Aber das hat mich eine Weile auch gelähmt.
A.R.: Wie löst man sich daraus?
THILO WESTERMANN: Indem man mal Joggen geht, bis man den Schwindel bekommt, sich hinsetzt und weiter an seinen Bildern arbeitet. Also einfach mal überlegt: Warum interessiert mich das? Wieso mache ich meine Arbeit so und nicht anders?
A.R.: Warum sind Sie denn in der Botanik gelandet?
THILO WESTERMANN: Ich fand Pflanzen immer toll. Weil sie immer etwas Zerbrechliches oder Kostbares sind, ein Gegenüber, das sich entfaltet und verändert.
A.R.: Sind Sie in Weiden im Grünen aufgewachsen?
THILO WESTERMANN: Ja, ich bin in einem Haus mit großen Garten groß geworden, da gab es immer Blumen. Ich hatte auch mein eigenes Beet.
A.R.: Warum haben Sie trotz hartnäckiger Faszination dann nicht Botanik studiert?
THILO WESTERMANN: Botanik als Fach finde ich langweilig. Die Stiche mit den Pflanzenabbildungen zum Beispiel haben für mich auch keinen Zauber. Klar muss ich für meine Bilder grob den Aufbau bestimmter Blumengattungen kennen, um eine Blüte so zu malen, dass sie „wie echt“ aussieht. Dabei geht es aber viel mehr um Schönheit als um exaktes Fachwissen.
A.R.: Kann es sein, dass Thilo Westermann in einigen Jahren komplett in Farbe badet und wandfüllende Geschichten in seinen Bildern erzählt?
THILO WESTERMANN: Die Hinterglasmalerei habe ich ja farbig begonnen. 2004 habe ich mich entschieden, nur noch Schwarzweiß zu arbeiten, weil die Künstlichkeit besser betont wird, dieses Weg-von-der-Welt.
A.R.: Aber ist es für Sie denkbar, den Pointilismus eines Tages gegen den breiten Pinsel zu tauschen?
THILO WESTERMANN: Nee.
A.R.: Sie sind nach Ihrem Studium hier in Nürnberg geblieben. Warum?
THILO WESTERMANN: Ist doch schön hier.
A.R.: Also ist die Kunststadt Nürnberg besser als ihr Ruf?
THILO WESTERMANN: Nürnberg redet sich gerne klein, muss sich aber nicht verstecken. Leipzig liegt halt nur näher an Berlin. Heutzutage ist es doch völlig wurschd, wo man arbeitet.
A.R.: Wo laden Sie dann Ihre Kreativbatterien auf?
THILO WESTERMANN: Bei mir im Studio, in der Natur oder in der Bibliothek.
A.R.: Sie brauchen kein Inspirations-Hullygully?
THILO WESTERMANN: Nein, als Künstler „funktioniere“ ich am besten, wenn ich in Ruhe an meiner „Welt“ bauen kann. Vernissagen-Hopping und Hipster-Meetings sind da eher hinderlich.
A.R.: Wo und wie entsteht dann gute Kunst?
THILO WESTERMANN: Indem man sich hinhockt und überlegt. Irgendetwas sollte einen ja bewegen, diesen Weg zu gehen. Nur ein Bruchteil der Künstler wird erfolgreich wie Jeff Koons.
A.R.: Was treibt Sie an?
THILO WESTERMANN: Ich kann nichts Anderes (lacht). Ok, im Prinzip hätte ich schon andere „Qualifikationen“ wie Staatsexamen und Promotion. Vielleicht sollte ich es so sagen: Ich kann nicht anders.
FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. www.cris-c.de
FÜR NÜRNBERG: THILO WESTERMANN
Thilo Westermann ist Theoretiker und Praktiker. 1980 in Weiden geboren, studierte er Kunstgeschichte, Medienphilosophie und Malerei, war zudem Meisterschüler von Michael Munding an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg.
Er hat seine Doktorarbeit über „Die Rezeption der Pan-Mythologie“ geschrieben, in Singapur chinesische Tuschemalerei studiert und war 2014 „artist in residence“ am Himalaya Arts Museum Shanghai. „Escada meets Thilo Westermann“ wurde in New York ebenso präsentiert wie in London, Moskau und Tokio. Am 23. November wird Thilo Westermann in der Tafelhalle mit einem Nürnberger Kultur-Stipendium ausgezeichnet.
FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Andreas Radlmaier und curt stehen seit Jahren beruflich im Kontakt, denn als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist er verantwortlich für oben genannte Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale. Einen Großteil dieser Formate begleitet curt journalistisch.
Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch und Geschichte, Zweites Staatsexamen. Volontariat bei den Nürnberger Nachrichten. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
Wir freuen uns über die Mitarbeit eines ausgewiesenen Kulturexperten - und die monatlichen Interviews!
#Andreas Radlmaier, #Interview, #Kunst