Reportage: Hier bin ich Mensch, #1

MONTAG, 1. JUNI 2015

#Flüchtlinge, #Mensch, #Reportage

Thomas und Johannes haben das Foto-Interview-Projekt „Hier bin ich Mensch“ gestartet: Sie treffen Flüchlinge in den Aufnahmestellen, interviewen sie und laden sie zum Shooting ein. Die Bild- und Wortstrecke wird exklusiv in curt veröffentlicht und startet mit einer jungen
Familie aus Libyen.

curt: Ein tolles Projekt – und v.a. eine Eigeninitiative. Wie kam es dazu? Was sind die Beweggründe?
Thomas: Danke! Ich hatte angefangen über ein Projekt nachzudenken, als die ersten Flüchtlinge im ehemaligen Möbel Höffner Gebäude untergebracht wurden. Leider hat mir zu diesem Zeitpunkt sowohl der Zugang als auch die Zeit gefehlt. Als dann in Vorra das Heim gebrannt hat habe ich mich mit Johannes darüber unterhalten. Wir haben uns furchtbar aufgeregt und sind dann zu dem Schluss gekommen dass uns das zu örtlich gesehen einfach zu nahe kommt – das man was tun muss. Und Johannes hatte dann Kontakt zu Mäzi – das war genau der Mann der uns den Zugang ermöglichen konnte. Und dann ging´s auch schon los.
Für mich sind diese Projekte ein Ausgleich zu dem Bereich der Fotografie (People/ Portrait) mit der ich mein Geld verdiene. Was beide Bereiche gemeinsam haben ist die Arbeit mit Menschen.
 
curt: Woher kennt Ihr Euch (Du, Johannes). Betretet Ihr hier neues Terrain?
Thomas: Johannes und ich kennen uns schon ein paar Jahre. Er schreibt selbst einen kleinen Blog. Wir sind gut befreundet und teilen vor allem die Abneigung gegen Rechts und intolerante Menschen. Die letzten Monate haben ja gezeigt dass es sehr viele davon gibt. Die ganze Pegida/Nügida-Präsenz zeigt dass wie aktuell das Ganze ist – und jeder von uns hat halt sein eigenes Mittel um seine Meinung zu vertreten. Er das Wort und ich das Bild.
Persönlich und fotografisch gesehen ist es kein neues Terrain. Ich habe in den letzten Jahren zwei Projekte mit Leica Camera gemacht, die sich beide mit Menschen, Persönlichkeiten und der Fremde beschäftigt haben. Neu ist für mich aber die Aktualität – mein letztes Projekt in Bosnien hat sich ja eher mit der Überwindung des Kriegstraumas beschäftigt. Da war es schwieriger einen Bezug zu heute aufzuzeigen.
 
curt: Wo musste man ansetzen und was waren die Hürden, die es zu überwinden gab?
Thomas: Die größte Hürde war wohl der Zugang zu den Flüchtlingen. Wir arbeiten in einem sehr sensiblen Feld. Bevor Johannes den direkten Kontakt zu Mäzi hatte bin ich bei den Ämtern erstmal gegen Wände gelaufen. Es ist nicht so dass grundsätzliche Ablehnung gegen das Projekt bestanden hätte. Aber man hat halt nie den ans Ohr bekommen der zuständig war oder sich zuständig fühlte. Mir ist klar geworden dass die Ämter an diesen Stellen (Asylbüro) unterbesetzt sind und ein enormes Arbeitspensum bewältigen müssen. Dann kamen noch die Pressestellen der jeweiligen Einrichtungsbetreiber dazu, die ja auch informiert werden mussten. Und deren Zustimmung wir ebenfalls brauchten. Was mich etwas frustriert hat war die eher resignierte Reaktion von Institutionen in Nürnberg die sich mit Menschenrechten befassen. Das war ein eher frustrierendes Telefonat. Man muss hier dazusagen dass es nicht um finanzielle Mittel ging – wir arbeiten alle pro bono und bezahlen aus eigener Tasche. Es ging um Unterstützung in Form von Kontakten zu Medien, zu Einrichtungen, zu Dienstleistern. Auf das Angebot bei einer Ausstellung die Eröffnungsrede zu halten konnten wir dann aber auch verzichten. Ich bin niemandem böse – am Ende hat´s ja geklappt. Auch ohne offiziellen Support.
 
curt: So ein Projekt braucht viel Unterstützung und Engagement. Wer wirkt hier mit, um das zu ermöglichen?
Thomas: Ohne Hilfe geht es nicht. Und wir haben das Glück mit tollen Leuten zu arbeiten, die alle sofort von der Idee begeistert waren. Die Agentur „FYFF“ mit der ich auch schon das Bosnien-Projekt gemacht habe, hat das Design und die Webseite geliefert – da braucht es auch kaum noch Abstimmung. Die Jungs und Mädels verstehen, was ich will, bringen ihren eigenen kreativen Aspekt rein und setzen es um. Meine Postproduktionsfirma „Magic Group Media“ in Amsterdam hat den Bildern einen tollen Look verpasst. Da findet viel Kommunikation statt und die setzen sich auch sehr intensiv mit der Idee und der Stimmung der Bilder auseinander. Christian Wirth von den „Poolhouse“ Studios in Nürnberg ist ein guter Freund von mir und stellt uns kostenlos seine Studioräume zur Verfügung, hilft bei der Produktion aus ... und mit dem ein oder anderen Espresso. Und an den Shooting-Tagen versorgt uns Alex von „Keepers and Cooks“ Catering mit Essen – das freut uns natürlich. Hungrig arbeiten ist ermüdend. Ohne diese Unterstützung in jeglicher Form lässt sich so ein Projekt nicht umsetzen. Wir sind darauf angewiesen, dass uns Leute unterstützen und suchen natürlich auch weiterhin nach Menschen, die helfen wollen. Da sind verschiedenste offene Posten, gerade in den Bereichen Druck und Publikation.
 
curt: Der Anfang ist gemacht, die Serie in curt startet mit dieser Ausgabe. Wie geht es weiter?
Thomas: Ja, toll dass es endlich los geht! Wir führen weiterhin Interviews und wollen die Reihe im Curt weiter führen. Es wäre natürlich schön, wenn das ganze Projekt mal den Sprung vom Regionalen zum Überregionalen schafft. Vielleicht können wir andere Städte für diese Art der „Aufklärung“ begeistern.
Trotzdem ist es erstmal toll, dass ihr (Curt) so an das Projekt glaubt und uns eine  Plattform bietet.
 
curt: Wird es eine finale Ausstellung oä geben, um die gesammelten Portraits und Geschichten erleben zu können?
Thomas: Die ursprüngliche Idee war eine Außenausstellung auf der Straße der Menschenrechte oder dem Kornmarkt, weil wir glauben, dass der Platz genau der richtige ist. Die Idee ist noch nicht ganz vom Tisch – allerdings bedarf es hier einfach noch mehr Planung und Kommunikation mit der Stadt. Parallel zu der Ausstellung, wo auch immer sie dann stattfindet, planen wir ein Buch mit den gesammelten Bildern und Texten. Sowohl bei der Ausstellung, als auch beim Buchdruck, stellt sich allerdings die Frage, wie das finanziert werden soll. Hier brauchen wir definitiv Hilfe. Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir nichts daran verdienen wollen – mit den Büchern und einer etwaigen Versteigerung der Bilder wollen wir Geld für integrative Zwecke sammeln. Das kann von extra Deutschkursen, über Kinderbetreuung bis hin zu Mitgliedschaften in Sportvereinen reichen.
 
curt: Was habt Ihr gelernt? Über den Umgang mit Behörden? Mit Menschen? Über Flüchtlinge?
Thomas: Dass das Thema Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik ein sehr, sehr sensibles ist. Dass viel schief läuft in der Art und Weise, wie die Bundesrepublik dieses Thema anpackt. Die Tatsache, dass Militäreinsätze gegen Schleuserbanden angedacht sind, halte ich nicht nur für gefährlich, sondern sogar für menschenrechtlich bedenklich. Das hilft niemandem – sondern kriminalisiert letztendlich auch die Flüchtlinge, deren einziger Ausweg es ist, in einer Nussschale übers Meer zu paddeln. Es sind doch nicht die Schleuser, die die Menschen auf die Boote treiben. Es ist die Situation, dass sie keinen offiziellen Weg nach Europa finden, dass es keinen Schulterschluss in Europa gibt, den Flüchtenden zu helfen – auch wenn das so dargestellt wird. Ich will gar nicht darüber nachdenken, was Militäreinsätze den Steuerzahler kosten werden – Geld, das in Integration, Bildung und die Umstrukturierung des Asylwesens investiert werden könnte. Wir wollen mit dem Projekt eigentlich nicht politisch werden – ich sehe mich eher als Dokumentar. Ich zeige, was ich sehe und fühle – in den Flüchtlingen und in der Situation. An dieser Stelle das Schicksal des Einzelnen. Und für den Einzelnen sieht es eben sehr finster aus. Das bestimmt mein Denken und mein Arbeiten.
Wir möchten hier auch keiner Behörde den schwarzen Peter zu schieben. Die sind ja auch abhängig von ihren Vorgaben.
 
curt: Wie sehr belasten die Gespräche und die Schicksale, die Ihr kennengelernt habt?
Thomas: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass man einen professionellen Abstand dazu waren könnte. Man merkt, wie sehr die Medien das Thema verallgemeinern und wie schlimm die Situation für die Flüchtlinge eigentlich ist. Das nimmt einen mit. Nach den ersten Gesprächen saßen Johannes und ich oft schweigend im Auto, erstmal unfähig zu ordnen, was wir gehört haben. Es sind lange Gespräche, die wir mit den Flüchtlingen führen – zum Teil mehrfach. Wir sind ja darauf angewiesen, dass sie erzählen. Und dazu gehört Vertrauen. Manchmal fallen fast unmerklich Sätze, die unfassbar wichtig für die Betroffenen sind. Wie Joumard, der nebenbei fallen lässt, dass er auf einer Demonstration in Damaskus gesehen hat, wie Regierungstruppen, versteckt in Krankenwägen, um möglichst nahe an die Demonstrierenden ran zu kommen, die Türen der Fahrzeuge aufreißen und blind in die Menschenmassen feuern.
Wir müssen uns das ja nur anhören, diese Menschen haben es durchlebt. Und so versuchen wir eben,  damit umzugehen und uns davon zu motivieren, das Projekt so gut wie möglich umzusetzen – und damit mehr Akzeptanz zu schaffen. Und wir halten es für essenziell wichtig darüber zu reden, es publik zu machen. Niemand verlässt freiwillig seine Heimat. Ich stelle mir oft die Frage, was passieren müsste, damit ich mein zu Hause, meine Familie und Freunde verlasse. Und der Gedanke daran gefällt mir nicht. Es müsste die Hölle sein.
Aber wir ziehen auch viel Positives aus den Gesprächen. Ungebrochener Lebenswille, Hoffnung, Ehrgeiz und eine positive Einstellung zum Leben. Das sind auch Eigenschaften, die wir antreffen. Sogar häufiger als Verzweiflung – der Wille, es zu schaffen und dankbar zu sein für ein neues Leben und die Hilfe, die man bekommt. Das haben wir eigentlich in allen Flüchtlingen gefunden.
 
curt:  Was soll sich verändern?
Thomas: Ich denke, es muss ein Umdenken stattfinden. Dort, wo das Internet die Welt zusammengebracht hat, haben die Menschen versäumt, auch zusammenzurücken. Wir müssen wieder mehr Wert auf Menschlichkeit und die Auseinandersetzung miteinander legen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Menschen glauben, Integration sei Aufgabe des Staates und seiner Organe. Das stimmt nicht. Integration ist für mich die Summe der Akzeptanz, die eine Bevölkerung an den Tag legt. Die Mittel, die der Staat zur Verfügung hat um Akzeptanz zu schaffen, sind natürlich genauso wichtig, aber begrenzt. Wir, die Menschen, müssen integrieren, uns anfreunden und verstehen lernen. Das ist unser Job, nicht der der Bundesregierung. Aber dafür bedarf es einfach Zeit, Interesse und Verständnis.
 
curt: Wie kann jeder Einzelne was verbessern?
Thomas: Wie eben schon gesagt – man muss aufeinander zu gehen, den Menschen sehen und nicht seine Herkunft, Religion oder Hautfarbe. Das kann jeder Einzelne tun – hier geht es nicht um Spenden oder soziale Arbeit, die natürlich auch wichtige Aspekte sind. Es geht um eine persönliche Beziehung zu den Menschen. Das ist im Übrigen nicht nur bei Flüchtlingen hilfreich, sondern auch im Umgang mit der eigenen Familie oder Freunden. Man muss sich bewusst sein, dass man das Leben einiger Menschen schon durch ein nettes Wort, etwas Zeit für denjenigen und Verständnis ein großes Stück besser machen kann, verändern kann. Für Menschen, die es schwer hatten, macht es alles erträglicher. Und so wird, denke ich, die Welt ein kleines Stückchen besser – erst die kleine Welt des Einzelnen und am Ende damit die Welt, die wir uns alle teilen.
 
curt: Wenn man helfen will – habt Ihr Tipps dazu?
Thomas: Hier sind eigentlich die üblichen Anlaufstellen erstmal hilfreich (Stadt, Hilfsorganisationen). Spendenaufrufen folgen und sich vielleicht, anstatt nur seine Altkleidersäcke abzugeben, auch einfach mal zum Kleidersortieren einteilen lassen. Wenn jemand Fragen hat kann er sich auch gerne bei uns melden – es gibt unzählige Möglichkeiten, um zu helfen. Sich zu informieren, wo was gebraucht wird, ist der erste Schritt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es häufig an Übersetzern fehlt, die die Flüchtlinge bei Arzt und Ämtergängen unterstützen. Gerade arabisch und afrikanisch sprechende Menschen könnten hier helfen.
 
curt: Welche zentrale Botschaft wollt Ihr den Menschen mitgeben?
Thomas: Jeder Mensch hat verdient, gehört und gesehen zu werden. Bei Verallgemeinerung fängt Diskriminierung an. Wir brauchen mehr Menschlichkeit und Austausch untereinander – alles andere steht, glaube ich, oben bereits geschrieben.


WEBSITE: Hier bin ich Mensch

THOMAS BÖNIG
Fotograf
Ob mit der Leica in Bosnien, in einem New Yorker Hinterhof oder im grellen Licht des Studios – Thomas Bönig fotografiert immer mit einem klaren Motiv: Er zeichnet eine Stimmung und komponiert daraus ein Bild.
thomasboenig.com

JOHANNES MODI
Autor
Blogger Johannes Modi beschäftigt sich mit dem Zwischenmenschlichen. Beziehungen, Konflikte und Emotionen mit einer Prise Ironie und Selbstkritik sind die Zutaten für seine literarische Speisekarte.
herrschaftsseiten.com

MARTIN PEICHERT
Kameramann
Martin, als langjähriger Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk, folgt dem Projekt mit seinen bewegten Bildern. Seine Erfahrung und technische Präzision garantieren eine hervorragende Dokumentation.




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#Flüchtlinge, #Mensch, #Reportage

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