So war: Egersdörfer und Artverwandte #14

DIENSTAG, 21. APRIL 2015

#Bird Berlin, #Comedy, #CURT präsentiert, #Egersdörfer, #Natalie de Ligt

Die erste Show nach dem großen Debut beim Tatort: Ist er nach dem gewaltigen Medien-Echo noch der selbe Egers wie zuvor? Kann er überhaupt noch Fränkisch? Und granteln? Theo O.J. Fuchs war vor Ort und hat die wichtigsten Antworten für Euch!

Parawong!

Alles hat zwei Seiten, ziemlich exakt genauso wie das Spiegelei. Zum Beispiel der große Saal im schönen KOMM in Nürnberg, der wo ganz wunderherzlich gemütlich ist. Denn so schön, so zu klein ist er halt, wenn ein Tatort-Superstar auftritt und bis zum hinterletzten Heizkörper alle Sitzplätze voll gesessen sind. So nämlich.

Oder der Sonnenschein, der leider all die Zombies aus ihren modrigen Löchern zerrt, andererseits dem Egersdörfer tierisch auf den Nerv fällt, so dass er vom Sofa kullert und zu neuen Ufern aufbricht. Ohne Rollkoffer. Weil entsetzliches Geräusch und keine Mühe. Erdrosselte Frauen, Stoffbären oder den gelben Sack hinter sich herschleppen – kein Problem. Aber das Leben ganz bequem und auf lärmenden Röllchen? Nein, sagt da Meister E., der vielseitige.

Ebenso plurilateral der 1. Nürnberger Seemanns-Chor, der zum Teil ein Fürther Kennzeichen fuhr und ganz ausgezeichnet sang, wenngleich wiederholt offenbar wurde, dass auch in Franken nicht hinter jedem Schlehengestrüpp ein verstecktes Operntalent hockt. Die Musik des Abends war hochniveaumäßig wie schon lange nicht mehr. Ausnahmslos alles ganz exquisite Künstler, mit Tuba, Klavier und Matrosenanzug. Michael Schatz ... äh, 'tschuldigung, Matthias Egersdörfer bewies erneut sein fein kalibriertes Händchen beim Einladen. Sogar bei der Rotte singender Seebären.

Denn ich könnte zwar sagen: deren Pointen waren so alt, dass sie nicht mehr nur verstaubt, sondern nur noch bröckelige Hohlformen längst dahin geschiedenen Humors waren, wie die Hohlkörper, die man unter der Asche in Pompeij fand, mit nicht einmal einem Kadaver darin. Immerhin ein hochinteressanter Blick in ferne Vergangenheiten des heiteren Liedgutes. Und vielleicht bin ich auch zu genäschig, denke ich manchmal, quasi meine zweite Seite, dass mir das Auftreten des Chors abseits vom Singen  drei oder vier Faden zu effektheischerisch und selbstgefällig war. Naja, halb so wild.

Ein paar der Seemänner hat es dann aber doch ganz schön die Visage verrissen, als Ahmet Iscitürk aus Gostenhof auftrat, ein Spitzenmann, wo man sich frägt, wo der sich so lange versteckt hat, anstatt auf der Bühne wie eine angestochene Sau hin und her zu galoppieren und einen kleinasiatischen Böller nach dem anderen zu zünden. Ohne Schonung sich steigernd bis zum brillanten Höhepunkt, wenn er, in dem Moment, wo er seinen neuen Pass in der Hand hält, die eigene Verwandlung in ein spießerdeutsches Arschloch beobachtet. Die Räumungsklage auf dem Bauch der Schwangeren wird wohl in den ewigen Kanon des
geschmacklosen Brutalscherzes eingehen. Ungefähr so wie der Strauß in die Walhalla – womit kürzlich das Söder dem Vernehmen nach vorschlägig wurde. Aber na gut.

Und apropos Bauch: erstmals entgleist sind dem Chor die Gesichtszüge gleich zu Beginn, als die elfigste Nummernbraut des Kontinents herein getänzelt kam. Bird Berlin, der bärtige Bewohner eines Baumkörpers. Bzw. Traum-. Sein Bauarbeiter-Dekolleté erregte Aufmerksamkeit, nach hinten freilich. Wie dem auch immer sei, Bird! Flieg vorsichtig nach London und pass dort gut auf Dich auf! Unsere Herzen brauchen Dich, so schön und gemütserwärmend wie Du bist, und Deinen engelsgleichen Gesang, Du Amseldrosselstar!

Überhaupt - ein Lob auf die Handwerker, die 1835 so um die Tuba herum gleich noch die Bühne im großen Festsaal bauten, denn die selbige hielt. Und das, obwohl anno dunnemals sicherlich nicht absehbar war, dass beim Egersdörfer von Vorstellung zu Vorstellung ein dicker Mann mehr auf die Bühne gebeten würde, eine ganz prachtvolle Parade der Bäuche war das, inmitten derer selbst Matthias "öffentlich-rechtlich" Egersd. wie Schmalhans wirkt. Fein!

Einer, den der kundige Verwandschaftskundler nach der Pause nicht mehr erwartet hätte, stieg freilich dann doch noch herab aus größter Höhe zum Plebs im Saal und ward Gott. Und wie alle Götter hat dieser unserer zwei Seiten, nämlich vorne und hinten. Vorne Hosenträger, hinten langes Haargestrüpp auf dem göttlich gerundeten Kopf, aus dem es wunderbar heraus menetekelte, von einer Bahn, einem Wind und einem bodenlosen Fass, dass vollgekotzt wird, wenn Philipp Balthasar Moll (so Gottes bürgerlicher Name) an die pickeligen Analfisteln von der Pegida-Vollarschfraktion denken muss. Bravo!

Matthias Reuter spielte Klavier, als hätte er es bei Udo Jürgens gelernt, er singt bravourös, bringt musikalisches Kabarett so felsengrundsolide, dass sich überhaupt nichts fehlt. Seine Zweitseite? Ich fand, dass er auffallend intensiv von schreienden Kindern, Kindergeburtstagen und Kinder erschreckenden Kinderbuchbild-Afrikanern räsonierte. Spricht da der Bub in ihm heraus aus ihm? Falls ja: her damit!

Zwischendrinne zum zweiten Male der Meister, im Überschwang des Depressiven-Bäschings die stets in darmverknotender Schauerlichkeit gewandete Carmen anschreiend, dass der Saal atmosphärisch gar herzerregend überschlägt. Sozialanalytik der Sonderklasse. Jepp.

Andreas Martin Hofmeir, der sprechende Tubist, wiederum, der sollte haargenauso weiter machen, wie er jetzt macht: im Niederbayrischen Urwald-Slang, der anheimelnd poltisch klingt, mit aberwitzig miserabler Lyrik, protzend mit der brillanten Beherrschung seines Instruments – solo großartig, ob mit acht Tönen oder mit dem dänisches Scherzo „Egersdörfer“ in Schräg-Moll. Der Diamant unter den Perlen war freilich sein Duett mit vorgenanntem Reuter. Ich vermisste nur noch eine Zigarre im Mundwinkel, während es Dukaten der Euphorie regnete. Oder so.

Der gespielte Witz der Höhepunkt und so grottenschlecht, als penetrierte eine ranzige Bockwurst einen faulen Kürbis. So brunzschlecht, dass nur extravagante Saubeutel im Saale die Schweinischkeit bemerkten. Das nächste Mal bitte mit Gurke, Frau Schulz, und: Danke!

Die nächsten Artverwandten im Mai dann, vor der maßlos in die Länge gestreckten Sommerpause. Alles hat zwei Seiten, auch diese Kritik, die jetzt plötzlich wieder um ist.

[Theobald O.J. Fuchs]




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