Im Gespräch mit: Oliver Haffner

FREITAG, 31. OKTOBER 2014

#curt München, #Film, #Interview, #Kino, #Regisseur

Eine gescheiterte Schauspielerin, die anderen Arbeitslosen Unterricht geben soll – das kann ja heiter werden. „Ein Geschenk der Götter“ ist trotz des ernsten Themas tatsächlich eine sehr unterhaltsame Komödie ist. Regisseur und Drehbuchautor Oliver Haffner über seinen Film.

Wie bis du zum Filmgeschäft gekommen? Du wolltest ursprünglich ja was anderes machen.
Oliver Haffner: Stimmt, ursprünglich habe ich Politikwissenschaften in München studiert, hab das aber früh abgebrochen und stattdessen Theaterregie am Max Reinhardt Seminar in Wien angefangen. Danach hab ich an verschiedenen Stadttheatern inszeniert, hab daneben aber immer so eigenen kleine Filmchen gedreht – was ich übrigens auch schon zu meiner Schulzeit gemacht habe. Mit Mitte zwanzig wollte ich diese langjährige Liebe zum Film ins Zentrum meiner Arbeit rücken, hab mich an der Filmhochschule München beworben und wurde genommen, bin aber weiterhin zweigleisig gefahren – also Film und Theater. Nach Studienende hab ich mich dann auf den Film konzentriert, aber das Theater blieb und bleibt auch weiterhin eine Leidenschaft von mir. Daher kenne ich auch diese Betriebe und ihre Strukturen ganz gut. Das sind also schon auch eigene Erfahrungen aus dem Theaterleben, die in „Ein Geschenk der Götter“ einfließen.
Durchaus.

Wie siehst du denn die derzeitige Situation des Theaters? Man hört ja immer wieder, dass es so nicht überlebensfähig ist – ohne Hilfe von außen.
OH: So wie das Theater in Deutschland strukturiert ist, ist es natürlich überhaupt nicht überlebensfähig ohne finanzielle Hilfe von außen. Ich finde es aber dennoch richtig, dass wir subventionierte Theater haben. Die Frage ist nur vielmehr, was denn die eigentliche Aufgabe des Theaters heute sein kann. Jedenfalls ist es falsch nur noch über den wirtschaftlichen Aspekt zu diskutieren, sprich: immer mehr unterhaltsame, publikumstaugliche Dinge auf die Bühne zu bringen, damit der Rubel rollt. Das Theater ist immer ein unbequemer Ort gewesen, der sich dem „Mainstream“ widersetzt hat, der den gesellschaftlichen Außenseiter zum Helden macht, ihn ins Rampenlicht rückt und die vorherrschende gesellschaftliche Meinung in Frage stellt oder ihr zumindest auf intelligente Art und Weise humorvoll den Spiegel vorhält. Im Moment sehe ich eine große Gefahr darin, dass das die Theater, vor allem in der Provinz, nur noch nach dem wirtschaftlichen Sachzwangprinzip agieren und damit ihre eigentliche Aufgabe verspielen. Oder sich eben in den Elfenbeinturm retten – nach dem Motto: Nach mir die Sintflut, noch haben wir ja Geld. Das ist ebenso fahrlässig.

Aber warum klappt das beim Film, dass man gesellschaftskritische Sachen machen kann? Die also nicht nur darauf aus sind zu unterhalten und trotzdem laufen können. Warum funktioniert das beim Theater nicht?
OH: Ich glaube, dass es beim Theater auch funktionieren kann. Ich glaube nur, der Film lässt viele emotional leichter anknüpfen. Man hat im Film nicht eine so große Distanz zu den Leuten auf der Leinwand wie zu Schauspielern auf der Bühne, rein optisch. Man kriecht den Menschen durch Großaufnahmen viel schneller ins Gesicht, ins Hirn und ins Herz. Beim Theater ist der Zuschauer sein eigener Kameramann. Es ist ein aktives, manchmal auch anstrengendes Betrachten und Zuhören. Da hat er es beim Film ein bisschen leichter.

Was könnte man denn beim Theater machen, um mehr jugendliches Publikum anzuziehen?
OH: Ich glaube, die Theater machen schon sehr viel dafür. Wenn ich die meisten Staats-, Stadt- und Landestheater betrachte, was da an Jugendarbeit in den verschiedenen Schülerclubs geleistet wird, aus denen sich ja später auch wieder viele Schauspieler rekrutieren, dann läuft da schon sehr viel. Es wäre nur gut, wenn die Theater davon wegkommen sich als reine Spielbetriebe zu begreifen und sich vielmehr zu zentralen Begegnungsorten in den verschiedenen Städten wandeln würden. Vor allem in der Provinz. Also dass da neben den regulären Vorstellungen auch Konzerte stattfinden, Diskussionsveranstaltungen, Partys, etc. Dass man sich nicht länger auf die ehrwürdige Identität als Musentempel beschränkt. Das wirkt häufig abschreckend, vor allem für junge Menschen. Man sollte sich öffnen und spartenübergreifend arbeiten, die Zusammenarbeit mit lokalen bildenden Künstlern suchen, mit Vereinen, Bands, Bürgerinitiativen vor Ort. Großstädtische Betriebe wie z.B. die Münchner Kammerspiele oder das Maxim Gorki Theater Berlin tun dies ja bereits intensiv, obwohl diese sowieso noch lange weiter existieren werden, weil sie eben die Flaggschiffe des deutschen Kulturbetriebs sind. Aber den kleinen Häusern in der Provinz wird es über kurz oder lang an den Kragen gehen, wenn sich da nichts Gravierendes ändert.

In „Ein Geschenk der Götter“ ist es ja auch so, dass das Schauspiel den Arbeitslosen helfen soll. Was bringt es deiner Meinung nach den kleinen Leuten, selbst einmal etwas zu machen?
OH: Ich würde sagen die Beschäftigung mit einem Stück oder einem Thema, das außerhalb der eigenen Lebensrealität liegt, ist immer bereichernd. Wenn man mit sich und der eigenen Lebenssituation nicht mehr zurechtkommt, dann bringt es häufig auch nichts, wenn man die ganze Zeit nur auf die eigenen unbewältigten Probleme blickt. Man muss den Blick weiten – in die Welt hinein. Das kann unter anderem mit Hilfe von literarischen Texten gelingen, mit Kunst oder Musik, die außerhalb der eigenen Lebensroutine stehen. Ich denke, Kunst sollte die Menschen immer wieder ans Gute glauben lassen. Sie soll ihn nicht einlullen, betäuben, sondern muss ihm die Kraft geben, dass er wie Antigone erkennt: Hier läuft was falsch. Mir geht’s damit nicht gut. Und das liegt nicht nur an mir, wie alle sagen. Darum muss ich etwas gegen die Verhältnisse unternehmen. Eine revolutionäre Ermutigung sozusagen.

Warum hast du für den Film ausgerechnet „Antigone“ genommen?
OH: „Antigone“ ist für mich so eine Art Urtheaterstück, weil es einen Urkonflikt schlechthin verkörpert, den zwischen Individuum und Gesellschaft. Wie agiert ein Individuum, wenn es eine innere Überzeugung hat, die dem gesellschaftlichen Konsens widerspricht? Noch dazu ist es ein antikes griechisches Drama, zweitausend Jahre alt, das uns gleichzeitig an unsere kulturellen Wurzel erinnert – und die liegen ja bekanntlich in Griechenland, das wird ja heute in der populistischen „Sozialschmarotzerdebatte“ gerne vergessen.

Deine Figuren in „Ein Geschenk der Götter“ gehören ja auch zu denen, die man ganz gerne mal vergisst. Denkst du denn, dass man mehr machen müsste für die auf der Strecke gebliebenen?
OH: Ich denke, dass es in Deutschland faktisch einfach immer mehr Leute gibt, die auf der Strecke bleiben. Und ich glaube, dass wir uns wieder mehr öffnen müssen für die Vielfalt der Menschen. Es ist bei uns alles so wahnsinnig gemainstreamt. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Sachzwänge, die Sachzwangpolitik, die ist ja zum eigentlichen Leitbild deutscher Politik geworden. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder mehr darüber sprechen, wie unsere Vision von gesellschaftlichem Zusammenleben aussieht. Es geht mir deshalb nicht nur darum, für Andere, also die Ausgegrenzten, eine Lanze zu brechen. Auch ich selbst fühle mich häufig nicht mehr wohl in so einem Land. Auch ich habe gelegentlich wirtschaftliche Schwierigkeiten, mit dem, was ich mache, über die Runden zu kommen. Ich musste parallel zu meiner Regietätigkeit viele Jahre lang im Kino Eintrittskarten und Popcorn verkaufen. Ich glaube, das Gefühl ausgegrenzt zu sein oder nicht mehr frei in der eigenen Lebensgestaltung zu sein aufgrund wirtschaftlicher Zwänge, dieses beklemmende Lebensgefühl durchdringt die Gesellschaft bereits bis weit in den sogenannten Mittelstand hinein.

Hast du denn selbst auch Angst vor Arbeitslosigkeit? Oder zumindest gehabt?
OH: Eigentlich nie, weil ich immer große Zuversicht hatte, irgendwie über die Runden zu kommen. Verhungern muss bei uns ja zum Glück noch keiner. Ich besitze einen Röhrenfernseher, der ist 15 Jahre alt. Und ich hab ne alte Hi-Fi-Anlage. Ich hab auch kein Auto. Wenn man das als arm bezeichnen würde, okay – dann bin ich arm. Ich empfinde mich aber eigentlich als sehr reich, aufgrund der Freiheit die ich in meinem Beruf genieße. Ich konnte meine Projekte bisher immer so realisieren, wie ich es wollte. Vielleicht nicht finanziell, aber inhaltlich. Und das empfinde ich als unschätzbaren Luxus.

Das Interview führte Oliver Armknecht, curt München.


Oliver Haffner, geboren 1974 in München, studierte zunächst Politikwissenschaften in München, wechselte dann aber ans Wiener Max-Reinhardt-Seminar, um ein Studium der Theaterregie zu absolvieren. Anschließend arbeitete er kurzzeitig als Regieassistent am Wiener Burgtheater, bevor er als freier Regisseur an verschiedenen deutschsprachigen Bühnen, darunter die Wiener Festwochen, das Pfalztheater Kaiserslautern und das Bochumer Schauspielhaus, tätig war. Im Jahr 2000 nahm Haffner ein Studium im Fachbereich Spielfilmregie an der Hochschule für Fernsehen und Film in München auf. Nach mehreren Kurzfilmen legte er 2010 mit "Mein Leben im Off" seinen HFF-Abschlussfilm vor.

 



EIN GESCHENK DER GÖTTER (D, 2014, 102 min.), Arsenal Filmverleih)
Drehbuch und Regie: Oliver Haffner
Produzent: Ingo Fliess
Kamera: Kaspar Kaven
Preise: BR3-Publikumspreis, Förderpreis Neues deutsches Kino "Beste Produktion" - Filmfest München, Prädikat "Besonders wertvoll"
Mit Katharina Marie Schubert, Adam Bousdoukos, Canan Kir , Rick Okon, Paul Faßnacht, Rainer Furch, Maik Solbach, Marion Breckwoldt, Katharina Hauter, Eva Löbau




 




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