So war: Egersdörfer und Artverwandte #7

FREITAG, 23. MAI 2014

#Bird Berlin, #Comedy, #Egersdörfer, #Natalie de Ligt

Lukas Münich krittelt und nörgelt wieder über seinen Spezi, Matthias Egersdörfer, und dessen Auftritt bei seiner Show "Egersdörfer und Artverwandte".

Wer behauptet, öffentliche Äußerungen mit informativem oder kommentierendem Charakter über Urlaub, die Reiseindustrie oder deren Begleiterscheinungen seien dekadent, oberflächlich und sowieso westzentristisch, der hat vielleicht von anderen Dingen Ahnung, doch nur bedingt recht. Denn die anwesenden Artverwandten beehrten das Lieblingsthema des deutschen Prekariats in bald überfließendem Maße mit ihrer Aufmerksamkeit.

Für tropische Stimmung sorgt zu Beginn schon Bird BerlinEin phantasiert da der Zuschauer vor sich hin und nuckelt verträumt an seinem Eistee. Da schießt schon der Gastgeber E. in Animateurenmanier auf die Bühne und reißt den armen Phantasten aus seinem Tagtraum, in welchem, durch wilde Assoziationen aus Bird Berlin und Eistee ein Eisvogel und ein Berlin-Tee geworden sind. Oh, du ungefragt stimulierendes Halbdunkel des Zuschauerraums, verflucht seist du.

Der Animateur jedenfalls erteilt der Frühjahrsmüdigkeit eine Absage und jagt zu diesem Zweck seine devote Bühnenpartnerin Claudia ((Carmen Schulz) oder andersherum) ans Mikrophon, welche auch schon einen Hochgesang über die unbegrenzten Urlaubsmöglichkeiten durch die Existenz von Kreuzfahrtschiffen anstimmt. Auch der sog. Wendler wird genannt in diesem besinnungslosen Sermon über die Eventtourismus-Industrie und als dieser Redefluss in einer zugegebenen diarrhoeischen Erinnerung vom Bayerischen Wald mündet, erfreut man sich gemeinsam am ersten Gast des Abends, nämlich am Philipp, dem Moll.

Jener hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dem Philipp, also sich selbst, und der Restmenschheit die Welt in liebevoll geklöppelten Polemiken zu erklären und tiefste, unerforschte Zusammenhänge aufzudecken, wie zum Beispiel den der Physiognomie natürlichkomischer Tiere (Hummel, Seegurke) mit der Existenz a) des Fichtelgebirges und b) einer Ilse Aigner. Am Ende von Molls „Trimm-Dich-Pfads der Exegese“ wartet auf den Philipp und die Restmenschheit die verblüffend einfache Erklärung: wenn ein Schöpfer, so Moll, derart degeneriert ist, dass er komödiantische Meisterwerke wie die Hummel erfindet, dann braucht man sich über so was wie eine Aigner nicht wundern. So einfach ist die Erklärung. Da klatscht selbst der anwesende Bürgermeister verzückt in die Hände und wundert sich über so viel inkarnierte Schlauheit, wie der Herr Moll halt derer eine ist.

Schlau ist auch Christoph Theussl, der auch Gast ist und sich auszeichnet durch eine blaue Gitarre. Passend dazu hat er einen blauen Stuhl mitgebracht, auf welchem er ganz zurechtgemacht aussieht. Christoph Theussl kommt ursprünglich aus Österreich, das kaschiert er jedoch geschickt durch seinen Hauptwohnsitz München. Dort ist er aktiver Theater- und Filmschauspieler (Helmut Köpping machte ihn 2006 – das war aber noch in Österreich – mit seinem guyritchieesken „Kotsch“ über Nacht zu einem Shootingstar), nebenbei hat er eine Lesebühne mit u.a. Moses Wolff und außerdem ist er unregelmäßig an Poetryslams beteiligt. Theussl wahre Kunst ist jedoch das Liedermachen: fernab vom Austropop-Kitsch kreiert er kleine, größtenteils melancholische Stücke in österreichischer Mundart, die oft leichtfüßig daherkommen und in menschlichen Tragödien enden. Theussl macht die schönste Trigger-Musik für latent Schwermütige die man sich vorstellen kann. Da kann man nur, in Anlehnung an einen Theussl-Titel, sagen: "I muass nett heussl hörn, um depressiv zu weadn".

Diesen Gemütszustand kann man schon erreichen, wenn man aus Versehen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, wie es Käthe Lachmann aus Hamburg passiert ist, deren schärfste Waffe wohl ihr loses Mundwerk ist. Die Sprachcouleur von tragischen Persönlichkeiten, denen man in Zügen beim Siechen zusehen muss, beherrscht Lachmann fast besser als die eigene Zunge. Apropos! Themenwechsel! ZDF! Es wird unheimlich: der Saal ist erfüllt von der unheimlichen Ahnung, Andrea Kiewel könnte jeden Moment erscheinen, vom Schein eines Kohlenfeuers beleuchtet, wie eine böse Abart der Zahnfee, die nicht die alten, losen Zähne abholt sondern den Kindern die gesunden Beißerchen aus den Kiefern bricht, sie sich selbst einsetzt und dann in fremden Zähnen spricht. Keine schöne Vorstellung. Eine gute jedoch ist das, was die Lachmann da abliefert.

Offiziell, informativ und endgültig urlaublich wird es dann noch in der zweiten Hälfte der Show: die Regierung des glorreichen Königreichs Malokko setzt alles darein, den Tourismus im eigenen Land anzukurbeln und schickt einen Diplomaten vor, der dem, was malokkanische Belange an geht, eher ungebildeten Publikum einen Lichtbildvortrag darbietet über Land und Leute und besonders über seinen schönen und gütigen Herrscher Don Juan Campos, eine wirkliche Ausnahmepersönlichkeit, deren Lebensweg jüngst in den Kinofilm „Die pinke Entrückung“ gegossen wurde. Der Vortrag des Diplomaten erzeugt offene Münder beim Publikum, außerdem unwillkürliches Applaudieren und hoffentlich noch eine schöne Summe in den Staatskassen. Wir jedenfalls entbieten unseren Gruß nach Malokko und sagen „Ga'acLaunn!“ (malokk. für „Viel Glück!“)

Wer jetzt meint, das wäre alles gewesen, wer vermutet, nach Unterhaltung und Information (Stichwort: Infotainment) könne nichts mehr kommen, der fällt an diesem Punkt endgültig vom Stuhl, denn hinter dem schweren Vorhang und auf Nebelschwaden windsurfend kommt wie ein ferner Traum Ivo Lotion hervor und singt zur Melodie von Gnarls Barkley ein sehr schönes Lied über Menschen. Dieser dramaturgische Kniff mit dem sexuell anregenden Song am Ende eines wunderbaren Abends ist weise gewählt und nun fällt selbst der Bürgermeister aus dem Jackett und tanzt, wild und ekstatisch zuckend zur Musik, die von Ivo Lotion auf einem Handfunkgerät gespielt und mit einer Mischung aus Grönemeyer- und Joe-Cocker-Manier gesungen wird. Dabei sieht er aus wie Lou Reed. Der Ivo, wenn er singt. Nicht der Bürgermeister, wenn er tanzt.

Ich bin mir sicher: in vielen Jahrhunderten einmal, in den Chroniken der Welt, da wird über diese „Maien-Ausgabe der des Egersdœrfers seiner Artverwandten im MMXIV A.D.“ von „einem superplusknorken Event“ berichten werden. Davon darf man ruhig ausgehen.


[Text: Lukas Münich]

Die nächste Egersdörfer und Artverwandte findet wegen Sommerpause erst am 14. Oktober im Festsaal des Künstlerhauses (ehem. K4, davor KOMM) statt.
Vorverkauf Antiquariat Deuerlein




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