curt in Gefahr - Waxing-Studio "Senzera"
Ich muss ein Geständnis machen. Hier und jetzt und öffentlich. Ich stehe nicht auf Schmerzen. Nicht, dass ich sie nicht erdulden könnte, wenn sie schonmal da sind, aber die Aussicht auf einen gleich eintretenden, absichtlich zugeführten Schmerz finde ich alles andere als verlockend.
Die Angst vor dem Schmerz verhält sich dabei mitnichten proportional zu selbigem. Das fängt dabei an, dass ich mich gerne mal anstelle, wie der letzte Mensch, bevor ich mir ein Pflaster selber abreiße, und nimmt – Klischee, Klischee, ich weiß – seinen Höhepunkt bei Zahnarztbesuchen, bei denen ich den Arzt schweißgebadet dazu zwinge, die Einstichstelle der Betäubungsspritze zuvor mit Eisspray stillzulegen. Erzählt man mir, man sei süchtig nach dem geilen Gefühl, das mit dem Vorgang des Piercens einhergeht, bin ich eher geneigt, Psychopathologisches zu attestieren denn Endorphinausschuss. Sich von Dritten Schmerzen zufügen zu lassen halte ich für bescheuert genug. Das auch noch selber zu machen muss dann einfach gleich doppelt nicht sein. Ich habe exakt einmal den Versuch unternommen, ein Epiliergerät zu testen. Das sah dann so aus, dass ich hernach eine halbe Stunde meines Lebens aufgewendet und zwei Quadratzentimeter Schienbein bearbeitet hatte – nach ungefähr jedem einzelnen gezwickten Härchen musste ich absetzen und mir für den nächsten Schritt Mut zureden.
Jetzt steh ich also hier, Aug in Aug mit dem Feind. Na gut, das stimmt ja nicht. Aug in Aug mit einer adretten Dame in orange-weiß. Die heißt Stephanie und ist die Studioleiterin des Waxing- und Sugaring-Studios „Senzera“ in der Ludwigsstraße. Wie ich da hinkomme? Das frag ich mich eigentlich auch. Arglos war ich durch die Fußgängerzone gestreift, um dort eine Zeit lang einen großen, haarigen Affen zu beobachten. Der verteilte Flyer, und da wollte ich dann freilich schon wissen, wofür so ein Affe jetzt in der Fußgänger flyern muss. Für besagtes Studio, erfuhr ich, und, nein, ich habe das noch nie ausprobiert, ich bin doch nicht vollkommen wahnsinnig. Von dem Affen, in dem eine zierliche junge Dame steckte, wurde ich in Folge dessen nachdrücklich eingeladen, im Anschluss einfach mitzukommen und mal zu schauen. Da hatte ich wohl schon von Nahtoderfahrungen gesprochen, denen man unbedingt positiv entgegen wirken wollte. Ich bin ja ein aufgeschlossener Mensch, dachte ich mir, und dass man ja über nichts so gut schimpfen kann wie über selbst gemachte Erfahrungen. Nun denn.
Die Filiale der „führenden Waxingstudio-Kette in Deutschland“ befindet sich also in der Ludwigsstraße hinter dem Weißen Turm. Und ist nicht zuletzt dank der auffälligen Gestaltung in den Firmenfarben Weiß-Orange leicht zu finden. Was jetzt nicht heißt, dass man das Gefühl hat, in eine Norma-Filiale zu kommen. In dezentem Weiß gehalten, setzen orangefarbene Accessoires Akzente. Ich werde sehr freundlich in Empfang genommen – eine gewisse Neugierde ist den Damen des Teams freilich anzusehen. Ganz klar, so ein Welt-Magazin kommt jetzt auch nicht alle Tage bei denen vorbei, da kann man schonmal aufgeregt sein. Ich hingegen bin die Ruhe selbst. „Was möchten Sie denn jetzt gerne alles ausprobieren?“ – „Von MÖGEN kann da keine Rede sein, ich würde da eher von MÜSSEN sprechen wollen.“ Ich erkläre gleich mal vorneweg, wie sich das bei mir mit der Vorliebe für körperliche Pein verhält, was mir mildes Lächeln einbringt. Das sei alles ü-ber-haupt-nicht so schlimm. Einen ganz ähnlichen Blick kenne ich von meinem Zahnarzt, wenn er mir den nervenberuhigenden Knautschball in die Hände reicht.
Das Studio ist höchst gepflegt, die Damen eh. Am Eingangsbereich befinden sich allerlei Zutaten für Mani- und Pediküre inkl. des dazugehörigen Werkzeugs. Diskret abgetrennt vom Hauptraum zwei, wie sagt man, Behandlungsstühle, die schwer nach Fußmassage aussehen und auf die ich mich am allerliebsten sofort sinken lassen und nie wieder davon aufstehen möchte. Aber dafür bin ich nicht da, wie ich eigentlich weiß und woran ich augenzwinkernd von Studioleiterin Stephanie erinnert werde. Flugs bugsiert sie mich in einen Folterraum. In dem befinden sich eine Streckbank und allerlei Folterwerkzeug. Als ich Stephanie von meinen Erkenntnissen berichte, lacht sie, findet, ich würde maßlos übertreiben, und heißt mich, abzulegen. Erst die Kleidung, dann mich. Auf die Streckbank. Zur Einstimmung beginnen wir mit dem Augenbrauenzupfen. Nicht, dass da bei mir Blondschopf viel zu holen wäre, aber so lernt man sich doch gleich ein bisschen kennen, wenn ein fremdes Gesicht verkehrt herum circa fünf Zentimeter über dem eigenen schwebt und sich sehr eingehend den Follikeln widmet. Der Spaß ist recht schnell vorbei, und Stephanie traurig über die geringe Ausbeute. So ein bisschen sadistisch veranlagt wird man schon sein müssen, für diesen Beruf, unterstelle ich.
Im nächsten Schritt bin ich geneigt, die Formulierung „ein bisschen“ schwer nach oben zu korrigieren. Da ich mir meiner Aufgabe als objektive Berichterstatterin jedoch bewusst bin, muss ich sagen: Stephanie macht ihren Job ganz ausgezeichnet. Dass ich mich fühle und winde wie eine Dreijährige, die gerade den ersten Spreißel ihres Lebens gezogen bekommen soll, ist nicht ihre Schuld. Damit ich das auch mal kennenlerne, erfolgt jetzt nämlich die Enthaarung mittels „Sugaring“. Eine sehr zähflüssige Pampe wird mir unter die Achseln gestrichen, und mitten im schönsten Geplauder sagt Stephanie „Jetzt atme mal schön tief aus!“, und ich folge artig und gedankenlos. Mit einem Ratsch ist die Zuckerpampe abgerupft, und mit ihr viele, viele Haarwurzeln. Ich bin verdattert. Und erleichtert, weil das hat jetzt wirklich nicht schlimm wehgetan. Das kommt erst später, als Stephanie akribisch auch dem letzten, unsichtbaren Stoppelchen mit der Pinzette zuleibe rückt. Es reicht, ich bin schweißgebadet. Stephanies Anweisungen registriere ich durch einen dumpfen Schmerzschleier. 24h nicht in die Sonne, nicht ins Solarium, nicht in die Sauna, nicht ins Schwimmbad, und ab in drei Tagen Peeling bitte. Äh, was? Jaja, ok. Ich werde meine Arme eh nie wieder heben aus Angst, jemand könnte sich mit einer Pinzette dran vergreifen.
Weil’s aber grad so lustig ist mit mir und Stephanie (ist es tatsächlich. Nahtoderfahrungsähnliche Panikzustände führen bei mir immer dazu, mich zu verbaler Höchstform auflaufen zu lassen.) möchte sie gern gleich weitermachen, nämlich mit den Beinen. Und ist maßlos enttäuscht darüber, wie kurz meine Haare da sind? „Kurz?“, rufe ich aus, „Spinnst du? Ich komm quasi in kein Hosenbein mehr rein vor lauter Pelz, und beim Sport trage ich lange Kleidung vor lauter Scham!“ – „Wie lang haste denn jetzt nicht mehr rasiert?“ – „Also … MINDESTENS fünf Tage!“ – „Das ist vieel zu wenig. Das können wir so nicht machen.“ – „Öhm … sondern?“ – „Du hältst jetzt noch eine Woche durch, und dann kommst du wieder.“ Ich resigniere und trotte von dannen. Gottlob ist das Wetter schlecht. Kein Freibad. Bis zum Folgetermin ist alles Leid vergessen, ich hüpfe frohgemuts zu Senzera und hatte eine haarig-angenehme Woche verbracht. Beine rasieren durft‘ ich nicht, Achseln war nicht nötig. Vielleicht war’s die Schmerzen doch wert, denke ich übermütig. Und nehme das alsgleich und auf der Stelle lauthals wieder zurück, als Stephanie mit Heißwachs und Textilstreifen zur Tat schreitet. „Diese blonden Haare sind halt schon immer besonders fies!“, sagt sie. Hä? Ich dachte immer, die seien ganz besonders toll. „Nee, die sind viel stärker dicker und zahlreicher als die dunklen.“ Ja wunderbar. Ein Grund mehr, einem der dunkel-haarigen Jungs den Vortritt gelassen haben zu sollen. Wieso mach ich das eigentlich? In einen schön pelzigen Männerrücken ein „curt“ hineinzufräsen oder Kowalskis Abbild, das wäre doch was gewesen.
Um das abzukürzen: Es hat, mit Verlaub, scheiße wehgetan. Das ist normal beim ersten Mal, na gut. Das wird alles viel besser, je öfter man das macht, meinetwegen. Stephanie ist großartig, zweifelsohne. Ich bin, vermutlich, unmöglich. Das sagt sie aber nicht, sondern findet mich total tapfer. Ja, ich mich auch, danke. Wacklig krabble ich von der Folterbank. Jetzt müsst ich nur unbedingt nochmal vier Woche alle Finger von sämtlichem Rasurzeugs lassen, damit die Härchen, die sich ja in sehr unterschiedlichen Wachstumsphasen befänden, nachkommen und anschließend in einem Ruck eliminiert werden können. Das auch nur in Erwägung zu ziehen kommt mir grade absolut nicht in die Tüte. Daheim angekommen jedoch erfahre ich wohl sowas wie ein Geburtsschmerz-Erlebnis: Quälende Folter? Alles vergessen. Das Ergebnis lächelt mich mit großen Kinderaugen an und erfreut mein Herz. Vielleicht geh ich da doch nochmal wieder hin. [kw]
Alle Informationen zum Nachmachen findet Ihr bei Senzera.