Premierenkritik: Dantons Tod
Die Revolution fällt aus dem Goldrahmen! Regisseur Alexander Riemenschneider macht aus Georg Büchners „Dantons Tod“ im Nürnberger Schauspielhaus bemerkenswertes Bild-Theater. Premierenkritik von Andreas Radlmaier.
Die Revolution hängt als Museumsstück im bühnenfüllenden, kitschvergnügten Goldrahmen, im Wechselrahme,n genauer gesagt. Denn bevor im Nürnberger Schauspielhaus die Selbstzerstörung von Idee und Menschsein einsetzt, erstarrt das Ensemble schon mal in historischen Revoluzzer-Posen.
Ganz egal, ob Nelken, Tulpen, Regenschirm, Frühling, Oktober, Arabische, Französische oder Letzte Generation (halt, nein, das ist ja keine Revolution, weil sie den Berufsverkehr beeinträchtigt) ohne gereckte Fäuste und Bildikonen geht nichts, wenn man – Scheitern hin oder her – im kollektiven Icon-Gedächtnis bleiben will. Pathos ist immer auch grotesk und lachhaft.
Der Berliner Regisseur Alexander Riemenschneider schält bei seinem Nürnberg-Einstand mit einer bemerkenswerten, bildstarken Interpretation von Büchners Drama „Dantons Tod“ die ganzen Vergeblichkeiten des Daseins heraus. Und damit wacht man mit dem vor 200 Jahren geplatzten Traum von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ im Heute auf. Die Guillotine wartet. Das Förderband in den Untergang läuft auf Hochtouren. Der Mensch mag einfache Lösungen. Kompliziert ist er selber.
„Ich lasse alles in einer schrecklichen Verwirrung. Keiner versteht das Regieren“, sagt Georges Danton am Ende des Stücks, ernüchtert und fatalistisch, von Sittenwächter und Gegenspieler Robbespierre als „Volksverräter“ aussortiert, auf dem Weg zur Guillotine. Fünf Jahre nach der Französischen Revolution folgt die Fortschrittsidee vom lebenswerten Leben für alle einer breiten Blutspur in den Despotismus und Dogmatismus, Geldgeilheit und Machtmissbrauch. Die Revolution frisst ihre Kinder.
Der Titel des Dramas, das Georg Büchner vor knapp 200 Jahren mit nur 22 Jahren in fünf Wochen schrieb (ein Jahr darauf starb der Autor bereits), lässt kein überraschendes Finale zu. Man weiß, was einen in „Dantons Tod“ erwartet. Aber Riemenschneider und sein Team befreien den Stoff von der gerne genommenen Einschätzung des „Sperrigen“ und erzählen in pausenlosen, straffen 110 Minuten das Dilemma des Humanitären, das mit Wucht gegen die Wand läuft. So wie Danton immer wieder.
Stephanie Leue spielt diesen kraftlos gewordenen Idealisten mit eruptiven Schüben. Und weil nicht nur DIE Zukunft weiblich ist, sondern auch DIE Revolution, ist auch Robbespierre mit Ulrike Arnold stimmig besetzt. Der Prinzipentreue mit der Lizenz zum Auslöschen betrachtet sein Gegenüber, der in jedem Schurken und Engel gleichzeitig sieht, fast sanft und verständnisvoll. Die Grenzen des Gerechten und des Gesetzes verwischen, die Chancen auf eine Welt, in der „jeder nach seiner Natur“ leben mag, auch. Rollentausch im Blutrausch, wenn man so will.
Diesem Bild-Theater wird auch das Finetuning der Figuren und Büchners Sprache untergeordnet. Sasha Weiss, Justus Pfannkuch, Janning Kahnert und Luca Rosendahl fallen als schwarzäugige Freundesschar, Jakobiner-Gegner und manipulierbares Volk laufend aus dem besagten Goldrahmen, wechseln die Rollen und Perspektiven.
Bühnenbildner David Hohmann hat für diesen musealen Kniff eine Hingucker-Kulisse gebaut: Das Standbild dient als Insta-Hotspot der Vergangenheit, ist Parolen-Podest, Poser-Plattform, Parvenue-Showroom und Hinrichtungsvorraum. Der Boden gerät wahlweise ins Wanken oder ins Laufen. Und dient als Transportband in den Tod.
Ganz am Ende setzen sich fünf Kinder auf die Bank und betrachten dieses Sittengemälde, bis sie mit Drill-Pfiff rausgescheucht werden. Die Revolution füttert ihre Kinder. Für die Kleinen gab es mit den stärksten Premierenapplaus. Hoffnung ist doch so was Schönes.
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Premierenkritik von Andreas Radlmaier.
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Dantons Tod
Die Revolution fällt aus dem Goldrahmen
Premiere am Nürnberger Schauspielhaus am 25.04.2025
Weitere Termine:
Samstag, 03. Mai, 19.30 Uhr
Dienstag, 06. Mai, 19.30 Uhr
Donnerstag, 08. Mai, 19.30 Uhr
Samstag, 17. Mai, 19.30 Uhr
Dienstag, 30. Mai, 19.30 Uhr
Mittwoch, 11. Juni, 19.30 Uhr
Donnerstag, 12. Juni, 19.30 Uhr
Dienstag, 01. Juli, 19.30 Uhr
Freitag, 04. Juli, 19.30 Uhr
Sonntag, 13. Juli, 19.30 Uhr