Eine Liebeserklärung ans Leise an der frischen Luft

FREITAG, 7. MäRZ 2025, FRANKEN



Bestseller-Lieferant Ewald Arenz schreibt mit seiner kurzweiligen „Gebrauchsanweisung für Franken“ seine Erfolge fort.

Von Andreas Radlmaier.   Migration hat viele Gesichter. Ewald Arenz ist – gell, da staunt man! – eines davon. Für seine Mutter, auf der Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg in Franken landend, war Danzig stets die Heimat, die sprachliche sowieso. Ihr Sohn, immerhin 59 Jahre alt, fremdelt bis heute mit dem Dialekt, das Fränkische löst bei ihm das Unbehagen kultureller Aneignung an. Dass er die Umgangssprache vor Ort, den Hang zur Verkleinerung und Verzwergung, die Vermessung der fränkischen Seelenlandschaft sehr wohl beherrscht, beweist der Bestsellerautor mit seiner „Gebrauchsanweisung für Franken“.

Das Buch ist, um mal bei dem sattsam bekannten Hang zur Gefühlsimplosion in unserem Landstrich zu bleiben, gar nicht mal schlecht geraten. Ein Verkaufsschlager sowieso: Nach „Alte Sorten“, „Der große Sommer“ und „Zwei Leben“ landete seine „Gebrauchsanweisung“ auf Anhieb ganze vorne auf den Bestseller-Listen.
Die Piper-Reihe der „Gebrauchanweisungen“ gibt es seit vier Jahrzehnten, Hunderte Bücher umfasst sie. Juli Zeh, Ilija Trojanow, Reinhold Messner, Kai Strittmatter, Bruno Jonas skizzierten u.a. bislang Themen, Landschaften, Städte jenseits der handelsüblichen Info-Erwartung. Jetzt also Ewald Arenz, der seine Umgebung literarisch-nonchalant abtastet und immer wieder Bezugspunkte zu seinen bisherigen Erfolgsromanen herstellt.
Die eigene Mutter als deplatzierte Pfarrersfrau im gottverlassenen Burgsalach bei Weißenburg („Zwei Leben“), die Schwärmerei für Streuobst-Alleen und Geschmack von Winterbirnen („Alte Sorten“), das sommerliche Abhängen auf den Bastei-Mauern der Kaiserburg („Der große Sommer“). Details, Hinweise, Querverweise, Beiläufigkeiten, die sich zu einer unaufdringlichen Erzähl-Melodie verdichten. Einer Verbeugung vor dem Vertrauten, vor dem Vergangenen, dem Fachwerkvertrag der hier lebenden Menschen.
Gegenwart und Großstadtgeflüster lässt der Fan von Friedhofsruhe und Blätterrauschen offenkundig links liegen. Den Beton-Brutalismus (Fürths Stadthalle und Nürnbergs Scharrer-Gymnasium würde er am liebsten schleifen) ebenso wie Hot Spots (kein Tiergärtnertorplatz, kein Köpfleinsberg). Da passt seine Weltsicht zum Kleidungsstil (Tweed, Fliege, Schiebermütze).
Es geht nichts um Laute und Hippe, sondern ums aufpoppende Idyll und wuchernde Romantik, die gerne abends in fränkischen Städtchen in Leere und Lustlosigkeit umkippt. Provinz-Bashing, damit kennen wir uns aus! Und verbieten uns Despektierlichkeit von „Fremden“, von Reisenden etwa. Auf den 240 Seiten rempelt Arenz wiederholt gegen das wichtigtuerische und breitbeinige München als Kontrast zum bescheidenen Franken (wobei man sich fragt, welcher Provenienz dann eigentlich Markus Söder aus Schweinau ist). Er betont, dass er der Gegend Berlin wegen seiner preußischen Einflüsse näher sei als München. Die Frotzeleien taten prompt ihre Wirkung. Die Kollegin der großen Landeshauptstadt-Zeitung empfahl Arenz denn auch in ihrer Rezension, an Humor und literarischer Begabung zu arbeiten.
Schon beim offiziellen Presse-Spaziergang vor geraumer Zeit war Ewald Arenz jedenfalls anzumerken, dass er sich längst in das Schicksal, in der Metropolregion Nürnberg zu leben, ergeben hat. Mehr noch, dass er sich darin wohlig wälzt und wehrt gegen die Deutungshoheit von außen.
Mit langen Schritten ging’s von der Freiung der Kaiserburg zum wahrhaft verführerischen Fürther Stadtpark-Café, vorbei an den Hesperidengärten (ein lauschiger Leseplatz), dem Johannisfriedhof (einer der schönsten Friedhöfe in Europa), zur Lebküchnerei Fraunholz (Weihnachtsfeeling Vier Jahreszeiten), weiter zum Pariser Flair der Fürther Hornschuchpromenade. Und auch das merkte man bei diesem launigen Unterrichtsgang: Das Klassenzimmer ist für Arenz, den Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte, schon auch eine passende Arena.
Jetzt, wo das Schneeglöckchen bimmelt, die Heckenschere zwangsweise schweigt, weiß die neugierige Frischluftaspirantin, der erfahrene Outdoorler: Die Natur brütet was aus. Der Frühling kommt, die Freiluft wartet, die Luft wird lichter, der Horizont weiter. Immer der Nase nach, könnte man ergänzen. Gerüche sind für den Autor Parfüms der Psyche. Arenz empfiehlt eine Erkundung mit dem Rad oder zu Fuß. Der Entschleunigung wegen. Dieses Buch kommt also zur rechten (Jahres-)Zeit, ist Einladung zur Entdeckung (Gäste) und Suche der eigenen Lieblingsplätze (Aborigines) in einem. Und weil Arenz einen höchst individuellen Ansatz wagt, ein subjektive Auswahl trifft, ist das Ergebnis passgenau und authentisch. Und – ja, doch – damit auch typisch fränkisch, weil eigen-sinnlich.
„Hübsch“ und „historisch“ haken sich dabei als Beschreibungspaar unter. Wie er im sprudelnd-spöttischen Erzählfluss die frisch-freche Folklore auftauchen lässt, ist lässig gemacht und vergnüglich geschrieben. Burgen, Bier und pittoreske Ankerplätze kehren als Leitmotive wieder, wenn er sich vom Nürnberger Hauptmarkt, der Mitte der Mitte, aufmacht zu Sternfahrten nach Sanspareil, Bamberg, Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, Coburg und seine Windsors, Hof im Norden, Bad Windsheim, Mainschleife, Würzburg und Amorbach im Westen, Schwabach, Dinkelsbühl und Weißenburg im Süden und Lauf im Osten.
Auch das ist bemerkenswert: Neumarkt, gute 30 Kilometer östlich von Nürnberg, Amberg und Weiden kommen in dieser Sternfahrt nicht vor. Ist ja Oberpfalz. Politische Grenzen wirken. Gefühlte Fakten auch.
Er zeichnet nostalgierig die Region als Biotop der Unaufgeregten, als Reservat für Bescheidenheit und Bodenständigkeit und streichelt damit der stets präsenten Gemütslage gekonnt über den Rücken. Sein finales Lob: „In erster Linie ist es (= Franken) einfach da.“ Stimmt genau. Diese „Gebrauchsanweisung“, warnt Arenz am Ende, bleibe dennoch ein „Fragment“, die Auswahl subjektiv, Franken trotz seiner Überschaubarkeit „in einem Leben nicht“ erforsch- und erfahrbar.
Arenz nimmt einen mit in eine Gegend, wo Erzählkunst und Geschichten bestenfalls als „Gschichtla“ gelten. Und Salat in der Wirtschaft als vernachlässigbare Größe. Er beschreibt die Schäufele-Obsession, setzt betörende Hügel-Natur gegen die angebliche Sex-Wüste vor Ort, schreibt vom nie eintretenden Wunder, vor Vierzehnheiligen 14 Schülern ohne Handy zu begegnen, und vom versöhnlichen Blick auf Karpfenteiche, „so als hätten sich unter ein paar undichten Stellen am fränkischen Himmel Pfützen gebildet.“

Arenz ist hoffnungsfroher Romantiker, ironisch und kokett in seiner Beobachtung, serviert Vorurteile und ruft sofort „Klischee!“. Man begegnet Kurt Tucholsky und Prinz William, Goethe und Luther, John Steinbeck und Taylor Swift, den Hohenzollern und Hexenverbrennungen, der ersten deutschen Pizzeria (samt Pizzakarton) in Würzburg und dem Triathlon der „Wahnsinnigen“ in Roth. Und man liest, wie es den Bestseller-Autor verwundert, dass Schriftsteller seit der Romantik „Instantgenies“ sein sollen, Autodidakten der Empathie. Beim Romantiker Arenz funktioniert dieses Berufsmodell, immerhin.

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Ewald Arenz: Gebrauchsanweisung für Franken
Piper-Verlag, 240 Seiten, 16 Euro

https://ewald-arenz.de



 




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