Theobald O.J. Fuchs: Neugeboren vielmals
DONNERSTAG, 27. FEBRUAR 2025
##Autor, ##Comedy, ##Kabarett, ##Kolumne, ##Theobald O.J. Fuchs, #Kulturpreisträger
Auch im neuen Jahr geht CURT dorthin, wo andere sich die Ohren zuhalten. Wahlweise die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Gestählt und abgestumpft durch die barbarischen Zustände im vollkommen verschwiemelten Redaktionskeller wagt sich die typische Berichterstatterin des CURT weiter vor ins Unbekannte als jedweder andere Futzi der versammelten Wehleidig-Journaille. Das zeichnet den speziellen CURT-Journalismus von jeher aus, doch diese Recherche war selbst für die Knallhart-Truppe von Nürnbergs erstem, größtem und bestem Stadtmagazin eine Herausforderung. Denn CURT traf sich mit Nürnbergs einzigem und besten NEWBIRTHING-Experten.
Vorneweg: Lampe, der Chefredakteur, wollte unbedingt, dass jemand darüber berichtet. Er war auf den Trend, die eigene Geburt nachzuspielen, beim Einkaufen gestoßen. Ganz genau: beim Einkaufen und so weiter. Da wo er immer auf irgendwelche Dinge stieß, weil ansonsten ist ja nicht mehr viel los mit ihm. Jedoch muss irgendwo beim Frisiersalon in Ziegelstein ein schwarzes Brett hängen, wo man den aktuellsten Super-Sheyz erfährt. Exakt dort hält sich der alte Medien-Magnat auf dem Laufenden.
Selbst wollte Lampe jedoch den Cringe-Job nicht übernehmen, da damals, als wir noch keine Checkung hatten, was abgeht, niemand ausschließen konnte, dass es vielleicht voll gefährlich werden könnte. Oder unappetitlich. Oder beides. Also überlegte Lampe, wie er jemanden herumkriegen könnte, sich mit den NEWBIRTHERN zu treffen.
Die Wahl fiel auf mich. Das hatte ich mir natürlich selbst eingebrockt, denn ich hatte erst vor Kurzem ganz unschuldig und arglos erzählt, dass ich nichts gegen den ganzen Revival- und Tribute-Irrsinn hätte, der heutzutage quasi rund um die Uhr die Multifunktions-Arenen, Mehrzweck-Venues und Offene-Luft-Spaces im Griff hat.
»Warum nicht?«, sage ich immer. Solange keiner auf die Idee kommt, den Zweiten Weltkrieg nachzuspielen, ist doch alles prima. Die Australian Pink Floyd Show steht bei mir schon seit etlichen Jahren auf der Höhepunktliste jeden Jahres, und im Mai spielen in München die Pixies für mich. »Be my guest!« fremdsprachle ich daher regelmäßig.
Ich also tief durchgeatmet, Testament gemacht, Zähne geputzt, Kugelschreiber gespitzt und los mit der U-Bahn – zum Erfinder und Betreiber der Fürther sogenannten Erlebnis-Firma »NEUGEBURT UNLIMITED« in Ritzmannshof. Deren Inhaber und Betreiber Pupuh Nagelgast hatte sich schon in den 2000ern auf Revival-Parties spezialisiert. Und dann war er war förmlich mit Schmackes in eine geniale Idee hineingekracht und musste nur noch zugreifen.
»Mir ist die Sache schlagartig klargeworden, ich sage nur: Peng-Bumm!«, erklärt Nagelgast. Es gebe im Leben viel zu viele sogenannte Once-in-a-lifetime-Erfahrungen, nicht wahr? Darunter seien auch voll nice Sachen: das Abitur, der Führerschein, die Einschulung – ein riesiger Markt tue sich da auf, frohlockt Nagelgast, denn viele Menschen seien liquide genug und würden zu gerne noch einmal sechs Jahre alt sein und mit einer Schultüte im Arm für das erste Klassenfoto in die Kamera grinsen. Und nochmal, und nochmal, und nochmal… Nur einmal im Leben die Führerscheinprüfung zu bestehen sei irgendwie so, als würde man nur ein erstes und einziges Bier trinken und das müsste dann für den Rest des Lebens reichen. »Welch Unsinn!«, erregt sich Nagelgast, »Von manchen Erlebnissituationen kann man einfach nie genug bekommen. Silbester zum Beispiel, oder Gewurtstag. Äh, andersherum natürlich.«
Da muss ich ihm Recht geben. In Fürth gibt es alle Jahre einen beliebten Mittelaltermarkt zu Weihnachten und diesseits des Limes versammeln sich jährlich Tausende von Enthusiasten, um große Schlachten der Römer re zu enacten. In der Normandie spielen amerikanische Touristen jeden Sommer D-Day und ich habe sogar schon Gerüchte gehört, dass man den Eiskrieg zwischen Nürnberg und Fürth von 1766/67 [1] nachspielen wolle, weil das eine Mal damals schlichtweg zu schnell vorbei gewesen war. Ja, ich weiß, man soll, wenn‘s am schönsten ist, aufhören – auch so ein blöder Spruch! –, aber das heißt ja nicht, dass man nicht gleich bei der nächsten Gelegenheit wieder loslegen könnte.
Diesen allgemeingesellschaftlichen Trend zum Retro-Revival und Nostalgie-Tribut hatte Pupuh seit einiger Zeit beobachtet, als er auf seine großartige Geschäftsidee stieß. Er bietet an, dass sich erwachsene Menschen in einen großen, roten, weichen Schaumgummi-Ballon hocken, der mit 37 Grad warmen Wasser gefüllt wird und an eine Rohrleitung, so ähnlich wie eine Monster-Rutsche im Spaßbad, angeschlossen ist. Nach ein paar Minuten, während die Kundschaft ohne Licht und Luft im Ballon eingesperrt strampelt, drücken mehrere Helfer die Re-Gebärmutter zusammen und schleudern den Erneutgeborenen durch die Rohrleitung ins Freie, wo er als erstes einen lauten Schrei der Erleichterung ausstoßen kann. Er bekommt einen amtlichen Klatsch auf den Hintern, woraufhin er er gesäubert und getrocknet wird. Das ganz normale Prozedere bei der Geburt, nur eben beliebig wiederholbar.
Je nachdem, ob jemand beim ersten Mal selbst so auf die Welt kam oder einfach Neugier auf alternative Geburtsmöglichkeiten hegt, sind auch Zangengeburt und Kaiserschnitt im Angebot. In der Luxusvariante gibt es anlässlich der Geburt ein großes Volksfest auf einer Waldwiese. Dabei wird das Nochmal-Geborene mit ihren oder seinen eineinhalb bis drei Zentnern in einem stabilen Schaukelkorb am Rande der Lichtung abgestellt, wo es die beste Aussicht gibt.
Nach eigenen Angaben brummt das Geschäft, erste Filialen haben in Zwickau, Landsberg und Bietigheim-Bissingen eröffnet. Nennenswerte Zwischenfälle habe es bisher noch keine gegeben, nur einmal sei beim Nachstellen einer Drillingsgeburt die Tribute-Gebärmutter geplatzt, ehe alle drei Kunden zusammen darin Platz nehmen konnten.
Die nächste Idee hat Pupuh Nagelgast auch schon: Die Anzahl der Menschen, die ihren ersten Kuss noch einmal erleben möchten, dürfte riesig sein. Es gebe nur noch ein paar mittelkleine juristische Probleme, verrät er uns und wackelt verschmitzt mit seinen ein bis zwei Ohren. Das heißt: »Mal sehen.« Wir dürfen also gespannt sein – CURT wünscht jedenfalls weiterhin regelmäßig gute Neugeburt!
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Und was treibt uns Theo so in der nächsten Zeit?
Er ist am 13. März zu Gast bei den Mittagslesungen um 14 Uhr im Künstlerhaus (Salon). Davor und danach genießt er das curt-Dasein.
Alles Weitere findet man auf www.theobald-fuchs.de
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