Eliza-Premiere am Staatstheater: Gefangen im Sprachgewitter

FREITAG, 21. FEBRUAR 2025, STAATSTHEATER

#Eliza, #Jan Philipp Gloger, #Premiere, #Sokola//Spreter, #Staatstheater, #Theater

Kritik von Andreas Thamm, zuerst erschienen bei www.nachtkritik.de.

Der Mann mit dem breit wuchernden Bart, der, scheinbar vor Beginn des Stücks, mit Mikrofon vor den Vorhang tritt, will nur ein paar einleitende Worte loswerden. Ihm geht es um die Sprache, man müsse sie schützen vor jenen, deren Floskeln uns beerdigen. „Wir brauchen eine neue Sprache – und genau das hat unser Held erkannt.“ Sein Name, sagt der Bärtige, sei George Bernard Shaw, er sei der Autor des Stücks. Da hat das Publikum möglicherweise einen Wissensvorsprung. Eine Frau namens Eliza kommt hinzu, im grünen Bausch-Kleid, unter dem sich ein monströses Maul verbirgt, das den Autor verschlingt.

Eliza heißt das Stück, nicht Pygmalion. Das Material des feinen Herrn ist überholt, es schrie nach einer Fortsetzung durch das Autor:innenduo Sokola//Spreter. Shaws Pygmalion feierte 1930 Premiere und ging als Musical-Verfilmung My Fair Lady mit Audrey Hepburn als Eliza Doolittle ins popkulturelle Gedächtnis ein: Der Sprachwissenschaftler Henry Higgins wettet, die mittellose Blumenverkäuferin Eliza Doolittle in eine feine Dame der Gesellschaft verwandeln zu können, durch akribisches Sprechtraining. Im Gegensatz zur Hollywood-Version endet das Drama damit, das Eliza den Mann, der sie als sein Geschöpf betrachtet, verlässt.

Hier setzt die Schöpfung von Ivana Sokola und Jona Spreter an, die der scheidende Schauspielchef Jan Philipp Gloger für seine letzte Inszenierung am Nürnberger Staatstheater gewählt hat. Der  Vorhang hebt sich, das opulente Bühnenbild mit Treppenaufgang und Galerie, mit Grammophon, Ledercouch und schwerem Mahagonischreibtisch ist an die Filmkulisse angelehnt, dann wiederum verschwommen, teils von Glitches durchsetzt wie in einem Computerspiel. Darin warten die Männer auf Eliza, Higgins im Schlafrock, aber mit Fliege, ihr Vater im Anzug. Sie warten seit hundert Jahren auf ihre Rückkehr, während Miss Pearce wie auf einem Laufband hin und her gleitend die Galerie abfeudelt. Sie vermissen Eliza so sehr.

Die Tür auf – und mit Eliza bricht etwas über das Publikum herein, wie eine zweistündige kalte Dusche im Sprachgewitter. „Ich zog in die Welt hinaus, mit der Idee, mein eigener Mensch zu werden – und nicht einmal diese Idee war meine!“ Damit ist die Suche der Protagonistin programmatisch gefasst, eine Frau will heraus aus der Rolle, in die andere, Männer, sie gepresst haben und sie findet nirgendwo hinein. Der Vater und der Professor streiten um ihre Bedeutung im Leben der Eliza, der verliebte Freddy will sie an seiner Seite und für die Revolution gewinnen, das Grammofon funkt mit dem Musical-Originalton aus der alten Zeit dazwischen.

Zwischen den nie endenden Ansprüchen ringt die Protagonistin um Deutungshoheit. Das Haus erklärt sie für besetzt, die Möbel werden auf den Kopf gestellt. Mit Miss Pearce verschwindet sie knutschend im Schrank. Auch die drängt Eliza, ihre Kraft für eigene Zwecke einzusetzen. Die Haushälterin will Rache an Higgins und Doolittle und zwar indem Eliza sie als Clowns bloßstellt. Der Plan: Sie soll heiraten! Das ging jetzt alles etwas schnell in der Musical-Duett-Performance des „Lieds der bitteren Erkenntnis“.

Aber schnell ist ohnehin alles. Je länger das Stück dauert, desto mehr Komplexe werden in den Streitereien und Debatten übereinander gehäuft. Freddy, der sich gern so toll am Kopf kratzen könnte wie sein Vorbild Andreas Baader, ist eigentlich natürlich ein von Privilegien gepamperter Schnösel. Er will, dass Eliza die Welt aus ihrer Stumpfheit befreit, ihn küsst sie auch, bevor er von ihrem Kleid gebissen wird und sie den inneren Widerstreit zu harten Techno ausperformt. Der Vater besudelt slapstickhaft sein Hemd, er ist durch Erbe in den Klassen aufgestiegen und nur unglücklicher geworden dadurch: „Nimm meine Kohle, Vater Staat“, fleht er.
Den einen verachtet sie, für den anderen habe sie sich geschämt und alle nehmen ihr die Luft zum Atmen und den Raum, den sie bräuchte, um sich über ihr Selbstbild klar zu werden. In einer Art Tanz im Spukschloss überwältigen die Männer Eliza und hängen sie ans Treppengeländer, der cineastische, 60s-Broadway aufrufende Soundtrack wird auch immer irrer, es ist ein Musical-Klassiker auf Koks, ein Fiebertraum.

Durch dessen Schleier noch eine Handlung schimmert, von der angekündigten Bräutigamschau in einem Ambientlokal. Beim Shopping im Starkadt (schöne Karstadt-Typografie die von der Decke hängt) sollen sich Higgins und Doolittle als Begleitung qualifizieren. Eliza und Pearce schlüpfen selbst in die Rollen der folternden Sprachtrainerinnen, die Männer in Unterhosen deklamieren mit rollendem R: „Der Tod ist groß!“ Aus der Starkadt-Umkleide wird ein Aufzug, der den Vater nach unten fährt.

Es wäre noch viel zu schreiben, zu beschreiben und zu deuten. Eliza müsste man nachlesen, um die Bedeutungsebenen und changierenden Machtverhältnisse auseinander zu schälen. Das wie Billardkugeln hin und her schießende Ensemble, und allen voran Katharina Kurschat in der Titelrolle, gibt alles, um der Darstellung der ständigen emotionalen Verschiebungen gerecht zu werden. Vieles geht leider verschüttet unter der Deklamation von neuen Floskeln und abstrakten Denkgebäuden, von denen in dieser überbordenden Fülle wenig haften bleibt als ein Gefühl der Verlorenheit in einer Welt der Zuschreibungen. Eliza ringt bis zum Ende und gewinnt Macht, indem sie selbst zur Autorin wird, die einen nach dem anderen verstummen und verenden lässt. Shaw zuerst, der erkennen muss, was da auf den Programmheften und Plakaten zu lesen is: Eliza!

Als die Bühnenarbeiter:innen die Kulisse, das Haus der Oberklasse abbauen, scheint ihre Ermächtigung ans Ziel gelangt. Ausgerechnet Freddy kann sich ihrer Sprach-Macht widersetzen: „Das Kapital ist stärker als die Fantasie!“ Ihm wurde das Grundstück überschrieben, es regnet beglaubigte Kopien von der Decke. Doch auch Elizas Tod ist nur zum Schein, nur der Tod einer Statistin. Eliza steht im Publikum und proklamiert, sie werde die ganze Welt verschlucken. Im Publikum fühlt man sich tatsächlich verschluckt und überfahren, aber auch fasziniert von einer letzten, ausufernden Gloger-Inszenierung mit allen Theatermitteln.


Eliza
von Sokola//Spreter nach Motiven aus Pgymalion von George Bernard Shaw
Uraufführung    

Regie: Jan Philipp Gloger
Bühne. Franziska Bornkamm
Kostüme: Justina Klimczyk
Musik: Kostia Rapoport
Licht: Katta Lehmann
Dramaturgie: Fabian Schmidtlein

Mit: Katharina Kurschat, Sasha Weis, Maimilian Pulst, Tjark Bernau, Joshua Kliefert
Dauer: ca. 2 Stunden, 1 Pause
 




Twitter Facebook Google

#Eliza, #Jan Philipp Gloger, #Premiere, #Sokola//Spreter, #Staatstheater, #Theater

Vielleicht auch interessant...

STAATSTHEATER. Wenigstens die Premiere kommt noch vor dem zweiten Lockdown. So hatte sich das Nürnberger Staatstheater seinen Besetzungs-Coup sicherlich nicht vorgestellt, trotzdem ist die Regiearbeit von René Pollesch in Nürnberg natürlich das Highlight der Saison. Am Freitag feiert Take the Villa and Run! Premiere, am Samstag, 31.10., ist das Stück ein zweites Mal zu sehen. Theaterkritiker Dieter Stoll schreibt im Vorfeld:   >>
STAATSTHEATER. Theaterkritik von Andreas Thamm für Nachtkritik: Genannt Gospodin

Gospodin hat nicht viel. Da steht ein kleiner Kühlschrank, eine Mikrowelle, ein Fernseher, ein Sofa. Der Overhead-Projektor auf dem Schränkchen, das ist, weil Gospodins Freundin Anette, Grundschullehrerin ist, aber das versteht das Publikum erst später. Gospodin hat und will nicht viel, aber ständig will eine:r was von ihm:
Erst Hermann, der sich seine Anlage ausborgt und dann die Scheiß-Spießer von Greenpeace, die ihm sein Lama wegnehmen. Das war diesem Gospodin, ein Mann im Schlabberlook mit dezent verwildertem Bart, so etwas wie wie seine Lebensgrundlage. Der Keller, sagt er, ist noch voll mit Heu und Futter. Das meiste über den Helden von Phillipp Löhles Genannt Gospodin in der Regie des Nürnberger Noch-Schauspieldirektors Jan-Philipp Gloger erfährt man aus dem Mund der ihm nahe Stehenden.  >>
STAATSTHEATER. Das Staatstheater schüttelt sich immer noch ein bissl, um zurechtzukommen mit dem im nächsten Jahr anstehenden Abschied. Schauspiel-Chef Jan-Philipp Gloger verlässt Nürnberg nach sechs erfolgreichen Jahren und folgt dem Ruf ans Wiener Volkstheater, wer könnte es ihm verübeln. Und auch wenn das schade ist für das Staatstheater, tun Wechsel solchen Häusern ja grundsätzlich mal gut und es wird spannend sein, zu sehen, wer Gloger nachfolgt.  >>
20250201_Wochen_gegen_Rassismus
20250201_Staatstheater
20250201_pfuetze
20250121_Freizeit_Messe
20240601_ebl
20250201_Retterspitz
20230703_lighttone
20250125_akustika
20250201_Kaweco
20250201_Umweltreferat
20250201_IHK_AKademie