Egersdörfer + Jordan: Vom Zirkus und den langen Haaren – Besuch bei Heinz Thurn
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Es war nicht lang nach Weihnachten gewesen. Der Tag konnte sich von einer grauen Dunkelheit nicht gänzlich befreien. Der Jordan hatte sich seine Wollmütze bis knapp über die Augenbrauen gezogen. Über seiner Schulter hing die Tasche, in der sich die verschiedensten Zeichenutensilien befanden. Egersdörfer verbarg seine Hände in den Jackentaschen seines schwarzen Mantels. Die Straßenbahn fuhr die beiden Herren bis zum Hummelsteiner Weg in Nürnberg. Sie stiegen aus und gingen rechts, ein gutes Stück geradeaus. Sie überquerten eine größere Fahrbahn und bogen dann in eine kleinere Straße ein.
„Hier habe ich eigentlich das Haus vom Heinz vermutet“, sagte der Egersdörfer und schaute währenddessen in verschiedene Richtungen. Jordan sprach mit geschlossenen Augen: „Die Erde dreht sich. Ohne Unterlass.“ Dann gingen beide um das nächstgelegene Hauseck herum. Dann bogen sie rechts ab. Kaum hörbar murmelte der Egersdörfer: „Die Hausnummer könnt stimmen.“ Hinter dem Haus befand sich ein bewachsener Hof. In einem Busch reckten sich bunte Holzgestalten.
„Schutzgeister des Herrn Thurn?“, wollte der Jordan wissen.
„Mindestens Gottheiten. Der Mann weilt oft in Griechenland“, entgegnete sein Begleiter.
In der Werkstatt brannte Licht. Egersdörfer drückte auf die Klingel. Einige Momente verstrichen. Dann öffnete Heinz Thurn die Glastür und begrüßte freundlich die beiden Gäste. Der Mann ist groß und mächtig wie eine Linde. Weißes Wolkenhaar bekrönt seinen mächtigen Kopf. Mit seinen Händen kann er große Schiffe an Land ziehen. Jordan nahm seine Mütze vom Kopf. Egersdörfer knöpfte seinen Mantel auf und legte ihn ab. Im angenehm hellen Raum war es warm.
Die drei Herren setzten sich vor die Regale, in denen Kunst, Material und verschiedenste Träume und Erwägungen gelagert waren. An den Wänden hingen dicht an dicht Bilder von Freundinnen und Freunden aus der gesamten Welt. Ein Stück weit entfernt von der Stelle, an welcher der Jordan an seinen Zeichnungen arbeitete, lehnten die großen Farbdrucke vom Meister Thurn persönlich. Vielfarbig und äußerst aufwendig mit mehreren Platten und höchstem Wissen gedruckt. Phantastische Welten waren darauf abgebildet mit feinen farblichen Abstufungen, die einem schier daran zweifeln ließen, dass es sich hier um einen Hochdruck handelte. Weiter hinten im Raum standen die Druckerpressen, unter denen unter der Woche Schüler in verschiedenen Drucktechniken unterrichtet werden.
Heinz bot mannigfaltige Getränke und Schokolade an. Beide Herren wählten Wasser und betrachteten die Süßigkeiten mit wehmütigem Blick. Egersdörfer schaltete das Aufnahmegerät ein. Dann fragte er:
„Wieso dörf ich denn eigentlich nedd ‚Heinzi’ zu dir sagn?“
Heinz Thurn schnaubte halblaut und antwortete darauf: „Unterdessen dörfst des.“ In die Richtung vom Michael Jordan sprach er weiter: „Weil ich hab ihm amol so ann Faustschlach versetzt, dass er noch Wochen später gsacht hadd, wie schmerzhaft des woar.“ Der Satz mündete in ein Grinsen.
- “Und edz dörf ich widder „Heinzi“ zu dir sogn?“
- „Jo. Du kannsd des wieder sogn. Iech habb edz a gewisse Aldersmilde.“ Die drei Herren lachten im Chor.
- „Was für Bilder falln dir ein, wenn du ‚Dietenhofen’ hörst?“
Heinz schwieg für einen Moment lautstark. „Der Großvadder. A Bauernhof, aus dem mei Mudder stammt. Des Getreide noch midd der Sense mähn. Und dann als Jugendlicher in den Schulferien immer Diedenhofen bsucht.“
-„Du bist dort in Dietenhofen geborn?“, fragte der Egers nach.
- „Ja. Ich bin dort geborn. Meine Eldern sind dann midd mir, wie ich drei Jahr gwesen bin, nach Wendelstein zoong. Da wor ich dann bis zum zehnten Lebensjahr und dann simmer nach Nürnberch.“
-„Was haddn dei Vadder gmacht?
-„Ach, mei Vadder. Des wor eigenddli a Schliddzohr. Der wor bei die Nazis. Der wor Versicherungsverdreeder. Der wor Bäckermeister. Und dann wor er bei der Kirch angstellt. Nürnberch, Sankt Peter. Und da wor er so – Diakon möcht iech nedd soong – abber, soong mer, Hausmeister. Für alles.“ Heinz schnauft eine Pause durch die Nase und blickt seinen Gesprächspartner an. „Des wor mei Vadder. Dem habb ich unterdessen in meiner Sturmzeit – wor der für mich nadürlich ein abzulehnendes Objekt. Da worn mir zu der Zeit so underwegs – so diese Hippies und Gammler, die wolldn sich da drennen von dieser Nachkriegsgeneration. Mei Vadder is inzwischen scho über zwanzich Johr gstorm – naja, scho fast dreißich Johr. Der hadd ziemlich früh kanne Eldern mehr ghabbd. Is in Heimen aufzoong worrn und bei Schwesdern un hadd dann siemadreißig – do wor der zwanzich – hadd der do bei der Wehrmacht Kameradschaft, Ordnung, ann Sinn kennenglernt. Der iss do – iech wills edz nedd schön reden – abber a weng in diese grandiose Falle neidappt. Do hadd er hald a Aufgabe gfundn. Er wollt auch des deutsche Volk rettn von den Bösen. Ma muss sich des a weng a so vorstelln, die Info domals wor aa a bissl einseidich. Do hadds den Reichssender, odder wie der gheißn hadd, im Radio gehm. Und ansonsdn wor do no die Beeinflussung. Na, und naddürlich die Indeleggduellen sinn a frühzeidich abghaut. Freilich, manche hamms auch übernommen. Abber die, dies durchschaut hamm, sinn abghaut oder dann auch endsprechend umbracht worn.“
- „Wann bisdn du geborn, Heinz?“
- „Siemavierzich.“
- „Hadd dir des dann dei Vadder erzählt, wie des gwesn is?“
- „Naa. Mei Vadder hadd nie wos übern Kriech gsachd.“
- „Woher hasd Du des dann erfahrn?“
- „Erschd nachn Dood. Do habb ich des dann in Underlagn und so weider gfundn, und von Erfahrungsgschichdn auch von die Verwanden odder seine Gschwisdder ghört, die noch glebt hamm. Die hamm mir da auch einiges erzähld. Do wusst ich dann überhaubbd auch ersd Bescheid.“
Heinz trank einen Schluck Wasser. Egers tat es ihm gleich. Der Herr Jordan indessen zeichnete den Meister Thurn vor dem sich auftürmenden Regal und schaute auf den fragenden Egersdörfer neben diesem und zeichnete wieder auf das weiße Blatt auf dem Klemmbrett auf seinen Knien. Der Zeichner blickte auch immer wieder auf zwei andere Drucke von Heinz Thurn, die neben ihm wie beiläufig lehnten. Zum einen war dies die Sitzgruppe aus der Dame und den zwei Herren, die freudig um einen Schweinskopf in fröhlicher Geselligkeit saßen und „gekonnt die miefige Fröhlichkeit der sechziger Jahre einfängt“, wie es der Zeichner auf der Heimfahrt benannte.
Zum anderen befand sich dort auch der Hochdruck vom Tanz der Gans mit dem Wolf. Die Frage, welche die Darstellung aufwirft, ist letztendlich, ob dieses kleinere Vergnügen gut ausgehen kann. „Ein brandaktueller Zeitbezug, obwohl das Blatt schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat“, sollte Jordan dazu sagen. Während er schwarze Linien auf das Papier zog, vermischten sich in seinem Kopf die Worte des Geprächs und Begrifflichkeiten, die er sich selbt dazu erdachte. Egersdörfer fragte nach der Mutter von Heinz Thurn.
„Mei Mudder, die wor Kranknschwesdder“, entgegnete der Heinz. „Wahrscheinlich hadd die mein Vadder in so amm Feldlazaredd irgendwo kennenglernt, vermut iech eddz amol, dess wass iech nedd so genau. Die wor zum Beispiel in Lemberch, Ukraine. Da hadd die welche, die vo der Front kommer sin, gepfleechd und versorchd. Iech habb ja Wehrdienst verweigerd. Do woar die Aufforderung von dem Wehramt, die Eldern solln sich dazu äußern. Mei Vadder hadd sich nedd geäußerd. Mei Mudder hadd gsachd, ja, sie verschdehd des. Weil es wor so schlimm deilweis. Nach ihrm Dood habb iech aa Dagebuch gfundn. Do hodd sie reingschriem, wie der Kriech zu Ende wor: ‚Kann es sein, dass uns der Hitler so betrogen hat?‘ Die hadd des aa glaubd. Wie gsachd, die kam aus am Bauernhof. Des worn fünf, sechs Gschwisder. Der eine is ziemlich jung in Frangreich gfalln. Do komm mer edz widder auf deine Anfangsfrage zurügg, woss mir zu Diedenhofn einfälld.“
- „Die Einsichd kam deiner Mudder also ziemlich spät?“
- „Ja – du – mit siebzehn, achtzehn, oder was, wor die scho Kranknschwesder. Und des wor die ihr Leem lang. Im Nordklinikum wor die. Danach hadds in amm Aldersheim die Station gleided. Die hadd versuchd, den Menschen zu helfn. Die had dauernd mit Verletzdn zu dun ghabt. Und do sinn nadürlich die andern die Bösn.“
Wir sprachen dann noch über die Rebellion und die langen Haare der Jugend, die insbesondere dem Vater nicht besonders gefielen. Der Satz „Beim Hiddler woar aa nedd alles so schlecht“ vom Vater Thurn wurde noch zitiert, den in dieser Zeit häufig nicht nur der Vater so sagte. Heinz ging früh seine eigenen Wege.
„Es wor nedd sei Film“, sagt Heinz heute zu der seinerzeit wachsenden Distanz zwischen ihm und seinem Vater.
„Sag einmal Heinz, wie bist du eigentlich zur Malerei gekommen?“, fragte der Egersdörfer.
Heinz sagte: „Da erzähl ich eigendlich aa immer die Gschichdde – des wor noch in der Volksschul, do gabs no unsern Lehrer, der hadd Oskar Rieß gheißn. Und der hadd uns amol an ner großn Wand aa Babierrolln aufspannen lassn. Und dann hamm mir zu dritt a Zirkusszene gmalt. Damals wor der Zirkus Hagenbeck in Nürnberg und der Rieß hadd des arrangiert, dass mir drei, die des gmalt hamm, do hin sinn. Und ich weiß noch, der Hagenbeck is do aus so an Wohnwagn rauskommer, ich glaub, middn Schlafanzuuch no, weil mer scho ziemlich früh dordd worn. Er wor a weng so missmuudich. Dann hadd der Lehrer gsachd: Edz rolld des amol auf. Und dann hamm mir des aufgrolld. Un dann wor da ein Lachen, ein Strahln von dem Hagenbeck. Da hadd der lachen müssn. Iech glaubb, mir hamm da so an Diecher, der durch ann Reifn durchspringd, oder sowas Ähnlichs, gmalt. Jedenfalls hadd dann die ganze Glass a Freikarddn für a Vorstellung grichd. Und dann mussd du dir vorstelln, wie du doo als Zehn-elfjähriger stolz darauf bist.“
Heinz Thurn erzählte anschließend noch von seinem Klavier- und Posaunenunterricht und den schönen Jahren bei der christlichen Jungschar. Nach dem Zivildienst lernte er Buchdrucker. Anschließend studierte er Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Heute ist er, wie er selbst mit einem breiten Grinsen sagt, ein international bekannter Künstler.
Die Nacht war hereingebrochen, als Egersdörfer sein Aufnahmegerät ausschaltete. Heinz Thurn betrachtete die Zeichnung, die Michael Jordan von ihm und dem Egersdörfer im Atelier angefertigt hatte. Sie ist hier auch abgebildet. Dem Heinz hat sie gut gefallen. Jordan zog dann seine Mütze auf. Egersdörfer schlüpfte in seinen Mantel. Und nachdem Heinz Thurn noch die Tür abggeschlossen hatte, gingen die drei Herren noch auf zwei Bier ins Café Express, ohne sich auf dem Weg dorthin auch nur ein einziges Mal zu verlaufen.
Matthias Egersdörfer www.egers.de
Michael Jordan www.ansichten-des-jordan.de
Der Matthias Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Und der Egers schreibt, was er hört und erblickt. So entsteht diese Kolumne.
TERMINE EGERSDÖRFER
Das neue Programm „Langsam“ von und mit Matthias Egersdörfer ist u.a. zu sehen in der Comödie Fürth (03.04.2025), in den Ansbacher Kammerspielen (24.04.), in der Kulturfabrik Roth (10.05.) ... Die großartig fundierte Premieren-kritik dazu von Andreas Radlmaier findet ihr HIER.
Am 27. März gibt´s wieder mal die Kurzfilmnacht mit Egersdörfer und Schleindl im Filmhaus.
Und am 10. April im Roten Salon / Z-Bau, Nbg mit der Boyband Fast zu Fürth: Bitte ruf mich nie wieder an. Wer das lieber im Kulturbahnhof Hersbruck genießen möchte, der kann das am 12. April tun.
Michael Jordan
Michael ist Initiator und beteiligter Zeichner der Ausstellung „Wie geht es dir? Zeichner*innen gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“ im VS, Das Interimsquartier des Museums Villa Stuck, Goethestr. 54, München.
www.villastuck.de
www.wiegehtesdir-comics.de / www.instagram.com/comics_wiegehtesdir
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