TALAJ SZÖKE – AFTERLIFE EPISODE 2

MONTAG, 10. FEBRUAR 2025

#Dr. Marian Wild, #Kunstreview, #Performance, #Silvan Wilms, #Talaj Szöke

Wir starten ein neues Genre: Um der zunehmenden Monoperspektivität in der Welt da draußen und der Kulturberichterstattung da drinnen entgegenzuwirken, wird die curt-Kunstredaktion in Zukunft von Zeit zu Zeit verschiedene Perspektiven auf ein Kulturevent anbieten.

Silvan 
GLITCH IN DIE WIRKLICHKEIT
Vor der Projektion eines blauen Himmels mit etwas zu perfekten Schäfchenwolken entwickelt sich die Darbietung. Zunächst wirkt die Szene noch belustigend, und tatsächlich ist auch das ein oder andere dumpfe Kichern aus der Menge der Zuschauenden zu vernehmen. Talaj Szöke tritt als drollige Figur mit Fahrradhelm in das von Gaming-Gedudel untermalte Ambiente und mimt dabei gekonnt den etwas linkisch schlendernden Habitus früher Videospielcharaktere. Die Absurdität dieser ins Lebendige übertragenen Ästhetik einer virtuellen Idylle wirkt ebenso erheiternd wie einnehmend. An der leibhaftigen Person erscheinen die programmiert wirkenden Gesten und Bewegungen irritierend und fremdartig und doch fällt es nicht schwer, diesem namenlosen Avatar gegenüber Sympathie zu empfinden. Auch steigert sich mit der Zeit die Dramatik, und die Figur wird von immer intensiveren Affekten heimgesucht. Zwar erschließt sich deren Ursprung nicht unbedingt, doch fühlt man mit, auch dann, wenn sich die Turbulenz der Seele aus unerfindlichen Gründen an einem kleinen Tetra-Pack mit Orangensaft entlädt. Schließlich mündet die anfangs so beschauliche Szene in einem tragischen Lamento. Ein herzzerreißendes Klagelied, die singende Figur ebenso schwer atmend wie der Balg des Akkordeons in ihren Armen. Kaum ist eine solche Klimax emotionalen Pathos mit der befremdlichen Beschaulichkeit zu Beginn übereinzubringen, und doch entsteht an keiner Stelle der Eindruck, die Figur sei aus der Rolle gefallen. Zuletzt verschwindet die erschöpfte Gestalt durch eine Tür im Himmel. Das Motiv erinnert an Die Truman Show, es fehlt nur das letzte „Good afternoon, good evening and good night“. Doch tut die Performance gut daran, uns eine derartige Abschiedsfloskel zu ersparen. 

Marian
CAN YOU HEAR ME, MAJOR TOM?
Es war ein dunkler Raum: Die Zuschauenden verteilten sich auf der Fensterseite, liegend, sitzend, mit Bierflasche und Weinglas; wenige Requisiten waren verteilt. Was passierte, war streckenweise magisch und surreal zugleich: Wie ein Non-player-Character aus einem Computerspiel, so schien mir, wanderte Talaj Szöke im Raum umher, mechanisch und alienhaft. Die braune Perücke wild toupiert, das Gesicht starr, aber wach und hochkonzentriert. Eingebrannt hat sich mir jenes Akkordeon, das Talaj spielt, rücklings auf einem Stuhl liegend und auf ihm musizierend durch den Raum rutschend. Die melancholische Poesie, die in diesem Moment in mich flutete, löste einige Erinnerungen aus: Es wird etwa 25 Jahre her sein, dass ich das erste Mal "Space Oddity" von Bowie gehört habe, jenem Beloved Alien, der mich nie wieder losließ, auch nicht nach seinem Tod 2016. Wenn ich mir die frühen Musikvideos und Auftritte von ihm ansehe, schaudere ich oft ähnlich, konfrontiert mit einem wirklich außergewöhnlichen Bild, von denen er viele erfunden hat. Nun fängt Talaj erst an mit dem künstlerischen Tun. Der Vergleich darf also weder Angst machen noch eine Parität herstellen, die ja erdrückend wäre. Aber die Performance hat mir etwas klargemacht: Dass ich nach jenen herausragenden Szenerien suche, weil sie mich auch Monate später noch bereichern. Und weil sie sich verknüpfen, mit gesehenen und gehörten Dingen von damals.




Twitter Facebook Google

#Dr. Marian Wild, #Kunstreview, #Performance, #Silvan Wilms, #Talaj Szöke

Vielleicht auch interessant...

NüRNBERG. Doppelinterview mit Alexandra Klobouk & Hans-Joachim Wagner       
von Marian Wild

Im letzten Teil unserer Interviewreihe geht es noch einmal um die Frage, wie man die Zeit, die vor rund 80 Jahren mit einem verheerenden Weltkrieg endete, im Heute zugänglich halten kann. Im
Interview dem Dezember-curt ging es um Otto Ernst Krakenberger und seine Mitwirkung an Graphic Novel und interaktivem Chatbot. Im folgenden Doppelinterview habe ich Alexandra Klobouk, Autorin und Illustratorin des Krakenberger-Buchs, sowie Hajo Wagner, Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände, zu dem Thema befragt. 

Allen Lesenden und Mitwirkenden, und besonders dir, lieber Hajo, vielen Dank für das Interesse und die kollegiale gemeinsame Arbeit, Licht in die komplexe Situation zu bringen, in der wir uns aktuell mit diesen Themen bewegen! Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft in vielen Bereichen unseres Lebens neue Wege beschreiten müssen, das geht aber nach meiner festen Überzeugung nur, wenn wir die schon durchdachten Gedanken auf diesem Pfad, transparent für alle, mitzunehmen gestatten.
Love, Marian  >>
DOKUMENTATIONSZENTRUM REICHSPARTEITAGSGELäNDE. Im letzten Gastbeitrag hat Barbara Kreis, emeritierte Professorin für Architekturgeschichte, verschiedene wahrnehmungspsychologische und architektonische Untiefen der Beschäftigung mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände herausgearbeitet. Über ihre Thesen spreche ich im folgenden Interview mit Hajo Wagner. Alle von mir gestellten Fragen wurden von Hajo schriftlich beantwortet, wie immer gab es keine inhaltlichen Eingriffe.  >>
20250201_Wochen_gegen_Rassismus
20250201_Staatstheater
20250201_pfuetze
20250125_akustika
20250201_Kaweco
20250121_Freizeit_Messe
20240601_ebl
20230703_lighttone
20250201_Umweltreferat
20250201_IHK_AKademie
20250201_Retterspitz