TALAJ SZÖKE – AFTERLIFE EPISODE 2
#Dr. Marian Wild, #Kunstreview, #Performance, #Silvan Wilms, #Talaj Szöke
Wir starten ein neues Genre: Um der zunehmenden Monoperspektivität in der Welt da draußen und der Kulturberichterstattung da drinnen entgegenzuwirken, wird die curt-Kunstredaktion in Zukunft von Zeit zu Zeit verschiedene Perspektiven auf ein Kulturevent anbieten.
Silvan
GLITCH IN DIE WIRKLICHKEIT
Vor der Projektion eines blauen Himmels mit etwas zu perfekten Schäfchenwolken entwickelt sich die Darbietung. Zunächst wirkt die Szene noch belustigend, und tatsächlich ist auch das ein oder andere dumpfe Kichern aus der Menge der Zuschauenden zu vernehmen. Talaj Szöke tritt als drollige Figur mit Fahrradhelm in das von Gaming-Gedudel untermalte Ambiente und mimt dabei gekonnt den etwas linkisch schlendernden Habitus früher Videospielcharaktere. Die Absurdität dieser ins Lebendige übertragenen Ästhetik einer virtuellen Idylle wirkt ebenso erheiternd wie einnehmend. An der leibhaftigen Person erscheinen die programmiert wirkenden Gesten und Bewegungen irritierend und fremdartig und doch fällt es nicht schwer, diesem namenlosen Avatar gegenüber Sympathie zu empfinden. Auch steigert sich mit der Zeit die Dramatik, und die Figur wird von immer intensiveren Affekten heimgesucht. Zwar erschließt sich deren Ursprung nicht unbedingt, doch fühlt man mit, auch dann, wenn sich die Turbulenz der Seele aus unerfindlichen Gründen an einem kleinen Tetra-Pack mit Orangensaft entlädt. Schließlich mündet die anfangs so beschauliche Szene in einem tragischen Lamento. Ein herzzerreißendes Klagelied, die singende Figur ebenso schwer atmend wie der Balg des Akkordeons in ihren Armen. Kaum ist eine solche Klimax emotionalen Pathos mit der befremdlichen Beschaulichkeit zu Beginn übereinzubringen, und doch entsteht an keiner Stelle der Eindruck, die Figur sei aus der Rolle gefallen. Zuletzt verschwindet die erschöpfte Gestalt durch eine Tür im Himmel. Das Motiv erinnert an Die Truman Show, es fehlt nur das letzte „Good afternoon, good evening and good night“. Doch tut die Performance gut daran, uns eine derartige Abschiedsfloskel zu ersparen.
Marian
CAN YOU HEAR ME, MAJOR TOM?
Es war ein dunkler Raum: Die Zuschauenden verteilten sich auf der Fensterseite, liegend, sitzend, mit Bierflasche und Weinglas; wenige Requisiten waren verteilt. Was passierte, war streckenweise magisch und surreal zugleich: Wie ein Non-player-Character aus einem Computerspiel, so schien mir, wanderte Talaj Szöke im Raum umher, mechanisch und alienhaft. Die braune Perücke wild toupiert, das Gesicht starr, aber wach und hochkonzentriert. Eingebrannt hat sich mir jenes Akkordeon, das Talaj spielt, rücklings auf einem Stuhl liegend und auf ihm musizierend durch den Raum rutschend. Die melancholische Poesie, die in diesem Moment in mich flutete, löste einige Erinnerungen aus: Es wird etwa 25 Jahre her sein, dass ich das erste Mal "Space Oddity" von Bowie gehört habe, jenem Beloved Alien, der mich nie wieder losließ, auch nicht nach seinem Tod 2016. Wenn ich mir die frühen Musikvideos und Auftritte von ihm ansehe, schaudere ich oft ähnlich, konfrontiert mit einem wirklich außergewöhnlichen Bild, von denen er viele erfunden hat. Nun fängt Talaj erst an mit dem künstlerischen Tun. Der Vergleich darf also weder Angst machen noch eine Parität herstellen, die ja erdrückend wäre. Aber die Performance hat mir etwas klargemacht: Dass ich nach jenen herausragenden Szenerien suche, weil sie mich auch Monate später noch bereichern. Und weil sie sich verknüpfen, mit gesehenen und gehörten Dingen von damals.
#Dr. Marian Wild, #Kunstreview, #Performance, #Silvan Wilms, #Talaj Szöke