Zeitzeuge des Naziterrors: Die Botschaft ist, dass alle Menschen gleich sind

DIENSTAG, 28. JANUAR 2025, NüRNBERG

#Erinnerungsarbeit, #Ernst Otto Krakenberger, #Graphic Novel, #Kunstreview

Von Dr. Michael Veeh
Ernst Otto Krakenberger ist im Ruhestand, er lebt zusammen mit seiner Ehefrau Ursula in Schwaig und hat eine besondere Geschichte zu erzählen: Seine Kindheit war von Grausamkeiten der national-sozialistischen Terrorherrschaft gezeichnet und mahnt bis heute vor den Folgen von Antisemitismus und Ausgrenzung. Seit einigen Jahren besucht er als Zeitzeuge Schulen, um Jugendliche zu erreichen – so habe auch ich ihn vor fast zwei Jahren kennengelernt.


Flucht, Versteck und Befreiung
Krakenbergers Eltern waren in der dritten Generation Hopfenhändler in Nürnberg und bis 1933 angesehene Mitglieder der hiesigen Stadtgesellschaft. Sie waren jüdisch, maßen ihrer Religion aber keine besondere Bedeutung bei. Anfang 1939 verließen sie ihre Heimat, um in den Niederlanden Schutz vor dem Terror der Nationalsozialisten gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland zu suchen. Nachdem jedoch im Mai 1940 die Wehrmacht in den Exil-Ort eingefallen war und das Land besetze, spitzte sich auch dort die Lage rasch zu. In diese Zeit fällt Krakenbergers Geburt im Dezember 1940 in Naarden bei Amsterdam. Die größte Sorge der Eltern galt dem Überleben ihres Sohnes. So vertrauten sie ihn einer befreundeten nichtjüdischen Familie namens Stockmann an, die ebenfalls deutsche Wurzeln hatte und ihre Hilfe anbot: Krakenberger wurde als uneheliches Kind der zunächst erst siebzehnjährigen Tochter Maja Stockmann (1924-2024) ausgegeben. Diese Tarnung schützte ihn, während seine Eltern verhaftet und in verschiedene Konzentrationslager deportiert wurden. Nach ihrer Befreiung kehrten die Eltern 1945 zu den Stockmanns zurück und nahmen ihren Sohn wieder zu sich. Für ihn war es damals, so berichtet er in Zeitzeugengesprächen, als würde er fremde Menschen kennenlernen. Erst Jahrzehnte später, anlässlich seines 50. Geburtstags, erzählte ihm Maja in einem langen Brief Details aus der gemeinsamen Zeit. 

Die Geschichte weitererzählen
Was vermag uns eine solche Geschichte heute zu sagen? Wie können wir dafür sorgen, dass sie auch kommende Generationen erreicht? Schon seit vielen Jahren beschäftigt sich die fächerübergreifende Arbeitsgruppe LediZ (Lernen mit digitalen Zeugnissen) an der Ludwig-Maximilians-Universität München damit, wie sich Lebensgeschichten von Zeitzeug:innen digitalisieren lassen und in dieser Form auch nach dem Ende der Zeitzeugenschaft als Lernmedien genutzt werden können. Unser Ziel ist dabei nicht, Fakten zu vermitteln, sondern zu kritischen Auseinandersetzungen anzuregen und Haltungen zu stärken, die sich gegen Antisemitismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit positionieren. Wir entschieden, auch Krakenbergers Geschichte mit unseren Ansätzen zu verbinden. Gemeinsam mit ihm haben wir in einem aufwendigen Prozess digitale Aufnahmen seiner Erzählungen erstellt. Auf dieser Grundlage entsteht nun ein Chatbot, der es ermöglichen wird, dass Nutzer:innen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) im digitalen Raum Dialoge mit Krakenberger führen können. Darüber hinaus verstärkt uns die Künstlerin Alexandra Klobouk und erzählt Krakenbergers Geschichte in Texten und Bildern für ein junges Publikum ab 10 Jahren neu. Es entsteht zunächst ein E-Book, das in Verbindung mit dem Chatbot, aber auch unabhängig davon gelesen werden kann. Später soll als Erweiterung auch noch ein gedrucktes Buch erscheinen, an dem Klobouk ebenfalls bereits arbeitet.

Botschaften an künftige Generationen
Krakenbergers Zeugnis umfasst schwere Verlusterfahrungen und zeigt die Unsinnigkeit und Brutalität der nationalsozialistischen Rassenideologie. Zugleich löst es aber auch Bewunderung für die Zivilcourage Maja Stockmanns und ihrer Familie und für die 
Geradlinigkeit, mit der Krakenberger trotz der schweren  Kindheitserfahrungen durchs Leben geht. In Krakenbergers Erzählungen beeindruckt, wie er diese immer wieder mit einem unverrückbaren Glauben an die Kraft von Menschlichkeit und Versöhnung verbindet. „Die Botschaft“, so erklärt er in einem der Interviews, „ist, dass alle Menschen gleich sind. Sie haben zwei Beine, sie haben zwei Arme, sie haben zwei Ohren und mitten in ihrem Gesicht eine Nase – wichtig ist, was man aus seinem Leben macht, nicht als was man geboren wird.“ Diese Welthaltung, von der sich Krakenberger leiten lässt, ist von überzeitlicher Relevanz, sie kann junge Menschen auch in unserer Gesellschaft erreichen und macht den besonderen Wert von Krakenbergers Geschichte aus. 

Wege in die Öffentlichkeit
Im Umfeld des 8. Mai 2025, zum 80. Jahrestag des Kriegsendes, sollen Chatbot und E-Book gemeinsam vorgestellt und auf unterschiedlichen Wegen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Alle Interessierten werden eingeladen sein, den Chatbot mit Krakenberger selbst zu erproben und das Leben des Zeitzeugen im E-Book (und dann auch im gedruckten Buch) kennenzulernen. Um Krakenbergers Geschichte noch weiter zu tragen, integrieren wir außerdem beide Medien in eine Fortbildungsreihe zur antisemitismuskritischen Bildung in Schulen, die wir in Zusammenarbeit mit dem Institut für Pädagogik der Stadt Nürnberg (IPSN) anbieten. Ernst Otto Krakenberger begleitet die Entstehung der Lernmedien über seine Kindheitserfahrungen intensiv – ihm und auch seiner Ehefrau gilt an dieser Stelle ganz besonderer Dank, dass sie sich so offen auf die Zusammenarbeit mit uns eingelassen haben.

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ERNST O. KRAKENBERGERS ZEITZEUGNIS
Das E-Book von Alexandra Klobouk über die Kindheit von Ernst O. Krakenberger erscheint 2025. Weitere Informationen folgen u.a. auf der Internetseite der Münchener LediZ-Gruppe.   
www.lediz.uni-muenchen.de

Bereits am 23.01.2025 werden Teile der Materialien im Rahmen einer Lehrkräftefortbildung zur antisemitismuskritischen Bildung im (Deutsch-)Unterricht vorgestellt. 
Im IPSN, Fürther Straße 80a, Nbg, von 14 bis 16.30 Uhr. 
Informationen zum Programm und Anmeldung per E-Mail an Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst

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Dr. Michael Veeh 
unterrichtet Deutsch und Geschichte am Johannes-Scharrer-Gymnasium und ist derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Ludwig-Maximilians-Universität München abgeordnet. Dort forscht er u.a. zu innovativen Lehr-Lernansätzen im Zeitalter der Digitalisierung und zu antisemitismuskritischer Bildung im Deutschunterricht.




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