Egersdörfer-Premiere im Gutmann: Auf der Autobahn des rasenden Stillstands

FREITAG, 24. JANUAR 2025, GUTMANN AM DUTZENDTEICH

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Preisgekrönt ins neue Solo:  Matthias Egersdörfer, CURT-Kolumnist und Leuchtkegel der deutschen Satire, ist bis Ende 2026 mit „Langsam“ umfangreich unterwegs
 
Von Andreas Radlmaier


Er sei doch „auch nichts anderes als ein Lastwagenfahrer, der seine Späße überall ablädt“, sagt Matthias Egersdörfer mittendrin in seiner (ausverkauften) Premiere über seine seltsam anmutende Profession. Da ist der international tätige Lieferant für Schwerlast-Satire und andere Gefahrengüter schon mittendrin in seinem Lob der Langsamkeit, einem einfallsreichen Widerstands-Manifest gegen Quickies und Quatsch aller Art.

Auf dem zuverlässig überfüllten Parkplatz der Paradoxien lassen sich zwischen der Autobahn der Entschleunigung (Trampen im Brummi macht’s möglich) und dem Zeitlupen-Service im Gasthaus zum fränkischen Stillstand schöne Beobachtungen machen. Aus der Zeit fallen, just in time. Und allen geht ein Bremslicht auf.

Gerade für einen Erzähler wie Matthias Egersdörfer, der seine Liebe und Stärke zur Geschichte, zur Gedankenverknotung, zur Synapsen-Explosion (nicht nur in seinen CURT-Kolumnen) seit Jahren mit erstaunlichem Eigen-Sinn vorantreibt. Da passt auch die finale Unterstellung, das langsame Mästen durch die kochkünstlerische Frau könnte ein Racheakt sein, um der weiblichen Jungkonkurrenz ein attraktives Mannsbild (Six-Pack statt Stau am Mittleren Ring) vorzuenthalten. Der Mann behauptet sich als fleischgewordener Leuchtkegel der deutschsprachigen Satire.

Im neuen Bühnen-Solo „Langsam“ ergibt das im Gesamtrahmen nun eine neue Konstruktionsdimension, weil das Raubeinige, die tobenden Entgleisungen mehr denn je nur das Lockmittel für den Hintersinn bilden und in der Regie von Claudia Schulz aus den Einzelteilen Grundsätze von Haderscher Beiläufigkeit und Schmauchspuren von Walter Moers entstehen. Dieser Abend ist eine reife Leistung.

Und so bedient Egersdörfer, mittlerweile 55 Jahre alt, die weiterhin in Vorurteil und Endlosschleife kursierenden Projektionen seiner Bühnenfigur als limitierten Grantler mit Hang zu Ordinärem und Dialekt, wenn er in infamer Selbstverliebtheit und tiefstapelndem Größenwahn über seine mindestens dreigeteilte Persönlichkeit räsoniert und spottend die ewig staunenden Einsortierungen von Publikum und Presse (hier der plärrende Komiker, da der höfliche Künstler) einstreut. Oder sich vorstellt, dass es doch angemessen wäre, wenn der Bademeister im Freibad ihm – den Träger des Deutschen Kleinkunstpreises, des Deutschen Kabarettpreises, des Wolfram-von-Eschenbach-Preises – per Lautsprecherdurchsage beim Zählen der Schwimmbahnen helfe, wenn er sich wegen beginnender Kurzsichtigkeit, beschlagener Schwimmbrille und fehlendem Fernglas in der Badehose mal wieder verzähle.

Auch da lenkt Egersdörfer, wenn er in seinem Bühnen-Ornat (rotes Hemd, blauer Nadelstreifenanzug) vorwiegend über die linke Schulter ins Publikum spricht, das Thema auf die Verteidigung der Langsamkeit zu. „Wenn du es eilig hast, tu‘ langsam“, empfiehlt der Kabarettist. Was im Dialog mit seinen Gästen im Gutmann von einer Frau postwendend ergänzt wird durch die Weisheit: „Tu langsam, so viel Zeit hab‘ ich ned.“

Lebenslanger Kronzeuge dieser Lebenshaltung ist ihm der verstorbene Geistesbruder Philipp Moll, dem er in allen Programmen und zuletzt auch im Roman „Das Lachen des Grünspechts“ einen Tabernakel baut als „großen Meister der Langsamkeit“, als „höchsten Held im Gurkenfeld“. Eine Suite in Moll. In „Langsam“ wird er als König im Zeitlupen-Radfahren, Meister im Sofort-Schlaf und als quergeistreicher Lyriker eingeführt.

Die eigene Geschwindigkeit beim Entscheiden, Denken, Sprechen, Zwiebelschneiden kann dann das 150 Meter lange Frühstücks-Büffet im Hotel schon zum Sinnbild der Hölle werden lassen. Oder das „Mittagsgespräch“ auf Bayern2, wo „Schwachmaten“ ihre manipulierte Wut im lügnerischen Heilsversprechen der Rechten explodieren lassen. Aber, zitiert Egersdörfer Albert Einstein: „Wenn man immer dasselbe tut, aber immer auf ein neues Ergebnis hofft, ist man blöd.“

Mut zur Zumutung wäre – neben Grips – die Lösung. Folglich setzt Egersdörfer dem Publikum sechseinhalb Minuten mit Charles Mingus‘ Stück „Solo Dancer“ vor, lächelt zum groovenden Gedudel-Strudel der Blue-Note-Ikone erheitert vom Tisch aus ins Parkett. Der freigeistige Jazz krönte eine Story über die Vorteile von Intervall-Sex und die Begrifflichkeiten von Geschlechtsverkehr, was ja so klinge wie „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“. Aber, um auch noch auf den verbalen Erwartungshorizont des Künstlers einzugehen: Rammeln und Ficken klingen – „Scheiß der Hund ins Feuerzeug“ – auch nicht erotisch-entspannter.

Die Referenzen aus der Vergangenheit nehmen eindeutig zu, um die Dimensionen des Lebens-Roulette zu umreißen. Jetzt zitiert „Egers“ Dostojewski („Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist“). Vor kurzem feierte der antike Philosoph Marc Aurel ein Comeback im Kabarett der Gegenwart. Da diente Marc Aurel (oder Marc Orel als Hinweis auf Oral Poetry) als Rempel-Warnung gegen die persönliche Denkmalsetzung der Nürnberger Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (Stichwort: Opernhaus-Interim in der Kongresshalle): „Wenn der Glanz des Nachruhms blendet, erwägt nicht, dass jeder von denen, die seiner gedenken, bald selbst sterben wird.“ Das war auf der Gala zum Deutschen Kabarettpreis in der Tafelhalle, bei dem Egersdörfer seine Preis-Kollektion in Anwesenheit der grandiosen Moderatorin Luise Kinseher erweitern durfte.

Ausgewählt hatte Egersdörfer übrigens das Nürnberger Burgtheater, das Anfang der 90er Jahre mit der Einrichtung dieses Preises deutschlandweit zu den Pionieren gehörte (lange bevor München zum Beispiel mit dem Bayerischen Kabarettpreis nachsetzte). Die Entscheidung war einigermaßen überraschend. Aber auch konsequent. Denn damit zeichnete der Nürnberger Verein einen Künstler aus, der seit den Anfängen immer wieder im Programm auftauchte. Die bange Frage von Matthias Egersdörfer im neuen Solo, was passiert, wenn „die Muse, die blöde Dolln, das Interesse an dir verliert“, spielt also offensichtlich aktuell keine Rolle. Die Zahl der Verehrer und Follower steigt, auch dank hoher Betriebstemperatur in der Abteilung Humor und Logistik. Eile mit Weile lohnt sich.
 
Weitere Termine:
„Langsam“ von und mit Matthias Egersdörfer ist u.a. in den nächsten Monaten zu sehen: in der Comödie Fürth (04.04.2025), in den Ansbacher Kammerspielen (24.04.), in der Kulturfabrik Roth (10.05.), im Erlangen Fifty-Fifty (25.09.), in der Tafelhalle Nürnberg (05.12.), im Zehntspeicher in Neunkirchen a. Brand (28.04.2026) und in Erlangen (25.09.2026) zu sehen.
Weitere Infos: www.egers.de

 




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