Und dem Haifisch fehl'n die Zähne: Die Dreigroschenoper im Staatstheater
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Jens-Daniel Herzog verlegt „Die Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill ins Nürnberger Opernhaus – und bleibt im Ergebnis seltsam harmlos
Von Andreas Radlmaier
Das Bedeutungs-Upgrade kurz vor dem 100. Geburtstag dieses Evergreens liegt eigentlich nahe. Denn Kurt Weills unkaputtbare Ohrwurm-Musik zur „Dreigroschenoper“, die 1928 uraufgeführt wurde und jetzt in Nürnberg bis zum Sommer etwa 14.000 Gäste anlocken soll, hat längst Volksgut-Status, Bert Brechts Kampfgeist-Zitate sowieso.
Also verlegt Staatsintendant Jens-Daniel Herzog seine Neu-Inszenierung des sudelnden Singspiels voller Moritatendrang gleich ins Opernhaus, schält Weills Klang-Erbe im eingedampften Brecht-Text heraus und besetzt die vermeintliche Barockopern-Parodie mit singenden Schauspielern und schauspielernden Opernsängern. Ein konsequenter Kreuzungsversuch, der sich auf dem Weg in die brennende Aktualität erstaunlicherweise neutralisiert. Man begreift, der Mensch ist schlecht. Und wird nicht ergriffen. Aber vielleicht ist das ja Herzogs Fingerzeig: Der Egalismus wird als Daseinsprinzip vorgeführt. Glotzt nicht so romantisch! Zuckt mit den Achseln!
Orchestergraben und erste Parkettreihe sind überbaut, um die räumliche Distanz des Opernhauses zu Elend und Gier auch akustisch aufzuheben. Emotionale Nähe peilt diese „Dreigroschenoper“ dennoch offensichtlich nicht an. Die dreckige Niedertracht wird als sauberer Mordsspaß vorgeführt. Dazu liefert die Staatsphilharmonie in Salonorchester-Größe (Leitung: Max Renne) gut geölt mit elegantem Drive und gelegentlichen Kanten die passende Tonspur.
Der legendäre Haifisch, der Zähne hat und Biss verspricht, ertönt gleich zu Beginn als Erkennungsmelodie für den skrupellos mordenden Macheath alias Mackie Messer. Wenig später trabt ein symbolhafter alter Varieté-Gaul – belebt durch zwei Studentinnen der Akademie August Everding – auf die Bühne, der Stepptanz kann, bei der Hochzeit von Polly und Macheath Kaviar aus dem Eimer frisst und auch sonst die Laune im Saal heben soll.
Denn im Grunde ist das Geschehen und Gesungene zutiefst fatalistisch und mustergültig. Erst kommt bekanntlich das Fressen, dann die Moral. Jens-Daniel Herzogs misstraut den Brecht’schen Charakteren und zeigt deshalb Karikaturen, um die kriminelle Energie im organisierten Bettler-Imperium auszustellen. Das geht nur bedingt gut, weil auch das Ensemble um München-Gast Michael von Au (als auch stimmlich verwitterten Bettler-Boss Peachum) erst nach der Pause Fahrt aufnimmt (mit einem markanten Chor-Höhepunkt) und der Humor immer wieder ins Rutschen gerät.
Spätestens beim finalen Klatschmarsch des Premierenpublikums wird klar, dass ätzender Sozial-Sarkasmus in den zweieinhalb Stunden nicht beabsichtigt war. Eher boulevardeske Heiterkeit mit ausgestopftem Körper-Klamauk, wenn das Puff-Personal wie ein Rudel aufgeblasener Sex-Nanas erscheint. Also balgt, schrillt und lügt sich die Londoner Soho-Society, die Bügelfalte trägt zum smarten Schmarotzer-Bewusstsein, durch die Szenen und Songs und gaukelt damit einen Community-Codex außer Rand und Band vor.
Wenn die Gesellschaft so verkommen ist, ist guter Rat teuer. Gutes Rad auch. Herzogs Stamm-Bühnenbildner Mathis Neidhardt hat für diesen Rummelplatz des Lebens ein blinkendes Riesenrad erdacht, das vertikale Drehbühne und Hamsterrad, Puff und Richtplatz in einem ist. Also die Draufsicht aufs Geschehen erlaubt. Nicolas Frederick Djuren als kaum zu fassender Mackie Messer darf hier erst kopfüber singend die Schwerkraft überwinden und anschließend die Vorstellung von strafender Gerechtigkeit. Denn ein „reitender Bote“ beschert ihm statt der Todesstrafe die Amnestie samt Ehrentitel und Bestechungsgeld. Wir schalten nun um zur Vereidigung des US-Präsidenten.
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Staatstheater Nürnberg: Die Dreigroschenoper
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