Der Egersdörfer und Herr Jordan: Krumme Linien und Captain Beefheart

MITTWOCH, 1. JANUAR 2025, FüRTH

#Franz Janetzko, #Kunst, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

Jordan arbeitete an einem neuen Comic. Vierzehn Seiten mit Zeichnungen hatte er dazu verfertigt. Dann hatte er die Bögen gescannt. Aber bei der Umwandlung der Papierdaten in digitale Daten hatte sich das Bild leicht verzerrt. Michael Jordan wusste nicht, wo der Fehler lag. Er wollte einfach nur, dass das elektronische Bild so dargestellt wurde, wie er es gezeichnet hatte. Seit Tagen schon zupfte er an den Linien herum, um sie nachträglich wieder geradezubiegen. Er empfand diese Tätigkeit als mühselig und letztendlich auch unnötig. Vielleicht brauchte er einen neuen Scanner oder ein Paar andere Augen. An der Schläfe spürte er einen leichten Schmerz des Unmuts. Mit einem unwilligen Brummen speicherte er die Datei und schaltete den Rechner ab. Er griff die Tasche mit seinen Utensilien fürs Zeichnen, zog sich den Mantel über und verließ die Wohnung, wobei er leicht seinen Kopf schüttelte.

Der Egersdörfer wiederum hatte sich gerade in Fürth Fragen überlegt, die er gleich dem Künstler Franz Janetzko stellen wollte. Dabei war er von einem Anruf unterbrochen worden. Zahlungen standen längst aus, wurde ihm mitgeteilt. Die Zeit drängte. Der Kabarettist wollte die Bezahlung rasch online tätigen. Dazu musste er den Auftrag über die Gesichtserkennung auf dem Handy finalisieren. Der erste Versuch misslang. Er drehte sein Gesicht näher zu der Schreibtischlampe. Der nächste Versuch misslang. Dann versuchte er es mit einer Identifizierung direkt am Fenster. Weitere Versuche scheiterten. Dann sollte er eine Nummer eingeben. Er suchte er in verschiedenen Unterlagen. Dort fand er eine Nummer. Allein, diese war verkehrt. Ebenso hastig wie aufgebracht rasierte er sich. Erneut hoffte er, dass sein Gesicht erkannt werden würde. Dann klingelte es an der Tür. Es war der Jordan. Egers sagte durch die Sprechanlage, dass er in einem kurzen Moment vor das Haus komme. Er griff schnell sein Aufnahmegerät, schlüpfte in seinen Mantel, setzte die karierte Kappe auf und eilte die Treppe hinunter.

„Erkennst wenigstens du mich, Herr Jordan?“, fragte er dann den Freund aus Erlangen vor der Haustür. „Wenn mich nicht alles täuscht, bist du der Herr Egersdörfer“, antwortete der Jordan, was dieser mit einem „Gott sei Dank“ quittierte. Sie liefen in die Theaterstraße, schlugen dort jedoch zunächst die falsche Richtung ein. Erst spät bemerkten sie, dass die Hausnummern deutlich abnahmen. Die Hausnummer vom Janetzko war deutlich höher. Sie änderten die Laufrichtung. Dann standen sie vor dem Altbau. Auf einem Klingelschild stand der richtige Name. Nach einiger Zeit erschien der Janetzko und sagte: „Aha. Da kommt edz also scho die Inquisition. Bitte hereinspaziert.“ Die Werkstatt befand sich im Hinterhaus. Es war ein langgezogener Raum. Leise bollerte ein Holzofen. Aus dem Radio dudelte leichte Popmusik. Einige Werkbänke standen hintereinander. Werkzeug lag herum und hing an den Wänden neben Objekten. Weiter hinten waren auch ein paar Drucke an der Wand angebracht. Die drei Herren versammelten sich vor einer Holzskulptur.

„Dieses Vorbild für das Fürther Rathaus, des is ja in Florenz. Der Palazzo Vecchio. Den hab ich schon amal gschnitzt. Und hab ihn dann im Rathausturm verkehrt herum hinghängt. Des Vorbild als Abbild – so, die Gschicht. Den hamm die dann aa kafft. Aber die wollen jetzt irgendwie was, multipel, klein – und wo’s dann auch mehr Dinger – zwanzich oder so was. Ich hab keine Ahnung. Ich muss da auch noch mal anrufn. Der soll erst mal schaua, ob er denkt, dass des so passt. Oder der OB. Oder was weiß ich“, erklärte der Janetzko. – „Und wenn des fertich ist, gießt du das dann in Beton?“, fragte der Egersdörfer. – „Ja, ja. Ich hab da meine ganzn Dinger da. Also teilweise auch so komplizierte Dinger. Aber des geht scho alles“, antwortete der Künstler. —„Aber des is edz grad dei aktuelles Projekt?“ – „Ja, ja. Des is so gut wie fertich. Naja, und edz mach ich dann noch mitn Heinz an Druck. Ich hab für die Hersbrucker (gemeint ist die Original Hersbrucker Bücherwerkstätte) für den Kalender a Blatt gmacht. Da hat der Michl (Michael Gölling) vorgschlagn ghabt, ob ich für die nedd  was machen könnt. Den Michl kenn ich ja schon länger. Des sin angenehme Leut, die Hersbrucker.“ – „Auf jeden Fall“, sagte der Egersdörfer und lachte wohlmeinend. Franz Janetzko öffnete die Ofenklappe und warf in den flackernden Schlund ein Holzscheit hinein. Jordan blickte kurz auf den Werktisch und zeichnete dann auf seinem Blatt weiter. Der Egersdörfer überlegte, ob das Kylie Minogue war, die da gerade im Radio sang. Dann fragt er: „ Franz, du warst zweimal in deinem Leben ziemlich lang in Amerika?“ – „Na ja, es erschde Mal erst a mal a halbs Jahr. Des wor in Ohio. – Also ich wor erst in New York, a Woche. Und hab mer des alles angschaut, was ich halt nur aus Katalogen kannte. Und dann halt Columbus, Ohio. Weil mei Freundin hadd a Stipendium gricht an der Ohio State University. Damals iss da grad – sacht Dir Laker Airways, eine britische Flugfirma, was?“ Egersdörfer überlegte und schüttelte dann langsam seinen Kopf. „Des worn die Ersten, die so Billichflüüch angeboden hamm. Abber bloß von London nach New York. Und von London nach Los Angeles. Für zweihundertvierzich Mark, umgrechnet. Also dodaal billich. Und da hab ich mir dacht, des kann ka Zufall sei.“ Franz kicherte leise und lächelte seinem Gegenüber ins Gesicht. „Mei Freundin is gflogn. Ich hab die in München zum Flughafen bracht und zwei Wochen später is des in der Zeidung gstanden, dass der Laker Airways so Billichflüüch an-bietet. Na ja. Dann bin i hald nach London. Wor do a weng. Hab mer des alles a weng angschaut. Dann nach New York. Okay. Und dann middn Greyhound nach Columbus.” – „Wie alt warsd da?“, wollte der Egersdörfer wissen. – „Da wor ich noch relativ jung. Des wor siemasibzich, oder so. Auf jedn Fall hamms mer do – in der erstn Kneipe, wo ich mir dacht habb, ich trink do etz mol a Bier oder an Gin Tonic – irgendwas – da hamms mich nach meim Ausweis gfracht. Also ich muss jünger ausgschaut hamm als …“ Der halbe Satz endete in einem hellen Lachen. Jordan versuchte jetzt schon zum dritten Mal, das Geicht vom Janetzko zu erfassen. „Es ist ein schwieriges Gesicht“, befand er für sich selbst, während der Janetzko fortfuhr: „A halbs Johr wor i, glaub ich, dordd. Und dann habb iech so alles mögliche – mussd ja a Geld verdiena – als Kellner habb iech da gar-beitet. Dann hamm mer uns an VW kafft. An Käfer. Im Winder simma dann nach Florida gfahrn. Im Hemingway seiner favourite bar habb i dann an Tom Collins drunkn.“ Wieder lachte der Janetzko in sich und über das gesamte Gesicht. „Des woar scho ganz schee. Un des zweide Mol – des wor dann achzich, aanerachzich. Do woar i dann hauptsächlich in San Francisco.“ – „Abber dann ohne direktn Anlass?“ – „Also indirekt hadds scho an Anlass gehm. Ich habb midd an Freund, midd an Ami, hier Musik gmacht. Und dem sei Freund, der hadd a Stipendium ghabbt in Madrid, an der Filmhochschul. Und den wolld der bsuchn. Und der wor ja in der Kaserne. Dann hadd der hald mich gfrocht, ob der bei mir schlofn kann, zwei Wochn, oder was. Und der wor halt aus San Francisco. Da ist der Kontakt her gwesn. Dann habb iech hald die ersde Zeit bei ihm gwohnt. Bis mer des zuviel wor. Weil die warn alle – so a weng – hald midd Drogen. Die worn scho gscheit … da habb i gschaut, dass iech da wegkomm. Des wor mir zu viel. Dann war ich a Zeitlang in einem Zen-Kloster. So a viertel Joahr.“ – „Hasd da medidiert in dem Kloster?“, fragte der Egers. – „Ja. Da bist halt Gaststudent und machsd alles, was die aa machn. Um halb fünf aufsteh. Kleines Frühstück. Dann meditieren. In der Stadt. Aber des waren mehrere Plätze. Des andere war auf der anderen Seite von der Golden Gate. Und dann hamms no so in den Bergen a Ding ghabbt. Do warn früher mol Indianer zu Gange. Monterey. So richtig in den Bergen. Wald. Warme Quellen. Richtich Klasse. Wie ein Paradies. Dann habb ich auch widda durch Zufall – konnte ich in einem Haus wohnen, was gerade renoviert wurde. Des hadd auch des große Erdbeben überlebt, damals. Neunzehnvier oder fünf, wann des woar, ich weiß nedd so genau. Do hobb i dann a weng midgearbeided. Woar dann praktisch als Hausmeister angstellt. Wir mussdn dann auch einmal aufhörn zum Arbeidn, weil der Bauinspektor kommen is und nach irgend-welchn Plänen gfrocht hadd, die wir gor nedd ghabbt ham. – Genau. Des wor aa widda so ein Zufall. Des Haus hadd dem Bill Graham – sachd dir der was? – Also des is nedd dieser Predicher. Sondern des is der, der früher die ganzn Konzerde an der Westküste organisiert hadd. Unter anderem auch des Monterey Festival. Und des wor die rechte Hand von dem, dem des Haus ghört hadd. Und der hadd mich immer gfrocht, wo ich hin will am Aamd. Der hadd mich dann immer auf die Gästeliste gsetzt. Dadurch konnt ich durch alle Clubs und mir alle dollen Musikveranstaltungen anschaun. Des wor richtich glasse. Do habb i zum Beispiel den Beefheart gsehn und ghört. Santana kommt ja aus San Francisco. Und dess sin lauder Clubkonzerte gwesn. Der hadd da in dem Old Waldorf, so hadd des gheißn, gspielt. Des wor wie a Party, des ganze Ding. Do woar der Hancock im Publikum. Der iss dann midd auf die Bühne. Hat dann mitgspielt. Also des wor a schöne Zeit. Allein von der Musigg her.“ – „Du spielst selber Schlagzeug?“ – „Percussion, a weng, middn Ralf. Aber hauptsächlich Saxophon. Ornette Coleman. Des hamma scho mal ghabbt.“ – „Den hasd aa gsehn in San Francisco?“ – „Na. Den habb i in Nürnberch mal gsehn. Katharinenkloster. Noch middn Don Cherry.“ – „Und sag einmal, wie hadd denn des bei dir midd der Kunst angfangen?“, fragte der Egersdörfer. Janetzko sah für einen Moment in die unscharfe Ferne. „Eigendlich mach ich scho immer – habb ich immer scho so Phantasiezeichnungen gmacht. Aber richtich losgangen iss eigendlich erst, als ich den Fritz Waechter kennenglernt hab. Der iss aa scho länger dood. Aber des war der Kuseng von am Freund von mir. Für uns woar des damals, als wir nach Frankfurt gfahrn sinn – also do woar ja Nürnberch un Fürdd noch diefsde Provinz für uns – und in Frankfurt woar haldd der Deufel los. Do sinn mer immer naufgfahren, um zu sehen, was es da alles gibt. Club Voltaire und was der Geier. Midd dem hamm mer auch amol Fußball gspielt. Der Gernhardt wor nedd dabei. Abber der Bernstein wor dabei. Der Bernd Eilert, der eddz die Texte fürn Kalender gschriebn hadd – der woar glaub ich aa dabei. Und wenn die runderkommen sinn, hammer hald hier Fußball gspielt.“ Den Egers erweckte eine Erleuchtung. „Ach, den Friedrich Karl Waechter meinst Du? Der Draum der Bergfrösche! Ein im Drogenrausch gebügeltes Herrenhemd! Der war quasi deine Initiationsfigur?“ – „Der Fritz Waechter hadd auch gmald und so Objektdinger gmacht. Des hadd mich immer dodaal fasziniert. Dass des nedd so a akademische Sach woar, was er gmacht hadd. Sondern rotzfrech. Was häld des Papier aus – so ungefähr. Und dann habbi mir dacht: Sowas mach iech aa. Sonst hädd ich vielleicht nie was gmachd.“ – „Un was warn des für Sachn, die da der Waechter gebastelt hat?“ – „Zum Beispiel ein Weißbrod. Des woar zwei Meeder lang. Ganz schwazz. Aber die Form scho von am Weißbrod. Ich wass goar nedd, aus was des woar. Gips oder was. Keine Ahnung. Alles mögliche Zeuch.“ Der Franz Janetzko hat dann noch von den Bildern erzählt, die der Herr Waechter gemalt hat und die ihn bis heute beeindrucken. Weiter wurde erzählt von Welt, Musik und Kunst. Gelegentlich warf der Janetzko an dem Nachmittag noch ein wenig Holz in den Ofen. Die drei Herren betrachteten die „Archive des Schweigens“, ein großes Fernglas, einen Leuchtturm und viele andere Kunstobjekte mehr. Der Radio dudelte dazu. Keiner indessen dachte auch nur einen kurzen Moment daran, wie man in sein Handy schauen muss, damit ein Geld überwiesen wird, und warum Linien sich krümmen und die hunderterlei Sachen von dem ganzen sonstigen Scheißdreck.


Matthias Egersdörfer     www.egers.de
Michael Jordan     www.ansichten-des-jordan.de

Der Matthias Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Und der Egers schreibt, was er hört und erblickt. So entsteht diese Kolumne.

TERMINE EGERSDÖRFER
11.01. /  Verleihung Deutscher Kabarettpreis / in der Tafelhalle, Nbg
16.01. / langsam – Preview / im Kunst- und Kurhaus Katana, Nbg
17.01. / langsam – Preview / im Bernsteinzimmer, Nbg
24.01. / langsam – PREMIERE / im Gutmann am Dutzendteich, Nbg
25.01. / langsam / in der Theaterbühne Fifty-Fifty, Erlangen
29.01. / Kurzfilmnacht mit Egersdörfer und Schleindl / im Künstlerhaus, Nbg

Michael Jordan
Michael ist Initiator und beteiligter Zeichner der Ausstellung „Wie geht es dir? Zeichner*innen gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“ im VS, Das Interimsquartier des Museums Villa Stuck, Goethestr. 54, München.
Eröffnungsveranstaltung am 11. Dezember, 19 Uhr.
www.villastuck.de
www.wiegehtesdir-comics.de   /   www.instagram.com/comics_wiegehtesdir

 




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AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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TAFELHALLE. Es ist ja nicht so, als ob der feine Herr Matthias "Egi" Egersdörfer in der Vergangenheit von den Preisjurys ignoriert und übergangen worden wäre. Das nicht selten unflätige Gebaren dieses grob wirkenden Mannes wird seit 2007 mit verblüffender Regelmäßigkeit ausgezeichnet: Hamburger Comedy Preis, Kabarett Kaktus, Passauer Scharfrichterbeil, Stuttgarter Besen, Böblinger Fingerhut, Hassfurter Warentrenner, Göppinger Beutel, ... Einer fehlte! Und nunmehr endlich hat unser Achill den Olymp erklommen und darf sich den, noch dazu von seiner Geburtsstadt gestifteten und vom dort ansässigen Burgtheater vergebenen, Deutschen Kabarettpreis in seine stets penibel polierte Preisvitrine stellen. Er ist mit 6.000 Euro dotiert, was für einen A-Prominenten aber zweitrangig sein dürfte und wahrscheinlich mittlerweile automatisch an ein Witwen- und Waisenhaus überwiesen wird.
Aber im Ernst! Der curt ist mehr als stolz über ein Wort, das nur aus fünf Buchstaben besteht, weil wir das sagen dürfen: UNSER Egi gewinnt den Deutschen Kabarettpreis 2024. Er ist nicht nur, auch das dürfen wir hoffentlich sagen, ein Freund des Hauses, er ist auch, denn einige Gesichter hat der curt bereits kommen und gehen sehen, er ist, das dürfte korrekt so sein, unser langjährigster Schreiber, der seit hunderten und hunderten von Ausgaben unser schönes Heft einleitet. Der Herr Egersdörfer ist einer, der nicht nur, wie es die Jury beschreibt, mit Mut, Vielseitigkeit und Beharrlichkeit seinen Platz in deutschen Kabarettszene erobert hat und mit seinem Bühnenego auf manchmal verstörende Weise Schmerzgrenzen auslotet, nein, er ist auch einer, der sich trotz hallenfüllender Tourneetätigkeit landauf, landab und einem Millionenpublikum im Öffentlich Rechtlichen Fernsehen, nicht zu schade ist, mit absoluter Verlässlichkeit sein Textchen für die kleine Kulturpostillenklitsche in der Heimat abzuliefern. Damit unsere Leser:innen sich in jedem Heft wenigstens für die zwei bis vier Seiten auch mit Literatur mit Anspruch auseinandersetzen dürfen. "Im deutschsprachigen Kabarett gehört Matthias Egersdörfer zu den ganz großen Geschichtenerzählern" – und im Nürnberger Kulturmagazinjournalismus erst recht!
Vielen Dank, Matthias, und herzlichen Glückwunsch! Er trifft bestimmt nicht den Falschen, dieser Preis.
www.egers.de

Förderpreis LARA ERMER
Der Förderpreis des Deutschen Kabarett-Preises für das Jahr 2024, dotiert mit 2000 Euro, vergeben vom nürnberger burgtheater, geht an LARA ERMER, geboren in Fürth, mittlerweile leider abgewandert, aber immer noch auf den hiesigen Bühnen zu sehen. Lara Ermer besitzt die Gabe aktuelle Zeitgeistthemen so zu beleuchten, dass daraus absurd-komische Miniaturen entstehen. Thematisch führt sie dabei souverän die satirische Pionierarbeit ihrer Vorgängerinnen fort. Den jungen Frauen im Kabarett gibt Lara Ermer eine starke Stimme. Bitte mehr davon!
www.laraermer.com

Sonderpreis SEBASTIAN 23
Sebastian Rabsahl, auf der Bühne bekannt als Sebastian 23, ist ein Pionier der Poetryslam-Szene. Er verbindet gekonnt und zeitgemäß Wortspiel, Musik, literarische Kurzformen und Politik. Mit seinem kabarettistischen Schaffen bespielt er alle aktuellen Formate der öffentlichen Präsenz gleichermaßen. So überwindet er virtuos die Genregrenzen und erweitert den Spielraum für seine Themen.
www.sebastian23.org

Der Verleihung, moderiert von Luise Kinseher, findet am 11.01. in der Tafelhalle statt.
www.burgtheater.de

Am 24.01. präsentiert der Herr Egi dann sein neues Programm im Gutmann am Dutzendteich:
www.gutmann-nuernberg.de  >>
ROTE GALERIE. Alle vier bis fünf Wochen gibt es in der ROTEN GALERIE eine neue Ausstellung, oft auch mit politischen Anliegen. Dazwischen jede Menge weitere Veranstaltungen von Konzerten bis zu Diskussionen. Aber im Mittelpunkt: die Menschen und ihre Kunst. Gegen den Krieg gegen die Ukraine, gegen Russland. Gegen Trump. Und dabei immer: für die Kunst und die Kultur. Die Förderung von regionalen Künstler:innen sind besonders im Fokus für die Galerie, so wie Bogi Nagy, Gymmick, Momoshi, D.A.M.N. und so viele andere. Aber auch internationale Gäste sind willkommen – wie 2021 die russische Künstlerin, Regisseurin und LGBTQIA+-Aktivistin Victoria Naraxsa, die ihre Skizzen und Zeichnung ausstellte, die sie malte, als sie in Moskau im Gefängnis saß. Wir haben mit Michael Ziegler geplaudert, dem Vorsitzenden der Karl-Bröger-Gesellschaft. Zu seinem Verein gehört die ROTE GALERIE.  >>
20241201_Staatstheater
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20241201_Kaweco
20241201_Literaturpreis
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20241201_Theater_Erlangen
20241201_AFAG_Whiskey
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20241118_Ruetter