Goecke/Montero im Staatstheater: Sieben böse Zwerge mit Schuss
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Strawinsky-Doppel von Goecke und Montero im Opernhaus. Kritik von Andreas Raldmaier
Erst fällt ein Schuss ins Dunkel der Zeit, dann tauchen schwarz gepanzerte Invasoren wie die sieben bösen Zwerge in der farbigen Natur der Ureinwohner auf: Die preisgekrönten und erfolgsverwöhnten Choreographen Marco Goecke (früher Hannover, bald Basel) und Goyo Montero (noch Nürnberg, bald Hannover) zwingen bei ihrem imponierenden Ballett-Whopper mit ambitioniertem Strawinsky-Soundtrack jeden harmlosen Märchen-Verdacht raus und Gegenwart rein. Im Opernhaus erlebt man die gedoppelte Wucht von Untergang und Befreiung, gegossen in fesselnden Präzisionstanz.
Die Begeisterung bei Publikum und Presse nach der Premiere ist einhellig: Die Süddeutsche Zeitung lobt die „meisterliche“ Freilegung der Apokalypse, der Bayerische Rundfunk entdeckt in der „spannenden Produktion“ einen „bestechenden Tanzabend“ einer Compagnie auf „Weltklasse-Niveau“, der Opernfreund kommt zum Schluss, dass die Kombination der elfteiligen „Scènes de ballet“, 1944 unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs für den Broadway“ entstanden, und dem „Feuervogel“, 1910 als Tanzmärchen mit russischen Mythen angelegt, „wie zwei Seiten einer Medaille“ wirken.
Pastellbunte Ballett-Klassiker sehen jedenfalls anders aus. Artilleriefeuer und Sturmgeheul säumen die expressionistisch aufgeladene Musik von Igor Strawinsky, die Generalmusikdirektor Roland Böer mit der Staatsphilharmonie ausbalanciert und transparent auf den Punkt bringt. Die selbstberuhigende Erkenntnis, dass Swingtänzer nicht marschieren können, hält hier nur wenige Takte, bevor die abgehackte Dynamik wieder Oberhand gewinnt.
Marco Goecke verpasst der 25-köpfigen Nürnberger Compagnie in der Uraufführungs-Choreographie von „Scènes de ballet“ erneut sein typisches Faible für detaillierte Hand-und-Fußarbeit. Der Finger im Wind, der Griff ans Gemächt, der kantige Bewegungsfluss. Die ratternde Körpersprache, die auf quietschende, plappernde Phantasielaute der Tänzerinnen und Tänzer stößt, ist eingebettet in eine schwarzgraue Ästhetik. Die Romantik wird wie der Vollmond aus dem C.D.-Friedrich-Baukasten ausgeknipst, das verlorene Individuum bleibt zurück beim finalen Schreckschuss.
Auch an Goyo Monteros Neu-Interpretation von „Firebird“ nagt der Pessismismus. Sein „Feuervogel“ ist eine Amazone (Alisa Uzunova zeigte bei der Premiere großartige Ausdruckskraft und Ästhetik), die sich mit ihrem indigenen Stamm gegen den zum Eindringling und „Forscher“ gewandelten ianusköpfigen Prinzen und sein Gefolge wehren muss.
Montero lässt die Welten und sein Ensemble durcheinander wirbeln, aufeinander stürzen, sich verknoten und verkeilen, verteilt seine Sympathien durch faulen Glitzerzauber und lebensfarbige Bodysuits, sondiert die trügerische Gefühlslage in einem wunderbar schwerelosen Pas de deux und streckt am Ende der folkloristisch schäumenden Musik Strawinskys, die Roland Böer mit dem Orchester im Graben feinnervig einbindet, die zerstörerische Kraft der Invasoren wie durch Hogwarts-Kunst oder Naturheilkraft nieder. Die Lebensgeister sind geweckt, die Vernichtung gestoppt. Man wird ja wohl noch hoffen dürfen.
Die prägende Ausdruckskraft, die Goyo Montero in seinen 16 Nürnberger Jahren entwickelt hat, bleibt auch bei seiner Abschiedsrunde erhalten. Das stilistisch reizvoll gespreizte Strawinsky-Doppel ist der Beweis.
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Staatstheater Nürnberg. Ballet
Strawinsky: Goecke/Montero
Weitere Termine:
Mittwoch, 25. Dezember, 18.00 Uhr
Sonntag, 12. Januar 2025, 20.00 Uhr
Freitag, 17. Januar 2025, 20.00 Uhr
Sonntag, 19. Januar 2025, 19.00 Uhr
Donnerstag, 23. Januar 2025, 20.00 Uhr
Samstag, 25. Januar 2025, 19.00 Uhr
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