Larissa Kastein, Flic Flac: Von der Nachwuchsakrobatin zur Zirkus-Chefin
Mittlerweile ist es doch so: Zu Weihnachten in Nürnberg gehört, klar, der Christkindlesmarkt, das Christkind mit seinen goldenen Locken, der Lebkuchen und ein schwarz-gelbes Zelt auf dem Volksfestplatz. Darin balancieren Menschen über hohe Seile, andere baumeln von Tüchern oder gar ihren eigenen Haaren, sie verrenken sich wie Schlangen, springen mit kleinen Fahrrädern über Rampen und rasen mit Motorrädern durch eine Kugel aus Stahl. Dazwischen treten lustige Menschen auf, eine Band spielt, es gibt etwas zu essen. Die Flic Flac X-Mas Show garantiert Verblüffung. Nirgendwo sonst kann man sich fast drei Stunden am Stück derart verzaubern lassen. 2023 hat der Gründer Benno Kastein die Geschäfte an seine Töchter Tatjana und Larissa übergeben. Larissa ist in Nürnberg sesshaft geworden und betreut den Standort. Gut für uns! Wir wollen von ihr wissen, wie ist das so, vom Zirkuskind zur Geschäftsführerin?
CURT:Du standest als Kind selbst als Akrobatin mit auf der Bühne. Was war Deine Spezialdisziplin und fehlt dir das heute?
LARISSA KASTEIN: Mein Spezialgebiet war immer die Akrobatik in verschiedensten Richtungen. Ich stand mit sechs Jahren zum ersten Mal auf der Bühne und dann durchgehend, bis ich schwanger wurde. Das macht 25 Jahre Bühnenerfahrung. Angefangen hat das mit einer Partnerakrobatik mit meinem Vater, da habe ich auf seinen Händen Handstände und Verbiegungen gemacht. Das Hauptding war dann die Äquilibristik, also, auf zwei Händen oder auf einer Hand zu stehen und dabei verschiedene Tricks und Figuren zu zeigen. Später kam noch die Pole-Akrobatik hinzu. Das war mein Leben und ich habe an nichts anderes gedacht. Es gibt Interviews, in denen ich gefragt wurde, ob ich den Zirkus einmal übernehmen möchte, aber ich wollte nur auf der Bühne stehen. Es ist aber wie bei Topsportlern: Das geht nicht unendlich lange, es geht auf die Knochen. Dann kam die Schwangerschaft und die Übernahme des Geschäfts durch meine Schwester und mich und damit sehr viel Arbeit und Verantwortung. Es gab gar keinen Platz mehr für die Bühne und das Training. Man kann eben sehr gute Artisten aus aller Welt engagieren, aber Angestellte, die dasselbe Blut haben, gibt es nicht zu kaufen. Deswegen haben wir uns so entschieden. Ich habe es sehr lange vermisst, aber seit etwa ein, zwei Jahren ist das nicht mehr so. Ich weiß, diese Zeit wird nicht zurückkommen und das ist voll in Ordnung, weil ich mit Job und Familie so ausgelastet bin, während ich trotzdem voll drin stecke im Kreieren der Show und immer engen Kontakt habe zur Bühne und allen kreativen Arbeiten.
Du bist erst hier in Nürnberg mit deiner eigenen Familie so richtig sesshaft geworden. Funktioniert das gut, wenn man eigentlich mit diesem Zirkusleben aufgewachsen ist, oder wirst du unruhig, wenn du zu lange an einem Ort bleibst?
Wenn ich mit Nicht-Zirkus-Menschen spreche, merke ich immer wieder, dass wir trotzdem noch sehr viel unterwegs sind. Das Schwierige ist eher, das trotz der Schulpflicht für meine Tochter organisiert zu bekommen. Ich glaube, man gewöhnt sich an alles und es gibt viele positive Aspekte daran, an einem Ort zu bleiben. Es ist wie mit dem Stehen auf der Bühne: irgendwo vermisse ich es und wenn ich am Zelt oder beim Wohnmobil bin, geht mir das Herz auf. Aber sonst stört es mich gar nicht, wir wohnen sehr schön und haben großes Glück.
Seit 2023 bist du Geschäftsführerin der Nürnberger Flic-Flac-Sparte. Was war das vorherrschende Gefühl vor diesem ersten Arbeitstag: Respekt, Nervosität, Vorfreude?
Auf jeden Fall Respekt, da ich jetzt komplett in der Eigenverantwortung bin. Ich habe das vorher mit meiner Schwester geteilt und sie empfindet das genauso: vor einem Projekt ist da immer diese Nervosität. Es ist so viel Verantwortung, es sind so viele Menschen, da steckt so viel Arbeit dahinter und auf dem Papier muss man am Ende alleine dafür geradestehen. Ich teile die Verantwortung mit meinem Lebensgefährten, was mir total hilft. Aber ohne die Nervosität würde es auch nicht gehen. Unter Spannung, Druck, Stress kann ich am besten arbeiten. Wir haben von November bis Januar eine extrem intensive Zeit, wo es mindestens zwölf Stunden am Tag nur um den Zirkus geht. Insofern ist das nicht nur ein Job, sondern eine große Leidenschaft.
Im Zuge der Coronakrise hat Flic Flac sein Konzept umgebaut, vom Tournee-Unternehmen zum Zirkus mit sechs festen Spielorten, u.a. Nürnberg. Was ist der größte Vorteil, v.a. für dich als Show-Macherin?
Man kann definitiv viel mehr aufbauen. Meine Schwester und ich haben das Tourgeschäft geleitet. Das heißt, alle drei Wochen von Stadt zu Stadt fahren und dann ging es viel darum, was macht Sinn aufzubauen: welcher Boden, welcher Artisteneingang, welche Bühne, welche Effekte … Hier steht alles für einen Monat und wir haben ganz andere Möglichkeiten. So sind wir am Ende viel größer und es ähnelt schon fast einem Theater.
Was ist für Dich das Besondere, Einzigartige an Flic Flac?
Dass keine Sekunde Langeweile aufkommt. Das ist uns sehr, sehr wichtig. Da ist es fast egal, womit. Die Mischung aus Akrobatik, Comedy und Adrenalin muss einfach passen. Ich kenne reine Motorradshows, die sind toll, aber nach 20 Minuten wird mir das langweilig, bei Comedy ist es genauso. Wir haben die perfekte Mischung aus top Leuten aus allen diesen Bereichen, plus Gastronomie. Und ich glaube, das macht es aus. Es ist ein Drei-Stunden-Gesamtpaket und man geht lächelnd und glücklich nach Hause.
Magst Du einen Act der diesjährigen Show hervorheben? Welche Artistenzusage hat dich besonders gefreut?
Für mich persönlich ist das in diesem Jahr der Comedian Okan Seese, ein Gehörloser, der Comedy auf Gebärdensprache macht und von seinem Bühnenpartner Archie Clapp übersetzt wird. Er hat im Sommer auch einen Comedypreis gewonnen, war viel im Fernsehen und ich war hin und weg, als ich das zum ersten Mal gesehen habe. Es war aber nicht einfach, ihn zum Zirkus zu locken. Die meisten Artisten wie die chinesische Gruppe oder die Jongleure, wollen unbedingt zu Flic Flac, man muss sie nur früh genug engagieren. Bei ihm musste man erst viel überlegen und erklären, wie könnte man das umsetzen? Ich bin sehr gespannt darauf, weil es etwas ganz Neues, Anderes sein wird. Das Highlight sind vielleicht eher die 18 Chinesen auf den Fahrrädern, das ist spektakulärer.
Bei welcher Darbietung dachtest selbst Du zuletzt: wie ist das bitte möglich?
Im letzten Jahr hatten wir eine Handstandakrobatin, Valeriya Davydenko, die mit über fünf Minuten den Weltrekord im auf einer Hand Stehen hält. Die kam nicht ein einziges Mal runter und hat alle Bewegungen und Verbiegungen auf diesem Arm gezeigt. Das war schon krass, für mich umso mehr, weil ich diesen Act selbst auch vorgeführt habe. Diese Nummer habe ich mir fast jeden Tag selbst angeschaut und hatte Gänsehaut dabei. Wenn 15 Motorräder in der Kugel fahren, finde ich das auch cool, aber so etwas berührt mich doch am meisten.
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Flic Flac X-Mas Show
vom 05.12. bis 06.01., am Volksfestplatz Nbg
Larissa Kastein
Ihr Vater und sein Bruder gründeten Flic Flac 1989 in Bocholt. Larissa und ihre Schwester Tatjana standen schon als Kinder selbst auf der Flic-Flac-Bühne und lebten on the road: im Wohnmobil und mit Privatunterricht. Später leiteten die Schwestern auch das Tourneegeschäft und bis zur ihrer Schwangerschaft 2015 stand Larissa auch selbst noch auf der Bühne. Erst in Nürnberg ist sie sesshaft geworden, in einem richtigen Haus, ohne Räder. 2023 gründete sie die Flic Flac NB GmbH, die sie mit ihrem Lebensgefährten leitet.