Silvia Stolz, Stadttheater Fürth: Theater ist immer politisch

SONNTAG, 1. DEZEMBER 2024, STADTTHEATER FüRTH

##Fürth, #Silvia Stolz, #Stadttheater Fürth, #Theater

Viele Fürther:innen haben nie einen anderen Stadttheater-Intendanten kennegelernt als Werner Müller: Nach 33 Jahren hat sich der Mann an der Spitze in den Ruhestand verabschiedet und Platz gemacht für eine Nachfolgerin. Seit einem Jahr heißt die Intendantin in Fürth Silvia Stolz. Wir treffen uns auf ein Käffchen im Büro, durchs Haus weht noch der Geist von Lars Eidinger.

CURT: Sie sind ziemlich genau seit einem Jahr in Fürth. Fühlt es sich noch neu an oder schon routiniert?
SILVIA STOLZ: Irgendwas dazwischen. Ich bin gut angekommen, auf alle Fälle. Dadurch, dass die Spielzeitplanung schon deutlich früher anfing, habe ich viel aus der Ferne gemacht und ich bin immer wieder angereist, auch um Kolleginnen und Kollegen kennen zu lernen. In der Zwischenzeit ist so viel passiert, dass es sich eigentlich länger anfühlt als ein Jahr.  

Wie gut kannten Sie denn Fürth an sich oder auch das Stadttheater im Vorfeld?
Fürth nicht so gut, aber das Stadttheater von einzelnen Theaterbesuchen. Ich habe hier vorher drei, vier Mal etwas angekuckt. Das Spielkonzept, also die Kombination aus Eigenproduktionen und Gastspielen, ist schon ein sehr spezielles und das war mir vertraut.

Sie haben sich mit Gastspielen und mit Theater in der Provinz auch wissenschaftlich auseinandergesetzt, d.h. dieses Konzept liegt Ihnen nahe?
Ja, sowohl vom Wissenschaftlichen als auch vom Theaterverständnis und auch von meiner Theatererfahrung her. Ich habe Dramaturgie studiert und meine erste Stelle war klassisch Dramaturgin am Stadttheater in Ingolstadt. Ich war in Memmingen am Landestheater im Leitungsteam, aber auch bei der Konzertdirektion Landgraf, Europas größtes Tourneetheater, die nur Gastspiele macht. Und bevor ich hierherkam, habe ich in Stade ein Kulturzentrum geleitet. Da haben wir vor allem Gastspiele engagiert und kleine Eigenproduktionen umgesetzt. Das heißt, ich habe diese Erfahrungen in unterschiedlichen Feldern, die sich hier alle treffen.

Werner Müller war 33 Jahre lang Intendant. Ich glaube, das ist Rekord. Wie geht man mit so einem Erbe um?
Das ist natürlich eine Hausnummer, aber für mich macht das jetzt keinen Unterschied. In Stade habe ich das Haus nach 16 Jahren übernommen, hier sind es 33. Man behält gute Dinge, verändert andere und ob der Vorgänger dann 20 oder fünf Jahre da war, macht glaube ich tatsächlich keinen so großen Unterschied.

Kann man's konkret sagen, was bleibt gleich, was wurde oder wird verändert?
Was wir mit dem Intendanzwechsel verändert haben, ist das Corporate Design, wir haben eine neue Internetseite. Am Spielprinzip wird sich nichts verändern. Ich habe schon den Anspruch, dass wir mehr Jüngere, und damit meine ich auch Mid-Ager, abholen und mit dem Musical Dear Evan Hansen ist uns das schon gut gelungen. Gestern bei Lars Eidinger war auch ein ganz gemischtes Publikum. Unsere inhaltliche Ausrichtung und die Außenwirkung haben sich schon etwas verjüngt, aber wir wollen die Stammbesucher:innen natürlich behalten. Und wenn die Generationen sich bei uns treffen, finde ich das ganz wunderbar.

Ist so ein Lars Eidinger dann auch so etwas wie ein Lockmittel, um mache Leute zum ersten Mal ins Theater zu holen, die dann wiederkommen?
Es gibt so ein paar Lockmittel im Spielplan. Lars Eidinger spricht natürlich ein überregionales Publikum an, da kamen auch Leute aus München. Bei Gregor Meyle gingen die Karten über Eventim raus, bevor wir es auf der Homepage hatten. Ferdinand von Schirach, Ute Lemper, Till Brönner, das sind alles Namen, die Menschen vielleicht zum ersten Mal hierherlocken, aber auch die Alteingesessenen wissen das zu schätzen. Ich glaube, es kann funktionieren, mit solchen Namen die Aufmerksamkeit aufs Haus zu lenken.
 
Was gab es in der letzten Spielzeit, die noch von Werner Müller geplant wurde, was speziell ihrem Geschmack entsprochen hat?
Ich mochte den Big-Band-Abend mit Thilo Wolf sehr gerne und den Musical-Sänger:innen, die da dabei waren. Die Reunion Next to normal, das war ebenso ein toller Musical-Erfolg und was die Besetzung betrifft erste Liga in dem Bereich.

Ich höre so eine gewisse Musical-Affinität oder allgemein Musikbegeisterung heraus.
Ja, schon sehr, wenngleich ich von Haus aus Schauspiel-Dramaturgin bin. Das Haus hat sich in Deutschland über lange Zeit den Ruf erarbeitet, im Musical führend zu sein. Und deswegen war es mir auch wichtig, mit Dear Evan Hansen, einer deutschen Erstaufführung im Musical, erfolgreich in die Saison zu starten. Das ist schon ein Pfund hier.

Worauf ist jetzt die Vorfreude am größten? Immer blöd, jemanden zu fragen, der die Verantwortung für das ganze Programm hat …
(Lacht) Ja, da stirbt man immer ein paar Tode! Ich freue mich einmal auf zwei Gastspiele, Macbeth vom Schauspielhaus Bochum im April, das auch zum Theatertreffen eingeladen war mit Jens Harzer, dem Iffland-Ring-Preisträger (höchste Auszeichnung in der Schauspielerei, Anm. d. Red.), Inszenierung von Johan Simons. Das ist toll. Im Februar kommt ein Schauspiel vom Hamburger Lichthof Theater mit den Cum Ex Papers, einer Recherche zum Finanzwesen von Helge Schmidt, ausgezeichnet mit dem Faust-Preis für die beste Regie. Das ist eine ganz spezielle, spannende Kunstform auf der Bühne. Und ich freue mich natürlich auf unsere beiden Eigenproduktionen hier auf der großen Bühne, Der Trafikant von Robert Seethaler, das macht Thomas Ladwig. Und (R)Evolution, einem Stück über KI von Yael Ronen und Dimitrij Schaad, da habe ich mit der Regisseurin Christina Gegenbauer gerade erst telefoniert, da kommen großartige Ideen.

Wenn man sich Ihren Lebenslauf anschaut, ist der nicht nur von vielen Orten geprägt, sondern auch von unterschiedlichen Funktionen: Dramaturgin, Leiterin der Kommunikationsabteilung, Intendantin, Doktorandin. Welche Arbeit ist es, die Sie am liebsten machen?
Ich würde sagen, das sind keine weit auseinander liegenden Tätigkeiten. Als Dramaturgin hängt man automatisch ein bisschen mit in der Öffentlichkeitsarbeit drin. Aber am Ende ist es die Intendanz. Weil man da einfach die größten Gestaltungsräume hat, sowohl inhaltlich, als auch Personalführung, Finanzen, … Ich liebe Tätigkeiten mit Verantwortung, da gehe ich drin auf.

Gibt es einen Ort, der am prägendsten war von München über Stade bis Memmingen und Hildesheim?
Memmingen war sehr prägend, weil wir da als Landestheater mit sehr geringen Mitteln Kultur in die Fläche gebracht haben. Und ich da erlebt habe, deswegen auch das Buch Theater in der Provinz, weshalb das so wertvoll ist. Die Landestheater sind ja im Vergleich zu Stadt- und Staatstheater wahnsinnig unterfinanziert und eigentlich müssten die es sein, die mehr Geld bekommen, weil sie das Doppelte leisten.

Was sind die besonderen Herausforderungen von Theatern außerhalb der großen Zentren?
Es ist einmal das Finanzielle: 70 Prozent der ganzen Theaterförderung fließt in die Großstädte, in die Metropolen. Natürlich geht es auch um Sehgewohnheiten: Wir kommen da hin mit unserem Bildungshintergrund und es ist schon eine Herausforderung, sich auf das Publikum auf dem Land einzulassen, das kann und will auch nicht jeder. Wenn man mit Gastspielen auftritt, trifft man auch an unterschiedlichen Orten auf unterschiedliches Publikum. Ich habe schon erlebt, dass etwas in der Schweiz funktioniert, in Süddeutschland aber nicht und in Norddeutschland wieder besser.

Wo ordnet sich da Fürth ein, als Großstadt, aber kleinere Großstadt neben Nürnberg, aber in dieser Metropolregion …?
Irgendwo dazwischen, zwischen Metropole und Land und das sieht man auch an unserem Spielplan. Deswegen versuchen wir einen so vielfältigen Spielplan anzubieten, einmal das Angebot für die Metropole, andererseits für die Menschen, die im Landkreis wohnen. Wir sehen, wir haben im Tanz- und im Komödien-Abo ganz unterschiedliche Menschen. Gerade im Tanz, sehr großstädtisch, da kommen die Leute teilweise auch aus München, weil wir da internationale Künstler:innen präsentieren. Es ist sehr divers.

Im Januar steht eine sehr interessante Premiere an, S wie Schädel mit Eva Mattes und Roberto Ciulli.
Ja! Eine Gemeinschaftsproduktion mit Luxemburg, Mühlheim, Weimar und den Kleist Festspielen in Frankfurt (Oder). Das sind Texte von Navid Kermani, einer der wichtigsten Intellektuellen unseres Landes, der in seinen Texten immer versucht, diese zersplitterte Welt irgendwie doch noch zusammenzufassen und ihr irgendwie einen Sinn zu geben. Roberto Ciulli, 90-jährig, der das Theater an der Ruhr leitet, einer der charakteristischsten Theaterköpfe in Deutschland, und Eva Mattes – Fassbinder, Tatort usw. –  haben sich seinen Texten gestellt. Da ist, ich habe es bei der Premiere in Weimar ja schon gesehen, eine ganz spannende Theaterproduktion entstanden, die in dem Sinne keine dramaturgische Handlung hat, aber in Passagen doch eigentlich unser ganzes Weltgeschehen zusammenfasst. Und die zwei Darstellenden sind halt auch eine Wucht auf der Bühne.

Wir hatten es schon von Lars Eidinger, jetzt Eva Mattes, auch ein Name, der vielen Leuten etwas sagen wird. Ist es schwierig, so diese großen Namen in eine so relativ kleine Stadt zu holen?
Man muss sich schon Mühe geben. Ein gutes Netzwerk ist da sehr hilfreich, aber man muss auch dahinterstehen und die Leute von diesem Ort begeistern. Und wenn sie das Haus dann erstmal sehen … das Theater ist ja zauberhaft.

Was hat Sie an Fürth überrascht?
Mir haben viele im Vorfeld erzählt, dass die Franken ein bisschen verschlossen sind. Ich habe da andere Erfahrungen gemacht. Mir kommen die Menschen sehr offen vor, ich wurde sehr herzlich empfangen. Das hat mich sehr positiv überrascht. Die Eigenwahrnehmung ist eine andere.

Prima Facie feiert ebenfalls im Januar Premiere. Ein Monolog über sexualisierte Gewalt. Wie wichtig ist es für Sie, in dieser Arbeit thematische Spitzen zu setzen und auch politisch zu arbeiten?
Ich finde, Theater hat immer ein politisches Kriterium. Das liegt ja schon im Zusammenkommen vieler Menschen. Und ja, wir haben uns beim Spielplan Gedanken gemacht, welche Nuancen wollen wir setzen. Auch bei der Besetzung der Regie haben wir eben geguckt, dass wir zumindest paritätisch sind bzw. jetzt tatsächlich ein bisschen mehr Frauen einsetzen. Es ist uns schon wichtig unsere Möglichkeiten zu nutzen, uns am Dialog innerhalb der Gesellschaft zu beteiligen und den Menschen, die zu uns kommen, auch etwas mitzugeben. Bei den Gastspielen haben wir häufig leichtere Themen, deswegen schauen wir beiden Eigenproduktionen nochmal genauer hin.

Jetzt, im Herbst ´24, gefragt: Worin besteht momentan die Arbeit und wie viel wissen Sie denn jetzt schon über die Spielzeit, die folgt?
Wir sind mittendrin in der Planung. Bei den Eigenproduktionen steht auch schon ein bisschen was, es wird auch politisch. Wir haben 2025 80 Jahre nach Kriegsende und im September Bundestagswahl und da zeichnen sich Tendenzen ab, die einen als Kulturschaffenden nur beunruhigen können. Die Kolleg:innen im Osten sind bereits damit konfrontiert, die müssen gegen Kürzungen kämpfen und auch dagegen, dass versucht wird, auch inhaltlich Einfluss zu nehmen. Wir hatten gehofft, diese Zeiten wären überwunden, aber dem ist nicht so. Wir werden mit einem Musical starten, das diese Zeit in Erinnerung ruft, bei den weiteren Eigenproduktionen denken wir auch in diese Richtung. Bei den Gastspielen sind wir auch schon ziemlich weit in der Planung. Wir sind auf einem sehr guten Weg.

Gibt es noch Projekte, die über das Theater hinaus gehen, über die wir sprechen sollten?
Was wir im Dezember neu starten werden, ist eine Reihe mit Spezialisten, die wir dazu einladen, mit uns über unterschiedlichste Themen zu sprechen. Vielleicht anknüpfend an den Spielplan, aber nicht unbedingt. Insgesamt sind wir daran, das Haus nochmal mehr zu öffnen. Wir haben eine Herzwandelbar ins Leben gerufen, die im öffentlichen Raum unterwegs ist, wo man sich treffen und ins Gespräch kommen kann über das Theater – aber auch darüber hinaus. Bei State of the Union haben wir jetzt auch zwei Aufführungen in der Tante Förster gespielt, also in der Gastronomie. Und da merkt man schon, dass man da nochmal ganz andere Leute erreicht. Die zwei Ensemblemitglieder spielen es lieber in der Gastro als im Mittelfoyer. Im Sommer wollen wir bei der VHS auf die Terazza gehen und dann soll es nochmal weiterziehen. Wir gehen also insgesamt noch mehr raus.

curt freut sich drauf und geht mit. Vielen Dank für das Gespräch!

___
Stadttheater Fürth   

Dr. Silvia Stolz
Geboren in Dillingen an der Donau, hat in München an der LMU und der Theaterakademie August Everding Dramaturgie studiert und im Anschluss eine Weiterbildung zur Kulturmanagerin in Hannover drangehängt. Sie arbeitete als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Dramaturgin am Theater Ingolstadt und der Konzertdirektion Landgraf, leitete die Abteilung Eigenveranstaltungen der Stadthalle Gifhorn und die Kommunikationsabteilung am Landestheater Schwaben in Memmingen. Zuletzt war Silvia Stolz Geschäftsführerin des Kulturzentrums Stadeum in Stade und promovierte am Institut für Kulturpolitik in Hildesheim üer Gastspielhäuser in Deutschland. 2019 erschien das von ihr mit herausgegebene Buch Theater in der Provinz.




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