Delikatessen in der Kunsthalle: Kinderkotze hinterm Pfefferkuchenhaus
von Andreas Radlmaier
Es ist angerichtet: 23 Positionen umkreisen die Auseinandersetzung von Kunst und Kochen und ergeben ein Menü der Möglichkeiten. Die Kunsthalle Nürnberg mutiert zum „Delikatessen“-Laden auf Zeit.
Das Auge isst mit, in dieser vielgängigen Gruppenschau erst recht. Eingangs sitzen zwei mannshohe Margarine-Barockputten, die Sonja Alhäuser in zwei summende Kühlschränke gezwängt hat, fürs Publikum Spalier. Am Ende des Raumparcours fällt der Blick auf artgerechte „Kinderkotze“, die nach Gebrauchsanweisung des Künstlers Carsten Höller aus Tomatensoße und Buchstaben-Nudeln (nur „M“ und „A“ als Hahaha-Hinweis auf die ernährende Mama sind erlaubt) auf schneeweißer Wand drapiert wurde. Die Arbeit stammt aus der Serie mit dem boshaften Titel „Killing Children“ und lässt Selbsterfahrung vermuten. Lebensmittel? Kunst? Lebensmittel Kunst!
Sinnlichkeit und Geselligkeit mögen die Anknüpfungspunkte sein, warum bei Künstlerinnen und Künstlern das Essen oftmals eine wesentliche Rolle spielt. Von Pablo Picasso bis Frida Kahlo reicht die Liste der Reverenzen. Mit Essen spielt man eben schon, in Gedanken, aber auch mit Zutaten und Themen. Das ist keineswegs ein Phänomen aktueller „Küchenschlachten“, Sternekoch-Wallfahrten und „Palazzo“-Varietés. Das Restaurant Zum Heiligen Gaumen hat Konjunktur, in der Kunst eine lange Geschichte.
(Un-) Passenderweise ist mit Daniel Spoerri gerade ein renommierter Pionier der „Eat-Art“-Bewegung verstorben. Insofern trifft die Sonderausstellung „Delikatessen. Zwischen Kunst und Küche“, die von Anne Schloen einfallsreich bestückt wurde, Geschmacksnerven wie Zeitgeist gleichermaßen.
Die gezeichneten Rezepte der Berlinerin Sonja Alhäuser hat man vor vielen Jahren – verbunden mit einem Ess-Happening – schon mal im Nürnberger Zumikon erleben dürfen. Jetzt folgt das geballte 23-Gang-Menü. Man darf einem überdimensionalen Andy Warhol beim politisch völlig unkorrekten Verzehr eines Hamburgers zusehen (na gut, Jørgen Leths Video stammt auch aus dem unbedarften Jahr 1982), darf verblüfft feststellen, dass fränkischer Spätburgunder, Lage: Nordheimer Vögelein, auf weißer Wand keine Rotweinflecken macht, sondern eher zum Grauburgunder mutiert (die Kölner Brüder Maik und Dirk Löbbert steuern damit ein feinsinniges, konzeptionelles Fresko-Experiment bei) und erlebt die opulente Vorstellung einer Lebensmittelvergiftung: Ben Heinrich und Lukas Pürmayr haben in ihrem fränkischen „Feldlaboratorium“ für eine Tafelrunde ein verführerisches „Giftessen“ aus 13 Giftpflanzen komponiert und inszeniert. Da sollte die Liebe vorsichtshalber nur durch den Seh- und Riechnerv gehen. Und nicht durch den Magen.
Erstaunlich ist, welche Phantasie Küchen und Kochen auslösen, wie elementar die Labore der täglichen Nahrung zum (Über-)Leben gehören. Der Nürnberger Winfried Baumann, der Schöpfer der „Instant Cooking“-Skulpturen aus Metall, steuert einen Bauchladen-Grill mit Hitzekleidung und Spuckschutz bei, Isabelle Enders (Nürnberg), die Spezialistin für Pfeffermühlen, ein begehbares Pfefferkuchenhaus mit Zuckerguss-Scheiben als Verweis aufs Nürnberger Lebkuchen-Image und der Wiener Thomas Feuerstein stellt unter dem Titel „Manna Maschine III“ eine blubbernde Mikroalgen-Maschine samt Placebo-Heiltrank „Tono Bungay“ in den Raum.
Wer nach dem Gang durch die „Delikatessen“, nach der Besichtigung von Candida Höfers Foto des „SPIEGEL“-Casinos und Piero Manzonis 64 Jahre alter Hühnerei-Performance noch nicht satt und zufrieden ist: Der umfangreiche Begleitband (24 Euro) bietet einen lesenswerten Nachschlag. Und natürlich wird auch live gekocht. Unter anderem tischt am 6. Dezember die legendäre „Freitagsküche“ auf.
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Delikatessen – Zwischen Kunst & Küche
Bis 2. März in der Kunsthalle Nürnberg