Egers + Jordan: Die Tennisspieler des Mittelalters

MONTAG, 21. OKTOBER 2024

##Illustration, ##Kleine Ausflüge, ##Literatur, ##Matthias Egersdörfer, ##Michael Jordan

„Dick und kurzfingriger Malefizunterteufel, dreimal verdammt und verwünscht im Sparstrumpf unterm karierten Bettbezug, tropft dir doch der Rotz aus der Nasen ins lauwarme Radler. Scheiß die Wand an, kotz das Bild von der Wand, blutet der Kardinal auf den Führerschein“, fluchte der Egersdörfer vor sich hin. Er hatte sich versehentlich auf dem Dielenboden, im zweiten Stock Hinterhaus in Fürth, einen Spreißel in die Fußsohle eingerissen. Mit einer Pinzette versuchte er schon seit etwa zwölf Minuten den schmerzenden Partikel aus dem Fleisch herauszuziehen. Indessen saß der Michael Jordan beim schönsten Sonnenschein durchs Oberlicht in seinem großzügigen Atelier vor einer Graubrotscheibe, die auf einem kleinen Tellerchen lag.

Er zeichnete die Speise sehr genau mit großem Vergnügen, weil ihm die Darstellung gut von der Hand ging. In unterrichteten Kreisen war hinlänglich bekannt, dass er ein wahrer Meister in der Darstellung von Backwaren jeder Art war. Michael Jordan trank einen Schluck vom köstlichen Milchkaffee und inhalierte genüsslich den feinherben Dampf. Egersdörfer stocherte indessen nahezu blind, weil der Abstand vom Auge zur kleinen Wunde zu weit war, um scharf zu sehen, in seiner Fußsohle. Aber dann kriegte er das Holzstück doch zu fassen und zog es mit einem Ruck heraus. Flugs kleidete er sich daraufhin an und eilte zum Bahnhof. In vierzehn Minuten fuhr die Regionalbahn los nach Forchheim. Jordan schwenkte den letzten Rest von Milch und Espresso in der blauen Tasse und trank mit einem leisen Gluckern im Hals. Dann griff er auch schon zum schwarzen Klemmbrett, nahm sich einige Bögen Zeichenpapier, drei gute Faserstifte und steckte alles in die Stofftasche. Diese trug er lässig unter dem linken Arm und verließ die Wohnung, in bester Lage der Erlanger Innenstadt, in Richtung Bahnhof. Egersdörfer saß vorne, hinter der Lok, wie er dem Jordan mitgeteilt hatte.

Jordan setzte sich gleich neben ihn, nachdem er entdeckt hatte, wo der Kleinkünstler aus Fürth sich in dem Waggon befand. „Schön ist es, nebeneinander in dieselbe Richtung zu fahren, während die Sonne übermütig scheint und die Sorgen daheim bleiben wie die ungespülte Kaffeetasse auf dem Wohnzimmertisch neben der Kuckucksuhr“, sagte der Künstler und schnaufte vernehmlich Luft durch die Nase nach dem langen Satz, den er gerade gesprochen hatte. Egersdörfer antwortete auf die Be-grüßung: „Um ein Haar hätte ich mir gerade aus dem reinsten und heiligsten Holzdornenzorn heraus das rechte Bein abgehackt. Fürderhin einbeinig wäre ich durch mein Leben gehüpft. Meine Haus- und Wohnungsschlüssel hätten mir deshalb in der Tasche gerasselt. Weithin hätte man das vernommen. Oft hätten mich dann die Leute mein Herannahen ahnen können, obwohl sie meiner noch nicht ansichtig gewesen wären.“ Beide fuhren unter dem blauen Himmel an den grünen Wiesen, Lärmschutzwänden und üppigen Feldern vorbei. Häuser und kleine Straßen tauchten auf und verschwanden wieder. Dann fuhr die Bahn langsamer. Die Anzahl der Gebäude neben den Gleisen vermehrte sich. Jordan und Egersdörfer stiegen in Forchheim aus und begaben sich auf den Vorplatz des Bahnhofes. Lang warteten sie nicht. Dann fuhr schon Stephan Graf Bentzel-Sturmfeder-Horneck mit dem Pesonenkraftwagen vor. Der Mann im leichten Sommerhemd, der einen Strohhut lässig auf dem Kopf trug, begrüßte die beiden Herren mit einem herzlichen Händedruck und festem Lächeln im Gesicht. Gemeinsam fuhren sie gleich Richtung Norden weiter. 

Egersdörfer saß auf der Rückbank und sprach von hinten, nachdem er das Aufnahmegerät eingeschaltet hatte: „Ich nehm schon mal auf, wenn´s recht ist.“ „Ach so, ja freilich“, entgegnete darauf der Adelige hinter dem Lenkrad. „Und du bist jetzt Fürscht oder Graf oder was?“, wollte der Kabarettist wissen. „Ja genau, ich bin Graf“, sagte daraufhin der Graf. „Deine ganzen Vornamen kenn ich gar nicht. Ich weiß eigentlich nur, dass du Stephan heißt. Aber du hast bestimmt noch andere Vornamen“, frug der Jordan. „Stephan Karl Friedrich Ferdinand Maria Graf von Bentzel-Sturmfeder-Horneck.“ „Eieieieiei!“, staunte da der Matthias Klaus Friedrich. „Es gibt in bestimmten Kreisen immer sehr viele Namen, besonders wenn du auf so internationalen Portalen zu Gange bist. Ich schreib mich natürlich immer als Stephan Bentzel. So heiß ich halt. Jetzt steht da aber ‚Graf von’. Wenn du jetzt aber eine Ausweis-Identifikation machst, dann heiße ich gar nicht so. Also im Endeffekt heiße ich mit Vornamen ‚Graf’ und mit Nachnamen ‚von’. Das sind halt bei mir die ersten zwei Namen.“ Die Ausführung über seine Benennung lässt der Graf in einem kurzen Lachen enden. „Ghörst du dann, amal zänkisch gefraacht, als Graf zum auserwähltn Volk?“, wollte der Egers wissen. Wieder lachte Stephan Bentzel. „Ob ich? – Also ich persönlich fühle mich schon schon sehr auserwählt.“ Ein erneutes schepperndes Lachen folgte seinerseits. „In meinem Mikrokosmos. Das hat, glaube ich, damit etwas zu tun.“ „Aber das bedeutet das doch ursprünglich – diese Titel wurden doch an Leut verliehen oder vererbt, die sich unterschieden haben vom einfachen Volk – durch ihr Blut.“ „Ja. – Nein. Also, des kommt eigentlich von den Franzosen her. Man sagt halt immer, dass quasi der Kaiser und der König – also der, der die Adeligen bestimmt, von Gott gesandt ist und somit gibt er das natürlich weiter. Aber – im Endeffekt, sag ich jetzt einmal so, hast du früher einen Titel bekommen, wenn du etwas gut gmacht hast. Keine Ahnung. Warst entweder wahnsinnig umtriebig oder sonstwas.“ „Quasi ein Ritterschlag?“ „Genau. Ja. Und zum Beispiel bei dem Namen ‚Sturmfeder’. Da sind noch zwei Streitäxte im Familienwappen. Das kommt aus den Kreuzzügen, beziehungsweise aus dem Mittelalter, weil da die Sturmfeder – die müssen alle sehr gute Turnierritter gewesen sein. Das sind quasi die erfolgreichen ‚Tennisspieler’ des Mittelalters gewesen. Und da hast du ziemlich viel Kohle damit verdient. Und wenn du viel Geld hast, dann hast du natürlich auch viel Einfluss. So war es dann immer. Die Menschen müssen entweder sehr mutig gewesen sein oder geschäftstüchtig, diplomatisch. Oder aber sie waren auch sehr gute Beamte. Ich sag einmal so: Wenn du da damals etwas erreicht hast früher, dann musst du progressiv gewesen sein. Deshalb verstehe ich jetzt die ganzen Adeligen nicht. Warum muss man denn immer so konservativ sein? Weil mit irgendwelchen altbackenen Einstellungen hast du damals auch keinen Blumentopf gewonnen. Deshalb musst du immer neue Wege gehen. Insofern ist es total grotesk, dass sich die ganzen Adeligen heute so zieren, ein wenig progressiv zu sein. Das ist überhaupt nicht meins.“

Die drei Herren fuhren jetzt am unteren Ende das Geländes vorbei, auf dem das Annafest gerade stattfand. Hoch drehten sich die Fahrgeschäfte und durch das geöffnete Fenster drang ein leichter Geruch von gegrilltem Fleisch, gebrannten Mandeln und vielen anderen Köstlichkeiten aus dem ver-gnügten Kellerwald. Nach kurzer Fahrzeit erreichten die Herren das Schloss Jägersburg im typischen Habsburger-Gelb, was dem Jordan gleich auffiel. Im Innenhof standen sie vor den prächti-gen Gebäuden. Durch einen Zugang eines Seitenturmes führte dann der Graf den Egersdörfer und den Jordan zu seinen Gemächern. Nachdem sie im Treppenhaus hinaufgelaufen waren, standen die drei Herren nun im Turm, in dem der Stephan „sein Wohnrecht“ besaß, wie er sich ausdrückte. Auf einer schönen Kommode im Gang stand eine Fotografie, die dem Egersdörfer sofort auffiel. Der Graf erzählte: „Auf dem Bild bin ich zu sehen. Da war ich auf einer Malteser-Reise in Lourdes. Da kümmern wir uns um kranke und behinderte Kinder und haben dabei eine Uniform an.“ Dieses Foto hat der Jordan sofort abgezeichnet. Hier auf dieser Seite kann man es sich jetzt ansehen. Dem Egersdörfer hat der Graf dann noch Geschichten erzählt über seine Kunst, die Getränke, die er erfunden hat und über seinen Vater, der gern mal Büffel trieb wie ein Cowboy. Vielleicht erzählt Dir der Egersdörfer davon. Sprich ihn einfach freundlich an, wenn er mal wieder im Café Express sitzt.

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Der Matthias Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Und der Egers schreibt, was er hört und erblickt. So entsteht diese Kolumne.



Wolfram-von-Eschenbach-Preis 
Auch Bezirk Mittelfranken ehrt Egi!

BEGRÜNDUNG   „Durch seine Rolle als Leiter der Spurensicherung im Franken-Tatort, die er seit 2015 mimt, ist er einem breiten Publikum bekannt geworden. Seine große Leidenschaft ist jedoch die Kabarettbühne. Hier präsentiert er sich als grantelnden, laut polternden Franken, der sich mit hintersinnigem, schwarzem Humor und cholerischen Anwandlungen den Herausforderungen der Welt stellt. Trotz anfänglichen Hürden hat sich der 54-Jährige zu einer festen Kabarett-Größe etabliert, denn gerade sein ganz persönlicher, unverwechselbarer Stil macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung. Dies brachte ihm zahlreiche Preise ein, wie beispielsweise den Bayerischen Kabarettpreis in der Kategorie Senkrechtstarter oder den Deutschen Kleinkunstpreis (jeweils 2010). Zunächst studierte Egersdörfer Germanistik, Theaterwissenschaften und Philosophie, arbeitete als Medienberater und schloss ein Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg an. Parallel dazu begann er mit dem Schreiben und dem Musizieren. Seit 1994 ist er regelmäßig mit seiner unkonventionellen Boy Band „Fast zu Fürth“ auf Tour oder verwirklicht Projekte mit dem Tubisten Heinrich Filsner. Eine fast schon sensible, melancholische Seite offenbart Egersdörfer hingegen mit seinem autobiographischen Roman „Vorstadtprinz. Roman meiner Kindheit“ (2019), in dem er seine Kindheitserlebnisse reflektiert, überspitzt und durchaus verallgemeinert. Diese verarbeitet er auch in seinen „Betthupferl“-Geschichten (BR). Zusammen mit Lothar Gröschel verfasste er eine Ode an die Freundschaft in dem Buch „Das Lachen des Grünspechts. Eine höchst abenteuerliche Geschichte über Freundschaft, Kunst und Wahnsinn in der fränkischen Provinz“. Matthias Egersdörfer ist ein künstlerisch-humoristisches Multitalent und ein fränkischer Phantast, der sich nicht in die eine Schublade stecken lässt. Durch seine Tiefgründigkeit und Vielseitigkeit ist er für das fränkische Kulturleben eine wahre Bereicherung, dessen Schaffen nun in seiner Gänze mit dem Wolfram-von-Eschenbach-Preis gewürdigt wird.“ 

Preisverleihung am 23.10.2024 in Wolframs-Eschenbach
Laudation: Andreas Radlmaier 
curt gratuliert und sonnt sich im Ruhm, geschmückt mit Matthias´Federn!

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UPDATE

LAUDATIO
von Andreas Radlmaier

Wolfram-von-Eschenbach-Preis
für Matthias Egersdörfer
am 23. Oktober 2024 in Wolframs-Eschenbach



Sehr geehrte Damen und Herren,
hoch geschätzte PreisträgerInnen,
lieber Matthias Egersdörfer,

jetzt hat der Spaß mal ein Loch, Spaß mit zwei kurzen S, jetzt wird gelobt, für die nächsten zehn, zwölf Minuten circa.

Weil Du, lieber Matthias, eine Naturerscheinung aus Franken bist, ein Hinkelstein des Humanen, der Majestix des Wutanfalls, der Tausendsassa der Kleinkunstbühne. Du bist ein Original ohne Untertitel, kannst also Fränkisch UND schlechte Laune UND Understatement. Aber auch Hochdeutsch UND Gelassenheit UND Selbstbewusstsein. Will sagen:

Du überraschst mich immer wieder. Als Künstler, als Kunstfigur, als Mann mit Mut und - als Mensch. Ein größeres Kompliment kann ich Dir nicht machen.

Ich bin schließlich selber Franke.

Das nächste Kompliment gilt dann aber schon der Jury, die offensichtlich auch Überraschungen schätzt. Und dieser Zustand ist ja heutzutage alles andere als erstrebenswert.

Die Gier nach NEUEM, die Neugier, hat’s gerade nicht leicht. Das NEUE verträgt sich nicht besonders gut mit unserer neurotischen Sehnsucht nach der immerwährenden Vollkasko-Lebensversicherung.

Das Vertraute, das Immergleiche ist das Gute. Also drei Fernseh-Krimis am Abend, zum Beispiel. Nur keine Überraschungen. Keine Experimente. Wir erinnern uns dunkel an diesen Wahlkampf-Slogan einer Volkspartei im verblichenen Wirtschaftswunderland.

Mit so einer Lebenshaltung mag Matthias Egersdörfer offensichtlich nicht dienen. Ich habe folglich viele Überraschungsmomente mit ihm erlebt. Etwa eine Begegnung, die im Rückblick geradezu zwangsläufig auf den Eschenbach-Preis des Jahres 2024 zuführen musste.

Wir schreiben das Jahr 2013. Im Nürnberger Stadtpark ist ein Zirkuszelt aufgebaut, weil sich Nürnberg, Stichwort: „Die Meistersinger von Nürnberg“, frech als Wagner-Stadt mit eigener Handschrift positionieren wollte. Im „Circus Wagner“ gab es damals unter der Federführung des Kulturprojektbüros Puppenspiel und Bläserblech, Pocket Opera und Wagner-Spott.

Und da kommt Matthias Egersdörfer ins Spiel.

Er tat sich damals mit dem Ensemble Kontraste aus Nürnberg zusammen: für einen „Tannhäuser“ der besonderen Art.
Zu erleben war damals im Stadtpark eine Parodie, aber auch die Verneigung eines spät bekehrten Opernfans. Genau, man glaubt es kaum: Matthias Egersdörfer liebt Oper!

Und: Einen solchen Wagner-Gesang wie im „Tannhäuser“ hatte die Welt noch nicht gehört. Brummelnd in Bariton-Tiefen, quetschend in Sopran-Höhen. Wenn Egersdörfer „Die Nachtigall hör ich nicht mehr“ grölte, wurde einem schlagartig klar, was den Vogel in die Flucht trieb. Andererseits gönnte er dem Gebet von Elisabeth eine wunderbar berührende Innigkeit.

A minnesänger was born. Und zack sind wir bei Wolfram von Eschenbach, der bekanntlich auch ein Minnesänger vor der Frau war. Edel, hilfreich und feministisch. 800 Jahre führen wie durch Wagner-Hand zu „Egers“, wie er von Freund und Feind gerufen wird.

Apropos: edel, hilfreich und frauenversteherisch. Diese Grundstimmung trifft man ja auch laufend in den „Carmen“-Zumutungen, die Matthias Egersdörfer mit seinen Partnern Claudia Schulz und Andy Maurice Mueller zur satirischen Grenzerfahrung ausbaut. Also gut, menschenfreundlich ist hier gleichzusetzen mit Menschenverachtung und Frauenverachtung. Die Gürtellinie verläuft quer durch die Herzgegend, rote Linien werden zu Gummibändern, auf denen Gemeinheit und Bosheit herumspringen dürfen. „Die Faszination des Gequältwerdens“, die Reaktion der Menschen auf diese miesen Methoden faszinieren den Künstler schon immer.

Am Ende meint der Egers mit der Zurschaustellung von Abgründen ja uns. Dabei sind es bekanntlich stets die anderen, die Mitmenschen schlecht behandeln, sich im Ton vergreifen und für sich in Anspruch nehmen, diese völlig verrückte Welt zu begreifen. Es sind doch immer die anderen, denen „sie ins Gehirn geschissen haben“ und die „den Arsch offen haben“.
Und das wird man ja wohl sagen dürfen im Freistaat als stellvertretender Ministerpräsident, der keinen Anspruch auf Weitsicht und Wortwahl erhebt.

Man kann also festhalten: Satire ist nicht gleichzusetzen mit Realpolitik. Grobheiten, die bei Ministerpräsidenten als Insignien eines starken Mannes gewertet werden, werden bei einem Künstler ganz gegenteilig als abzulehnender Charakterzug verurteilt.

Mit Polit-Kabarett im engeren Sinne hatte Egersdörfer übrigens nie was am Hut. Allein sich die ganzen verschiedenen Namen merken zu müssen, hätte ihn direkt in die Schlafstörung getrieben, sagt er. Eher habe ihn als schon als sehr jungen Menschen Charlie Chaplin und Buster Keaton begeistert, in ihrer Tragik, ihrem Scheitern. „Schlimme Comedy“ war früher übrigens auch mal eine Typen-Bezeichnung bei Egers.

Auch bei Matthias Egersdörfer hält sich hartnäckig bis heute die ablehnende Frage, ob das lustig sei und das Ganze so sein müsse. Diese Bluthochdruck-Attacken, das Brachiale, diese Publikumsbeschimpfung. Alles Tarnung: Eigentlich geht es ihm um die „große Umarmung von Menschen und Mitmenschen“. Sagt er.
Ich glaube das.

Lustig ist auf alle Fälle stets die erstaunte Reaktion von Menschen, die den Künstler jenseits der Bühne kennenlernen: als höflichen, reflektierten, ruhigen, freundlichen Gesprächspartner. Der uns eher aufmerksam mustert, als in den Unterleib tritt.
Man glaubt den Mann also zu kennen, tut es aber nicht. Damit ist Egersdörfer ein beispielhafter Vertreter unserer Zeit. Die glauben wir ja auch zu durchblicken, tun es aber nicht.

Und: Ist es nicht merkwürdig, dass der größte Bekanntheitswert von Egersdörfer in der Öffentlichkeit von einer Nebenrolle herzurühren scheint? Als Spurensicherer Christian Schatz im Franken-„Tatort“. Dass er da aktuell pausiert – egal!
Fernsehen, Kabarett, Oper, Theater – jetzt wird es höchste Zeit, die Tatorte von Matthias Egersdörfer wenigstens ansatzweise zu beleuchten. Sein Leben ist definitiv ein Fall für die Spurensicherung.

Meine Erstbegegnung führte mich in die Fränkische Schweiz, nach Winterstein, wo Egers Mitte der 90er Jahre mit Kumpels erst eine WG, dann einen Kulturverein und schließlich noch eine bis heute existierende Boygroup namens „Fast zu Fürth“ gegründet hat. Diese Erlebnisse mündeten jüngst in das Buch „Das Lachen des Grünspechts“. Denn: Bücher schreibt er auch.
Egersdörfer sieht sich als Geschichtenerzähler. Geprägt vielleicht von seinem Vater, der mit seinen Storys auch immer die Humorlage des Gegenübers testete.

Deshalb hat der Sohn vermutlich auch Theaterwissenschaften studiert und spielt bis heute in verschiedenen Ensembles.
Deshalb hat er vermutlich jahrelang in der Abendzeitung – Gott hab‘ sie selig! – Kolumnen geschrieben und tut das bis heute noch im CURT.
Deshalb hat er für den Bayerischen Rundfunk drei Staffeln mit „Betthupferln“ eingesprochen.
Deshalb hat er vermutlich auch im Nürnberger Filmhaus immer wieder Filme präsentiert. Überhaupt geht er gerne ins Kino. Das Kino ist ihm wohlig-dunkler Zufluchtsort vor den durchaus vorhandenen Deppen der Zeit.
Deshalb hat er vermutlich auch Kunst studiert, Malerei bei Peter Angermann, in Nürnberg, wo er auch Meisterschüler wurde.
Deshalb hat er wohl auch zur Fußball-WM 2006 16 Stunden Videomaterial mit Tausenden von Filmchen mit abstrusen Fußballregeln präsentiert. Unter Umständen die einzige Möglichkeit, sich dieser Sportart zu nähern.

Der Egers will ja nur spielen. Mit Erwartungshaltungen, Stereotypen, Erinnerungen. Da will sich einer ausprobieren. Auf Mini-Bühnen, in Subkultur-Kellern, in Renommier-Häusern – gespielt wird, wo man sich in seinem Namen versammelt.

Mit den „Artverwandten“, einem Bunten Abend mit geschätzten Kolleginnen und Kollegen, bevölkerte er jahrelang den Großraum. War damit eine ganze Saison im Opernhaus, in der Comödie Fürth, dem Loft des Gostner Hoftheaters, dem E-Werk in Erlangen. Anfangs im Club Stereo in Nürnberg war die Gästezahl übersichtlich, erinnere ich mich. Vielleicht waren es acht oder elf.
Dazwischen der Gastgeber, rotes Hemd, schwarzes Sakko, professionell schlecht gelaunt, der Rest ergibt sich von selbst.
Hartnäckigkeit ist sicherlich ein Merkmal dieses Künstlers. Dranbleiben, Niederlagen aushalten, Formate erforschen. Damit hat es Egers zur wahrhaft prominenten Künstlerfigur Frankens gebracht. Der stets erstaunt. Als er vor Jahren einen Nürnberger Kulturpreis bekam, bedankte er sich bei der damaligen Kulturreferentin, Julia Lehner hieß sie, im Gegenzug mit einem Schokoriegel, einem Snickers, den er aus der Jacketttasche zog. Quasi ein Gegengeschenk. Das hatte er übrig. Seine Frau hatte ihn vorher ermahnt, sich etwas einzustecken, gegen den Hunger, weil diese Preisverleihungen in der Regel so wahnsinnig lange dauern.

Das Paradox ist sein Partner. Er taucht in Eberhofer-Krimis auf und bei „Dittsche“, schreibt sich mit dem „Manifest eines perfekten Sonntags“ ein Lebensrezept von der Seele und ruft zum Hirnwurst-Contest unter fränkischen Metzgern auf. Und ja, das würde er wiedermachen.
Er will sich nicht entscheiden, weil ihm nach eigener Aussage „alles Spaß macht“. Und er kann sich nicht entscheiden, weil er ein notorischer Spätzünder war und ist. Bei allem und überall.

54 Jahren ist er jetzt. Als er mit der Kleinkunst begann, war er Anfang, Mitte Dreißig. In dem Alter lag Mozart schon im einfachen Grab in Wien.

„Langsam ist ein Adjektiv, das gut zu mir passt“, sagt er deshalb über sich. „Langsam“ heißt denn auch das neue Solo-Programm, das im Januar 2025 Premiere feiert. Jetzt muss er das Programm nur noch schreiben. Sind ja aber noch drei Monate Zeit. Also ganz langsam.

Bei diesem staunenswerten Spektrum an Ausdrucksformen stellt sich womöglich die Frage, was war Ursache und Ergebnis, was war zuerst: die Henne oder der Eierkopf? An einer verkorksten Kindheit in Lauf kann es nicht gelegen haben. Er war Mamas Liebling, wuchs als Nesthäkchen mit zwei älteren Schwestern auf. Einigermaßen glücklich. Das hat er in dem Roman „Vorstadtprinz“ längst idealisiert. Auch wenn die kratzenden, langen Wollstrumpfhosen, die ihm aufgenötigt wurden, vielleicht doch von dem ein oder anderen Trauma erzählen.

Ohne diese Erinnerungen, ohne die Vergangenheit wäre der Erzählkosmos des Matthias Egersdörfer sicherlich viel übersichtlicher. Zukunft braucht Herkunft, wissen wir. Bei ihm – definitiv!

Matthias Egersdörfer leidet an der Welt. Aber auch an sich. Wie anders ist seine seelische Störung zu verstehen, die ihn nach dem Abitur zum Klinikpatienten werden ließ. Die ziemlich gruselige Episode hat er nun öffentlich gemacht, in seinem Buch „Lachen des Grünspechts“, um, wie er sagte, die Deutungshoheit über seine eigene Biographie zu behalten.

Das Leben ist so wenig harmlos wie sein Humor. Es steckt voller Gefahren, voller Sündenfälle. Als sensibler Zeitgenosse ist für ihn unser Dasein ein Fegefeuer, ein Fegefeuer der Eitelkeit, auch ein Fegefeuer der Heiterkeit. Gerade, hat er vor kurzem zu Protokoll gegeben, zeichnet er den Veitshöchheimer Fasching auf schwerem Büttenpapier, genauer gesagt wohl: Büttenredenpapier, nach. Sketch für Sketch. Vor unseren Augen entsteht ein Wandfries des deutschen Humors. Das wird epochal, mindestens.

Ohne Bühnenleben, hat der bayerische Kabarettist Georg Ringsgwandl einmal gesagt, wäre er vermutlich in der Therapie gelandet.
Möglicherweise kann Matthias Egersdörfer dazu bestätigend nicken. Sicherlich zustimmen wird er aber der Aussage von Josef Hader, dass einen ab einem bestimmten Alter oder Zeitpunkt die Preise einholen und man ihnen nicht ausweichen kann.
15 bis 20 werden es bei Matthias gewesen sein. Mitgezählt hat er nicht. Heute ist sicherlich der Wolfram-von-Eschenbach-Preis der wichtigste, im Januar dann der Deutsche Kabarettpreis.

Zum heute wichtigsten Preis gratuliere ich Dir herzlich, lieber Matthias.
Mach nur weiter so!

Dem Rest gratuliere ich zum Durchhalten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Loch ist wieder zu und der Spaß wieder da …


© Andreas Radlmaier



 




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Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

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