Schauspiel Erlangen: Jonas Knecht will die Welt nach Erlangen holen

DIENSTAG, 1. OKTOBER 2024, ERLANGEN

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Großer Wirbel um das Theater Erlangen: Es hat seit dieser Spielzeit sieben Personen im künstlerischen Leitungsteam und heißt nicht mehr Theater Erlangen, sondern schauspiel erlangen. Der Chef-Chef, Intedant Jonas Knecht, kommt vom Theater St. Gallen nach, steht für genreübergreifende experimentelle Formen und hat bereits einige Projekte für die kommenden Jahre im Sinn.

CURT: Du hast, bevor du für Puppenspiel und Regie an die Ernst-Busch gegangen bist, Elektrotechnik in St. Gallen studiert. War das klassisch deinen Eltern zu Liebe oder eine echte leidenschaftliche Entscheidung?
JONAS KNECHT: Es war natürlich schon so, dass meine Eltern damals gesagt haben: Mach erstmal was Richtiges, Bub. Aber die Technik hat schon immer eine große Faszination auf mich ausgeübt, tut sie bis heute, und daher war es nicht schlimm, sondern eigentlich toll, meine Lehre als Elektroniker zu beenden und noch dieses Studium anzuschließen. Das Theater hat mich aber nicht losgelassen und ich musste diesen Weg beschreiten oder zumindest gucken, ob das ein Weg sein kann. Ich bin nach wie vor froh über meinen technischen Background, weil ich dadurch ganz anders mit Leuten reden kann. Das Theater ist voll von Technik und ein technisches Grundverständnis ist wahnsinnig hilfreich. Ich arbeite ja auch gerne mit Audio und in Richtung Hörspiel, da hilft es schon, wenn man weiß, wie man ein Mischpult bedient.

CURT: Du hast lange Zeit, 13 Jahre, als freier Regisseur gearbeitet, bis Du die Schauspieldirektion in deiner Heimatstadt St. Gallen übernommen hast. War das auch die ausschlaggebende Motivation, wieder heimzugehen?
JONAS: Ich bin nach dem Studium in Berlin geblieben und habe dort viele freie Projekte gemacht. Wir wurden zu der Zeit auch gut gefördert, aber ich habe gemerkt, dass dieses Nicht-Wissen, wie es weitergeht, der Druck, immer wieder Förderanträge stellen zu müssen und mit einem Minimum an Kohle auszukommen, einen wahnsinnig müde macht. Ich war also in einer Phase, wo ich dachte, es wäre nicht schlecht, ein bisschen sicherer zu sein und nicht mehr diesen Existenzdruck im Hintergrund zu haben. Das hat dazu geführt, dass ich diese Bewerbung geschrieben habe, und es war dann schön, aber natürlich auch merkwürdig, in die Heimatstadt zurückzugehen, mit der man ja immer so eine Hassliebe hat. Mit dem Hintergrund der freien Szene an ein Stadttheater zu gehen, ist aber vielleicht hilfreich, um gewisse Strukturen zu hinterfragen. Gerade wenn die Stadttheater in Zukunft nicht mehr so viel Geld haben werden.  

CURT: Wie kam dieser Wechsel nach Erlangen zustande?
JONAS: Ich wusste, der Vertrag in St. Gallen endet. Dort wurde, was ich bedauerlich finde, ein kompletter Wechsel vorbereitet, von einem Viererteam zurück zum Generalintendanten, also eigentlich genau das Gegenteil von dem, was Theater heute machen. Da war mir klar, die werden mich nicht verlängern. Ich habe überlegt, ob ich in die freie Szene zurückwill, aber ich bin auch nicht mehr 20, es gibt viele junge Leute, die nachgekommen sind, und es ist nicht einfach, da zu bestehen. Ich hatte schon Lust, wieder an ein Theater zu gehen. Erlangen kannte ich vom Figurentheaterfestival, wo ich vor vielen Jahren eine Produktion hatte. Es ist ein kleines Haus mit kurzen Wegen, wo man viel bewegen kann, und die Stadt ist durchaus mit St. Gallen vergleichbar. Es geht den Leuten gut, sie ist von Student:innen geprägt und von den großen Firmen und Teil einer größeren Metropole. Ich hoffe, wir können hier als Team bestehen und finden heraus, was man tun muss, um auch beim Publikum gut anzukommen.

CURT: Was bei manchen Stammbesucher:innen nicht so gut ankam, war die Entscheidung das Theater Erlangen in schauspiel erlangen umzubenennen. Warum habt ihr das entschieden?
JONAS: Wir haben gesagt, wir wollen einen klaren Schnitt machen: neues Logo, neuer Name, neues Corporate Design. Die Kritik kam sofort, dass ein Theater doch mehr sei, als nur Schauspiel, aber ich finde auch, dass ein Schauspiel heute mehr ist als nur Schauspiel. Das zeigt sich auch, wenn man beispielsweise nach Leipzig oder Zürich schaut. Mir war klar, dass das nicht allen gefällt, aber diese Argumentation kann ich nicht gelten lassen. Auch ein Schauspiel muss sich in alle Richtungen bewegen und alle Bühnenformen produktiv machen. Ein Theater, könnte man andersherum sagen, ist auch ein Gebäude. Das schauspiel erlangen bespielt mehrere Räume: das Markgrafentheater, das Theater in der Garage, den Marktplatz, macht auch mal ein Konzert, kooperiert mit dem E-Werk … Ich finde es einfach den charaktervolleren Namen.

CURT: Du hast in St. Gallen in einem Theater mit großer Musical-Tradition gearbeitet und selbst verschiedenste Theaterformen auf die Bühne gebracht. Jetzt kommst Du an ein reines Sprechtheater, schränkt das ein?
JONAS: Ich finde das gar nicht einschränkend. Wir haben hier alle Möglichkeiten, uns in andere Richtungen zu bewegen. Wir haben ja auch schnell entschieden, dass wir einen Puppenspieler, eine Tänzerin, eine Sängerin fest im Ensemble haben möchten. Man denkt immer, an großen Häusern ist es so cool, ein Tanzensemble oder ein Orchester zu haben, auf das man zugreifen kann. In Wirklichkeit ist es sehr kompliziert, diese Parteien unter einen Hut zu bringen, weil die alle ihre eigenen Agenden, künstlerischen Profile, Verträge, Probezeiten haben. Wenn wir unser Konzept weiterdenken, haben wir in ein paar Jahren vielleicht zwei Sänger:innen und drei Tänzer:innen und arbeitet mit einem multifunktionalen, interdisziplinären Ensemble, und es ist dann vielleicht gar nicht mehr so eindeutig, ob man ein Schauspiel macht oder ein szenisches Konzert. Da sind wir aber noch ganz, ganz am Anfang.

CURT: Wie gut kennst du die Stadt bereits, seit wann bist du hier?
JONAS: Ich bin jetzt seit zwei Monaten fest hier. Ich kann nicht sagen, dass ich die Stadt jetzt schon gut kennen würde. Ich kenne den Weg zum Büro, ein paar Kneipen, die Innenstadt. Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, die fränkische Schweiz zu erkunden zum Beispiel. Ich versuche, mit möglichst vielen Leuten in Kontakt zu treten, dadurch lernt man die Stadt extrem gut kennen und ich stoße da auch auf große Offenheit. Wir rennen offene Türen ein, wenn wir sagen, wir wollen etwas mit dem E-Werk machen oder mit den Theaterwissenschaften an der Uni.

CURT: Deine erste eigene Inszenierung ist Beyond von Andreas Schäfer im Januar, eine Uraufführung. Warum dieses?
JONAS: Mir war klar, ich will nicht die Eröffnung machen, sondern Zeit haben, um anzukommen und schauen, dass wir gute Arbeitsbedingungen haben. Das ist ein großer Teil meiner Aufgabe und da kann ich am Anfang nicht nebenher inszenieren. Ich bin sehr interessiert an verschiedensten Theaterformen, das ist meine große Lust. So ist mit unserem musikalischen Leiter die Idee eines Abends entstanden, der keine klassische Inszenierung ist, sondern eher einen installativen Ansatz verfolgt. Wir wollen die großen Fragen der Vergänglichkeit, nach dem Jenseits und dem Leben danach, nach Gott, aufgreifen und dem Publikum Raum geben, über diese Fragen nachzudenken. Der Abend wird, so wie es im Moment aussieht, zwei Teile haben: Im ersten wird man von zwei Schauspieler:innen mit diesen Fragen konfrontiert, im zweiten wird man Zeit haben, in einer Installation mit Licht, Laser, Video und Sound, kontemplativ diesen Fragen nachzugehen. Das ist ein bisschen der Versuch einer neuen Form und trotzdem kein riesiges Projekt, entstanden aus der Lust, ein Experiment zu wagen. Ich werde aber natürlich auch ganz normal Stücke inszenieren und freue mich da auch drauf.

CURT: Du hast dich in St. Gallen um die Nachwuchsförderung von Autor:innen verdient gemacht, einen neuen Spielort für St. Gallen erschaffen, etc. Schweben dir schon ähnliche Projekte für Erlangen vor?
JONAS: Wir sind daran, ein Drama Atelier aufzubauen, also ein Gefäß, in dem wir Autor:innen, die fürs Theater schreiben, fördern und unterstützen wollen, eine Werkstatt für szenisches Schreiben. Da warten wir derzeit auf einen Förderbescheid. Am liebsten wollen wir das überregional aufziehen, zusammen mit Ingolstadt, Bamberg und vielleicht auch Nürnberg. Je mehr Häuser beteiligt sind, desto spannender ist das für die Autor:innen und auch die Häuser. Die Autor:innen würden bei der Entwicklung neuer Stücke von Fachleuten mentoriert, es gäbe Tryouts, wo Texte gelesen werden, es wäre ein gemeinsamer Prozess. Natürlich würde ich außerdem gerne so etwas wie ein Studio aufbauen, zum Beispiel mit Puppenspieler:innen aus Berlin, aber das kostet halt und mit der Kohle müssen wir jetzt einfach schauen, wie es funktioniert. In St. Gallen haben wir einen Schiffscontainer umgebaut und genutzt. Das ist der niedrigschwelligste Weg ins Theater, weil man damit zu den Leuten geht und auch diejenigen anspricht, die sich nicht ins große Haus wagen würden. Wir haben am Ende der Spielzeit das Stück Prosa für Elisabeth, da wird der Container auch nach Erlangen kommen. Wir werden aber zum Beispiel auch in den Skulpturengarten gehen, wir sprechen mit Amely Deiss vom Kunstpalais, die Lust hätte, etwas gemeinsam zu machen, die Bibliothek oder die Museen könnten Orte sein … Ich finde es wichtig, das Theater auch mal zu verlassen.

CURT: Wenn wir jetzt auf den Spielplan schauen, was kann das Publikum erwarten?
JONAS: Meister und Margarita zur Eröffnung ist das große Spektakel mit dem ganzen Ensemble und spricht auch Menschen an, die eher die klassischen Stoffe sehen möchten. Mind The Gap ist eine Produktion der KULA Compagnie. Ich finde es sehr spannend, dass wir die jetzt am Haus haben. Das wollen wir auch in Zukunft weiter voran treiben: Freie Bühnen einladen und damit die Welt ein bisschen nach Erlangen holen. Hugo, das Kind in den besten Jahren, unser Familienstück, ist eine Uraufführung eines Christine Nöstlinger-Texts, genauso wie Ewig Sommer, wo wir viel mit Tanz arbeiten werden, während wir bei der Eröffnung des Figuentheaterfestivals mit Endspiel von Beckett wieder einen Klassiker haben.

CURT: Was ist deine Philosophie, was für eine Art von Intndant, aber auch Chef möchtest du sein?
JONAS: Ein nahbarer, der da ist für die Menschen, die hier am Haus ein und aus gehen. Mir ist Kommunikation wichtig, sie ist aber auch das allerschwierigste. Wir wollen eine teamorientierte Führung etablieren, die es zulässt, dass die Einzelnen mit einer möglichst großen Eigenverantwortung agieren können, sodass es weniger darum geht, wer wem Weisungen gibt und wer was durchsetzt. Ich hoffe, dass es uns gelingt, im Miteinander Theater zu machen und dass jeder sich gemeint und verantwortlich fühlt, für das, was wir da machen. Das wäre mir wichtig, aber das ist ein Ziel, das nicht von jetzt auf gleich erfüllt werden kann, es ist ein Prozess.

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schauspiel erlangen 

Jonas Knecht
geboren in St. Gallen, studierte erst Elektrotechnik und danach Puppenspielkunst und Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin. Noch während des Studiums gründete er die international agierende Produktionsplattform theater konstellationen. Seit 2003 freie Regie u.a. in Saarbrücken, Bern, Wien. Von 2016 bis 23 war er Schauspieldirektor am Theater St. Gallen.




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