Befreiungsrülpser auf der Titanic
#Andreas Radlmaier, #Theater, #Theater Mummpitz, #Uraufführung
Text von Andreas Radlmaier.
Dem Theater Mummpitz glückt mit der Uraufführung „Freddie und die ganze Katastrophe“ ein hinreißender Saison-Start.
Das riesige weiße Tuch quillt aus dem Frühstückstisch, überspült sintflutartig die Bühne und die ganze Zuschauertribüne und trägt die neunjährige Freddie in eine andere Welt, in ihre Welt, wo Katastrophen so angenehm gruselig sind und die Phantasie anregen. Also rauf auf den Dampfer, den unsinkbaren, der sie zum Eiffelturm nach Amerika bringt. Oder so. Nur weg! Der Beziehungsstress der Eltern, das Bla-Bla-Bla-Bashing der Eltern, das Krisenschweigen bleiben zurück. Doch der Eisberg lauert voraus. In Form einer verlockenden Raffaelo-Torte. Das Schicksal kennt auch viele Kalorien.
Mit der Uraufführung „Freddie und die ganze Katastrophe“ hat das Theater Mummpitz zu Beginn der Spielzeit erneut seine führende Rolle in der Nürnberger Kindertheaterlandschaft betont – mit vertrautem Witz, Slapstick-Timing, ungeheurer Poesie und faszinierend präzisem Spiel. Der britische Gastregisseur Alex Byrne, seit vielen Jahren Mummpitz-Gast, ist mit dem Ensemble ein wunderbarer Wurf gelungen, eine im Kollektiv entstandene, fein ausbalancierte und bis ins Detail stimmige Parabel auf Untergangsgefühle und die Chance auf ein Rettungsboot, das manchmal verdächtig nach einem altmodischem Sofa aussieht.
Überhaupt gleicht die Bühne von Maria Pfeiffer wieder einem behaglichem Schutzraum voller gelebter und geliebter Erinnerungen. Der Verlust von Sicherheit bricht dann umso stärker herein. Das erlebt Freddie (überragend: Christine Mertens als vitaler Comedian, der das Leben aufsaugt wie eine Flasche Cola und dafür auch den Befreiungsrülpser in Kauf nimmt) auch zuhause bei den streitenden Eltern. Da hilft auch das Ablenkungsmanöver mit dem „Großen Buch der Katastrophen“ und der „absoluten Lieblings-Katastrophe“, dem Untergang der Titanic und der Aussicht auf ein Massensterben, als Ablenkungsmanöver nicht mehr. Das Wasser steht ihr bis zum Halse, Gedankenflucht ist geboten.
Als blinder Passagier begegnet sie auf dem Schiff, das so unter romantischen Glühbirnchen dahindampft wie das Modell von der Titanic, Menschen, die immer ein wenig an ihre Familie erinnern, aber hier eine Salon-Madame im Glitzerkleid, Steward mit Putzwedel und Witzevorrat und Kapitän mit Seelenruhe und Opa-Charme sind. Sabine Zieser, Michael Schramm und Michael Bang sind die Unterhaltungsgaranten, verknoten sich im Kleiderschrank, driften mit Klimperklavier und Gitarre durch den musikalischen Emotionsfilm und halten Kurs auf Lebenslust und Lebensmut. Trotz Titanic, Eisberg und versinkender Verzweiflung. „Die Familie ist wie ein Boot“, lautet der happy-endliche Song, der für Klein und Groß der Dystopie die Versöhnung und Zuversicht unterjubelt. Hauptsache: Kurs halten!
Diese Inszenierung macht Schweres leicht, kommt der Tragik mit Humor. Das Premierenpublikum war entsprechend hingerissen und gebannt. Ein Mädchen bat am Ende – als sei’s ein Regieeinfall gewesen – spontan und halblaut nach Raffaelo-Torte. Auch Eisberge verlieren manchmal ihren Schrecken.
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Freddie und die ganze Katastrophe
im Theater Mummpitz
bis 23. Oktober und vom 5. bis 16. Februar 2025.
Tickets und Termine unter: www.theater-mummpitz.de
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