CURT im Zukunftsmuseum #4: Roboterseelen
FREITAG, 1. APRIL 2022, ZUKUNFTSMUSEUM
War ich neulich im Elektrogeräte-Paradies auf der Suche nach einem elektrischen Zahnstocher, als ich mich in die Roboter-Abteilung verlief. Was ich dort sah, rief arge Enttäuschung in mir hervor. Die Erwartungen an Roboter müssen seit den 1960er-Jahren wohl gewaltig gesunken sein, dachte ich. Von wegen menschenähnlich, von wegen aufrechter Gang, von wegen Blecharme und -beine, von wegen freundliche Helferlein mit Glühlampen auf dem Kopf, die beim Sprechen in allen Farben pulsieren. Nichts von alledem.
Das, was hier als Roboter der allerneuesten Generation angeboten wurde, waren halbautomatische Haushaltsspielzeuge. Rasenmäher, Staubsauger, elektrische Zahnbürsten und bessere Anrufbeantworter, die fragen, ob man gerade einen schönen Tag hat. Was in den viel gerühmten angeblichen High-Tech-Fabriken herumsteht, ist nicht die Spur besser: hydraulische Arme, die ein Auto zusammenschrauben, ein künstliches Hüftgelenk implantieren oder das Mindesthaltbarkeitsdatum auf eine Dose tätowieren. Von den Missgestalten, wie sie Simone Giertz, die selbst ernannte »Queen of shitty robots« baut, gar nicht zu reden.
Das kann doch nicht alles sein, sagte ich mir, und beschloss, mich schlau zu machen. Ich fragte einen Kumpel aus der Nachbarschaft, ob er mitkommen wollte. Gemeinsam besuchten wir das Nürnberger Zukunftsmuseum. Wo, wenn nicht dort, würde man endlich mal richtige Roboter sehen können, die diesen Namen auch verdienen.
Der Spitzname meines Kumpels ist »Robbie«. Aber nicht etwa, weil er Robert heißt. Schon in der Schule fiel er mit seinen eckigen Bewegungen auf. Beim Benutzen von Messer und Gabel, beim Trinken, beim Aufstehen, beim Treppesteigen oder beim Fußballspielen: so, als wäre er programmiert. Wenn er redete, dann quasi ohne Änderung der Tonhöhe, aber ohne jedes »Äh« und »Hm«, wie vom Band. Sein ganzes Gebaren erinnerte uns unzweideutig an einen Roboter.
Ich bemerkte zu meinem Erstaunen, dass Robbie irgendwie einen Ticken lockerer wurde, als wir die Roboter-Abteilung betraten. Da gab es »Para«, den japanischen Kuschelroboter, der mit seinem schneeweißen Fell und seinen schwarzen Knopfaugen mächtig an eine Baby-Robbe erinnert und vor allem in Pflegeeinrichtungen eingesetzt wird. Robbie streichelte mit mechanischen Bewegungen das Gerät und sagte hundert Mal dasselbe – »Ja, so ist‘s fein, jaaa!« – immer wieder, als wäre die Nadel auf einer Schallplatte hängen geblieben. Während ich die Szene beobachtete, empfand ich instinktiv Sympathie für diese raffiniert ausgetüftelte Maschine. »Para» meine ich.
Mich beschäftigte aber auch die Frage, wie schnell das »Fell« dieses Wesens wohl schmutzig wurde, angesichts der Tatsache, dass sein einziger Existenzgrund war, dass Menschen ihre Hände an ihm abwischten. Ob man den Roboter einfach in einen Wasch-automaten stecken und bei 90° richtig schön auskochen durfte? Hoffentlich hatten die Leute vom Museum die Bedienungsanleitung aufgehoben ...
Der nächste automatische Geselle, auf den wir stießen, war schon ein wenig umgänglicher. Ein chinesischer Spielkobold auf Rädern, der ganz in weißes Plastik eingepackt ist und einen großen kugelrunden Kopf hat, aus dem große, blaue Display-Augen seine menschlichen Spielgefährten anstarren. Er kann singen und tanzen und Chinesisch sprechen. Robbie war hin und weg – er hockte sich vor dem Gerät, das ihm gerade bis zum Knie ging, auf den Boden und klatschte in die Hände.
Da haben sich zwei gefunden, dachte ich. Aber gut, vielleicht empfand der Spielroboter in einem seiner neuronalen Netzwerke auch so etwas wie Spaß. Und ich überlegte gerade, dass es noch cooler wäre, wenn der Apparat mit seinem kurzen Schwänzchen wedeln könnte, als mich etwas am Bein stupste. Hinter mir war ein weiteres künstliches Lebewesen aufgetaucht: ein schwarzer Hund ohne Kopf.
Zumindest auf den ersten Blick sah das so aus, aber natürlich hat der »Unitree A1« genannte kohlefaserverstärkte Kanide vorne ein paar Kameras, mit denen er mich entdeckt hatte. Er tänzelte auf vier dünnen Beinchen, die wie Knochen gebogen waren, als müsste er mal Gassi gehen, aber wahrscheinlich verhinderte er solcher Weise, schlichtweg umzufallen, während er auf meine Reaktion wartete.
Ich war mir sicher, dass der schwarze Hund nur spielen wollte. Das wollen sie ja alle und immer. Und dieser hier hatte auf dem Rücken zusätzlich einen Tragegriff, mit dem man ihn hochheben konnte, falls er zu aufdringlich werden sollte. Gerade wollte ich davon Gebrauch machen, als der Apparat einen 1A-Rückwärtssalto machte und wie der Blitz zu einer anderen Besuchergruppe raste.
Uns wird ja schon lange erzählt, dass Maschinen mit künstlicher Intelligenz in Zukunft ganze Berufsgruppen in die Arbeitslosigkeit beamen würden, Taxifahrer, Juristen, Bauarbeiter und so weiter, aber hat eigentlich schon mal jemand mit den Polizeihunden gesprochen? Ich fände es nur fair, wenn man es ihnen rechtzeitig sagen würde, so dass sie sich Gedanken über eine Umschulung machen können.
Robbie war immer noch mit dem kleinen weißen Kugelkopf be-schäftigt und für mich wurde es Zeit für eine Biopause. Als ich die Toilette betreten wollte, öffnete sich Tür und eine Gestalt trat heraus. Ich war perplex. Vor mir stand ein richtiger Roboter, aus Plastik und Metall, auf zwei Beinen mit zwei Armen und einem Kopf und alles hatte die richtigen Proportionen und bewegte sich ganz natürlich.
»Hallo«, sagte dieses Wunderwerk der Kybernetik, das vermutlich selbst Norbert Wiener ein respektvolles Runzeln auf die Stirn gezaubert hätte.
»Ich bin Ameca«, sagte mein Gegenüber, »Und wer bist du? Die Toilette ist jetzt übrigens frei, falls du ein … äh … menschliches Bedürfnis hast. Bis nachher!«
Ameca zwinkerte mir zweimal zu, als hätte er – ich vergewisserte mich durch einen Blick auf das Symbol an der Toilettentür – gerade einen kleinen Scherz gemacht. Dann bog er schon um die nächste Ecke. Ich vergaß, weshalb ich hier war, und folgte ihm. Als ich in der Roboter-Abteilung ankam, wurde mir schlagartig klar, dass es ein Fehler gewesen war, Robbie alleine hier zu lassen. Mein Kumpel hatte »NAO« kennengelernt, einen tanzenden Zwerg-Humanoiden mit auffallend dicken Beinen. Die beiden bogen ihre Körper synchron in alle Richtungen zu kitschigen Synthesizerklängen, die aus Lautsprechern links und rechts an NAOs Kopf drangen, und wedelten mit den Armen in der Luft. Ich hatte Robbie noch nie zuvor tanzen gesehen und begriff nicht, was hier gerade geschah.
Plötzlich stand Ameca neben mir und sagte: »Der ist süß, dein Kumpel. Vielleicht magst du ihn mir vorstellen, wenn die beiden sich ausgetobt haben.«
Der Roboter lächelte mich an. Seine Mimik war so täuschend echt, dass ich das Gefühl hatte, mit einem Menschen aus Fleisch und Blut zu reden. Ganz kurz dachte ich, dass ich es eigentlich besser wusste, aber irgendwie spielte es keine Rolle mehr.
»Klaro, gerne«, antwortete ich. Was sollte schon groß schief-
gehen ...?
curt-Leser*innen-Challenge @ zukunftsmuseum:
[A] Gewinne den Anstarr-Wettbewerb gegen Ameca: Wer zuerst blinzelt, hat verloren und muss eine Runde zahlen (Bier oder Nähmaschinenöl, je nachdem). Im Mai, im Zukunftsmuseum.
[B] Stöckchen-Apportier-Wettbewerb gegen Unitree A1,
den kopflosen Hund – im Augustinerhof.
[F] curt-Dancebattle gegen NAO! Wer bringt den besseren Robot- auf die Piste, Mensch oder Maschine?
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Deutsches Museum Nürnberg – Zukunftsmuseum
Augustinerhof, 90403 Nbg
Öffnungszeiten: Di-So 10–18 Uhr. Montags geschlossen.