Unter Druck Vom Nachttopf des Kanzlers bis zum Bio-Reaktor

MITTWOCH, 28. AUGUST 2024

#Andreas Radlmaier, #Ausstellung, #DB Museum, #Unter Druck, #Zug, #Zugtoilette

Text von Andreas Radlmaier

Der Geruchssinn wird auch bedient in der Sonderschau Unter Druck. Die Geschichte der Zugtoilette, die erstmals, und damit origineller Weise, „die Geschichte der Zugtoilette“ erzählt. Zum Glück ist es aber der Geruch frischer Farbe, der den Raum im Nürnberger DB-Museum erfüllt. Der Rest liegt – beim Spaziergang vom Fäkalien-transportwagen zum mobilen Bio-Reaktor – in der Phantasie des Betrachters.

Gleich zu Beginn wird deutlich gemacht, dass das vermeintlich stille Örtchen ein ratterndes war. Da blickt man bei geöffnetem Deckel durch die berühmte Öffnung des Plumpsklos auf die Schienen, die im montierten Endlosfilm vorbeirauschen. Der Umgang mit dem menschlichen Grundbedürfnis in den Zeiten moderner Mobilität war niemals einfach. „Negative Erfahrungen“ mit der Zugtoilette gehörten zu den Grunderfahrungen der Reisenden, weiß Museumsdirektor Oliver Götze. Also zeigt sie Projektleiter Benjamin Stieglmaier auch.

„Ich bin im EC Berlin-Dresden und aus irgendeinem Grund blockiert die Tür der Toilette. Notrufsprechstelle gibt es nicht. Ich würde gerne Neustadt raus. Könnt ihr mir helfen?“ twitterte ein reichlich verzweifelter Fahrgast im April 2018. Auch nicht schlecht ist die „Bahn-Ansage des Monats“ vom Oktober 2022: „Da alle Toiletten ausgefallen sind, halten wir in Nürnberg etwas länger für eine Pinkelpause. Am Gleis gegenüber steht ein ICE, in dem Sie die Toiletten nutzen können.“
Wer den Schaden hat, kann den Spott auch gleich selber besorgen. So sind die acht buntfarbenen Themeninseln, die riesigen WCs samt Deckeln nachempfunden sind, eine Rundreise durch fast 200 Jahre Erleichterung im Zug. Zwei Jahre Recherche liegen hinter Stieglmaier, 150 Exponate aus Berlin, Hamburg, Wien und Nürnberg illustrieren den Fortschritt, den es wirklich gab und gibt.
Am Anfang waren Druck und fehlende „Abtritte“, dann folgten – weil es keine durchgehende Waggons gab – der Gepäckwagen als Notquartier (bis zum nächsten Halt), der Nachttopf im Abteil (die Leihgabe aus dem Reisezug von Reichskanzler Bismarck ist ebenso zu sehen wie der mobile Stuhl des österreichischen Kaisers) und der Schwenk in die Komfortzone des Adels: auf dem Bildschirm kann man WC und Salonwaggon des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. erkunden und danach ein Stockwerk tiefer das Original erleben.

Man kann eigenhändig am Modell das Fallrohr-Prinzip der Zugtoilette erproben, Seifenmehl aus dem Spender drehen, im Exkurs zur indus-triellen Revolution die neue Geruchsensibilität kennenlernen und die Toilette als geheimen Ort für Flucht (aus der DDR) und für politischen Widerstand (im NS-Regime). In Zeiten der Hochgeschwindigkeitszüge verdrängte das Vakuum-WC, nachdem Probleme mit unvorteilhaftem Gegendruck in die Toilette beseitigt waren, in den 90er Jahren das alte Plumpsklo. In einem Eck steht schon das WC der Zukunft: Ein mobiler Bio-Reaktor mit Hi-Tech-Innenleben und Mikroorganismen, die menschliche Hinterlassenschaften neutralisieren.
Und wo gehen überhaupt Lokführer, wenn sie nicht streiken, auf die Toilette? Auch das löst der „Trainfluencer“ Peter Wuschansky alias „Peterle Sky“ in dieser anregenden Ausstellung auf. Verraten wird’s in curt an dieser Stelle nicht.

---

Unter Druck. Die Geschichte der Zugtoilette
im DB-Museum Nbg noch bis Anfang 2025.
ÖZ: Di–Fr 9 bis 17 Uhr. Sa, So, Feiertage 10 bis 18 Uhr.
www.dbmuseum.de




Twitter Facebook Google

#Andreas Radlmaier, #Ausstellung, #DB Museum, #Unter Druck, #Zug, #Zugtoilette

Vielleicht auch interessant...

IDYLLEREI. Die Idyllerei-Zentrale, Kunstraum für Menschen mit geistiger Behinderung, zeigt ab 24. Oktober die Arbeiten eines Nürnberger Kultfigur, die manche:r vielleicht über die tolle Doku der Medienwerkstatt kennengelernt hat. Stanley Schulten aka. Mr Wolf. in: Wild and Free – von Wölfen und Autos. Mr Wolf gehört sowohl dem queeren als auch dem autistischen Spektrum an. Mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren, identifiziert er sich heute als Mann, häufig aber nicht als Mensch, sondern als Wolfscharakter. Diesen Wolf erweckt er auf Leinwand, in Animationen und vor allem in Comics zum Leben. Momentan arbeitet Schulten an einer zusammenhängenden Geschichte über ein Stiefkind mit Asperger Syndrom: Der Wolf und die Stiefmutter. Lutz Krutein, Leiter der Idyllerei sagt: “Ich habe nie gesehen, dass er an irgendeiner Stelle korrigiert hätte, sondern er hat die Bilder „druckfertig“ im Kopf und zeichnet sofort ins Reine.”

Gelegenheit diesen besonderen Künstler kennenzulernen, bietet ab 24.10. die Ausstellung in der Idyllerei, die auch versucht, der spannenden Frage nachzugehen: Wie kann man etwas werden, was man offensichtlich nicht ist? Vernissage ab 18.30 Uhr. Die Ausstellung läuft bis zum 09.11. und ist den Öffnungszeiten der Idyllerei zu sehen: Do. bis Sa., 14-18 Uhr.

www.idyllerei.de
   >>
KüNSTLERHAUS. Im Künstlerhaus läuft seit dem 24.05. eine neue Ausstellung: DAS WAR SCHWERMETALL. Wider Erwarten geht es nicht um tonnenschwere Schweißarbeiten oder Bronzeskulpturen, sondern um das legendäre Comic-Magazin Schwermetall, das von 1980 bis 2000 veröffentlicht wurde und in der Welt der Erwachsenen-Comics immer noch einen echten Kultstatus hat. Zusammen mit seinem Schwestermagazin U-Comix war Schwermetall ein riesiger Hit im deutschsprachigen Raum und hat vielen Künstler:innen ihre erste große Chance auf Veröffentlichung gegeben.  >>
AUF AEG. Ein Kunstfestival für all die Kunst, die im tradierten, hochoffiziellen Sektflöten-Betrieb nicht stattfindet. Outsider Art oder Art Brut nennen die Veranstaltenden der Idyllerei das, was vom 31. Mai bis 2. Juni in der Kulturwerkstatt auf AEG gezeigt und stattfinden wird. 
Mit dabei sind natürlich die Künstler:innen aus dem Kunstraum der Lebenshilfe, aber auch viele, viele internationale Gäste.   >>
20241001_pfuetze
20241001_Einblick
20241001_Salz_Pfeffer
20241001_Staatstheater
20241001_Retterspitz
20240801_mfk_PotzBlitz
20230703_lighttone
20241001_Staatstheater_Erlangen
20241001_VAG_Nightliner
20241104_curt_XMAS
20240601_ebl
20241001_GNM_hallo_nature
20241118_Ruetter
20241001_Kaweco