Egers + Jordan: Telefon

DONNERSTAG, 27. JUNI 2024

#Illustration, #Kleine Ausflüge, #Literatur, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

Text vom Egersdörfer & Zeichnungen vom Herrn Jordan
Eckdahl war einer der ersten gewesen, der sich einen Anrufbeantworter angeschafft hatte. In sei-ner ersten eigenen Wohnung stand der kleine Kasten direkt neben dem Telefon. Und wie hat sich der Eckdahl gefreut, als er nach Hause kam und das rote Blinken gesehen hat an dem Gerät. Dann hat er nicht erst seinen Mantel an die Garderobe gehängt, sondern hat sofort die eingegangenen Nachrichten während seiner Abwesenheit abgehört. Es gehörte damals zum guten Ton, dass man sich lustige Sprüche ausdachte, die dann als Ansagen aufgesprochen wurden. Es wurde gereimt, Verwirrung gestiftet und ungehemmt geblödelt. Gegenseitig steckten sich die Anrufbeantworterbe-sitzer an mit ihrem schier endlosen Drang nach Originalität.

Freilich auch war er einer der ersten gewesen, die sich ein Faxgerät besorgten. Erst war es eine einfache Ausführung gewesen. Dann hatte der Eckdahl aber investiert für einen Apparat, wie er auch in großen Firmen im Büro verwendet wurde. Seitenlang wurde auf das Papier gezeichnet und ausufernd in großen Versalien gebrüllt, um in oftmals meterlanger heiliger Verzückung einem Ver-bündeten zu verkünden, dass man sehr gerne morgen zum Kaffeetrinken in das Café im Innen-stadtbereich käme oder dass es einem im Herzen schmerze, das Konzert der kalifornischen Surf-punkband zu verpassen, weil der Vater Geburtstag feiert. Man müsse da hin, so schwer es einem auch falle, da es leicht sein könne, dass dies der letzte Geburtstag des Erzeugers sei.
 
Als das Haupthaar vom Eckdahl lichter und stellenweise schon grau wurde, kam dann diese Tele-fon-App auf den Markt. Der letzte Geburtstag des Vaters, den dieser noch lebendig miterlebt hatte, lag da auch schon über ein Jahrzehnt zurück. Es handelte sich um eine Funktionalität für das Han-dy. Einen Festnetzanschluss hatte der Eckdahl schon lange nicht mehr. Die Applikation war in ihrer Handhabung denkbar einfach. Zuerst sprach man mit der eigenen Stimme etwa acht Minuten lang in das Telefon hinein. Damit hatte das Gerät quasi das gesamte verbale Alphabet und den Sprach-duktus im Groben gespeichert. Wurde man jetzt angerufen, konnte man diese App starten und die Software übernahm KI-gestützt das Gespräch mit dem Anrufer. Vollkommen selbstständig ging das Gespräch vor sich, während man selbst Blumen gießen oder die Schuhe putzen konnte. Nach Be-endigung der Unterhaltung wurde einem deren grober Verlauf in einer kurzen Zusammenfassung geschickt. In Echtzeit das Gespräch mitzuhören war freilich genau so gut möglich. In einem rasan-ten Tempo entwickelte sich die Funktionalität der Applikation. Bald konnte man auch selbst Anrufe starten und gestalten. Kurz gab man an, welche Thematik Inhalt des Anrufes sein sollte. Man konn-te auch die Tonalität angeben und zwischen beispielsweise freundlicher, nüchterner oder verärger-ter Sprechweise auswählen. Auch bei diesen selbst initiierten Anrufen erhielt man nach Beendigung des Geprächs ein Exzerpt über den Gesprächsverlauf zugesandt. Genauso möglich war es auch, in das laufende Gespräch einzugreifen und an einem Punkt selbst zu übernehmen. Am Anfang ergab sich daraus oftmals der sogenannte Effekt des Echorauschens. Plötzlich überlagerte sich die automatisierte Stimme mit der eigenen. Das waren Kinderkrankheiten, die allerdings schnell getilgt wurden. Eckdahl benutzte die neue Möglichkeit, um seinen weiblichen Bekanntschaften sogenann-te Flirtnachrichten zu senden. In zuckersüßer Manier flötete sein Avatar den Damen belanglose Komplimente und banale Liebesbeweise.
 
In ernster Weise verwendete dann der Eckdahl die Funktionalität, um mit der einen Schwester zu kommunizieren. Jahrelang hatte er mit dieser, abgesehen von quasi geschäftlichen Gesprächen, die sich um Erbrecht und Grundbesitz handelten, schon nicht mehr gesprochen. Dann überwand er dieses Schweigen, indem er die App anrufen ließ, um sich nach der allgemeinen Befindlichkeit zu erkundigen. Viel zu sagen hatte bei diesen Telefonaten  der künstliche Eckdahl sowieso nicht. Er programmierte daraufhin einen eigenständigen Anrufe in unregelmäßigen Abständen. Vorher hatte er im Kalender eruiert, dass diese Anrufe nicht zu Zeitpunkten stattfanden, an denen er selbst auf der Bühne stand und das persönliche Gespräch eigentlich gar nicht möglich war. Wohlwollend las er die Zusammenfassungen. Das Gerät speicherte selbstständig die harten Fakten, um logische Widersprüche zu vermeiden.
 
Das Verhältnis zu der Schwester verbesserte sich daraufhin kontinuierlich und spürbar. Wahr-scheinlich schon deshalb, weil er als Gesprächsmodus immer „freundlich-zugewandt“ angab. Im tatsächlichen Leben traf er auf die Schwester sowieso nur selten. In der Zeit vor den automatisier-ten Gesprächen hatte ihn das Auftauchen der Verwandten immer in eine Mischung aus Furcht und gehemmter Panik versetzt. Nun lernte er die Person besser kennen. Er beließ es auch oft nicht dabei, sich nur die Geprächsverläufe zusenden zu lassen, sondern hörte im Nachhinein die gesam-te Unterhaltung in Echtzeit. Einmal davon abgesehen, dass er Teile der Ausführungen oftmals in erhöhter Geschwindigkeit ablaufen ließ, um die Langeweile zu minimieren. Wenn er jetzt der Schwester persönlich ansichtig wurde, erntete er die Früchte der regelmäßigen Freundlichkeit. Er steigerte sich fast in eine Richtung, dass er sich freute, die Frau zu treffen. Freilich mied er weiterhin Orte und Gelegenheiten, der Schwester zu begegnen. Wenn er sie traf, wies er meistens auch, wie schon früher, darauf hin, dass seine Zeit begrenzt sei, weil er noch einer Verpflichtung nach-kommen zu habe. Aber diese punktuellen Zusammentreffen empfand er stets als angenehm und konnte sich fast vorstellen, auch noch längere Zeit mit der Person zu verbringen. Er lachte, wenn er sich bei derartigen Gedanken erwischte, und wischte die Vorstellung als überreizte Träumerei hinweg.    
 
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Der Matthias Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Und der Egers schreibt, was er erblickt. So entstehen die Texte dieser Kolumne.
 
Termine EGERSDÖRFER in der Region im Juni & Juli
Egersdörfer & Gröschel, Das Lachen des Grünspechts (Lesung)
02. Juni, Kulturforum Fürth, kl. Saal
26. Juni, Borgo Ensemble Nürnberg
30.Juni, Lauf an der Pegnitz, Altstadtfest
20. Juli, Lauf an der Pegnitz, Spitalhof

07. Juli Konzert mit Egersdörfer & Fast zu Fürth
Bitte ruf mich nie wieder an im Hospiz & Palliativ Zentrum Fürth
+ bei Rassaus LifeTalk. Thema: „Das Menschliche heiter ertragen“
www.egers.de
 
Termine MICHAEL JORDAN in der Region im Juni & Juli
 23. bis 25. Juli 2024
Augsburger Gespräche zu Literatur, Theater und Engagement.
Es diskutieren verschiedenen Schriftsteller*innen, Musiker*innen und Theaterschaffende.
www.ansichten-des-jordan.de
 




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AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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MAGAZIN  28.08.2024
NüRNBERG. STEPHANIE MEHNERT: DAS FLIMMERN KLEINER LICHTER
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Um eine innerliche wie äußerliche Reise dreht sich Magdalena Kratzers erster Selfpublishing-Roman, der die Lesenden mit nach Südfrankreich nimmt und dabei die Zufallsbegegnung zwischen den beiden Hauptprotagonist:innen Saniel und Anka erzählt. Beide kämpfen mit kürzlich erlebten schwierigen Ereignissen, beide suchen Halt im jeweils anderen. Sie beschließen, gemeinsam in die Provence zu reisen, um dort ausgesetzte Hunde zu retten. Doch ihre verdrängten Sorgen und Herausforderungen schleichen sich natürlich direkt mit ins Gepäck. Eine Geschichte über gegenseitige Inspiration und Wachstum. 
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