Theobald O.J. Fuchs: Sieben sympathische Rüpel

MITTWOCH, 7. AUGUST 2024

#Hinten raus, #Kulturpreisträger, #Theo Fuchs, #Theo hinten raus, #Theobald O.J. Fuchs

Ich wieder! Ständig unterwegs! Diesmal: in der Norma, Filiale W-straße, Ecke B-Straße. Vor dem Regalteilabschnitt mit den Schokoladenspezialitäten, auf der Suche nach einer Mischung Dunkelbitter mit Pfefferminzcrème. Seitdem Nestlé die Firma, die After Eight herstellte, aufgekauft hat, sitze ich auf dem Trockenen. Ich kann den Kauf von After Eight nicht mehr mit meinen moralischen Grundsätzen vereinbaren, Nestlé ist nun mal das absolut Böse in Lebensmittelgestalt. Meine Gier nach schwarzen, dünnen Minztäfelchen ist jedoch alles andere als verschwunden, eher im Gegenteil. After Eight: Schmatz <3! Meine Notlage zeigt bis heute recht seltsame Folgen, doch das ist eine andere Geschichte. 

Jedenfalls bin ich einmal wieder tief in Pfefferminzschokoladenplättchen-Gedanken versunken, als mich eine Wahrnehmung im Augenwinkel aus meinen Träumen reißt. Da ist nicht nur einer oder zwei durchs Bild gehuscht, nein, da haben sage und schreibe sieben Stück den Laden betreten. Jeder eine lustige rote, gelbe oder blaue Bommelmütze über dem von einem dichten, sorgfältig gekämmten grauen Bart eingerahmten, knittrigen Gesichtchen. Es kann kein Zweifel bestehen: sieben Zwerge haben soeben die Norma in Gostenhof betreten. DIE sieben Zwerge. 
Als hätten sie darin ein Diplom, schnappen sich drei oder vier der bunten Racker einen Einkaufswagen, den sie fröhlich turnend ins Rollen bringen. Schnurstracks zu den Drahtgitterkorbtischen mit aktuellen Sonderangeboten. Montagvormittag ist die Bude wie immer voller Kunden, die sich schon am Samstag im Werbeprospekt, welcher zuverlässig über Nacht in den Stiefelabkratzer vor der Haustür gestopft wurde, die Sonderangebote der Woche angestrichen haben. Dick mit rotem Filzstift, zwei Mal. 

Kleine Wesen sind oft auch schnelle Wesen. Das wissen wir alle von der Spinne, der Kakerlake, allerlei Sorten Sperling, dem Kinde an sich und der Pistolenkugel. Ich kann dieser Liste hiermit aus eigener Anschauung den gewöhnlichen Zwerg hinzufügen. 
Bierwurstkugel, Böhmisches Bier, Salami extra lang, Jogginghose, ein Mega-Set Beilagscheiben, Erbseneintopf aus der Giga-Dose, ein Satz Allwetterreifen für den Schubkarren, Dose Fisch, und sieben paar Crogs, gelb, rosa oder hellblau – das alles und noch viel mehr haben sie flink & flugs eingesackt. Und sind mit dem Einkaufswagen astrein einer Oma in die Hacken gefahren, wodurch ich mich genötigt fühle, einzuschreiten. 
»Hey! Obacht!«, ermahne ich sie, »ihr seid nicht alleine hier!« 

Sie glotzen mit ratlosem Blick zurück: »Logisch!«, sagt ihr Anführer, der seinen schlohweißen Bart hinter den Ledergürtel gestopft hat und eine außergewöhnlich fusselige und zerfledderte kackgrüne Bommelmütze aufhat. »Wir sind NIE alleine.« 
Der Punkt geht an ihn, aber das Eis ist gebrochen und die Entfaltung eines Gesprächs nimmt ihren Anfang. Ich erfahre, dass sich Schneewittchen bereits in fortgeschrittenem Alter befindet, gleichwohl noch bester Gesundheit erfreut, und einen kleinen Hang zu Sonder- und Wühltischangeboten entwickelt hat. Einkaufen und in die heimatliche Hütte (@ some place called »Geheim«) schleppen müssen den Schrott die kurzbeinigen Racker. 
Der Wagen ist voll, der Ausgang in Fußweite, selbst für Schuhgröße 12. An Kasse Eins  eine lange Schlange wartender Verbraucher. Kasse Zwei ist geschlossen und wird nicht in Kürze geöffnet. Die Zwerge legen daher nicht schon ihre Waren auf das Kassenband, sondern packen den Kram in knittrige kleine Rucksäcke, rammen den leeren Einkaufswagen ins Gemüse und stiefeln eiskalt dem schmalen Korridor folgend unter der versperrten Schranke hindurch aus dem Laden. Nicht einmal an der Quengelware – Zigaretten, Batterien, Schnaps – vergreifen sie sich. Niemand interessiert sich für sie. Außer mir freilich. 

Ich begleite die Zwerge hinaus und weiter, während sie – schwer beladen – die Bärenschanzstraße entlang trippeln und dann nach links zur Fürther abbiegen. Zu acht betreten wir den Kaffeehändler Machhörndl. 
»Wie wollt ihr eure Bestellung geltend machen?« flüstere ich Papa-Zwerg ins Ohr, doch der ignoriert mich. Und schon steigt der erste Gnom auf die Schultern des zweiten, ein dritter klettert obenhinauf, dann zur Krönung Papa-Zwerg. Er trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, einen etwas weniger bekackten grünen Filzhut, und alle zusammen werfen sich einen grauen Hausmeistermantel über. 
»Ein halbes Pfund Äthiopischen Espresso-Blend extrafein, bitte«, bestellt er und fügt in meine Richtung hinzu: »Der hat dieses fantastische Aroma von Pfefferminz und Schokolade. Schneewittchen steht da total drauf, Zwinkersmiley.« 
»Wo habt ihr denn den mega-authentischen Blockwart-Kittel her? Auch bei den Sonderangeboten geklaut?« 
»Den haben wir, äh ... gefunden. Vorne bei der Datev.« 
»Bei der Datev? Was habt ihr denn dort zu schaffen?« 
»Nichts, nichts«, beeilt sich Papa-Zwerg zu sagen, er wirkt plötzlich nervös und sieht sich misstrauisch im Raum um. Ich denke: hier steckt ein Hase im Pfeffer! Den ich aufscheuchen könnte, nicht wahr? 

Oder auch nicht. Zurück auf die Straße. Bzw. die zugeparkte Fußgängerzone Ecke Siel/Fürther. Die bunt bebommelten Wutzizwerge trippeln eifrig hinter ihrem Senior her Richtung U-Bahn. Wie ein Rudel frisch gerollter Knödel ... Halt: hier sollte frisch geschlüpfte Entlein stehen. Ich folge ihnen so auffällig, wie‘s geht. Ohne sich umzublicken klumpen sich die Sieben auf der obersten Rolltreppenstufe zusammen, so dass die kritische Masse überschritten wird, die klappernde Selbstfahrtreppe anspringt und die Sause nach unten beginnt. Dort angekommen, machen die Zwerge keinerlei Anstalten, einen Wartevorgang auf die nächste U-Bahn zu errichten. Perfekt choreografiert wie ein US-Amerikanischer Flugzeugträger-Verband legen sie unten angekommen mit quietschenden Filzstiefeletten einen U-Turn hin und biegen auf den abgesperrten, streng betretenverbotenen, schmalen und schmuddeligen Wartungsgehsteig neben dem Gleisbett ein. Die Überwachungskamera schwenkt ihr gläsernes Auge diskret in eine andere Richtung. 
»Halt, so wartet doch!« 
»Sorriiiieee!«, flötet es unisono aus sieben knittrigen Greisengesichtchen. »Sind voll spät dran, hasta la vista, Baby!« 
»Wo kann man euch denn mal wieder treffen?« 
»Einmal monatlich beim Bärte-Trimmen. In der Männer-Garage«, ruft Papa-Zwerg und schwubs! sind sie in der schwarzen Unbetretbarkeit der U-Bahn-Röhre verschwunden. 
Was diese Begegnung mit mir gemacht hat? Nun. Jedenfalls nicht nichts. Der nicht nachlassende Gluster nach Pfefferminz-Plättchen hat – Überraschung! – kein bisschen nachgelassen, aber ich liebäugele jetzt heimlich und wirklich nur probeweise in Gedanken mit einem Vollbart. Hahaha, nur Spaß! Ich meinte natürlich Bommelmütze. 

* Disclaimer: Ursprünglich enthielt diese Kolumne mehrere Werbeblöcke für die eine Rolle spielenden Unternehmen, allerdings scheiterte die Finanzierung am Geld. Wir möchten uns dafür ein ganz klein wenig entschuldigen! 

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Und was treibt uns Theo so im August & September?
Am 08.09. ist Theo in München im Vereinsheim bei den Schwabinger Schaumschlägern, auf der Lesebühne mit Moses Wolff, Anne Meinhardt und Christoph Theussl. Davor, danach, ständig: Kulturpreis feiern.

Übrigens: Wer Theo live beim (un)klugen Denken zuhören will, kann das bald bei Radio Z, als Premierengast des neuen philosophischen Talkformats „Gemeinsam Denken“ von und mit Michael Spiegel.

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HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH AN UNSEREN NEUEN KULTURPREISTRÄGER, THEO!
HIER findet ihr ein Exklusivinterview. curt ist stolz wie Bolle!




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