Egers + Jordan: Hirsche sind nicht gekommen.

MITTWOCH, 14. AUGUST 2024

#Illustration, #Kleine Ausflüge, #Literatur, #Matthias Egersdörfer, #Michael Jordan

Text vom Egersdörfer & Zeichnungen vom Herrn Jordan

Unter der großen, grauen Brücke, über welche hoch droben die Autobahn 6 verläuft, kamen Egersdörfer und Jordan angefahren. Den Auerbach zwischen den grünen Wiesen hatten sie überquert. Dann fuhren sie den schmalen Schotterweg hinunter. Am Raschbach entlang hinter zu der ehemaligen Mühle, wo der Künstler Reiner Zitta wohnt, arbeitet und sich Gedanken macht. Sie stiegen aus dem Fahrzeug aus. Zwei Hunde begrüßten die beiden Herren stumm und freundlich. Dann verschwanden beide wieder. Skulpturen, Kunstobjekte, Teile, materielle Absichten, Skizzen aus verschiedensten Materialien standen vereinzelt im Hof. Im Haus selber hingen, standen, lehnten die Geister und Götter, Tierchen und Geschöpfe der Phantasie, die der Zitta erschaffen hat, in allen Räumen. 

Im zweiten Stock begrüßte der Künstler mit roten Wangen und hellem Lachen die beiden Herren und bot Kaffee an. Der Egersdörfer fragte den Hausherrn, ob eine grobe Besichtigung der Räume möglich wäre. „Na, wenn ihr das mit einer groben Besichtigung schafft“, entgegnete der Zitta und sprach vorerst nicht weiter. Überall standen, hingen und lehnten Objekte in beeindruckender Vielzahl. Wie ein Springbrunnen ergossen sich die Kunstwerke über der Tür. Tierchen aus Alufolie geformt, Kokosnusseulen, langstielige Zitronenblumen, bemalte Teller, das Konterfei von König Ludwig, Stiere aus Ton, ein roter Hirsch, Brüste unter einem transparenten Unterhemd, die Postkarte einer Frau, die ihre Unterlippe knapp unter die Nase geschoben hat, neben Mutter Teresa, die ganz ohne ihr Zutun in diese ungestüme Bilderwelt hineingeraten ist. Beim Zitta kann man sich schnell in einen Augenrausch hineinsehen. Egersdörfer setzte sich auf einen freien Platz. Jordan fand nach einiger Zeit ebenfalls einen Platz, ließ sich nieder, zog sein Klemmbrett aus der Tasche und begann unvermittelt zu zeichnen. „Jetzt geht’s mir schon besser“, sagte der Zeichner aus Erlangen. „Is dir schlecht gangen, heut scho?“ „Ja. Aber in dem Universum hier. Da.“ „Des sind so viel Sonnenstürme, edz widder“, sagt der Reiner. „Schau her, der schaud auch scho. Aber der is mehr midn Mond verbundn“, erklärte er und betrachtete freundlich den Kabarettisten. Jordan wiederholte: „Sonnenstürme.“ Der angesprochene Egersdörfer fragte den Zitta: „Sonnenstürme? Was für Sonnenstürme?“ „Ja, manche behaupdn, dass sie da ganz stark das sogenannte Nordlicht, nä. Des is eine Auswirkung von Sonnenstürmen. Protuberanzen haut’s da immer von der Sonne.

Sssscht! Und des wern dann ganz glanne Deilchen. Die sieht mehr nedd – ionisierde. Und wenn die dann auf Stickstoffatome oder was, dann gehm die a bestimmte Frequenz ab und die sehn mir. Nedd jeder.“ „Und dann gehds uns schlecht, odder wos?“ „Na, manche sogn, die sind fühlig wie Föhn. Iech habb a Bekannde, die hat nadürlich auch einiche Schamanenausbildungen hinder sich. Die mergn des dann ganz besonders“, sagte der Reiner und ließ den Satz in einem Lachen enden. „Ich habb edz vom Hans Christian Andersen eine Gschichde von am Trollspiegel glesn“, erzählte darauf der Egersdörfer. „Wenn mer do jedenfalls von diesem Spiegel Splidder ins Auch grichd, wird mer ganz böse und vereist und hadd nur noch kalde Gedankn. Damid hadd des abber nix zu dun?“ „Nee. Aber übern Spiegel wor do gesdern im Bayrischen Rundfunk über eine Stunde eine Sendung. Also wanns da die ersdn gmachd ham. Und warum. Des wos mich am meisdn, sagn mer mol, menschlich berührd hadd, woar ... dass doch die Nonnen. Die sollten ja ned eitel sein, nä. Un do hadds so bsondere Nonnenspiegel gehm. Die worn konzibiert mid so Zierdrähdn rundrum. Die hamm ausgschaud wie Reliquien, so gmachd.“ Es ergab sich, dass wir nach einigem Sitzen und dem Hören der wilden Gedanken, die der Zitta im Wildbach seines Denkens hinauf und hinuntersausen ließ, zu dritt aufstanden und durch die Zimmer der Mühle in kleinen Schritten wandelten. In Bananenkisten stapelten sich Zeichnungen und Malereien. Immer wieder wurde an einem Blatt weitergearbeitet. Neue Erzählungen wuchsen dazu. Alles war Malgrund, Objekt oder beides miteinander. Von hunderterlei Deckeln von Katzenfutterdosen blickten Gesichter, Engel und Geister. Überall standen die Archive eines unermüdlich Schaffenden. Gestaltungswille zeigte sich in jedem Winkel der unendlichen Mühle der Kunst. Staunend setzten wir uns wieder ins Wohnzimmer, das auch Werkstatt war, Atelier und Ausstellungsraum. Selbst das Badezimmer war ein begehbares Objekt. Räume der Wandlungen durch ausufernde Poesie zusammengehalten.

Der Michael Jordan zeichnete im Überschwang, während die Wortwellen unablässlich brandeten. Zitta trank schnell vom Kaffee. Egersdörfer fragte: „Wos warn des für Hünd, die uns da vorm Haus begrüßt hamm?“ „Vom Nachbarn“, gab der Zitta an. „Der anne is angeblich a reinrassiger Hirtnhund. Der schaud scho so aus. Gude Züchder gehm die an Normale, also wenn du ka Herdn hasd, gor nedd her. Der Nachbar hadd Schafe und Küh und des Ganze. Eigendlich sinds ja drei. Aber die alde hadd a weng an Schlooch. Die bellt imma und wass selber nedd genau warum. Des andere is a Border-Collie. A Hündin und die is dodal verspield.“ „Also sehr freundlich ham die uns begrüßd. Die wohnen direggd vor dir midd ihre Hünd?“ „Die ham des kaufd.“ „Hadd des aa dir ghörd?“ „Also naa. Des hadd mir nedd ghörd.“ „Wos wor des vorher?“ „Also ganz vorher wor des amol a Mühle mid an glann Bauernhof. Und des wor die ausgelagerte Scheune. Konnt mer aa von obn hineinfohrn. Und dann hamms den ledzdn Müller, der ledzde Müller wor kadholisch und stammte von einer Familie bei Waldsassn ab. Da ging die Story, und die hadd er selber in die Weld gsedzd, er hädd di verkehrde Frau geheiraded. Die kam auch aus einer gleineren Mühle, mid zwei Kindern scho. Und dann haddn der Vadder enterbt. Ich habb dem ledzdn Engel ziemlich gholfn, den der Vadder nedd gmochd hadd, nä. Der alde Müller do iss die Frau gstorbn, mid diesn Söhnen. Und dann hadd der no amol gheiraded. A Magd, die wor vierzg Johr jünger, odder was. Und hadd nomall an Sohn ghabbd. Und des wor vielleicht ein Nichtsnudz. Abber der iss hald in Alkohol neigradn, der Vadder. Der hadd dem mid zehn oder zwölf Jahrn a Gleinkaliebergwehr kauft. Da hädd der fast sei Mudder derschossn. Der hadd irgendwie alles gekriggd. Der hadd dann an Schreiner glernt. Hadd dann als Hilfsarbeider ... also der is wirklich begabt. Der hadd a gudes Formempfinden. Der hadd sich selber a Wilderer-einschussgwehr gebaud. Do hamma selber gschossn. – Der wär selber gern Werkzeuchmacher gworn. Also ein Schloss. Mussd hald aufmachn. Eine Padrone nei und dann kannsd am Griff … tschick! – Abber die Hirsche ... Hirsche sinn kanne kommen, nä. Hammer kann derschossn.“ 

Dann erzählte der Zitta eifrig weiter von seinen zahlreichen Nachbarn und ihren Tieren. Es ging unter anderem um obskure Bauvorhaben. Kanäle wurden konzipiert. Große Scheunen sollten errichtet werden. Kühe, Ziegen, Fasane, Hasen und riesige Kürbisse tauchten dem Jordan und dem Egersdörfer auf in ihrer Vorstellung durch die Worte des Künstlers, der kaum eine Pause in seiner uferlosen Erzählung machte. Der Zitta erzählte von den vielen Menschen, die hier in und um die Mühle gewirkt hatten. Über drei Stunden hat der Egersdörfer aufgenommen von den Geschichten des Reiner Zitta. Nur ein kleines Präludium hat der Egersdörfer daraus abge-schrieben. Das haben Sie jetzt gerade gelesen. Der Jordan hat fast die ganze Zeit gezeichnet, während der Zitta seinen großen Teppich aus Worten webte. Einige Zeichnungen können Sie hier auf der Seite sehen. Noch mehr Zeichnungen befinden sich in der großen Schublade des Zeichenschranks in Erlangen, wo der Jordan wohnt.       
 
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Der Matthias Egersdörfer und Michael Jordan machen gelegentlich gemeinsame Ausflüge. Dann zeichnet der Jordan den Teil der Welt, den er von seinem Platz aus sehen kann. Und der Egers schreibt, was er erblickt. So entstehen die Texte dieser Kolumne.
 
Termine EGERSDÖRFER in der Region im august & September
Am 13.09. liest Egi mit Lothar Gröschel aus Das Lachen des Grünspechts im T7 in Zirndorf-Anwanden.
Am 19.09. geht´s mit seiner Band Fast zu Fürth zu einem Gastauftritt in die Comödie in Fürth. 
Und am 20.09. spielt Fast zu Fürth im Casa de la Trova in Wendelstein das neue Programm „Bitte ruf mich nie wieder an“. Damit geht´s am 22.09. nach Immeldorf ins Weißes Ross.
www.egers.de
 
Termine MICHAEL JORDAN in der Region im Juni & Juli
Beim 44. Erlanger Poetenfest (29.08.–01.09.) wird die Ausstellung „Wie geht es dir? Zeichner*innen gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“ im Aktions- und Schauraum des Comicmuseum Erlangen e. V.  (Schiffstr. 9, 91054 Erlangen) täglich von 11 bis 19 Uhr gezeigt, u.a. mit drei Beiträgen von Michael Jordan. 
www.poetenfest-erlangen.de und www.wiegehtesdir-comics.de
www.ansichten-des-jordan.de
 




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AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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Kultur  19.10.-15.11.2024
NÜ/FÜ/ER.
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Die 30-Jährige Münchnerin Felicia “Fee“ Brembeck ist eine vielseitige Künstlerin. Sie schreibt Bücher, gewinnt Preise beim Poetry-Slam und hat einen Masteranschuss in Operngesang. Ihr aktuelles Programm “Erklär’s mir, als wäre ich eine Frau“ dreht sich um das leidige Thema Mansplaining. Gutgebildete Männer in den besten Jahren erklären jüngeren Frauen die Welt. Klar, sie meinen es doch nur gut, oder? Viele wahrscheinlich schon, aber das ändert ja nichts an der Tatsache, dass diese verbale Übergriffigkeiten schon immer ein No-Go sind. Fee erörtert dieses Thema mit viel Witz und Charme, nicht ohne die Torstens dieser Welt (die meisten Mansplainer dieser Welt heißen ihrer Meinung nach Torsten) klar zu benennen und in die Schranken zu weisen. Macht Spaß.   >>
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