Totalverweigerung als neue Lebensform
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Theaterkritik von Andreas Thamm für Nachtkritik: Genannt Gospodin
Gospodin hat nicht viel. Da steht ein kleiner Kühlschrank, eine Mikrowelle, ein Fernseher, ein Sofa. Der Overhead-Projektor auf dem Schränkchen, das ist, weil Gospodins Freundin Anette, Grundschullehrerin ist, aber das versteht das Publikum erst später. Gospodin hat und will nicht viel, aber ständig will eine:r was von ihm:
Erst Hermann, der sich seine Anlage ausborgt und dann die Scheiß-Spießer von Greenpeace, die ihm sein Lama wegnehmen. Das war diesem Gospodin, ein Mann im Schlabberlook mit dezent verwildertem Bart, so etwas wie wie seine Lebensgrundlage. Der Keller, sagt er, ist noch voll mit Heu und Futter. Das meiste über den Helden von Phillipp Löhles Genannt Gospodin in der Regie des Nürnberger Noch-Schauspieldirektors Jan-Philipp Gloger erfährt man aus dem Mund der ihm nahe Stehenden.
Rasant geben sie wieder, wie dieser Mann rätselhaft durchs Leben rennt: Er vertritt Kumpel Andi, den Piloten, bei der Beerdigung von Leichenteilen nach einem Flugzeugabsturz. Andi nimmt außerdem den Kühlschrank Er geht einkaufen, und kauft quasi alles. Mittels zwei Folien auf dem Overhead Projektor fliegen Heißluftfritteuse, drei Sorten Milch und Kroketten in Fußballerform in den Einkaufswagen: 803,57 Euro, aber er hat gar kein Geld. „Er muss fast kotzen.“ Die stark aufgepeitscht wirkende Künstlerin Nadine nimmt ihm den Fernseher weg und Silvia holt das Sofa, sein Bett, denn Annette ist ausgezogen. Er habe sich verändert, und alles wegen dieser neuen Lebensform.
Aus dem, was am Anfang wirr aneinandergeschraubt scheint, entblättert sich der Kern einer Erzählung über diesen Mann, der hier und jetzt an dem Punkt angekommen ist, seine Überzeugungen absolut zu setzen. Er schreibt sie mit Milch an die blanke, weiße Tapete: „Geld darf nicht nötig sein. Jedweder Besitz ist abzulehnen. Freiheit ist, keine Entscheidung treffen zu müssen.“ Usw. Löhles Gospodin ist eine absurde Figur, aber nur, weil er die kapitalismuskritischen Fragen der Gegenwart zu Ende denkt, ein Totalverweigerer würde man heute sagen, „ein Aussteiger, der im Land bleibt“, sagt er selbst.
Genannt Gospodin ist, so sehr es in die Bürgergeld-Debatten passt, kein neues Stück. Uraufgeführt in der Spielzeit 07/08 am Bayerischen Staatsschauspiel markiert es den Beginn von Jan Philipp Glogers Arbeit als Regisseur und seiner in Nürnberg über die Jahre sehr fruchtbaren Zusammenarbeit mit Hausautor Philipp Löhle. Am Ende seiner vorletzten Saison in Nürnberg hat Gloger sich diesen Text noch einmal vorgenommen.
Wie schon in München wird der Text mit nur drei Schauspieler:innen auf die Bühne gebracht. Nicolas Frederick Djuren bleibt immer der zwischen schlaffer Lethargie und verzweifelter Rage pendelnde Gospodin. Sasha Weis ist Anette und Nadine und Sylvia und der Händler von Kram, der sich von der Decke senkt, Engerling. Justus Pfannkuch taucht mal als Hermann, mal als Andi, mal als Supermarkt-Typ, der Gospodin einen Job aufdrängen will, mal als Gospodins Mutter, mal als Hajo, der Mann mit der Tasche voller Geld, auf. Gemeinsam brillieren sie als ultrakomisches Kommissarenduo.
Das ist das eine, was so viel Spaß macht, an der turbulenten, im besten Sinne quatschigen Nürnberger Gospodin-Inszenierung. Djuren kann sich vollends in diesen Charakter und seinen Windmühlen-Kampf fallen lassen. Er will den Kapitalismus bei den Eiern packen, sagt er, Geld bedeutet ihm nichts. Er baut sich ein Nest aus dem Stroh vom Lama. Aber er überführt diese Figur nie vollends in die Lächerlichkeit. Weis und Pfannkuch hingegen können sich in den Karikaturen der Randfiguren verausgaben und Sprechweisen an- und ablegen wie Perücken und Schuhe, teils während der laufenden Szene.
Das andere sind die dezenten aber feinen Einfälle der Regie, der smarte Umgang mit dem angestaubten Requisit Projektor wurde ja bereits beschrieben. Auf diesem liegen im weiteren Verlauf auch Bilder, die Hajo zeigen, aber immer nur angeschnitten und von hinten, so wie er auch zum Publikum stand, als er Gospodin die Tasche voller Geld zur Aufbewahrung brachte. Pfannkuch malt den Hajos auf den Folien-Bildern einen blauen Schal, damit man Bescheid weiß.
Es ist vielleicht minimal vorhersehbar, dass ausgerechnet der Geld-Abstinenzler zu Geld kommt – Hajo ist bei einem Autounfall verstorben – und dass nun alle mit ihren Träumen ums Eck kommen. Sylvia will heimlich ein E-Auto kaufen, ohne dass Hermann davon erfährt und Gospodins Mutter auch mal alleine, ohne Männer, die sie aushalten, auf Kreuzfahrt gehen. „Ich hab das Geld nicht!“, schleudert Gospodin allen in blankem Zorn entgegen. Er versucht es loszuwerden, und scheitert immer wieder. Das collagenhafte Rennen der Anderen nach dem Geld ist einer der platteren Momente des Stücks.
Die Pointe zum Schluss ist ein Paradoxon, aber logisch: Erst im Gefängnis kann dieses Leben gelingen. Hier braucht Gospodin kein Geld, hier muss er keine Entscheidungen treffen. „Das hier ist mein Zuhause“, erklärt er, endlich seelenruhig. „Ich bin frei.“
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Genannt Gospodin
von Philipp Löhle
Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Franziska Bornkamm, Kostüme: Karin Jud, Dramaturgie: Eva Bode, Musik: Jan Faszbender, Licht: Wolfgang Köper
Mit: Nicolas Frederick Djuren, Sasha Weis, Justus Pfannkuch
90 Minuten, keine Pause
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