Totalverweigerung als neue Lebensform

MONTAG, 10. JUNI 2024, STAATSTHEATER

#Gennannt Gospin, #Staatstheater, #Theater, #Theaterkritik

Theaterkritik von Andreas Thamm für Nachtkritik: Genannt Gospodin

Gospodin hat nicht viel. Da steht ein kleiner Kühlschrank, eine Mikrowelle, ein Fernseher, ein Sofa. Der Overhead-Projektor auf dem Schränkchen, das ist, weil Gospodins Freundin Anette, Grundschullehrerin ist, aber das versteht das Publikum erst später. Gospodin hat und will nicht viel, aber ständig will eine:r was von ihm:

Erst Hermann, der sich seine Anlage ausborgt und dann die Scheiß-Spießer von Greenpeace, die ihm sein Lama wegnehmen. Das war diesem Gospodin, ein Mann im Schlabberlook mit dezent verwildertem Bart, so etwas wie wie seine Lebensgrundlage. Der Keller, sagt er, ist noch voll mit Heu und Futter. Das meiste über den Helden von Phillipp Löhles Genannt Gospodin in der Regie des Nürnberger Noch-Schauspieldirektors Jan-Philipp Gloger erfährt man aus dem Mund der ihm nahe Stehenden.

Rasant geben sie wieder, wie dieser Mann rätselhaft durchs Leben rennt: Er vertritt Kumpel Andi, den Piloten, bei der Beerdigung von Leichenteilen nach einem Flugzeugabsturz. Andi nimmt außerdem den Kühlschrank Er geht einkaufen, und kauft quasi alles. Mittels zwei Folien auf dem Overhead Projektor fliegen Heißluftfritteuse, drei Sorten Milch und Kroketten in Fußballerform in den Einkaufswagen: 803,57 Euro, aber er hat gar kein Geld. „Er muss fast kotzen.“ Die stark aufgepeitscht wirkende Künstlerin Nadine nimmt ihm den Fernseher weg und Silvia holt das Sofa, sein Bett, denn Annette ist ausgezogen. Er habe sich verändert, und alles wegen dieser neuen Lebensform.
Aus dem, was am Anfang wirr aneinandergeschraubt scheint, entblättert sich der Kern einer Erzählung über diesen Mann, der hier und jetzt an dem Punkt angekommen ist, seine Überzeugungen absolut zu setzen. Er schreibt sie mit Milch an die blanke, weiße Tapete: „Geld darf nicht nötig sein. Jedweder Besitz ist abzulehnen. Freiheit ist, keine Entscheidung treffen zu müssen.“ Usw. Löhles Gospodin ist eine absurde Figur, aber nur, weil er die kapitalismuskritischen Fragen der Gegenwart zu Ende denkt, ein Totalverweigerer würde man heute sagen, „ein Aussteiger, der im Land bleibt“, sagt er selbst.

Genannt Gospodin ist, so sehr es in die Bürgergeld-Debatten passt, kein neues Stück. Uraufgeführt in der Spielzeit 07/08 am Bayerischen Staatsschauspiel markiert es den Beginn von Jan Philipp Glogers Arbeit als Regisseur und seiner in Nürnberg über die Jahre sehr fruchtbaren Zusammenarbeit mit Hausautor Philipp Löhle. Am Ende seiner vorletzten Saison in Nürnberg hat Gloger sich diesen Text noch einmal vorgenommen.  

Wie schon in München wird der Text mit nur drei Schauspieler:innen auf die Bühne gebracht. Nicolas Frederick Djuren bleibt immer der zwischen schlaffer Lethargie und verzweifelter Rage pendelnde Gospodin. Sasha Weis ist Anette und Nadine und Sylvia und der Händler von Kram, der sich von der Decke senkt, Engerling. Justus Pfannkuch taucht mal als Hermann, mal als Andi, mal als Supermarkt-Typ, der Gospodin einen Job aufdrängen will, mal als Gospodins Mutter, mal als Hajo, der Mann mit der Tasche voller Geld, auf. Gemeinsam brillieren sie als ultrakomisches Kommissarenduo.

Das ist das eine, was so viel Spaß macht, an der turbulenten, im besten Sinne quatschigen Nürnberger Gospodin-Inszenierung. Djuren kann sich vollends in diesen Charakter und seinen Windmühlen-Kampf fallen lassen. Er will den Kapitalismus bei den Eiern packen, sagt er, Geld bedeutet ihm nichts. Er baut sich ein Nest aus dem Stroh vom Lama. Aber er überführt diese Figur nie vollends in die Lächerlichkeit. Weis und Pfannkuch hingegen können sich in den Karikaturen der Randfiguren verausgaben und Sprechweisen an- und ablegen wie Perücken und Schuhe, teils während der laufenden Szene.

Das andere sind die dezenten aber feinen Einfälle der Regie, der smarte Umgang mit dem angestaubten Requisit Projektor wurde ja bereits beschrieben. Auf diesem liegen im weiteren Verlauf auch Bilder, die Hajo zeigen, aber immer nur angeschnitten und von hinten, so wie er auch zum Publikum stand, als er Gospodin die Tasche voller Geld zur Aufbewahrung brachte. Pfannkuch malt den Hajos auf den Folien-Bildern einen blauen Schal, damit man Bescheid weiß.

Es ist vielleicht minimal vorhersehbar, dass ausgerechnet der Geld-Abstinenzler zu Geld kommt – Hajo ist bei einem Autounfall verstorben – und dass nun alle mit ihren Träumen ums Eck kommen. Sylvia will heimlich ein E-Auto kaufen, ohne dass Hermann davon erfährt und Gospodins Mutter auch mal alleine, ohne Männer, die sie aushalten, auf Kreuzfahrt gehen. „Ich hab das Geld nicht!“, schleudert Gospodin allen in blankem Zorn entgegen. Er versucht es loszuwerden, und scheitert immer wieder. Das collagenhafte Rennen der Anderen nach dem Geld ist einer der platteren Momente des Stücks.

Die Pointe zum Schluss ist ein Paradoxon, aber logisch: Erst im Gefängnis kann dieses Leben gelingen. Hier braucht Gospodin kein Geld, hier muss er keine Entscheidungen treffen. „Das hier ist mein Zuhause“, erklärt er, endlich seelenruhig. „Ich bin frei.“
 
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Genannt Gospodin
von Philipp Löhle
Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Franziska Bornkamm, Kostüme: Karin Jud, Dramaturgie: Eva Bode, Musik: Jan Faszbender, Licht: Wolfgang Köper
Mit: Nicolas Frederick Djuren, Sasha Weis, Justus Pfannkuch
90 Minuten, keine Pause
 




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Kultur  01.08.-30.09.2024
NÜ/FÜ/ER. SOMMERPAUSE AM STAATSTHEATER:  
VORFREUDE AUF DEN SPIELZEIT-AUFTAKT
Der Sommer hat dieses Jahr mit viel Verspätung endlich auch 's Frankenland besonnt und das Staatstheater Nürnberg in die wohlverdiente Sommerpause begleitet. Wer nun allerdings nur Faulenzen und Ruhe vermuten mag, der irrt sich gewaltig. Statt Stillstand läuft hinter den Kulissen des ehrwürdigen Hauses nämlich bereits alles auf Hochtouren, um die kommende Spielzeit vorzubereiten. Der September verspricht heiß zu werden, wenn nicht wegen spätsommerlicher Temperaturen, dann zumindest auf dem Bühnenparkett.

Gleich zu Beginn der neuen Saison, am 15. September, können sich Fans der Johann-Strauß-Operette DIE FLEDERMAUS nämlich über deren Wiederaufnahme in den Spielplan freuen. Auch das Schauspiel MARIA vom englischen Sozialdramatiker Simon Stephens findet erneut ins Programmheft. Ein zeitgenössisches Stück über Zartheit, Selbstbestimmung und Frausein im 21. Jahrhundert mit eigens kreierten Kompositionen von Schauspielmusikerin Vera Mohrs. Erstmals wieder aufgeführt am 20. September. 

So richtig begrüßt und gefeiert wird der Spielzeitbeginn 24/25 dann allerdings tags darauf, wenn das THEATERFEST am 22. September mit kunterbuntem Familienprogramm und Blicken hinter die Kulissen ins – und vor allem auch vor das Theater lockt! Staatsintendant Prof. Jens-Daniel Herzog gibt sich gemeinsam mit dem Opernchor die Ehre, um die Saison ab 13 Uhr am Richard-Wagner-Platz feierlich zu besingen. Am Vorplatz dürfen obendrein gemeinsam mit professionellen Bühnenmaler:innen überformatige Bilder gestaltet werden, während das Instrumentenkarussell der Staatsphilharmonie Nürnberg zum Ausprobieren und Mitmachen lädt. Überdies gibt es meisterlich begleitetes Ballett-Training, eine offene Chorprobe mit Chordirektor Tarmo Vaask, Kostümversteigerungen sowie zahlreiche weitere Mitmachaktionen. Das wohl größte Highlight aber liefert die abendliche Spielzeitvorschau, die mit Roxy Rued und den Spartenleiter:innen Ausschnitte aus dem künftigen Programm verrät. Mehr Infos zum gesamten Feierspektakel sind freilich auch auf der Website des Staatstheaters zu finden. 

Wie bereits vor der Sommerpause prognostiziert: Die Künste ruhen nur kurz und die Spielzeitvorschau 24/25 gibt schon jetzt das Fulminante preis: Knapp 30 Premieren, mehr als 60 Konzerte und diverse Kultproduktionen aus einem facettenreichen Repertoire sind zur kommenden Saison in Bayerns größtem Mehrspartenhaus geboten. Versüßen wir uns also doch die Wartezeit schon mal mit ein paar Klicks durchs digitale Theater-Line-up und sichern uns die besten Plätze. Die Vorfreude ist riesig!   >>
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MAGAZIN  
 
Thomas Köck hat, das hört man eher selten, ein Stück geschrieben, das nicht zum Nachdenken anregen soll. Es zeige einfach nur die Fakten auf. Fast resigniert klingt dementsprechend der Titel: Und alle Tiere rufen: dieser Titel rettet die Welt auch nicht mehr zeigt die Konsequenzen der Existenz und Dominanz des Menschen auf diesem Planeten auf. Regie führt Christoph Dechamps, auf der Bühne steht Thomas Witte. Premiere am 19. April. Das nächste Gostner-Endzeit-szenario folgt dann im Mai: Monte Rosa erzählt von drei Bergsteigern auf den Weg zu den Gipfeln. Für diese drei zählt nichts als der Aufstieg, alle zwischenmenschlichen Beziehungen sind zweckmäßig gedacht. Theresa Dopler hat eine Dystopie geschrieben, in der das Konkurrenzdenken unserer Zeit auf die Spitze getrieben wurde. Premiere: 4. Mai.

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Gostner Hoftheater   
Austraße 70, Nbg.



Salz+Pfeffer
 
Mord im Theater Salz+Pfeffer! Beziehungsweise, schon im Theater Salz+Pfeffer, aber eigentlich in der kleinen Pension Monkswell-Manor in England. Zwei alte Damen hören von dem Fall im Radio und fühlen sich dazu berufen, der Sache nachzugehen und ihn aufzuklären, klar. 
Zum Glück bringen die beiden neben einer Menge englischen Humor auch ausreichend kriminalistisches Gespür mit. Mausefalle ist ein typischer Krimiabend nach Agatha Christie. Paul und Wally Schmidt schlüpfen selbst in die Rollen der ermittelnden Damen. Die verdächtigen Figuren stammen von Ralf Wagner und Uschi Faltenbacher. Termine: 16., 21. und 22. April. 
Und apropos alte Dame: Der Besuch der alten Dame nach Friedrich Dürrenmatt läuft im Salz+Pfeffer in April und Mai ebenfalls weiterhin. Ein Welterfolg des Nachkriegstheaters, in Puppen übersetzt in der Maskenwerkstatt Marianne Meinl.

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Theater Salz+Pfeffer
Frauentorgraben 73, Nbg.

 
 
Ungewöhnliche Produktionen, gerade im Tanzbereich, finden einen Ort in der Tafelhalle. Z.B., wenn man nicht nur mit Menschen performt, sondern auch drei autonom fahrende Soundroboter mit auf die Bühne holt. Mit zwei Tanzenden zusammen bilden die Robos in Alexandra Rauhs Tanz-Performance mit Soundinstallation Glitching Bodies einen Gesamtorganismus, der die Frage aufwirft, wer hier eigentlich von wem beeinflusst wird. Am 21. und 22. April nochmal anschauen. Und dann gleich am 23. April wiederkommen, wenn der liebe Herr Egi Egersdörfer in der Tafelhalle seine Geschichten aus dem Hinterhaus darbietet. Das Ensemble Kontraste ist außerdem gleich zwei Mal zu Gast: Am 29.04. mit Debussy, Bartok und Ravel für vier Hände, an Klavier und Schlagwerk. Am 07.05. dann lädt Schauspielerin Adeline Schebesch ins Dichtercafé, die uns mitnimmt auf Goethes italienische Reise. Dazu hören wir gerne Mozart. 

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Tafelhalle 
Äußere Sulzbacher Str. 62, Nbg.

 
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