Das Ein-Mann-Ensemble tritt ab: Thomas Witte im großen Renten-Interview
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Wie das Efeu an der Wand und die Kneipe im Keller, gehört dieser Mann zum Gostner Hoftheater: Thomas Witte, das Ein-Mann-Ensemble seit 37 Jahren. Nun steht eine Premiere im Programm: Früher war auch schon immer alles besser am 04. April und in die Unterzeile schreiben sie trocken: “Thomas Witte geht in Rente.” Wie bitte? Das geht uns alles ein bisschen zu schnell. Besuch in der schönen Altbauwohnung von Mr. Gostner Thomas Witte, um nochmal in Ruhe über alles zu reden: Ein Kölner, der nach Franken kam, um hier fast 40 Jahre lang Theater zu machen.
ANDI: Du hast mit Unterbrechungen 37 Jahre am Gostner Hoftheater gearbeitet. Ursprünglich kommst du aus Köln. Wie bist du hier gelandet, wie kam das?
THOMAS WITTE: Ich habe in Köln in Emilia Galotti am Schauspielhaus gespielt, eine ganz kleine Rolle. Am Gostner wollten sie damals auf Eigenproduktionen mit Profis umsteigen. Die erste Produktion der Art war Tagräumer mit einem Schweizer Regisseur und der wollte jemandem vom Kölner Schauspielhaus haben, einen Kollegen von mir. Der konnte aber nicht und hat dem Regisseur dann mich vorgeschlagen. Ich kam zum Vorsprechen nach Nürnberg, habe die Rolle bekommen und die vom Gostner haben mir dann gleich einen Zweijahresvertrag angeboten.
Wie alt warst du da?
Das war 1987, also 28.
Was hast du gedacht, als du dieses Angebot bekommen hast?
Ich wollte zu der Zeit ohnehin mal aus Köln weg. Also habe ich mir gedacht: Okay, das ist ein kleines Theater, das finde ich schon mal super, mochte ich schon immer lieber als die Tanker. Ich hatte ja nicht viel erwartet: Fährst mal hin, sprichst mal vor, wie man das halt so macht, dann kuckt man mal. Und dann fand ich aber das ganze Ambiente total nett. Die Leute vom Gostner mochte ich von Anfang an sehr gerne alle und das ganze Drumherum, wie das Theater damals war, mit der Kneipe und so. Sowas mag ich einfach sehr gerne als Theaterraum. Als die mir dann den Vertrag angeboten haben, dachte ich: Okay, mal weg aus Köln ist eh nicht schlecht, ich mache das.
Bist du in diese zwei Jahre dann rein mit dem Gedanken, danach mache ich wieder was anderes oder mit der Hoffnung auf was Längerfristiges?
Ich mache mir immer nie so viele Gedanken. Ich lasse das meiste eigentlich auf mich zukommen. Nach den zwei Jahren bin ich für ein Jahr nach Münster, aber auch nicht, weil ich mich da beworben hatte, sondern weil ein Freund von der Schauspielschule da gearbeitet hat und der Intendant kannte mich auch und die haben jemanden gesucht. Die hätten mich auch gern länger behalten, aber ich habe gesagt, nee, Nürnberg ist schöner.
Jetzt probt ihr gerade dieses Renten- und Abschiedsstück. Zuerst mal, woher kam der Entschluss aufzuhören?
Na ja, es ist so ich bin jetzt 65, das heißt, im Sommer ist mein offizieller Renteneintritt. Dann soll mal jemand anders an die Reihe kommen. Ich habe aber erfahren, dass man mittlerweile ohne Abzüge dazuverdienen darf. Rente heißt also nicht, dass ich aufhöre zu arbeiten.
Das Gostner darf dich quasi weiterhin anrufen?
Ja, gerne. Auch andere dürfen, ich mache ja noch viele andere Sachen nebenbei.
So wie ich die Ankündigung von Früher war auch schon immer alles besser verstanden habe, ist da viel improvisiert und du erzählst vor allem?
Ja, das Grundprinzip ist, dass ich mich selbst interviewe. Wir haben ganz viele Fragen vorbereitet, die stehen auf Karteikarten und werden jeden Abend neu gemischt. Und die ziehe ich nach Zufallsprinzip und beantworte sie oder auch nicht. Je nachdem, was mir dazu einfällt und möglichst nicht langweilig. Felix, unser Techniker, hat auch Fragen, die haben nochmal einen anderen Charakter und die kann er zwischendurch reinrufen. Und das Publikum kann mich auch befragen. Und dann haben wir noch ein bisschen Musik, also ich habe eine Kompaktanlage auf der Bühne und alte Platten und Kassetten, und Felix hat Musik auf seinem Laptop. Das ist tatsächlich mehr oder weniger alles.
Inwiefern kann man sich auf so einen Abend vorbereiten?
Gar nicht (lacht). Es ist halt kein Stück. Auch keine Performance, finde ich. Ich glaube, wenn man gern Sachen über mich erfahren will oder über das Theater und gerne zuhört, dann ist das schon gut. Da sind witzige Anekdoten dabei, vielleicht auch traurige …Eigentlich werden, wie immer im Theater, Geschichten erzählt.
Und wenn du daran denkst, dass das dieser Endpunkt ist, wie geht es dir damit?
Gut. Ich habe diese Entscheidung getroffen und es ist eigentlich immer gut, Entscheidungen zu treffen. Ich heule selten irgendetwas nach. Ich bin 65 und ich finde, dann ist es auch meine Verantwortung, zu sagen, okay, ich löse das Feste auf und gebe das weiter und bin frei. Und habe dann auch Zeit, um andere Dinge zu machen. Ich würde zum Beispiel gerne ehrenamtlich arbeiten, Vorlesen an Schulen. Das wäre schon vorher gegangen, aber ich finde es doof, wenn man dann nicht verlässlich sein kann. Vielleicht auch nochmal eine Sprache lernen. Ein bisschen Ruhe haben bzw. noch mehr Ruhe.
Diese besondere Konstruktion mit dem Ein-Mann-Ensemble, war das immer so oder wart ihr auch mal mehr?
Ursprünglich hatte das glaube ich mit den Zuschüssen zu tun. Dafür war es Vorgabe für Privattheater, ein Ensemble zu haben. Eigentlich wollten wir gern mehr Schauspieler:innen haben, aber das ging finanziell nicht. Einer ging.
Und hattest du immer das Gefühl, dass diese Position dir gehört, oder stand das auch mal in Frage?
Nein, weil das Verhältnis zu den Theaterbetreibenden immer so gut war. Es wurde nie etwas anderes an mich herangetragen, wir haben das nie diskutiert. Einmal habe ich gesagt: Ich würde gerne mal ein halbes Jahr Pause machen. Dann habe ich im Büro gearbeitet, was auch eine interessante Erfahrung war.
Weißt du, wie viel Stücke es waren?
Um die 100, glaube ich.
Kannst du sagen, welches dein liebstes war?
Das gibt’s nicht. Es gibt so ein paar Rollen, die ich bemerkenswert fand, weil sie Herausforderungen waren. Ich habe mal ein Baby gespielt, Vater, Mutter, Geisterbahn war das Stück, das war zum Beispiel eine Herausforderung. Dann gab es ein Stück, das wir in der historischen Straßenbahn gespielt haben, Die Reise nach Peutschki. Das Publikum ist vom Bahnhof bis zum Zoo gefahren und wieder zurück und ich bin am Mögeldorfer Plärrer ausgestiegen. Das ist auch etwas, was ich sofort im Kopf habe, wenn ich an die Zeit denke. Dann gab es noch einen anderen Außenspielplatz, den ich ganz toll fand, hinten bei Schniegling. Das war eine aufgelassene Fabrik, richtig schöne Gemäuer, da hatte ich auch ein Solo. Wenn ich einen Titel lese, kann ich mich meistens noch erinnern, worum es ging. Bei manchen weiß ich es auch wirklich nicht mehr. Ich vergesse das immer sehr schnell und muss dann meine Frau fragen: Was habe ich diese letzte Saison gespielt? Ich kann und will mir das nicht merken. Aber es gab eben besondere Sachen, auch wenn ich mit Regisseuren, Regisseurinnen über einen Zeitraum von drei, vier Spielzeiten zusammenarbeiten konnte.
Meine Frau ist meine beste Kritikerin, weil die mich ja so nah kennt. Und wenn die wirklich begeistert ist, sagt sie: Ich habe dich nicht mehr gesehen. Bei dem Baby war das so. Da hat sie gesagt, sie hat das Baby gesehen und nicht mehr Thomas, der das Baby spielt. Wenn mir jemand, der mich so gut kennt und mich permanent sieht, das sagt: mehr geht nicht.
Gab es irgendwas, wo du sagst, das ist komplett gescheitert?
Komplett weiß ich nicht, aber es gab vieles, wo ich sage, okay, da fand ich jetzt die Regie nicht so toll oder das habe ich nicht gern gespielt, davon war ich nicht überzeugt. Es gab auch Bühnenbilder, die furchtbar waren. Klar, das gehört alles dazu. Wobei das immer mit der Meinung des Publikums divergiert, das merkt man dann, wenn man danach ins Loft runtergeht. Die Selbsteinschätzung und die Einschätzung des Publikums unterscheiden sich häufig.
Wie sehr hat sich das Gostner Hoftheater in der Zeit verändert?
Es hat sich immer transformiert, finde ich. Über all die Jahre, die ich da bin. Das hat zum einen mit den Leuten zu tun. Am Anfang war es ja nur der Verein, der vor allem von Lehrern gegründet wurde, eine Kunsthistorikerin, ein Biologe … In den ersten sieben Jahren waren das viel Performance-Geschichten, wilde, seltsame Sachen, merkwürdige Gastspiele und eben alles semiprofessionell oder ganz amateurhaft, aber sehr lebendig. Dann haben sie umgestellt auf Eigenproduktionen und nur noch mit Profis. Und dann hat sich, wenn man so will, immer mal die Handschrift geändert, je nachdem, welche Regisseure inszeniert haben. Wir haben den Hubertussaal dazu bekommen, um große Veranstaltungen zu machen und irgendwann mit dem Jugendtheater begonnen. Das Gostner war also immer wandelbar. Der große Umbruch war jetzt der Wechsel in der Leitung, als Gisela, die das ja seit ‘79 gemacht hat, sich zurückgezogen hat. Aber inhaltlich ist es eigentlich gleich geblieben: Es ist immer noch der Versuch, gutes Theater zu machen, mit den Bedingungen, die man hat und einem ähnlichen Schauspieler:innen-Pool. Laurent kommt aus der Schweiz, der hat dann natürlich nochmal andere Kontakte, so kommen neue Impulse hinzu. Oder neue Formate, wie der Gymmick-Abend jetzt oder die SuppKultur, also jeden Dienstag ist ein anderes Programm im Loft …
Und hat sich die Kultur an sich in Nürnberg stark verändert?
Dazu gibt es auch eine Frage im Theaterstück … Ich war ja am aktivsten, was Weggehen und so angeht, in den 80er-Jahren. Wenn ich daran zurückdenke, habe ich immer das Gefühl, da war mehr, mehr Aufbruch, mehr ausprobieren… Auf der anderen Seite glaube ich, dass nach wie vor wahnsinnig viel passiert, nur dass ich das nicht mehr mitkriege. Kultur verändert sich und Theater hatte früher, auch wenn wir gut besucht sind und auch junges Publikum nachkommt, auf jeden Fall einen anderen Stellenwert.
Meine Frau und ich waren zuletzt mal wieder in der Desi, bei dem HipHop-Konzert, FoSho. Das war auch eine interessante Erfahrung, weil die Formate mittlerweile anders sind. Das Konzert ist für neun angesetzt, fängt dann aber um 11.15 Uhr an. Das ist aber anscheinend normal. Aber so schnuppere ich zumindest mal in eine Szene rein, ganz bisschen, und kriege mit: Okay, es gibt eine Szene und es gibt Räume dafür. Oder es gibt so etwas wie die SuppKultur, was ja eine irre Idee ist und das erinnert mich dann eher wieder an die 80er, weil es da auch so komische neue Formate gab.
Ich glaube was schwieriger geworden ist, ist Kulturermöglichung. Wenn ich Kultur machen will, wird es schwieriger wird Räume zu finden. Ein schönes gutes Atelier zu finden, gute Proberäume, das ist wahnsinnig schwer. Es gibt nicht weniger Menschen, die Kultur machen wollen, eher mehr … Aber die Jobs werden nicht mehr. Ich habe eine Zeitlang Schauspielunterricht gegeben und ich habe am Anfang immer gesagt: Wenn ihr Geld verdienen und einen sicheren Job haben wollt, lasst es, macht was anderes, seid anders kreativ. Also das ist schwieriger geworden, aber sonst, nee, es ist immer noch ein schönes, weites Feld.
Und kannst du sagen, wann das für dich angefangen hat? Ob so ein Moment gab, wo du irgendwie Feuer gefangen hast fürs Theater?
Das waren verschiedene Momente. Als Kind und Jugendlicher war ich, soweit ich weiß, nie im Theater. Einmal Probenbesuch im Schauspielhaus, da sind wir als Klasse rausgeflogen, das hat uns nicht besonders interessiert. Und dann weiß ich die zeitliche Abfolge nicht mehr, aber ich habe irgendwann mal so zufällig Theater gespielt und das war eine schöne Erfahrung. Ich habe zwei, drei Mal Schultheater gemacht, auch einmal als Co-Regisseur. Aber es gab nie diesen Punkt, wo ich gesagt hätte, das ist es jetzt, jetzt arbeite ich total darauf hin, Schauspieler zu werden. Ich habe dann zwei Prüfungen gemacht, die zweite habe ich bestanden und hätte ich sie nicht bestanden, hätte ich auch keine andere mehr versucht. Dann hätte ich irgendwas studiert.
Was wäre das dann geworden?
Ja, das weiß ich nicht … (lacht). Zum Studieren hatte ich eigentlich auch keine Lust. Ich hatte eher das Gefühl, ich bin jetzt Anfang 20, es wird Zeit, einen Beruf zu ergreifen. Vielleicht Lehramt, aber keine Ahnung, vielleicht hätte ich auch eine komische Lehre gemacht, ich weiß es nicht. Ich habe mich schon damals ziemlich treiben lassen. Das ist so ein Auf-Sicht-Fahren von mir. Ich kann nichts besonders gut, weder Naturwissenschaften, noch Sprachen und ich hatte auch kein so wahnsinniges Interesse, wo ich unbedingt hinwollte. Geschrieben habe ich immer gerne, mache ich auch wenn Not am Mann ist immer noch. Wenn es das gegeben hätte, hätte ich vielleicht wie Du Kreatives Schreiben gemacht. Bestimmte Dinge sind halt rausgefallen, Medizin … Ich hätte den Uni-Katalog schon ziemlich wälzen müssen.
Und gab es von daheim her den Impuls zu sagen, Thomas, mach vielleicht lieber was Handfesteres?
Ja, natürlich, klar (lacht). Ich habe die zehnte Klasse wiederholt und da hat mein Vater schon zu mir gesagt: Thomas, wenn du keine Lust hast, macht doch eine Lehre, ist doch auch gut. Die Schauspielerei hat er finanziert, das war ja eine private Schule. Er hat gesagt, ja gut, aber willst du nicht erst was Anständiges machen? Meine Mutter ist früh gestorben, das war eine besondere Situation, mein Vater war Hauptschullehrer, kleines Bürgertum. Ich glaube, er hat sich vor allem gewünscht, dass wir vier Geschwister über die Runden kommen, dass wir ihn nicht mehr brauchen und dann war alles okay. Er hat nicht gesagt, toll, Schauspieler, aber er fand es auch nicht schlecht.
War er dann stolz, als er dich auf der Bühne gesehen hat?
Er hat mich nur einmal gesehen und dann war er stolz. Meine Schwester hat dann in Köln mit ihm zusammen gewohnt, ihn gepflegt und die hat mir erzählt, dass er einen Aktenordner hatte, in dem er alle Kritiken und so Zeug gesammelt hat. Wenn ich da war, hatten wir meistens andere Themen.
Kannst du sagen, welche Art von Theater du am liebsten magst? Wie das Stück sein muss, damit du sagst, das ist genau mein Ding?
Am liebsten ist mir immer ein Stück, das eine starke Geschichte erzählt, die mich interessiert und fesselt. Ob lustig oder traurig spielt dabei keine Rolle. Es muss gut geschrieben sein, aber lieber modern als alt. Goethe brauche ich nicht. Es darf gern eine heutige Sprache sein, aber gut geschrieben, sodass sie sich gut spielen und annehmen lässt. Und dann mag ich es am liebsten pur: möglichst wenig Bühnenbild, möglichst wenig Requisiten. Mir hat das Solo, das ist letztes Jahr gespielt habe zum Beispiel gut gefallen, …und alle tiere rufen …, weil das ein Mensch ist, der eine Geschichte erzählt, es gibt ein gutes Licht und als einziges Requisit hatten wir die Wasserflasche und ansonsten eine schöne, aber leere Bühne. Man kann nicht jeden Abend so machen, sonst wird es irgendwann langweilig für die Zuschauer, aber mir ist das das liebste: pures Theater.
Und ist es dir lieber, wenn die Figur, die du spielst, nah an dir dran ist oder weiter weg?
Hat beides seinen Reiz. Wenn sie nah dran ist, ist die Herausforderung, es so zu spielen, dass es nicht nur ich bin. Beim anderen, wie beim Baby, ist immer die Frage, wie wird das, das zu erfinden oder zu finden, was das ausmacht, und da reinzugehen, dass es funktioniert?
Und gibt es so was wie einen bisher unerfüllten Wunsch?
Nein. Hatte ich eigentlich nie. Ich hätte gerne nochmal den Woyzeck gespielt, den habe ich in der Schule gespielt und hätte es gerne nochmal anders ausprobiert, in einer richtigen Inszenierung. Ein Stück oder eine Rolle nochmal spielen, um zu sehen, welche Möglichkeiten gibt es noch? Das finde ich spannender. Wobei ich am Gostner mit klassischem Theater eh nicht so viel zu tun hatte und mir das auch gar nicht so viel gibt.
Nach fast 40 Jahren – würdest du sagen, du bist Franke geworden oder Exilkölner geblieben?
Ich glaube, Franke ist man, das ist wie Kölner …
Eigentlich sehr unterschiedlich, also vom Klischee her.
Nicht nur vom Klischee, ist es wirklich. Ich glaube, man ist das, was man ist und das verliert man nicht. Ich habe ein bisschen gebraucht, um in Nürnberg anzukommen und mit dieser Mentalität zurecht zu kommen. Das war Anfang der 80er wahrscheinlich auch noch anders als es heute ist. Es gab Geschäfte, wo man einfach nicht gegrüßt wurde, das war Usus, nicht Böswilligkeit. Ich habe gleich überlegt, ist vielleicht jemand in der Familie der Verkäuferin, dem Verkäufer gestorben oder so? (lacht)
Das heißt, es war schwierig für dich hier anzukommen?
Na ja, ich bin selber nicht der offenste Mensch. Ich bin zwar in Köln geboren, aber meine Familie kommt aus Mecklenburg, wo die noch weniger reden als die Franken. Von daher hat es auch gut gepasst. Aber es gibt eine Sache, an der sich das ganz gut festmachen lässt. Wenn man in Köln allein in eine Kneipe geht, setzt man sich an den Tresen und kommt da mit den Leuten ins Gespräch. Und bevor die Tische belegt waren, war eher die Theke voll. Ich bin damals, abgesehen vom Loft, immer ins Palais Schaumburg, und da waren alle Tische besetzt und der Tresen leer. Da setzt man sich nun auch nicht irgendwo dazu und sagt: Hallo ich bin der Thomas, wer seid ihr? Da ist in Köln der Raum, wo man sich kennenlernt, man sitzt nebeneinander am Tresen und kommt automatisch ins Gespräch. Aber die Kölner Mentalität ist halt auch so zu fragen: Wer bist du denn eigentlich, wat machste hier, ich hab dich noch nie jesehn, trinke wer een oder wat? Das System hier habe ich zuerst nicht begriffen und deswegen fand ich es schwer, Menschen kennenzulernen. Und ja, das Mürrischsein. Wenn man das nicht kennt, denkt man zuerst, was ist denn? Hosenstall auf, Rotz an der Nase? Warum sind die Menschen so komisch zu mir? Es hat so ein Jahr, eineinhalb Jahre gedauert, bis ich mich wirklich wohl gefühlt habe. Aber jetzt mag ich es sehr gerne und habe auch nicht den Wunsch, nach Köln zurückzugehen.
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Früher war auch schon immer alles besser – Thomas Witte geht in Rente
Premiere am 04. April im Gostner Hoftheater
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