Staatstheater: Mit dem E-Roller ins Abenteuer
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Premierenkritik von A. Radlmaier
PARZIVAL. Eindeutiger Fall von Tor des Monats: Noch bevor nebenan im Opernhaus sich Wagners „Parsifal“ auf eine fünfstündige Weihefestspiel-Suche nach dem heiligen Gral macht (und dabei, wie man hört, im Nationalsozialismus und der eigenen Theaterrezeption landet), legte Regisseur Kieran Joel mit Co-Autor Fabian Schmidtlein nebenan im Schauspielhaus vor und schickt den reinen Tor mit Lust und Tücke durch alle denkbaren Falltüren der Deutungshoheit und Bedeutungshoheit aufs Schlachtfeld des Lebens. Die Fallhöhe auf dem Ritterspielplatz in Sichtweite zu Artus‘ Tafelrunde ist beträchtlich, der Unterhaltungswert auch.
Gut 800 Jahre hat das hakenschlagende Heldenepos „Parzival“ des Wolfram von Eschenbach, der stets eine biographische Fußnote ins fränkische Wolframs-Eschenbach erlaubt, auf dem Buckel, beziehungsweise auf der Rüstung. Die Frage nach Selbstfindung und Erfüllung, wo aus Glück das Gefühl der Unbesiegbarkeit folgt, ist jedoch keineswegs von gestern. Kieran Joels origineller Zugriff auf den Stoff schält diesen Ansatz mit scharfer Kante heraus, „You can be a hero“ verkündet eine Leuchtreklame als Leitmotiv auf der Drehbühne. Auch Tölpel können es zu etwas bringen, wenn sie fest an sich glauben.
Der Naivling Parzival (Nicolaus Frederick Djuren spielt ihn konsequent als ungelenken Grals-Novizen mit offenem Mund), der „nach Wissen und Weisheit strebt“ und seine Rolle in der Welt finden möchte, bekommt vom kampfesmüden Ritter-Vater Gahmuret (Thomas Nummer gibt bravourös den auf die Knie gezwungenen resignierten Recken), eine Clownsnase für die anstehenden Begegnungen verpasst. Die Abenteuer des halbstarken Helden können beginnen. Raus also aus dem beigefarbenen Hofstaat der austauschbaren Masse. Rein in den blut- und liebestrunkenen Steckerleswald der Phantasie. Das Schlachtross ist ein E-Roller, Übergriffigkeit formt das Selbstwertgefühl. Die Rüstung des Roten Ritters, den der ohrfeigende Held vorher in Wrestling-Manier ausgeschaltet und ausgezogen hat, wird zur Ego-Uniform.
Endlich Hauptrolle. Denn wer will schon Nebenrollen im Leben und erst recht auf der Bühne spielen und die Existenz mit Warten verbringen? Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit, gar aus dem Stoff komplett gestrichen zu werden, wenn man nicht spurt, mündet im Konkurrenzkampf. Immer wieder kippen die Figuren aus ihren Rollen, verheddern sich in Befindlichkeiten und in der vermeintlichen Realität. Das Selbstbewusstsein kämpft auf offener Bühne regelrecht ums Überleben. Dann sieht man per Videoeinspielung das Ensemble saufend in der Kantine sitzen, auf den nächsten Auftritt wartend und über die verschiedenen Spielebenen in „Parzival“ räsonierend. Und einer stöhnt erschöpft: „Noch `ne Ebene“.
Alles nur Illusion, der heilige Ernst trifft auf abenteuerliche Rothaarperücken, mit denen das gut aufgelegte Ensemble (besonders auffällig: Sasha Weis als Martial-Art-Girl Gawan) durchs Mittelalterpersonal von Amfortas bis Kundrie switcht. Humor unterläuft das Hehre, Tiefsinn wird zum turbulenten Comicspektakel geweitet. Im Hintergrund meint man Mel Brooks und Monty Python zu erkennen, die amüsiert lächeln.
Am Ende steht Parzival als selbsternannte Hauptrolle mit hochgerecktem Schwert und Grals-Pokal blutverschmiert und machtberauscht quälend lange am Bühnenrand. Die Gegenspieler sind aus dem Weg geräumt, inklusive Deutschlehrer, der aus dem Parkett kommend die Stoffbehandlung verurteilt. Gral ist, was man daraus macht. Darauf hat er gewartet, dafür war er gemacht, unterstreicht der Popsong vom Band. Das konnten einige Zuschauerinnen und Zuschauer nicht mehr erleben. Sie waren in der Pause geflohen. Der Rest spendete bei der Premiere animierten Beifall.
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PARZIVAL
am Schauspielhaus Nürnberg
Termine:
Sa, 30.03.2024, 19.30 Uhr
Sa, 06.04.2024, 19.30 Uhr
Do, 18.04.2024, 19.30 Uhr
Sa, 27.04.2024, 19.30 Uhr
Sa, 04.05.2024, 19.30 Uhr
Fr, 10.05.2024, 19.30 Uhr
Mi, 22.05.2024, 19.30 Uhr
So, 23.06.2024, 19.00 Uhr
Do, 27.06.2024, 19.30 Uhr
Sa, 13.07.2024, 19.30 Uhr
www.staatstheater-nuernberg.de
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