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Theaterkritik von Andreas Radlmaier
Wiederauferstehung am Nürnberger Staatstheater: Mit stehendem Applaus feierte im Opernhaus ein sichtlich jung durchmischtes Publikum die frischpolierte Highspeed-Neuinszenierung von „Jesus Christ Superstar“, mit dem der heute 75-jährige Andrew Lloyd Webber (samt Text-Partner Tim Rice) vor einem halben Jahrhundert vom Broadway aus seine Weltkarriere mit genialem Ohrwurmfortsatz einläutete. Der Erlöser-Stoff ist offensichtlich immun gegen Missbrauchsvorwürfe und Kirchenaustritte aller Art. Nachdem Staatsintendant Jens Daniel Herzog in seiner Dortmunder Zeit bereits einen Publikumserfolg mit dem Musical-Klassiker gelandet hatte, wiederholt sich in Nürnberg der Push für die Auslastungsbilanz: Rund 21.000 Gäste wollen allein bis Juli das Mirakel von Menschsein, Verrat und Märtyrertod in geplanten 21 Vorstellungen erleben. Klarer Fall von Wunder.
Am Ende darf das ewige Licht den Weg in die paradiesische Illusion leuchten, umspült von dramatischem Movie-Sound, der aus dem Orchestergraben steigt. Ein Kreuz in queeren Regenbogen-Farben schwebt vom Bühnenhimmel, aus der Volksmasse löst sich ein kleiner Junge als Zukunftshoffnung der kollektiven Liebe. Der Sohn der alleinerziehenden Prostituierten Maria Magdalena, die sich mit Jesus offenkundig in der Gründungsphase einer Patchwork-Familie befindet (was uns die Bibel und Webber-Rice bislang unterschlugen) blickt ins Publikum, Hand in Hand mit den mörderischen Vertretern der katholischen Kirche, die soeben noch den Ur-Christen brutal-blutig foltern und ans Kreuz hängen ließen, was alle dank Live-Cam hautnah als Großprojektion miterleben durften. Die Frohe Botschaft lautet: Wer glaubt, wird selig.
Es ist nicht die einzige dramaturgische Freiheit, die sich Regisseur und Musical-Spezialist Andreas Gergen erlaubt. Jesus wird der Prozess – umringt von der Schweizer Garde und einem USK-Kommando - in der Sixtinischen Kapelle verpasst, Herodes darf als weißgewandeter Papst mit einem Engelsballett frivolen Charleston tanzen. Überhaupt sind der Vatikan und der Petersplatz Schauplatz der letzten sieben Tage des Religionsschöpfers. Möglicherweise muss die Geschichte des Gelobten Landes folglich umgeschrieben werden. Denn sowohl die Hohen Priester des jüdischen Glaubens wie auch die Statthalter der römischen Besatzungsmacht haben die Tracht getauscht und sind nun allesamt bigotte katholische Kanaillen mit Kardinalskappe und Bischofsmütze. Wer so kühn durch Zeit und Zusammenhänge springt, steigt schnell mal in der Renaissance und dem Petersdom um.
Dieser Regie-Einfall raubt der Rock-Oper den politischen, antiken Hintergrund, der wohl wie ein Brandbeschleuniger für Revolten und neue Propheten gewirkt hat. Schärft aber gleichzeitig die Stoßrichtung auf korrupte, kaltschnäuzige Amtskirchen (die Evangelen werden – welch Glück – ausgeblendet) und die Sehnsucht nach Aufstand und Revoluzzertum. Nun protestieren die Jesus-People mit Plakaten gegen „Missbrauch in der Krypta“ und für Kirchenämter für Frauen, schwenken LGBTQ-Fahnen und feiern das letzte Abendmahl mit Picknickdecke, Wanderklampfe und Dosenbier, während das Volk vom aufstrebenden Sohn Gottes, der in einem Studentendachzimmer samt „PACE“-Wandschmuck und Vintage-Möbeln wohnt, eher diverse Wunderheilungen erwünscht. Bevor Mann und Frau elastisch zu den „Kreuzigt ihn“-Rufen überschwenken.
Gergen lenkt das personenreiche Passions-Spektakel souverän, die zweistündige Aufführung steuert dynamisch und bilderreich aufs blinkende Castingshow-Finale zu. Der ursprüngliche Verzicht auf Wortpassagen in „Jesus Christ Superstar“ garantiert zusätzlich Tempo. Stimmlich und musikalisch ist dieser Abend imponierend geraten. Eine mit allen Weihwassern gewaschene Jesus-Band (von Norbert Nagel bis Christoph Huber) liefert das kompakte Sound-Fundament, darüber thronen dann die Lieder für die Ewigkeit von „What’s the Buzz“ über „I don’t know how to love him“ bis zum titelgebenden „Jesus Christ Superstar“ .
Alte Shouter-Tugenden werden in der Neuinszenierung der Rock-Oper wach, Deep-Purple-Sänger Ian Gillan (der 1970 den Jesus sang) grüßt von weitem herüber. Metallisch-hell klingt auch Lukas Mayers Stimme. Mayer, gelockter Softie mit Netzhemd-Sexappeal im Slalom zwischen Sinnsuche und Selbstbewusstsein, liefert wie auch Til Ormeloh (als kritischer Gegenspieler Judas mit offensivem Faltenrock-Appeal die tragende und tragische Figur des Konflikts) gelungene Persönlichkeitsstudien. Dorina Garuci (Maria Magdalena), Marc Clear (Pontius Pilatus), Alexander Alves de Paula (Kaiphas), Mark Weigel (Annas) und Hans Kittelmann (Herodes) runden eine glänzende Ensembleleistung ab. Ostern kann kommen.
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Jesus Christ Superstar
Premiere im Opernhaus
am 03.03.2024
Weitere Aufführungen bis Juli 2024:
Sa, 09.03.2024, 19.30 Uhr
So, 17.03.2024, 15.30 Uhr
Di, 02.04.2024, 19.30 Uhr
Fr, 05.04.2024, 19.30 Uhr
Fr, 12.04.2024, 19.30 Uhr
Mi, 17.04.2024, 19.30 Uhr
Fr, 10.05.2024, 19.30 Uhr
Sa, 11.05.2024, 19.30 Uhr
Mo, 13.05.2024, 19.30 Uhr
Fr, 17.05.2024, 19.30 Uhr
Do, 30.05.2024, 19.00 Uhr
Mo, 10.06.2024, 19.30 Uhr
Fr, 21.06.2024, 19.30 Uhr
So, 23.06.2024, 17.00 Uhr
Sa, 29.06.2024, 19.30 Uhr
Di, 02.07.2024, 19.30 Uhr
Sa, 06.07.2024, 18.00 Uhr
Do, 11.07.2024, 19.30 Uhr
So, 14.07.2024, 17.00 Uhr
Di, 16.07.2024, 19.30 Uhr
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