Red On: Keine Protestsongs, aber alternative DIY-Kultur
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Philipp Dittmar ist nicht nur das Mastermind hinter dem Projekt Red On, sondern auch Mitbetreiber von Verydeeprecords, einem der wenigen in der Region ansässigen Labels. Am 22. März veröffentlicht er sein neustes Album „Phantom Easy“ auf dem Schweizer Label Präsens Editionen. Beste Gründe also ihm, seiner Musik und seinen Gedanken zum Künstler-Dasein in unserer schönen Stadt, auf den musikalischen Zahn zu fühlen.
TOMMY: Hallo Philipp, wie geht’s dir so kurz vor dem Release deines neuen Albums?
PHILIPP: Ich freue mich, dass es endlich losgeht und das Warten ein Ende hat! Das Album ist jetzt schon länger fertig und das letzte Jahr war voller Organisations- und Promoarbeit – jetzt wird es wirklich Zeit, dass die Musik mal jemand zu hören bekommt. Also bin ich ziemlich ungeduldig und auch aufgeregt.
Das Album erscheint auf dem Schweizer Label Präsens Editionen. Warum hast du dich dafür entschieden, es nicht auf deinem eigenen Label Verydeeprecords zu veröffentlichen?
Zuallererst finde ich das Label toll! In den letzten Jahren sind da viele großartige Alben rausgekommen, die ich selbst gerne höre und zwischen denen ich mich mit meiner eigenen Arbeit sehr gut aufgehoben fühle. Und ich mag, wenn meine Musik in immer neuem Kontexten passiert. In Nürnberg ist sie ja eh relativ präsent, weil ich regelmäßig spiele, aber auch über die Arbeit mit dem Label. Dazu kommt noch, dass wir mit Verydeeprecords damals als Plattform für unsere eigene Musik begonnen haben. Über die Jahre habe ich mich dann immer mehr darum gekümmert, dass die Musik von anderen Artists erscheint und gehört wird. Da tut es jetzt einfach gut, diese Arbeit nicht auch für meine eigene Platte zu machen.
Das wirklich wunderbare Album mit dem Titel „Phantom Easy“ würde ich jetzt mal unter elektronischem Ambient einordnen. Man hört durchaus Anleihen von Daft Punk, aber auch Flume und den frühen Mura Masa. Kannst du mit dieser Einordnung was anfangen oder eher so gar nicht?
Danke! Ja vor allem mit Flume und Mura Masa kann ich viel anfangen. Als ich begonnen habe, mit Red On Musik zu machen, hat mich gerade der sogenannte Post-Dubstep sehr abgeholt, also genau diese Musik, die für den Club zu sperrig oder zu langsam ist, aber sich trotzdem in so einer Bass-Musik-Ecke verortet. Mit dem Begriff Ambient musste ich erst warm werden, ich finde, da gibt es auch sehr viel Belangloses, aber auch der ist inzwischen fein für mich, ja. Und Flume ist ein ganz gutes Stichwort, weil besonders meine neue Platte schon auch immer wieder mit Elementen aus zeitgenössischer Popmusik spielt und ich „Palaces“ von Flume rauf und runter gehört habe.
Erzähl doch ein wenig vom Prozess der Albumentstehung. Arbeitest du alleine im stillen Kämmerlein oder im Team?
Red On ist für mich zunächst das Projekt, in dem ich alles alleine mache, oft auch sehr impulsiv oder selbstreferenziell. Trotzdem spiele ich die Musik dann live mit anderen Menschen, besonders mit Visual Artist Subrihanna, aber auch in größeren Bandbesetzungen. Das prägt die Stücke natürlich, und vor allem meinem letzten Album „Drums“ hört man das an, finde ich. „Phantom Easy“ ist wie ein Gegenentwurf dazu geworden: Statt Kollektiv war für mich Reduktion dran. Ich habe mich im Entstehungsprozess mehrmals in eine kleine Hütte zurückgezogen und dort fast alles allein geschrieben und aufgenommen. Und auch bei der Auswahl der Instrumente habe ich mich stark beschränkt: Ein Synthesizer, meine Stimme, eine Drummachine und ein paar Effekte. Auch das hört man, finde ich. Gerade arbeiten wir aber wieder an der Live-Umsetzung mit Band … Und dann ist da eben noch die visuelle Welt um Red On, die in Videos und Artworks zu einem Großteil von Sabrina Zeltner alias Subrihanna stammt, aber auch von Meike Männel und Karin Kolb. Gerade an der Schnittstelle von Bild und Ton ist mir die Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen sehr wichtig und ermöglicht tolle kollektive Prozesse.
Seit wann gibt es dein Projekt Red On und wie würdest du die musikalische Entwicklung beschreiben?
Ich glaube, das erste Mal habe ich 2011 unter diesem Namen Musik veröffentlich … Puh, das ist lang! Wie gerade schon erwähnt, habe ich in der ganzen Zeit mit diesem Projekt vor allem gemacht, was mich gerade so interessiert hat. Das war anfangs elektronische Instrumentalmusik. Ich glaube, ich habe mich dann immer tiefer in experimentelle Ecken gewühlt und freiere Ansätze entdeckt und gefeiert. Dabei ist eine Art ästhetischer Kosmos entstanden, an dem ich mich abarbeite. Später habe ich mich viel mit Rhythmus beschäftigt. Die Arbeit der Schlagzeugerin Valentina Magaletti zum Beispiel hat mich tief beeindruckt. In der Zeit gab es Red On dann live mit zwei Schlagzeugen … Zuletzt habe ich mich mehr damit auseinandergesetzt, wie weit sich Songs zerlegen lassen, bis sie sich auflösen. Und mit Verzerrungen als Klangquellen, die eine Art Eigenleben entwickeln können. Und dann kommt in den neuen Stücken viel Stimme vor, was ganz neu für mich ist und eine große Herausforderung für die anstehenden Konzerte …
Es gibt Städte, in denen es gefühlt einfacher ist, als Künstler:in gut über die Runden zu kommen – sowohl finanziell, aber vor allem auch kreativ, im Hinsicht auf Infrastruktur, die Vernetzung mit anderen Musiker:innen und Standing. Wie beurteilst du die Lage hier und was würdest du dir wünschen?
Ja, das zieht sich durch meine Arbeit: selber Konzerte veranstalten, selber Platten rausbringen, selber booken, selber Pressearbeit machen. Es gibt diese Strukturen in Nürnberg schon, und auch gute Leute, aber das sind viel zu wenige, sodass es mit so einem speziellen Projekt wie Red On schwierig ist, die richtigen Ecken zu finden. Und da, wo es sie gibt, sind sie oft zu nischig, unterfinanziert und alle Akteur:innen kommen gerade so über die Runden mit ihren eigenen Sachen. Da bleibt oft wenig Energie, sich gegenseitig wirklich zu pushen. Gerade würde ich mir eine Person wünschen, die das Booking für mich macht und das Projekt in die richtigen Orte bringt. Und ich würde mir leicht zugängliche Förderungen wünschen für Musik, die auch mal sperrig sein darf.
Was hörst du privat gerne und was inspiriert dich?
Im Alltag oft, was leicht reingeht: Ich habe das das letzte Jahr mit den Alben von Charli XCX, Avalon Emerson und FKA Twigs verbracht und war vom neuen Fever Ray-Album sehr beeindruckt. Und dann höre ich aktuell viel, was das Münchner Squama Label rausbringt. Ich liebe, wie sie schaffen, Elektronik und zeitgenössischen Jazz zusammenzubringen, ohne dass das so seichtes Geplänkel wird!
Diese unwirklichen Zeiten, in denen wir leben, lassen ja keinen kalt. Hat das Impact auf deine Kreativität, bzw. Musik?
Ich hadere schon oft mit mir, weil meine Musik oft keine Message hat – also ich meine, es sind halt keine Protestsongs. Sie passiert auch oft in hürdenbehafteten Rahmen, dreht sich viel um sich selbst oder andere Referenzen aus der Szene. Oft ist sie sehr ästhetisch getrieben. Dann sitze ich da mit dem Gefühl, ich müsste mehr politischen Inhalt in meine Musik bringen. Ich komme aber auch aus einer DIY-Kultur, in der das Veranstalten von Shows, das Aufbauen alternativer Strukturen und Vertriebswege politisch ist und ein Beitrag für eine gute Welt. Und dann kann ich mit großer Motivation eben Musik – und Kultur allgemein – machen, die sich einer Verwertbarkeit ein Stück weit entzieht, oder daraus sogar ihren Sinn schöpft. Solche Strukturen aktiv zu suchen und zu ermöglichen, ist für mich immer wieder sehr erfüllend und ein Betrag zu einer lebenswerten Welt. Und wenn ich dabei auch noch diskriminierende Strukturen in der Kulturarbeit auf und hinter den Bühnen sehe und aktiv probiere umzubauen, dann gibt’s auch in der Ecke, in der ich unterwegs bin, noch reichlich zu tun!
Dein Label Verydeeprecords feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Mit wem machst du das Label, was ist die Idee dahinter und wird es besondere Highlights zum Geburtstag geben?
Das Label mache ich zusammen mit Steffy alias iseekyou/HKHKHKHK. Wie eben schon erwähnt, war die Idee anfangs, einfach einen Ort für unsere eigene Musik zu schaffen. Ein solches Label gab es zu der Zeit in der Region nicht, also haben wir es selber gemacht. Schnell kamen Releases von befreundeten Artists dazu, die wir auf Kassetten rausgebracht haben, weil wir wichtig fanden, dass die Musik auch physisch existiert – und Kassetten sind sehr günstig, vor allem wenn man sie selbst überspielt. Die Musikalische Identität des Labels reicht von Ambient-Elektronik über freiere House/Techno-Sachen bis hin zu experimentellem Pop, wobei uns zuletzt besonders Letzteres interessiert hat. Zum Jubiläum gab´s im Herbst schon eine kleine Party zusammen mit Complex Pleasures, und jetzt kommt eine große Compilation mit neuen und alten Freund:innen und Artists, die wir toll finden. Sie ist unsere sechzigste Veröffentlichung und bietet, glaube ich, einen guten Einstieg in den Katalog für Interessierte …
Deine Top Spots in der Region bitte.
Ich bin Anfang des Jahres in die Rosenau gezogen und muss sagen, die Aussicht aus der Küche ist ein echtes Highlight – also gerade bin ich sehr gern zu Hause. Sonst ist der Musikverein meine Konzertheimat, egal, ob er im Zentralcafé, in der Kantine oder hoffentlich endlich mal im Soft Spot zu Hause ist. Und das ist nicht nur nostalgische Verbundenheit, sondern die bringen einfach immer wieder großartige Acts in die Stadt, die so nirgends sonst passieren. Und dann ist das SB – Space Between noch so ein Lieblingsort, der hoffentlich bald wieder offen sein kann!
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Philipp Dittmar
alias Red On ist freiberuflicher Musiker, DJ und Grafik-/Sounddesigner mit Wohn- und Arbeitsschwerpunkt in Nürnberg. Er lehrt außerdem an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm und betreibt das Label Verydeeprecords.
Termin aufschreiben:
Red On & Subrihanna, Support: Loser Mage, 31.03., Kantine/Soft Spot
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Dieses Interview wurde gefördert vom Mediensupport des Verbands für Popkultur in Bayern e.V.
@vpby_ / @pop_aufm_schirm
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